Sozialtaxonomie als Ergänzung - nach der Taxonomie ist vor der Taxonomie

Dr. Matthias Petras, Foto: zeb.rolfes.schierenbeck. associates GmbH

Nachdem lange an einer sinnvollen Taxonomie für die Nachhaltigkeitsdimension Ökologie gearbeitet wurde, habe nun die Arbeitsgruppe 4 der "Platform on Sustainable Finance" einen finalen Bericht zur Einführung einer Sozialtaxonomie veröffentlicht. Dabei handele es sich jedoch nur um eine Vorarbeit einer Expertengruppe. Als Ausgangspunkt dient laut Petras und Müller-Dethard die Umwelttaxonomie. Es sollen in analoger Weise zunächst Nachhaltigkeitsziele definiert werden, basierend auf bereits international anerkannten Normen und Standards wie den Sustainable Developement Goals (SDG). Zusätzlich sollten laut dem Bericht die Sicherstellung menschenwürdiger Arbeit, die Förderung eines angemessenen Lebensstandards und die Ermöglichung integrativer und nachhaltiger Gemeinschaften als Ziele definiert werden. Die Autoren weisen darauf hin, dass noch kein konkreter Zeitplan zur Einführung einer Sozialtaxonomie bestehe und dass dieser noch viel Gegenwind auf europäischer Ebene habe. Dennoch sollten Banken und andere Finanzunternehmen ein hohes Maß an regulatorischer Anpassungsfähigkeit sicherstellen. (Red.)

Unter dem Kürzel "ESG" umfasst das Konzept der Nachhaltigkeit drei Dimensionen: Ökologie, Soziales und gute Unternehmensführung. Mit der Taxonomieverordnung ((EU) 2020/852) hat die Europäische Union ein Klassifikationssystem geschaffen, das eine Einstufung zulässt, ob eine Wirtschaftsaktivität aus ökologischer Perspektive nachhaltig ist oder nicht. Der Fokus liegt dabei bislang auf den Implikationen für das Klima und die Umwelt, wofür sechs sogenannte Nachhaltigkeitsziele definiert wurden, anhand derer die Nachhaltigkeit von Wirtschaftsaktivitäten beurteilt wird. Auf Soziales und Unternehmensführungsaspekte wird bislang nur insofern Rücksicht genommen, als nachhaltige Aktivitäten gewisse Mindeststandards (Minimum Safeguards) einhalten müssen.

Mit der Taxonomie zur ökologischen Dimension (dem "E" in "ESG") hat die Europäische Union den Anfang gemacht und (Finanz-)Unternehmen zum Teil gewaltigen Umsetzungsaufwand beschert. Nach dem einseitigen Fokus auf Ökologie soll in einem zweiten Schritt die soziale Dimension (das "S" in "ESG") durch eine Sozialtaxonomie geregelt werden und die bestehende Umwelttaxonomie ergänzen. Grundlage dafür ist Art. 26 Abs. 2 (b) der Taxonomieverordnung, nach dem die EU-Kommission zur Evaluierung der Ausweitungsmöglichkeiten auf andere Nachhaltigkeitsziele wie soziale Ziele beauftragt ist. Ziel ist es, durch ein soziales Klassifikationssystem Investitionen, neben ökologischen Aktivitäten, auch in soziale Aktivitäten zu kanalisieren.

Abbildung 1: Interessengruppen, Sozialziele und Teilziele Quelle: zeb

Noch kein Verordnungsentwurf

Die Sozialtaxonomie liegt gegenwärtig in Form eines finalen Berichts 1) der Arbeitsgruppe 4 der Platform on Sustainable Finance2) vor, die die EU-Kommission in Bezug auf eine mögliche Taxonomieerweiterung berät. Es handelt sich also explizit noch nicht um einen Verordnungsentwurf durch die EU-Kommission, sondern um eine Vorarbeit durch eine von der Kommission beauftragte Expertengruppe. Diese Vorarbeit soll jedoch als Grundlage für einen Vorschlag durch die Kommission dienen.3)

Zentrales Anliegen des Entwurfs für eine Sozialtaxonomie ist es, wirtschaftliche Aktivitäten zu identifizieren, die zur Förderung sozialer Ziele beitragen. So wie die Umwelttaxonomie Tätigkeiten definiert, die wesentlich zu den Umweltzielen beitragen, soll die Sozialtaxonomie in ähnlicher Weise für soziale Ziele vorgehen. Dadurch soll Transparenz für Investoren hergestellt und einheitliche Standards für soziale Projekte geschaffen werden. Eine einheitliche Definition von sozialen Investitionen soll die Vergleichbarkeit erhöhen und sogenanntes "Social-Washing" verhindern.

Die sozialen Ziele

Der Ausgangspunkt für die Sozialtaxonomie ist die Umwelttaxonomie. In analoger Weise werden zunächst Nachhaltigkeitsziele definiert und sodann ein Katalog an Bewertungskriterien zur Beurteilung der Zielkonformität für einzelne Wirtschaftsaktivitäten beziehungsweise Wirtschaftszweige entwickelt. Dadurch soll zum einen beurteilt werden können, ob eine Aktivität oder eine Investition einen substanziellen Beitrag zu den Zielen leistet und zum anderen sichergestellt werden, dass dabei kein anderes Ziel verletzt wird (Do No Significant Harm, DNSH).

Die Ableitung der sozialen Ziele basiert auf international anerkannten Normen und Standards wie unter anderem den Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs), dem Global Compact der Vereinten Nationen oder den Arbeitsnormen der International Labor Organization (ILO). Zudem wurde auf Vorarbeiten verschiedener Institutionen wie den Social Bond Principles der International Capital Market Association (ICMA) zurückgegriffen.

Als zusätzliche Nachhaltigkeitsziele sieht der Entwurf zur Sozialtaxonomie drei soziale Ziele und damit jeweils verbundene Teilziele vor:

1. Sicherstellung menschenwürdiger Arbeit (decent work): Das Ziel rückt die Arbeitsbedingungen von Arbeitenden in den Fokus und bezieht sich dabei auf die gesamte Wertschöpfungskette. Die Teilziele orientieren sich an der sogenannten Decent Work Agenda der ILO.

2. Förderung eines angemessenen Lebensstandards (adequate living standards and wellbeing for end users): Das Ziel fokussiert Konsumenten und Endkunden insbesondere im Sinne des Konsumentenschutzes.

3. Ermöglichung integrativer und nachhaltiger Gemeinschaften (inclusive and sustainable communities and societies): Das dritte Ziel stellt Gemeinschaften und die Gesellschaft als Ganzes in den Fokus und zielt zum einen auf die Vermeidung negativer Einflüsse ökonomischer Aktivität sowie zum anderen auf die Bereitstellung von Basisinfrastruktur ab.

Die drei Ziele stellen klar, was als "sozial" im Sinne der Sozialtaxonomie zu verstehen ist und fokussieren sich dabei auf ihren jeweiligen Beitrag für die drei Interessengruppen: Arbeitende, Konsumenten und Gemeinschaften (Communities). Einen Überblick gibt Abbildung 1. Die Definition von Teilzielen zielt auf eine Verbesserung der Operationalisierbarkeit der drei Sozialziele ab. Diese umfassen zum Beispiel: Gesundheit und Sicherheit bei der Arbeit, Gesundheitsversorgung, Wohnen, Löhne, Bildung, Diskriminierungsfreiheit, Gesundheit der Verbraucher und Sicherstellung des Lebensunterhalts von Gemeinschaften.

Abbildung 2: Beispielhafte Taxonomiebeurteilung für eine Aktivität im sozialen Wohnungsbau Quelle: zeb

Beispielhafte Funktionsweise der Sozialtaxonomie

Ein Beispiel für eine sozialtaxonomiekonforme Aktivität ist der soziale Wohnungsbau, wie in Abbildung 2 dargestellt. Diese Wirtschaftsaktivität fiele als Neubau von Gebäuden mit dem NACE-Code4) 41.20 in einen für soziale Ziele relevanten Wirtschaftszweig, in diesem Fall das Baugewerbe, und wäre somit Sozialtaxonomie-fähig. Um konform im Sinne der Sozialtaxonomie zu sein, muss die Investition einen signifikanten Beitrag zu mindestens einem der Sozialziele leisten. In diesem Fall kann das Ziel 2 "Förderung eines angemessenen Lebensstandards" durch das Teilziel "sozialer Wohnungsbau" erreicht werden.

Voraussetzung ist, dass tatsächlich ein signifikanter Beitrag geleistet wird. Das ist dann der Fall, wenn die Verfügbarkeit und der Zugang zu Sozialwohnungen verbessert werden, indem Wohnungen mit unterdurchschnittlicher Miete spezifisch an Personen mit geringem Einkommen (oder sonstigen Einschränkungen) angeboten und allokiert werden. Werden zudem die relevanten DNSH Kriterien und Minimum Safeguards eingehalten, kann die Investition ganz oder teilweise als sozial nachhaltig eingestuft werden.

Beiträge zu den Sozialzielen und den Teilzielen können jeweils durch eine besondere positive Förderung (wie im Beispiel des sozialen Wohnungsbaus), durch die Vermeidung eines negativen Einflusses oder durch eine ermöglichende Aktivität (enabling) erreicht werden (siehe Abbildung 3).

Ein negativer Einfluss ist zum Beispiel drohende Arbeitslosigkeit von Beschäftigten durch die Digitalisierung. In diesem Fall kann das Angebot von Weiterbildungs- und Umschulungsangeboten einen sozialen Beitrag darstellen, wenn dadurch Arbeitende durch hochwertige und diskriminierungsfrei angebotene Schulungsangebote in Beschäftigungen kommen, die dem Ziel der "Sicherstellung menschenwürdiger Arbeit" nicht entgegenstehen. Ein Beispiel für eine ermöglichende Aktivität sind sogenannte "Soziale Audits", durch die in Unternehmen die Einhaltung angemessener Arbeitsbedingungen über die gesamte Wertschöpfungskette geprüft wird. Ein anderes Beispiel wäre die Durchführung von Untersuchungen von Konsumprodukten auf schädliche Substanzen.

Verhältnis von Umwelt- und Sozialtaxonomie

Aus Gründen der Adaptierbarkeit und Kombinationsfähigkeit mit der bestehenden Umwelttaxonomie ist es ein erklärtes Ziel der Arbeitsgruppe, die Sozialtaxonomie möglichst ähnlich zu strukturieren. Der Wunsch einer ähnlichen Gestaltung der Taxonomien wurde insbesondere auch in der Konsultationsphase zum ersten Entwurf vielfach bekräftigt.

Die soziale Taxonomie soll - wie auch die Umwelttaxonomie - klären, wann eine Aktivität einen substanziellen Beitrag zur Nachhaltigkeit leistet. Gemein ist beiden Taxonomien die grundsätzliche Prüflogik bestehend aus Auswahl relevanter Positionen und Prüfung der Taxonomiefähigkeit (Eligibility) und Taxonomiekonformität (Alignment). In beiden Fällen werden Wirtschaftsaktivitäten im Einzelnen betrachtet und bewertet. Die Identifikation von Aktivitäten basiert auf dem NACE-Code der jeweiligen Aktivität. Als sozial nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten kommen nur diejenigen Aktivitäten in Betracht, die in der Regulierung ausdrücklich genannt und identifiziert werden.

Im Falle des Entwurfs zur Sozialtaxonomie sind das die Wirtschaftsaktivitäten, die besonders anfällig für soziale Risiken sind oder aber solche Aktivitäten, die besonders prädestiniert sind, einen sozialen Beitrag zu leisten. Vergleichbar mit der Umwelttaxonomie soll zunächst eine Teilmenge von Sektoren mit besonders hoher (in diesem Falle) sozialer Priorität ausgewählt werden.5) Solche Sektoren sind grundsätzlich taxonomiefähig. Vielfach werden die taxonomiefähigen Sektoren aus Umwelttaxonomie und Sozialtaxonomie übereinstimmen. Das ist zum Beispiel im Bereich der industriellen Fertigung (Manufacturing) der Fall, einem Sektor, der sowohl ein hohes Potenzial an Umweltrisiken durch Emissionen aufweist als auch ein hohes Potenzial an Sozialrisiken in Form von Gesundheitsrisiken der Arbeitenden mit sich bringt. Neben den Übereinstimmungen gibt es beispielsweise im Bereich der Landwirtschaft oder der Finanzdienstleistungen durchaus Aktivitäten, die bislang nicht in der Umwelttaxonomie, wohl aber in der Sozialtaxonomie berücksichtigt würden. Dazu zählt zum Beispiel die Vergabe von Mikrokrediten an bislang vom Finanzwesen abgeschnittene Gruppen.

Abbildung 3: Drei Arten von signifikanten Beiträgen zu Sozialzielen Quelle: zeb

Signifikanter Beitrag wirtschaftlicher Aktivitäten

Um als taxonomiekonform zu gelten, müssen Wirtschaftsaktivitäten - wie in der Umwelttaxonomie auch - einen tatsächlichen signifikanten Beitrag leisten. Ebenso wie bei der Umwelttaxonomie kann der Beitrag entweder in der Vermeidung einer negativen Auswirkung, in der Förderung einer positiven Wirkung oder in einer Ermöglichung liegen. Wie der Beitrag konkret zu bemessen ist, wird je Aktivität durch detaillierte Regeln festgelegt. Ebenso muss geprüft werden, dass kein signifikanter Schaden für ein anderes Nachhaltigkeitsziel entsteht (DNSH Kriterien) sowie ethische Mindestanforderungen (Minimum Safeguards) erfüllt werden.

Es lässt sich festhalten, dass der Aufbau der beiden Taxonomien mit der zugrunde liegenden Prüflogik grundsätzlich sehr ähnlich ist. Anders als die Umwelttaxonomie stellt die Sozialtaxonomie jedoch stärker auf die Stakeholder-Gruppen ab. So orientieren sich die drei identifizierten Ziele explizit an den Stakeholder-Gruppen. Weitere Unterschiede bestehen in den Kriterien zur Identifikation eines signifikanten sozialen Beitrags. Während sich Umweltziele wissenschaftsbasiert und vielfach quantitativ messen lassen, ist dies für soziale Ziele oftmals nicht der Fall - das gilt insbesondere für Ziel 3 "Ermöglichung integrativer und nachhaltiger Gemeinschaften". Stattdessen muss sich vielmehr auf international akzeptierte Standards und Normen von aktueller Bedeutung berufen werden, wie beispielsweise die Internationale Charta der Menschenrechte.

Ferner besteht das Problem, dass wirtschaftliche Aktivitäten bereits inhärent sozialen Nutzen stiften können, was eine Identifikation von explizit sozialen Aktivitäten erschwert. So kann eine wirtschaftliche Aktivität von Natur aus zu sozialem Nutzen führen, da sie Arbeitsplätze schafft. Davon abzugrenzen sind jene wirtschaftlichen Tätigkeiten, die explizit ein soziales Ziel verfolgen, wie zum Beispiel der Wohnungsbau für einkommensschwache und benachteiligte Haushalte. Eine soziale Taxonomie muss daher zwischen inhärentem Nutzen und zusätzlichem sozialen Nutzen unterscheiden.

Abhängigkeiten zwischen den Taxonomien

Die Arbeitsgruppe diskutiert verschiedene Arten des Zusammenspiels zwischen der Umwelttaxonomie und der Sozialtaxonomie. Das reicht von einer einzigen Taxonomie, die Wirtschaftsaktivitäten als nachhaltig klassifiziert, wenn diese sowohl ökologisch als auch sozial nachhaltig sind, bis hin zu zwei unabhängigen Taxonomien, die ökologische und soziale Aspekte losgelöst voneinander beschreiben. Beide Extremformen werden der EU Kommission nicht empfohlen. Auf der einen Seite würde eine einzige Taxonomie die ohnehin schon hohen Anforderungen an ökologisch nachhaltige Aktivitäten nochmals deutlich erhöhen. Aktivitäten dürften demnach zukünftig nur dann als nachhaltig klassifiziert werden, wenn sie mindestens ein Umweltziel und zugleich mindestens ein soziales Ziel erfüllen würden (inklusive der DNSH Kriterien und der Minimum Safeguards). Auf der anderen Seite würden zwei voneinander unabhängige Taxonomien ebenfalls Probleme mit sich bringen. So könnten als sozial nachhaltig klassifizierte Aktivitäten einen signifikanten sozialen Beitrag leisten, jedoch zugleich negative ökologische Auswirkungen haben.

Dass der Ansatz zweier voneinander unabhängiger Taxonomien bisher nicht verfolgt wird, wird daraus ersichtlich, dass ökologisch nachhaltige Aktivitäten bereits jetzt die in Art. 18 festgelegten ethischen Mindeststandards (Minimum Safeguards) erfüllen müssen. Soziale und ökologische Kriterien greifen zu einem gewissen Grad bereits jetzt ineinander. Analog dazu schlägt die Arbeitsgruppe für die soziale Taxonomie vor, dass Aktivitäten, die zukünftig als sozial nachhaltig eingestuft werden, ökologische Mindeststandards erfüllen müssen. Wie diese ökologischen Mindeststandards genau aussehen und inwiefern sie sich an den detaillierten DNSH Kriterien der Umwelttaxonomie orientieren werden, bleibt bisher offen. Wichtig wird dabei jedoch sein, dass die Mindeststandards - sowohl sozialer als auch ökologischer Art - für die jeweilige Taxonomie ausgewogen definiert werden und letzten Endes nicht doch indirekt dazu führen, dass eine Vollprüfung der jeweils anderen Taxonomie notwendig ist.

Unabhängig davon soll ausdrücklich sichergestellt werden, dass Wirtschaftsaktivitäten, die in einer Taxonomie als schädlich eingestuft sind, nicht in der anderen Taxonomie anrechenbar sein können. Beispielsweise darf nach dieser Logik die umweltschädliche fossile Kohleverstromung nicht als sozial nachhaltig eingestuft werden, auch dann nicht, wenn dadurch ein signifikanter sozialer Beitrag geleistet wird.

Implikationen der Einführung

Zur Umsetzung der Sozialtaxonomie in europäisches Recht wäre im nächsten Schritt die EU-Kommission gefordert, einen Verordnungsentwurf vorzulegen. Eine Implementierung wäre als Änderungsverordnung zur Taxonomieverordnung (VO 2020/852) zu erwarten. So könnten die Sozialziele analog zu den Umweltzielen in Art. 10-15 mit je einem Artikel definiert werden. Die Spezifizierung technischer Bewertungskriterien würde erneut in Form eines delegierten Rechtsakts erfolgen. Ein konkreter Zeitplan zur Einführung einer Sozialtaxonomie liegt derzeit nicht vor. Zwar hat sich die EU-Kommission gemäß Art. 26 der Taxonomieverordnung zur Weiterentwicklung der Taxonomie dazu verpflichtet, einen Bericht zur Ausweitung des Anwendungsbereichs auf soziale Ziele im Sinne einer Sozialtaxonomie vorzunehmen, eine klare Zeitplanung zur Vorlage eines potenziellen Verordnungsentwurfes besteht darin jedoch nicht. Ebenso wird die EU-Kommission in keiner Weise durch den Entwurf der Arbeitsgruppe gebunden oder vorfestgelegt, wenngleich sich die Erwartungen der Marktteilnehmer bezüglich einer potenziellen Ausgestaltung begründeter Weise an dem vorliegenden Entwurf orientieren dürften. Derzeit lässt sich insbesondere im EU-Parlament eine Vielzahl kritischer Stimmen bezüglich einer Sozialtaxonomie vernehmen.6) Der Umgang mit sozialen Zielen wird vielfach als nicht so dringlich wahrgenommen wie dies bei den Umweltzielen der Fall ist, was sich einerseits aufgrund der besonderen Dringlichkeit des voranschreitenden Klimawandels und andererseits mit einer gewissen Müdigkeit gegenüber weitergehender Regulierung erklären lässt. Die EU-Kommission reagierte zunächst zurückhaltend auf die Arbeit der Arbeitsgruppe. Sie kündigte an, den Bericht zu gegebener Zeit sorgfältig zu analysieren. Es kann also erwartet werden, dass die EU-Kommission zunächst die Reaktionen und Meinungsbildung der relevanten Interessengruppen abwarten wird. Von einer zeitnahen Vorlage eines Verordnungsentwurfes ist derzeit nicht auszugehen.

Aufwand der Umsetzung

In Bezug auf den aktuellen Vorschlag wird vielfach der potenziell hohe Umsetzungsaufwand betont. Nach den Erfahrungen mit der Umwelttaxonomie besteht die große Sorge, eine Sozialtaxonomie könnte die bereits bestehende Belastung der Unternehmen durch die NFRD, CSRD, SFDR und die Umwelttaxonomie noch erhöhen. Finanzunternehmen, die den nicht finanziellen Berichtspflichten der NFRD und zukünftig der CSRD unterliegen, sind aktuell mit Projekten zur Umsetzung der Taxonomie bezogenen Reporting Pflichten aus Art. 8 der Taxonomieverordnung beschäftigt. Zur Umsetzung der ersten zwei Klimaziele sind bereits erhebliche Anpassungen vor allem im Bereich Daten und Prozesse nötig. Die Ausweitung der Umwelttaxonomie auf weitere Umweltziele wird zusätzlichen Umsetzungsaufwand mit sich bringen. Die Einführung einer Sozialtaxonomie könnte die Aufwände auf viele weitere Jahre verstetigen. Aufwandssteigernd kommt hinzu, dass es derzeit kaum standardisierte soziale Indikatoren gibt, über die Unternehmen berichten könnten.

Bereits in der vorangegangenen Konsultationsphase wurde nach Angabe der Platform on Sustainable Finance von 58 Prozent der Teilnehmer der hohe administrative Aufwand als Sorge geäußert. Da die technischen Bewertungskriterien zu den potenziellen Sozialzielen aktuell noch nicht absehbar sind, kann jedoch noch keine verlässliche Aussage zu Umsetzungsaufwänden gemacht werden. Auch die Umsetzung der Umwelttaxonomie erlangt ihre Komplexität in Bezug auf Daten und nötige Prozesse vor allem durch die Spezifizierung der techni schen Bewertungskriterien. In Bezug auf zukünftige Reporting Pflichten besteht die begründete Hoffnung, dass zumindest Synergien zwischen der Umsetzung des Taxonomie bezogenen Berichtswesens nach Art. 8 und der Umsetzung von weiteren nicht finanziellen Reporting Pflichten aus der CSRD bestehen. Die Identifikation gemeinsamer Datenfelder könnte die Anforderungen harmonisieren und den Umsetzungsaufwand zumindest etwas reduzieren.

Keine überstürzte Einführung einer Sozialtaxonomie

Auch wenn nun der finale Bericht der Platform on Sustainable Finance vorliegt und an die Kommission übersandt wurde, lässt sich aktuell noch nicht abschließend beurteilen, wann die Sozialtaxonomie in europäisches Recht umgesetzt wird und inwiefern sie überhaupt eingeführt wird. Gegenwärtig lässt sich auf europäischer Ebene viel Missmut und Gegenwind feststellen, der insbesondere durch die Umsetzungsprobleme der Umwelttaxonomie herrührt. Wurden mit Blick auf Klima und Umwelt die Umsetzungsherausforderungen mehrheitlich als unterstützenswert angesehen, um die wirtschaftliche Transformation des European Green Deal zu erreichen, ist die Einigkeit im Bereich Soziales nur eingeschränkt vorhanden. Das "E" ist im Zweifel wichtiger als das "S" in "ESG".

Die potenzielle Einführung einer Sozialtaxonomie, analog zur Umwelttaxonomie, wird gelegentlich als drohendes Bürokratiemonster kolportiert. Ob die Sozialtaxonomie in ähnlich komplexer Form eingeführt wird, hängt aber zunächst von der spezifizierenden Ausgestaltung durch technische Bewertungskriterien ab. In einem Klassifikationssystem, wie es die Sozialtaxonomie anstrebt, sind klare und detaillierte Kriterien einerseits notwendig, um Interpretationsspielräume bewusst zu begrenzen, Unsicherheit in Bezug auf sozial nachhaltige Investitionen zu reduzieren und Vertrauen im Finanzmarkt zu schaffen.

Aus Erfahrungen lernen

Andererseits muss bei aller Klarheit und Detailliertheit beachtet werden, dass der damit einhergehende Mehraufwand für Unternehmen realistisch umsetzbar ist, Unsicherheiten tatsächlich reduziert werden und Unternehmen motiviert bleiben, Teil der Lösung zu sein. Sollte die Umsetzung in vergleichbarer Detailtiefe erfolgen, stellen sich ähnliche Probleme wie bei der Umwelttaxonomie: eine hohe Komplexität der Taxonomiekonformitätsprüfung, hohe mit der Prüfung verbundene Aufwände, ein vorerst begrenzter Umfang einbezogener Wirtschaftszweige und hohe verbleibende regulatorische Unsicherheit und Dynamik. Ferner wird der Umsetzungsaufwand aufseiten der Banken wesentlich durch den Zusammenhang mit der Umwelttaxonomie beeinflusst. Wird die Sozialtaxonomie eher als eine eigenständige zusätzliche Taxonomie eingeführt, wird der Aufwand begrenzt bleiben und sich auf die Prüfung speziell sozialer Aktivitäten beschränken. Wird die Sozialtaxonomie jedoch mit der Umwelttaxonomie verwoben, so können auch zusätzliche Anforderungen und Umsetzungsaufwände bei der Beurteilung der ökologischen Nachhaltigkeit erforderlich werden.

Für die EU-Kommission heißt es derweil, aus den Erfahrungen der Umwelttaxonomie zu lernen. Da bei der Sozialtaxonomie nicht dieselbe Dringlichkeit besteht wie bei der Umsetzung der Umwelttaxonomie (vor dem Hintergrund des Kampfes gegen den Klimawandel), sollte eine Einführung der Sozialtaxonomie gut überlegt und nicht überstürzt erfolgen. Die Sorgen vor hohen Aufwänden sollten ernst genommen werden und eine potenzielle Umsetzung in Koordination mit anderen Regulierungen erfolgen, insbesondere im Bereich der nicht finanziellen Berichterstattung. Banken und andere Finanzunternehmen sind derweil gut beraten, ein hohes Maß an regulatorischer Anpassungsfähigkeit sicherzustellen. Prozesse und Datenhaushalte sollten flexibel angepasst werden können, spätere Erweiterungen der Taxonomien von vornherein eingeplant werden.

Aufatmen kann der Markt im Hinblick auf das "G" von "ESG". Hier ist auch nach Aussage der Platform on Sustainable Finance keine eigene taxonomische Erweiterung sinnvoll und demnach auch nicht zu erwarten. Grund dafür ist, dass gute Unternehmensführung sehr stark von der einzelnen Unternehmung abhängt und sich daher nur schwerlich gemeinsame Standards finden ließen. Governance soll lediglich in Form von Minimum Safeguards Eingang in die Taxonomie finden und setzt ansonsten den Rahmen für ökologisch oder sozial nachhaltige Aktivitäten. Insofern gilt für "ESG": "E" geht vor "S" und "S" geht vor "G".

Fußnoten

1) Final Report by Subgroup 4: Social Taxonomy (europa.eu).

2) Die ständige Expertengruppe der EU-Kommission wurde gemäß Art. 20 der Taxonomieverordnung eingesetzt.

3) Dem Ergebnis in Form eines finalen Berichts der Arbeitsgruppe unter der Leitung von Antje Schneeweis ging ein erster Entwurf aus dem Juli 2021 sowie eine angeschlossene Konsultationsphase voraus.

4) NACE-Codes sind vierstellige Codes, die auf granularster Ebene 615 ökonomische Aktivitäten identifizieren.

5) Eine Ausweitung auf weitere Sektoren wird bei der Umwelttaxonomie geprüft und ist graduell auch für die Sozialtaxonomie denkbar.

6) Beispielhaft sei der EU Parlamentsabgeordnete Markus Ferber von der EVP genannt.

Dr. Matthias Petras , Senior Consultant , zeb.rolfes.schierenbeck.associates GmbH, Frankfurt am Main
Dr. Jan Müller-Dethard , Consultant , zeb.rolfes.schierenbeck.associates GmbH, Frankfurt am Main

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