Sprung bei den Verbraucherpreisen - läuft die Inflation aus dem Ruder?

Stefan Kooths, Foto: fW Kiel

Die Geschichte hat aufgezeigt, welche fatalen Konsequenzen eine Inflation, wie die Hyperinflation nach dem Ersten Weltkrieg, nach sich ziehen kann. Angesichts der Corona-Pandemie nehmen Inflationssorgen in der wirtschaftspolitischen Debatte wieder einen größeren Raum ein. Ein Grund hierfür sei das Aufflammen der Teuerungsraten zum Jahresauftakt 2021, so die Autoren. Der am häufigsten zur Messung der Inflation herangezogene Verbraucherpreisindex verzeichnete nämlich im Januar 2021 den stärksten Anstieg seit fast 30 Jahren. Der Preisschub spiegle im Wesentlichen die Folgen des gesetzgeberischen Handelns mit Blick auf die Rückkehr zu den vorherigen Mehrwertsteuersätzen wider. Derartige Effekte seien aber nur temporäre Inflationstreiber und entfielen somit in den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres. Das größere Inflationsrisiko liegt nach Meinung der Autoren stattdessen im Euroraum. Daher wird erklärt, inwieweit der demografische Wandel, die Staatsverschuldung sowie die Geldpolitik längerfristige Inflationsgefahren darstellen. (Red.)

Inflationssorgen nehmen in der wirtschaftspolitischen Debatte wieder größeren Raum ein. Das Aufflammen der Teuerungsraten zum Jahresauftakt hat weitere Aufmerksamkeit auf das Thema gelenkt: Legte der Verbraucherpreisindex im Dezember im Vormonatsvergleich nur um 0,2 Prozent zu, wurde im Januar mit 1,3 Prozent der stärkste Anstieg seit fast 30 Jahren verzeichnet. Auch im Vorjahresvergleich zeigt sich zum Jahresauftakt eine höhere Inflationsdynamik: Waren die Konsumentenpreise ab Mitte des Jahres 2020 rückläufig, zogen sie im Januar und Februar im 12-Monatsvergleich mit steigender Tendenz um etwa 1 Prozent an. Auch wenn dies erst der Auftakt zu im weiteren Jahresverlauf steigenden Inflationsraten sein dürfte, so ist darin noch nicht der Eintritt in ein neues Inflationsregime zu sehen. Gleichwohl bestehen mittelfristig höhere Inflationsrisiken, wozu die Corona-Krise indirekt zusätzlich beitragen dürfte.

Geprägt von multiplen Sondereffekten

Der Auftrieb der Verbraucherpreise speist sich im Verlauf des Jahres 2021 aus verschiedenen Faktoren. Der Preisschub zum Jahresauftakt spiegelt im Wesentlichen die Folgen gesetzgeberischen Handelns wider. So erhöht die Rückkehr zu den vormaligen Mehrwertsteuersätzen (mit Ausnahme des bis Ende 2022 weiterhin ermäßigten Satzes auf Speisen in der Gastronomie) für sich genommen die Verbraucherpreise um 1,2 Prozent, wenn man eine Überwälzung von zwei Dritteln zugrunde legt. Der im zurückliegenden Halbjahr wirksame inflationsdämpfende Effekt entfällt somit in den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres. Ab der Jahresmitte 2021 macht sich die Normalisierung der Mehrwertsteuersätze abermals in der monatlichen Inflationsrate bemerkbar, weil in den Vorjahresvergleich dann aktuelle Preise (mit normalen Mehrwertsteuersätzen) auf Vorjahrespreise (mit reduzierter Mehrwertsteuer) eingehen. Bezogen auf das Gesamtjahr erhöht der Mehrwertsteuereffekt die Inflationsrate um 0,6 Prozentpunkte. Zusätzlich traten zu Jahresbeginn höhere CO 2-Steuern in Kraft, die für sich genommen das Preisniveau im laufenden Jahr um 0,4 Prozent anheben.

Abbildung 1: Verbraucherpreisinflation 2018 bis 2022 (in Prozent) Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 17, Reihe 7; Prognose des IfW Kiel

Der massive Einbruch der wirtschaftlichen Aktivität hat in den ersten Monaten des vergangenen Jahres zu einem Preissturz bei Energierohstoffen geführt. Der entsprechende HWWI-Rohstoffpreisindex hat sich von Dezember 2019 bis April 2020 mehr als halbiert und lag am Jahresende immer noch 23 Prozent unter dem Vorkrisenniveau. Mit der mittlerweile fortgeschrittenen Erholung der Energiepreise kommt es auch von dieser Seite das ganze Jahr über zu erheblichen Basiseffekten, die die monatlichen Inflationsraten entsprechend höher ausfallen lassen. Für sich genommen dürften 40 Prozent höhere Energierohstoffpreise die Inflationsrate schätzungsweise um 0,4 Prozentpunkte anheben.

Die größte Unbekannte für die weitere Entwicklung der Verbraucherpreise liegt in der Kaufkraft, die sich bei den privaten Haushalten während der Pandemie aufgestaut hat. Grund dafür ist, dass die Konsumenten ihre gewohnten Ausgabemuster (zum Beispiel für Gaststättenbesuche oder Urlaubsreisen) aufgrund von behördlichen oder privaten Infektionsschutzmaßnahmen nicht wahrnehmen können und ihre Einkommen kurzfristig auch nicht in andere Verwendungsarten umschichten. Insgesamt ist so allein im vergangenen Jahr Kaufkraft in Höhe von fast 110 Milliarden Euro aufgestaut worden. Schätzungen des IfW Kiel zufolge kommen im laufenden Jahr weitere 85 Milliarden Euro hinzu. Zusammengenommen entspricht dies gut 10 Prozent der gesamten privaten Konsumausgaben eines Jahres.

Nachholeffekte werden preistreibend wirken

Hierzu trägt maßgeblich bei, dass staatliche Transfers die verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte weitgehend von den Folgen des Produktionseinbruchs abschirmen. So ging die Wirtschaftsleistung im Jahr 2020 (gemessen am nominalen Bruttoinlandsprodukt) um 3,4 Prozent zurück, während die verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte um 0,7 Prozent leicht zunahmen. Die Masseneinkommen (im Wesentlichen Nettolöhne und monetäre Sozialleistungen) nahmen sogar mit 2,6 Prozent merklich zu. Die privaten Konsumausgaben brachen demgegenüber nominal um 5,4 Prozent ein.

Sobald die bislang aus Infektionsschutzgründen verhinderten Konsumzweige wieder offenstehen (und auch von den Konsumenten nicht mehr als riskant eingeschätzt werden), wird die Nachfrage nicht nur rasch wieder auf das Vorkrisenniveau zurückkehren, sondern es dürften sich in den während der Pandemie entbehrten Bereichen auch Nachholeffekte geltend machen, die tendenziell preistreibend wirken. Unklar ist, in welchem Umfang die privaten Haushalte dabei auf die aufgestaute Kaufkraft zurückgreifen werden. Für die Preiseffekte spielt auch eine Rolle, wie viele Unternehmen bis zur Aufhebung der Corona-bedingten Einschränkungen aufgegeben werden beziehungsweise wie schnell neue Unternehmen an ihre Stelle treten können. Für das laufende und das kommende Jahr stellen Nachholeffekte der Konsumenten daher ein erhebliches Aufwärtsrisiko für die Inflation dar.

Allen bislang genannten Faktoren ist gemein, dass sie die Inflationsrate nur vorübergehend steigen lassen. Für das Jahr 2021 rechnet das Institut für Weltwirtschaft Kiel (IfW Kiel) derzeit mit einer Verbraucherpreisinflation von 2,4 Prozent; in der unterjährigen Spitze dürften die Vorjahresraten sogar die Drei-Prozent-Marke reißen (siehe Abbildung 1). Spätestens im Verlauf des kommenden Jahres bilden sie sich wieder zurück - 2022 wird die Inflation wohl wieder weniger als zwei Prozent betragen. Als Vorbote zu im Trend deutlich höheren Inflationsraten als vor der Corona-Krise können sie daher nicht gelten.

Zusammenspiel von Demografie, Staatsverschuldung und Geldpolitik

Gesamtwirtschaftlich stehen die 2020er Jahre im Zeichen der immer stärker zum Tragen kommenden demografischen Alterung. Daraus ergeben sich erhebliche Auswirkungen auf das Wachstum des Produktionspotenzials und auf die Nachfragestruktur. Ausweislich des jüngsten Gemeinschaftsgutachtens der führenden Forschungsinstitute schrumpft die Potenzialwachstumsrate der deutschen Wirtschaft von 1,4 Prozent im Jahr 2018 (der Wert entspricht zugleich dem seit der Wiedervereinigung realisierten längerfristigen Durchschnitt) bis zur Mitte des Jahrzehnts auf 0,6 Prozent - Tendenz weiter fallend.

Die nachlassenden Wachstumskräfte spiegeln im Wesentlichen das einsetzende Schrumpfen des Arbeitskräftepotenzials wider, weil die geburtenstarken Jahrgänge (Babyboomer) nach und nach aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Weil sie als Konsumenten zunächst noch weiterhin am Wirtschaftsgeschehen teilhaben, steigt die Konsumgüternachfrage relativ zu den Produktionsmöglichkeiten. Zugleich nimmt die gesamtwirtschaftliche Ersparnis ab, da der Bevölkerungsanteil der Jüngeren, die sich noch in der Ansparphase befinden, gegenüber den Ruheständlern, die eher ihr Erspartes verausgaben, sinkt.

Diese Entwicklung beschränkt sich nicht auf Deutschland, sondern ist ein Phänomen in weiten Teilen der entwickelten Welt (wie auch in der VR China, wo die über mehrere Jahrzehnte betriebene Einkindpolitik heute den Alterungsprozess forciert). Für sich genommen ergibt sich dadurch noch kein steigender Inflationsdruck. Vielmehr würde sich die im Zuge der demografischen Alterung zunehmende Gegenwartspräferenz in einem Anstieg der Kapitalmarktzinsen niederschlagen und sich in der Folge die Produktionsstruktur stärker auf die konsumnahen Wirtschaftsbereiche ausrichten. Im Ergebnis würden sich dann die Effekte, die bislang in Vorbereitung auf eine sich abzeichnende Alterung (Ansparphase aus dem Vorsorgemotiv) über viele Jahre zinsdämpfend wirkten, ab dem Moment allmählich umkehren, ab dem sich die Alterung tatsächlich vollzieht (Entsparphase zur Aufrechterhaltung des Konsums).

Abbildung 2: Inflation und Inflationserwartungen im Euroraum (in Prozent) Quelle: Eurostat, Refinitiv

Druck auf Zinsumkehr nimmt zu

Damit sich dieser Prozess ohne größeren Inflationsdruck vollziehen kann, müssten die Notenbanken die Zinsumkehr in ihrer Geldpolitik nachvollziehen und ihren bislang sehr expansiven Kurs nach und nach zurückfahren. Im Zuge der über längere Zeit andauernden Niedrigzinsphase haben sich allerdings weltweit erhebliche Schuldenpositionen aufgebaut, deren Finanzierung nur so lange leicht fällt, wie die Zinsen niedrig bleiben.

Abbildung 3: Zentralbankgeldmenge und Komponenten im Euroraum (in Milliarden Euro) Quelle: Europäische Zentralbank

Dies gilt nicht zuletzt für die öffentliche Verschuldung in großen Mitgliedsländern der Europäischen Währungsunion. So lag die Staatsverschuldung in Relation zur Wirtschaftsleistung bereits vor der Corona-Pandemie in Italien bei 135 Prozent und in Spanien und Frankreich nahe 100 Prozent. Der fiskalische Mitteleinsatz in der Corona-Krise dürfte die Schuldenstandsrelationen in diesen Ländern mittelfristig um gut 20 Prozentpunkte anschwellen lassen (ohne Anteil an den neuen EU-Gemeinschaftsschulden von rund 5 Prozent der Wirtschaftsleistung). Damit verschlechtert sich tendenziell deren Kreditwürdigkeit, was typischerweise steigende Risikoprämien zur Folge hätte.

Im vergangenen Jahr hat das Eurosystem per saldo die gesamte öffentliche Nettoneuverschuldung im Euroraum über die Ankäufe von Staatsanleihen auf die Bilanzen der Notenbanken genommen. Dies hat zwar die Zinsen (einschließlich Risikoprämien) gerade für die hochverschuldeten Mitgliedsstaaten in der Krise niedrig gehalten, allerdings lässt sich eine solche monetäre Staatsfinanzierung nicht beliebig fortsetzen, ohne das Vertrauen in die Währung zu beschädigen - genau aus diesem Grund wurde im Maastricht-Vertrag das Verbot der monetären Staatsfinanzierung verankert. Bislang hat die EZB ihre seit dem Herbst 2014 eingeschlagene Politik der "quantitativen Lockerung" (Quantitative Easing, QE), die umfangreiche Anleihekaufprogramme vor allem für Staatsanleihen beinhaltet, mit Verweis auf niedrige Teuerungsraten für Konsumgüter und moderate längerfristige Inflationserwartungen geldpolitisch gerechtfertigt (siehe Abbildung 2).

Das ist allerdings kein Ruhekissen. Denn längerfristige Inflationserwartungen können rasch umschlagen, hängt doch ihre Verankerung nur davon ab, ob der Notenbank zugetraut wird, in monetären Belangen de facto souverän agieren zu können, um das deklarierte Ziel der Preisstabilität über die kurze Frist hinaus zu gewährleisten. Hierzu muss sie im Falle von anziehenden Inflationsraten in der Lage und willens sein, Zentralbankliquidität stillzulegen, um so die in der Realwirtschaft umlaufende Geldmenge einzugrenzen.

Risiken aus dem Geldmengenwachstum

Im Zuge der verschiedenen QE-Programme ist die Zentralbankgeldmenge im Euroraum dramatisch angeschwollen (siehe Abbildung 3). Von 2014 bis 2020 hat sich die monetäre Basis mehr als verdreifacht. Die nicht als Bargeld oder Mindestreserve gebundene Zentralbankliquidität macht mittlerweile zwei Drittel der gesamten monetären Basis aus. In diesen hohen Überschussreserven kommt zum Ausdruck, dass sich die massive Ausweitung der Zentralbankgeldmenge bislang nur sehr unvollständig in eine höhere Geldversorgung des Realsektors umgesetzt hat. Die dort umlaufende Geldmenge M3 ist im gleichen Zeitraum um rund 40 Prozent gestiegen. Legt man für den Euroraum einen Geldschöpfungsmultiplikator von 10 zugrunde (Bargeldquote: 9 Prozent, Mindestreservesatz: 1 Prozent), so ergibt sich am aktuellen Rand ein Geldschöpfungspotenzial des Geschäftsbankensektors, das eine Ausweitung von M3 um 240 Prozent erlauben würde.

Insgesamt ist der Geldmantel für die Wirtschaft im Euroraum bereits so großzügig geschnitten, dass damit für längere Zeit Inflationsraten deutlich über dem Notenbankziel von zwei Prozent darstellbar wären. Käme ein solcher Prozess in Gang, müsste das Eurosystem gegensteuern und dem Bankensystem Zentralbankliquidität entziehen. Dies bedeutete aber eine Schubumkehr auf den Märkten für Staatsanleihen: Das Eurosystem würde die Markseite wechseln und sich vom (bedeutenden) Käufer zum (bedeutenden) Verkäufer wandeln.

Alternativ könnte die EZB den Geschäftsbanken attraktive Einlagezinsen bieten, um so freie Liquidität zu absorbieren. Die Zinseffekte für die Refinanzierung der Staaten wären aber sehr ähnlich. Schreckt man davor angesichts der angespannten Haushaltslage in wichtigen Mitgliedsländern zurück, könnte über höhere Mindestreserven Zentralbankliquidität gebunden werden. Dies hätte aber je nach Überschussposition asymmetrische Wirkungen auf einzelne Geschäftsbanken und könnte daher den Interbankenmarkt unter Stress setzen. Als Ausweg bliebe dann nur die Akzeptanz höherer Inflationsraten für einen längeren Zeitraum.

In einer demografisch angelegten Zinswende, die die Geldpolitik aus Rücksicht auf die staatlichen Finanzierungsbedingungen nur verzögert nachvollzieht, liegt mit Blick auf die laufende Dekade das größte Inflationsrisiko im Euroraum. Der für das Jahr 2021 zu erwartende Schub bei den Verbraucherpreisen hat andere Ursachen. Dass die kurzfristigen Inflationstreiber nur temporär wirken, sollte aber nicht den Blick auf die längerfristigen Inflationsgefahren trüben. Denn deren Ursache ist wesentlich hartnäckiger.

Stefan Kooths Direktor, Forschungszentrum Konjunktur und Wachstum, IfW, Kiel und Professor für Volkswirtschaftslehre, BSP Business School Berlin
 
 
Salomon Fiedler Experte für Geld, Finanzmärkte und Preisentwicklung, IfW, Kiel
Stefan Kooths , Direktor, Forschungszentrum Konjunktur und Wachstum, IfW, Kiel und Professor für Volkswirtschaftslehre, BSP Business School Berlin
Salomon Fiedler , Experte für Geld, Finanzmärkte und Preisentwicklung, IfW, Kiel

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