Steuerungsimpulse in der anhaltenden Niedrigzinsphase

Dr. Gunnar Jansen, Foto: G. Jansen (Vera Wirth Fotografie)

Die zunehmende Inflation und zunehmender Druck auf die Geldpolitik lässt die Aufsichtsbehörden das Zinsänderungsrisiko stärker in den Fokus nehmen. Das wird laut den Autoren unter anderem mit der Einführung eines Frühwarnindikators für Zinsänderungsrisiken im Anlagebuch bei Kreditinstituten deutlich. Dieser Indikator schlage an, wenn eine plötzliche Zinsänderung einen Wertverlust in Höhe von 20 Prozent bedeuten würde. Jansen und Portisch weisen darauf hin, dass sich für die aufgrund der Niedrigzinsphase ohnehin unter Druck geratenen Geschäftsmodelle der Banken die Situation durch eine ungenaue Interpretation von Risiko- und Ertragspotenzialen noch verschärfen könne. Als Fazit fürchten die Autoren, dass Banken dadurch verstärkt auf andere Ertragsquellen ausweichen, was letztlich die Volatilität der Ergebnisse erhöhen könnte und der Finanzstabilität somit abträglich wäre. (Red.)

Das Zinsänderungsrisiko wird von der Bankenaufsicht als zunehmend bedeutender Risikofaktor für Kreditinstitute und das deutsche Bankensystem wahrgenommen. Dies wird unter anderem mit der Einführung eines Frühwarnindikators für Zinsänderungsrisiken im Anlagebuch bei Kreditinstituten deutlich, der anschlägt, wenn eine vorgegebene plötzliche Zinsänderung einen Wertverlust in Höhe von mehr als 15 Prozent des Kernkapitals bedeutet. Dieser Frühwarnindikator geht auf eine europäische Richtline zurück, die die bisher etablierte Sicht der deutschen Aufsicht verschärft. Gemäß letzterer gilt eine Bank oder Sparkasse als Institut mit erhöhtem Zinsänderungsrisiko, wenn ihre Zinsposition eine negative Wertänderung aufgrund eines Zinsschocks in Höhe von 200 Basispunkten (BP) erleiden würde, die 20 Prozent der regulatorischen Eigenmittel übersteigt. Bei einem dauerhaft erhöhten Zinsrisiko können die zuständigen Behörden konkrete Maßnahmen ergreifen wie etwa das Einfordern zusätzlicher Eigenmittel.

Die Ansätze, die einen aufsichtlichen Spielraum zulassen, sind jedoch längst um verbindliche Sichtweisen ergänzt worden: Das Zinsänderungsrisiko im Anlagebuch ist über den SREP-Zuschlag bereits nach mehr oder minder klaren Regeln direkt mit Eigenmitteln zu unterlegen.

Zudem finden zunehmend Geschäftsmodellanalysen statt, in denen die zukünftige Ertragsfähigkeit der Kreditinstitute überprüft wird. Hier sind beispielsweise die Niedrigzinsumfragen und die aufsichtlichen Stresstests zu nennen. Sind Kreditinstitute in diesen zukunfts- und stressorientierten Sichtweisen nicht ausreichend robust, kann dieses ebenfalls zu einer erhöhten Eigenmittelanforderung führen. Diese wird in der Eigenmittelzielkennziffer sichtbar, die bisher nur als Empfehlung der Aufsicht ausgesprochen wurde, der aber ebenfalls zunehmend eine erhöhte Verbindlichkeit zugewiesen wird.

Dass die Geschäftsmodelle vieler Banken im Niedrigzinsumfeld zunehmend unter Druck geraten, steht außer Frage. Die Situation verschärft sich, wenn die Interpretation von Risiko- und Ertragspotenzialen ungenau erfolgt. Hierzu können verkürzte oder vereinfachende Sichtweisen der Aufsicht unfreiwillig beitragen, wie der vorliegende Beitrag verdeutlichen soll. Dazu wird insbesondere der 200-BP-Zinsschock der Aufsicht diskutiert, der ähnlich dem Durationskonzept eine sofortige Parallelverschiebung der Zinskurve unterstellt. Die resultierenden Barwertverluste stellen in verschiedenen Sichtweisen die relevante Größe für das Zinsrisiko dar, variiert werden lediglich die Bezugsgrößen. In diesem Beitrag werden darüber hinaus aktuelle aufsichtliche Entwicklungen aufgegriffen, die vor dem Hintergrund des Niedrigzinsumfelds und des vermeintlichen Risikoszenarios des raschen Zinsanstiegs ökonomisch beleuchtet und eingeordnet werden.

Duration zur Ermittlung von Vermögensrisiken

Zur einfachen Abschätzung von barwertigen Zinsänderungsrisiken haben sich Durationsmethoden etabliert. Bei der Duration handelt es sich um eine Kennzahl, über die beispielsweise - sicher dem ursprünglichen Zweck folgend - mögliche Wertveränderungen von handelbaren Anlagen am Kapitalmarkt, insbesondere von Kuponanleihen, aus Zinsbewegungen abgeschätzt werden können. Auf diese Weise kann eine einfache Risikoeinschätzung hinsichtlich potenzieller, vornehmlich kurzfristiger Wertverluste erfolgen.

Unterstellt wird zunächst vereinfachend eine flache Zinsstrukturkurve mit Zinssatz r. Die Duration (D) ist für einen Zahlungsstrom bestehend aus jährlichen Cashflows C1, ..., Cn durch

Formel 1

und damit als wertgewichtete Laufzeit des Zahlungsstroms definert, wobei PV =

Formel 2

den Barwert (Present Value) der Cashflows beschreibt. Über die Kenntnis der sogenannten Modified Duration (MD) mit

Formel 3

lässt sich die mögliche (Ad-hoc-)Wertänderung Delta PV des Zahlungsstroms aus einer Zinsbewegung näherungsweise und einfach wie folgt antizipieren: Wird eine sofortige Parallelverschiebung der Zinssätze um den Wert Delta r unterstellt, gilt

Formel 4

Aufgrund dieser einfachen Interpretation und Anwendbarkeit ist die Duration nicht nur an den Kapitalmärkten, sondern zunehmend auch in der Zinsbuchsteuerung in der Bankenpraxis etabliert.

Neuerdings findet sie sogar - quasi in umgekehrter Form - Anwendung, um die Risikolage des deutschen Bankensystems zu beurteilen. Aus den potenziellen Barwertänderungen, die die Kreditinstitute an die Aufsicht melden, kann indirekt näherungsweise die Duration ihrer Zinsbücher ermittelt werden. Dazu findet die obige Beziehung zur Approximation des potenziellen Wertverlustes Anwendung, aufgelöst nach der Modified Duration (MD), in der nun der Present Value (PV) für den gesamten Zinsbuchbarwert steht:

Formel 5

Die Institute liefern den Zinsbuchbarwert (hier PV) sowie die Änderung des Zinsbuchbarwerts (hier Delta PV) bei 200 BP, in der Regel auf Basis einer Vollbewertung, an die Ausicht. In diesem Fall gilt folglich Delta r = 200 BP. Je größer die auf diese Weise geschätzte Duration, desto größer das barwertige Zinsrisiko und - aus Sicht der Aufsicht - in einer Gesamtbetrachtung die Anfälligkeit des Bankensystems beziehungsweise der konkreten Institute oder Bankengruppen für Zinsanstiege.

Kennzahl für das Zinsänderungsrisiko

Diese Sichtweisen und Kennzahlen folgen somit dem einfachen Gedanken der sofortigen (Parallel-)Verschiebung der Zinsen. Erweiterte Durationskonzepte wie die Effective Duration oder die Key Rate Duration können individuelle Zinsstrukturen abbilden. Direkte Abzinsungen eines Zahlungsstromes berechnen Bewertungseffekte bei veränderten Zinsstrukturen genauer. Wichtig ist, dass Durationskonzepte ein einfaches und adäquates Werkzeug für eine Risikoabschätzung beim kurzfristigen Handel von Anleihen darstellen. Auf eine langfristige Steuerung und Begrenzung einer gesamten Zinsposition oder gar von Risiken im Bankensystem sind sie nicht ausgelegt. Im Gegenteil, sie können bei Fehlinterpretation oder zu enger Auslegung zu erheblichen Fehlsteuerungsimpulsen führen.

Die Messung des barwertigen Zinsänderungsrisikos in den Instituten erfolgt über die Ermittlung der Barwertänderungen der kontrahierten zinstragenden Geschäfte bei veränderten Zinsniveaus. Auf der Aktivseite der Bankbilanz bedeutete ein massiver Zinsanstieg, zum Beispiel ein Zinsschock von plus 200 BP, umfassende negative Bewertungseffekte, da die Zahlungsströme aus dem bestehenden Aktivgeschäft mit einem höheren Zinssatz diskontiert würden. Diesem Ad-hoc-Schock kommt in einer aufsichtlich geprägten Sichtweise wie einleitend bereits skizziert eine enorme Bedeutung zu.

Eindämmung des Verlustrisikos über Zinsderivate

Die aufsichtliche Einordnung des institutsindividuellen Zinsänderungsrisikos erfolgt unter anderem anhand des Baseler Zinsrisikokoeffizienten (ZRK). Beim Zinsrisikokoeffizienten werden die Auswirkungen verschiedener Ad-hoc-Szenarien, darunter sofortige Zinschocks von plus/minus 200 BP, berechnet und quantitativ eingeordnet. Für den überwiegenden Teil der deutschen Kreditinstitute erzeugt der Plus-200-BP-Zinsschock unter den aufsichtlichen Zinsszenarien die ungünstigten Barwertänderungen. In diesem Fall gilt

Formel 6

Das Zinsbuch umfasst hier sämtliche kontrahierten zinstragenden (Nichthandels-) Geschäfte. Die ungünstigste potenzielle Ad-hoc-Barwertveränderung der Zinsbuch-Positionen wird in der ZRK-Betrachtung somit ins Verhältnis zu den regulatorischen Eigenmitteln (hartes Kernkapital CET1), zusätzliches Kernkapital (AT1) und Ergänzungskapital (T2)) gesetzt. Der ZRK gibt folglich Auskunft über den Anteil der Eigenmittel, der bei einem etwaigen (notwendigen) Auffangen dieses Wertverlustes im 200-BP-Zinsanstiegsszenario verzehrt würde. Über Zinsderivate wie Zinsswaps (Payer-Swaps) lässt sich das barwertige Verlustrisiko eindämmen und der ZRK auf diese Weise verringern. Der Einsatz von Payer-Swaps auf Gesamtportfolioebene ist ein häufig gewähltes Mittel, wenn der Zinsrisikokoeffizient eine hohe Bedeutung in der Steuerung besitzt und institutsintern eine niedrige Grenze für diese Kennzahl gesetzt wird. Diese Absicherungen bewirken gewöhnlich einen nennenswerten Zinsaufwand und würden ökonomisch erst in einem tatsächlichen (hinreichend schnellen) Zinsanstiegsszenario positive Effekte für die Bank bedeuten.

Bei einem antizipierten Wertverlust von mehr als 20 Prozent der Eigenmittel handelt es sich in der Sichtweise der deutschen Aufsicht um ein Institut mit erhöhtem Zinsänderungsrisiko. Ab dem Schwellenwert von 20 Prozent behält sie sich vor, Maßnahmen wie die Eindämmung der Zinsänderungsrisiken oder die Forderung nach einer weiteren Eigenmittelunterlegung zu prüfen. Viele Kreditinstitute achten daher darauf, diesen Schwellenwert von 20 Prozent zumindest nicht dauerhaft zu verletzen, um nicht den potenziellen Risiken aus aufsichtlichen Maßnahmen ausgesetzt zu sein.

Für den Frühwarnindikator wird sowohl eine geringere Größenordnung des Quotienten als auch eine verschärfte Kapitaldefinition verwendet. Ergibt sich ein potenzieller Verlust von 15 Prozent in Bezug auf das Kernkapital, dann schlägt diese erste Warnschwelle an. Sie zieht zunächst keine aufsichtsrechtlichen Konsequenzen nach sich. Aber sie verschärft natürlich in den Instituten die Wahrnehmung, dass ein hoher ZRK Anlass zur Sorge in Bezug auf die Höhe der Zinsänderungsrisiken oder auch die aufsichtliche Wertung sein könnte.

Berechnung individueller SREP-Zuschläge

Die Plus/minus-200-BP-Effekte führen nicht alleine zu einer Einordnung der Höhe der Zinsänderungsrisiken, sie werden auch zur Ermittlung des Eigenkapitalzuschlags für Zinsänderungsrisiken im Anlagebuch gemäß SREP (Supervisory Review and Evaluation Process) herangezogen. Die Bezugsgröße stellen dabei nicht die Eigenmittel, sondern die risikogewichteten Aktiva (RWA) dar.

Von den Instituten sind im Rahmen des SREP zusätzliche Eigenmittelanforderungen in Bezug auf das Zinsänderungsrisiko zu berücksichtigen. Diese werden in Säule-II-Anforderungen (Pillar 2 Requirements, P2R) und Säule-II-Empfehlungen (Pillar 2 Guidance, P2G) unterschieden. Bei den P2R handelt es sich um einen von den Aufsichtsbehörden festgelegten verbindlichen individuellen SREP-Zuschlag. In dieses Segment fallen auch die Zinsänderungsrisiken im Anlagebuch.

Zinsänderungsrisiken im deutschen Bankensektor und Zinsbindungsfristen für Wohnungsbaukredite an private Haushalte Quelle: G. Jansen/W. Portisch in Anlehnung an Finanzstabilitätsbericht 2019 der Bundesbank

Die zusätzlichen Eigenmittelanforderungen werden den kleineren Instituten (den sogenannten "Less Significant Institutions", LSI) klar und transparent dargelegt. Der individuelle SREP-Zuschlag für LSI aus Zinsänderungsrisiken im Anlagebuch (das heißt der Beitrag aus Zinsänderungsrisiken am SREP-Zuschlag, im Folgenden auch kurz ZÄR-SREP genannt) wird anhand einer Matrix ermittelt. Relevante Bewertungsfaktoren sind zum einen das qualitative Zinsrisikomanagement, das in der Risikoprofilnote ihren Ausdruck findet, sowie die quantitative Komponente aus dem Zinsschock in Bezug auf die RWA. Daraus ergibt sich der Zuschlag für das Zinsänderungsrisiko aus dem SREP, der zur Säule I hinzuzuzählen ist. Sei analog zum ZRK unterstellt, dass der Plus-200-BP-Zinsschock die größte negative Wertänderung im Zinsbuch hervorruft, determiniert dieser auch die Eigenmittelunterlegung aus Zinsänderungsrisiken, das heißt

Formel 7

Zusätzlich werden weitere wesentliche Risiken in Bezug auf die Risikotragfähigkeit (RTF) betrachtet, diese ergeben den Zuschlag für die Risikoprofilnote zum SREP. Die SREP-Bescheide besitzen zum Teil mehrjährige Gültigkeit, da sie einem gewöhnlich bis zu dreijährigen Aufsichtsturnus unterliegen und nicht oder nur schwer von den Instituten nachträglich aktiv beeinflusst werden können. Dieses kann ebenfalls dazu verleiten, dass ein geringer Barwertschock im Plus-200-BP-Szenario angestrebt wird.

Zinsrisiken im Rahmen der Risikotragfähigkeitsberechnungen

Zinsänderungsrisiken finden nicht allein in den aufsichtlichen Kennzahlen und der Eigenmittelunterlegung Anwendung. In der barwertigen Risikotragfähigkeit (RTF) stellen die Zinsänderungsrisiken eine wesentliche Komponente des Risikopotenzials dar. Das Risikopotenzial wird zur Feststellung der Risikotragfähigkeit dem Vermögen gegenübergestellt. Ein Institut gilt als risikotragfähig, wenn das Risikopotenzial, gegebenenfalls unter Berücksichtigung von Puffern, geringer als das zur Verfügung stehende Vermögen ist. Es finden verschiedene Valueat - Risk-(VaR)-Modelle Anwendung, doch auch hier ist der 200-BP-Zinsschock nicht vollständig außer Acht zu lassen.

Der 200-BP-Schock findet mitunter Einzug in Stressbetrachtungen und kann über diese in eine Limitierung des Gesamtrisikos münden. Überdies führen die eingesetzten VaR-Modelle und die aufsichtlichen Parametervorgabe eines 99,9-Prozent-Konfidenzniveaus bei einem einjährigen Betrachtungshorizont bereits in der ökonomischen RTF-Betrachtung zu Risikoszenarien, die eine gewisse Nähe zum 200-BP-Zinsschock aufweisen.

Zunehmend findet in den RTF-Konzepten auch die Kennzahl Earnings at Risk (EaR) Anwendung, über die das Ertragsrisiko aus Zinsänderungen gemessen wird. Diese Berechnung erfolgt häufig szenariobasiert. Aufgrund der Ertragsperspektive besitzt diese Kennzahl einen engen Bezug zur normativen Risikotragfähigkeit. Je nach Ausrichtung des Instituts kann eine angenommene sofortige Plus-200- BP-Bewegung, gerade wenn zusätzlich ein Abschreibungs- oder Drohverlustrückstellungspotenzial besteht, unmittelbar zu erheblichen Ertragseinbußen führen. Diese Sichtweise kann ebenfalls begrenzend auf das Ausmaß an Fristentransformation wirken.

Auf lange Sicht ist jedoch eher ein sich verschärfendes Niedrigzinsumfeld eine aus Ertragssicht denkbar ungünstige Entwicklung. Eine sich weiter verflachende Zinsstrukturkurve mit überproportional stark absinkenden Zinsen in mittleren und langen Laufzeitbereichen kann dort sogar noch verstärkend in Hinblick auf zukünftige Ertragseinbußen wirken.

Neuere Konzepte auf Basis des Zinsbuchbarwertes

Problematisch wird die sich verschärfende Regulierung dann, wenn sie in einer unvorteilhaften Steuerung des Zinsbuchs mündet. Dieses kann über widersprüchliche Impulse aus der Barwert- und Ertragsperspektive oder einen zu starken Fokus auf statische Ad-hoc-Schocks entstehen. In diesem Kontext ist die einleitend bereits skizzierte neue, erweiterte Sichtweise der Aufsicht zu nennen.

Mittlerweile wird auch für die Abschätzung der Anfälligkeit der Institute und des deutschen Bankensystems insgesamt gegenüber Zinsanstiegen die statische Sicht aus dem 200-BP-Zinsschock herangezogen. Aus den Meldungen zum Zinsrisikokoeffizienten wird die Duration der Zinsbücher geschätzt. Die Aufsicht ermittelt auf dieser Basis Durchschnittswerte für die jeweiligen Bankengruppen, wie die Abbildung, angelehnt an den Finanzstabilitätsbericht 2019 der Deutschen Bundesbank, zeigt.

Die Abbildung verdeutlicht, dass Primärbanken wie Kreditgenossenschaften und Sparkassen vergleichsweise hohe Zinsänderungsrisiken aufweisen. Die Duration, im Schaubild je Bankengruppe dargestellt, multipliziert mit einer potenziellen Zinsänderung liefert näherungsweise den einhergenden Wertverlust, in dieser Sicht in Prozent des Zinsbuchbarwertes. Die Zinssensitivität basiert auf dem Geschäftsmodell der Kreditgenossenschaften und Sparkassen mit Schwerpunkten im Retail-Geschäft. Kurzfristige Gelder aus dem Einlagengeschäft auf der Passivseite werden über Kreditgeschäft auf der Aktivseite langfristig ausgeliehen. Die Fristentransformation nimmt, unter anderem aufgrund der vom Niedrigzinsumfeld begünstigten steigenden Nachfrage nach langlaufenden Wohnungsbaukrediten mit langer Festzinsbindung, tendenziell zu.

Die im Bankengruppenvergleich hohe Zinssensitivität der Primärbanken ist dabei nicht verwunderlich. Die Geschäftsmodelle der Großbanken sind weniger stark auf Zinsfristentransformation ausgelegt. Dort spielt das Retail-Geschäft häufig eine weniger bedeutende Rolle, stattdessen werden nennenswerte Erträge auch im kurzfristigen Firmenkundenkreditgeschäft (unter anderem Kontokorrentkredite, Terminkredite), im Auslandsgeschäft oder im Investment Banking erzielt. Zudem wird langfristiges Aktivgeschäft zu einem großen Teil über fristenkongruente Transaktionen und Eigenemissionen am Kapitalmarkt refinanziert. Des Weiteren stehen Großbanken stärker im internationalen Vergleich und Wettbewerb, sie fallen zudem direkt unter die europäische Aufsicht. Dabei ist die langfristige Festzinskultur in anderen europäischen Ländern nicht annähernd so stark ausgeprägt wie in Deutschland.

Ökonomisches Zinsrisiko der deutschen Banken

Über die vorgestellten Konzepte werden die bankindividuellen Zinsänderungsrisiken sowie die Zinsänderungsrisiken im deutschen Bankensektor beurteilt. Es bleibt aber die zentrale Frage, ob die Einordung des Zinsänderungsrisikos auf Basis dieser aufsichtlich geprägten Sichtweisen angemessen ist.

Sowohl dem ZRK, dem SREP-Zuschlag als auch der Durationsabschätzung liegt letztlich ein barwertiger Ad-hoc-Verlust im Plus-200-BP-Szenario zugrunde. Es unterscheiden sich lediglich die Bezugsgrößen: Eigenmittel, Gesamtrisikobetrag (RWA) und Zinsbuchbarwert. Auch das barwertige RTF-Konzept ist weitgehend statisch und kommt über die Parametervorgaben einem Zinsschock konzeptionell sehr nahe. Selbst wenn ein solches Adhoc-Szenario in Form eines 200-BP-Schocks eintreten sollte, was aufgrund der geldpolitischen Einflußnahme(möglichkeiten) unwahrscheinlich ist, dürfte der bilanzielle Verlust in den meisten Instituten aufgrund bestehender Reserven deutlich geringer ausfallen. Wichtiger noch, dieses Szenario würde die Geschäftsmodelle der Banken im Zeitverlauf wieder deutlich attraktiver werden lassen. In diesem Fall würde es den Instituten nach einem sehr schwierigen (ersten) Jahr des (Ad-hoc-) Zinsanstiegs und einhergehender Bewertungs- und partieller Ertragsverluste infolge der dann gestiegenen Zinserträge auf der Ertragsseite in der Zukunft wieder deutlich besser gehen.

Es stellt sich zudem die Frage, ob ein knapp 20-prozentiger Wertverlust im Zinsbuchbarwert tatsächlich so dramatisch ist, wie es diese Sichtweisen zusammenfassend suggerieren, oder ob nicht eher ein entgegengesetztes Szenario, dass ein Zinsanstieg dauerhaft ausbleibt, den viel größeren Schaden im deutschen Bankensektor anrichtet. Der Wertverlust von 20 Prozent entspricht dabei im Übrigen dem approximativen Wertverlust bei den Kreditgenossenschafen mit einer Duration von etwa zehn Jahren bei einem 200-BP-Zinsanstieg gemäß der ermittelten Duration im Zinsbuch.

Für eine fundierte Beantwortung dieser Frage sind zwingend die (prognostizierten) zukünftigen Erträge einzubeziehen. In die umfassende, dynamische, zukunftsorientierte Sichtweise ist insbesondere die in diesen Zukunftsszenarien bestehende Substanz der Institute in den Fokus der Betrachtung zu rücken. Zudem sollten wahrscheinliche Wechselwirkungen in diese Szenarien einbezogen werden. Wie stabil und ertragreich ist das Einlagengeschäft, welche Anlageklassen profitieren, welche Assets geraten unter Druck? Die vorgestellten Kennzahlen und Sichtweisen geben hier wenig Aufschluss und stattdessen eher den Impuls, die Zinsposition, genauer das barwertige Zinsrisiko, abzubauen. Ökonomisch problematisch wird dieses Signal insbesondere mit Blick auf die zukünftigen Erträge, wie folgende ertragsorientierte Sichtweise verdeutlicht.

Geschäftsmodelle und Ertragsrisiko zunehmend im Fokus

Sind die Ertragsaussichten trübe, mitunter unnötig verstärkt bei zu starker Ausrichtung am 200-BP-Zinsschock in der wertorientierten Sicht, führt auch dieses zu sich weiter erhöhenden Kapitalanforderungen über die Eigenmittelzielkennziffer. Das anhaltende Niedrigzinsumfeld und die damit einhergehende angespannte Ertragslage stellen viele Institute flankiert durch diese Geschäftsmodellanalysen vor die Wahl, ihr Geschäftsvolumen auszubauen oder verstärkt andere Ertragsquellen außerhalb des Zinsbuchs zu erschließen. Zinsfristentransformation wird jedenfalls - auch durch die skizzierten regulatorischen Sichtweisen - zunehmend unattraktiv.

Gleichzeitig steigt begünstigt durch das Niedrigzinsumfeld die Nachfrage nach langfristigen Festzinsdarlehen, gerade auf dem deutschen (Wohnimmobilien-) Markt (vergleiche Abbildung). Dies kann eine Chance für die Banken darstellen, im Niedrigzinsumfeld verloren gegangene Ertragspotenziale über diese nachgefragten Langfristanlagen zu kompensieren.

In die Ertragsfähigkeit der Institute, vor allem aber auch in das barwertige Zinsrisiko, fließt das Einlagengeschäft wesentlich ein. Um der Ausweitung der Fristentransformation und der steigenden Risikolage im deutschen Bankensystem entgegenzuwirken, lehnt die deutsche Bankenaufsicht mittlerweile die Verwendung aller Stützstellen länger als zehn Jahre im variablen Geschäft ab. Das bedeutet in der Konsequenz insbesondere, dass die zunehmend nachgefragten Kredite auf der Aktivseite mit Festzinsbindung länger als zehn Jahre nicht länger durch Einlagen auf der Passivseite refinanziert werden können, ohne ein zusätzliches Zinsrisiko auszuweisen. Dies bewirkt eine weitere Verschärfung des aufsichtlichen Rahmens, welche dazu führt, dass ausgewiesene Barwertrisiken steigen und die zusätzlichen Ertragspotenziale nicht erschlossen werden können. Und zusätzliche Ertragspotenziale sind durch den verstärkten Druck und Wettbewerb auf der Anbieterseite im Kreditgeschäft ohnehin schwer zu generieren.

Letztlich verschärft sich durch diese Sichtweise somit die Ausgangssituation der Institute in beiden zentralen Perspektiven (Vermögensperspektive und Ertragsperspektive inklusive Geschäftsmodellanalyse), und das im Kern der Geschäftsmodells der Institute. Diese Vorgehensweise scheint kontraproduktiv. Wird die Ertragsfähigkeit der Banken und Sparkassen dauerhaft vermindert, bestehen nur begrenzte Möglichkeiten, das Kernkapital durch thesaurierte Gewinne aufzufüllen. Die Substanz verringert sich, systemische Risiken steigen insgesamt an. Schließlich würden die Institute gehalten, das Kreditwachstum zu begrenzen, um dem ausgewiesenen überproportionalen Risikoanstieg Rechnung zu tragen. Auch mit Blick auf die zukunftsweisende Aufgabe der Kreditwirtschaft, die für den anstehenden Umbau der Wirtschaft in Bezug auf Nachhaltigkeit benötigten finanziellen Mittel bereitzustellen, ist der erweiterte aufsichtliche Steuerungsrahmen als kontraproduktiv anzusehen.

Anfälligkeit weiter erhöht

Zur Beurteilung der Zinsänderungsrisken haben sich zum Teil einfache Methoden, angelehnt an die Durationskonzepte, etabliert. Dem 200-BP-Zinsschock kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Diese Sichtweise der Bankenaufsicht ist vor allem barwertorientiert und zudem statisch geprägt. Sie eignet sich daher extreme Soforteffekte abzuschätzen, ist aber für eine ausgewogene Zinsbuchsteuerung ungeeignet. In einer langfristigen Geschäftsmodellanalyse kristallisiert sich häufig ein gegenläufiges Szenario weiter sinkender Zinsen als viel kritischer heraus. Die Regelungen der Aufsicht forcieren allerdings einen erhöhten Ausweis und die Begrenzung der barwertigen Risiken auf Basis ihrer Zinsschockbetrachtungen und der neuen Sichtweise zum Vergleich der Durationen in den Zinsbüchern der Institute. Dadurch werden Ertragspotenziale weiter reduziert und die Anfälligkeit des deutschen Bankensystems im Niedrigzinsumfeld wird letztendlich weiter erhöht.

Da das 200-BP-Anstiegsszenario in einer Langfristbetrachtung jedoch das für die Geschäftsmodelle deutlich bessere Szenario darstellt, sollten die Institute sehr genau abwägen, ob eine Steuerung nach den aufsichtlichen Kennziffern in ihrer individuellen Situation dauerhaft zielführend ist. Die Ertragslage und in der Folge auch die Kapitalisierung könnten in diesem Fall leiden.

Dieses erscheint insbesondere deshalb unnötig, da ein Szenario abgesichert wird, das für die Institute eigentlich vorteilhaft ist. Die Voraussetzung oder strenge Nebenbedingung muss natürlich immer sein, dass die negativen Effekte aus Zinsanstiegsphasen tragbar sind und ausgehalten werden können.

Gefahr von Fehlsteuerungsimpulsen

Die Ablehnung von Stützstellen größer als zehn Jahre im variablen Geschäft verschärft leider die Situation. Liegen Gelder nachweislich dauerhaft und nicht zinsreagibel in den Instituten vor, sollte nichts dagegen sprechen, diese für das längerfristige Kreditgeschäft zu verwenden. Es steigt in den aufsichtlichen Sichtweisen durch die genannte Beschränkung allerdings das ausgewiesene Zinsrisiko, gerade im 200-BP-Szenario. Das faktische Zinsrisiko bleibt für die Institute in diesem Szenario allerdings unverändert: Ob Gelder für 15-jährige oder beispielsweise 10-jährige Festzinsdarlehen eingesetzt werden, macht faktisch keinen Unterschied, wenn gesichert ist, dass die Gelder dauerhaft und nicht zinsreagibel zur Verfügung stehen. Hinzu kommt, dass auch die enthaltenen Optionsrechte in dem Zinsanstiegsfall bei adäquater Steuerung keinen Schaden anrichten würden. Vielmehr würden die Ertragsausichten und die Geschäftsmodelle gerade in der aktuell belastenden Niedrigzinsphase profitieren.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Gesamtwürdigung einer adäquaten Zinsbuchsteuerung komplex ist trotz zum Teil individuell einfacher Methoden - und die Fehlsteuerungsimpulse durchaus beachtlich sein können. Wenn sie darüber hinaus durch einen immer engeren Rahmen in der Barwertperspektive als auch durch einen zunehmend kritischen Blick auf die Erträge und die Geschäftsmodelle begleitet wird, bleibt letztlich nur, verstärkt in andere Anlageklassen außerhalb des Zinsbuchs auszuweichen. Dass diese Konsequenz das systemische Risiko und auch die Volatilität der Ertragslage im deutschen Bankensystem verringern, erscheint fraglich. Im Gegenteil: Die im Investment Banking erlebbare Ergebnisvolatilität erscheint für die klassischen Kreditinstitute wenig angemessen und erstrebenswert. Für die meisten Banken wird eine derartige Erweiterung der Geschäftsmodelle "aus dem Zins heraus" in riskantere Anlagen als Konsequenz aus den geldpolitischen und regulatorischen Entwicklungen jedenfalls unausweichlich sein.

Fußnoten

1) Vgl. EBA/GL/2018/02, Guidelines on the management of interest rate risk arising from non-trading book activities, 2018, Rz. 24, 25, 32, 33, 41, 43 ff. und BaFin, Rundschreiben 06/2019 (BA) - Zinsänderungsrisiken im Anlagebuch vom 6. August 2019.

2) Vgl. Rolfes, Gesamtbanksteuerung, 2008, S. 324.

3) Vgl. zum aufsichtlichen Rahmen: EBA/GL/2018/02, Guidelines on the management of interest rate risk arising from non-trading book activities, 2018, und BaFin, Rundschreiben 06/2019 (BA) - Zinsänderungsrisiken im Anlagebuch vom 6. August 2019, S. 1 ff.

4) Vgl. EBA/GL/2018/02, Guidelines on the management of interest rate risk arising from non-trading book activities, 2018, und BaFin, Rundschreiben 06/2019 (BA) - Zinsänderungsrisiken im Anlagebuch vom 6. August 2019, S. 2.

5) Vgl. Jansen/Kröger/Portisch, Ökonomische Zinsbuchsteuerung im regulatorischen Spannungsfeld - Eine Analyse der regulatorischen Kosten, Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, 3, 2020, S. 20 ff.

6) Vgl. EBA/GL/2018/03, 2018, Überarbeitete Leitlinien zu gemeinsamen Verfahren und Methoden für den aufsichtlichen Überprüfungs- und Bewertungsprozess (Supervisory Review and Evaluation Process, SREP) sowie für die aufsichtlichen Stresstests, zur Änderung der EBA/GL/2014/13 vom 19. Dezember 2014, 2018 und EBA/GL/2014/13, Leitlinien zu gemeinsamen Verfahren und Methoden für den aufsichtlichen Überprüfungs- und Bewertungsprozess (SREP) vom 19. Dezember 2014 und EBA/GL/2020/10, Guidelines on the pragmatic 2020 supervisory review and evaluation process in light of the COVID 19 crisis vom 23. Juli 2020 sowie Reuse, SREP 2020/2021 im Kontext der Corona-Krise, IKSPraktiker, 02-03, 2021, S. 6-12.

7) Vgl. EBA, Leitfaden der EZB für den bankinternen Prozess zur Sicherstellung einer angemessenen Kapitalausstattung (Internal Capital Adequacy Assessment Process - ICAAP), 2018, S. 39 ff. und Schilling/ Schneeloch, Neue Ausrichtung der Risikotragfähigkeit, BankPraktiker, 06, 2019, S. 184-188.

8) Vgl. Bundesbank, Finanzstabilitätsbericht 2019, https://www.bundesbank.de/resource/blob/814400/0dd73987ece5830d7a8089fe10a70744/mL/2019-finanzstabilitaetsbericht-data.pdf (abgerufen am 5.9.2020)

9) Zur bisherigen grundsätzlichen Vorteilhaftigkeit von Fristentransformation vgl. Jansen/Portisch, Warum sich Zinsfristentransformation weiter lohnt, BankPraktiker, 9, 2019, S. 231 ff. und Jansen/Kröger/Portisch, Ökonomische Zinsbuchsteuerung im regulatorischen Spannungsfeld - Eine Analyse der regulatorischen Kosten, Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, 3, 2020, S. 20 ff.

10) Vgl. Bundesbank, BaFin, "Gemeinsame aufsichtliche Position zur Verwendung verlängerter Stützstellen im Modell der gleitenden Durchschnitte - Ablehnung von Stützstellen von mehr als zehn Jahren", https://www.bundesbank.de/resource/blob/598794/df39af5ce61455ecff1a36dc87142a3c/mL/ 2021-02-04-zinsaenderungsrisiko-anhang-data.pdf (abgerufen am 5.9.2021)

Die in diesem Artikel geäußerten Auffassungen und Einschätzungen sind diejenigen der Verfasser.

Dr. Gunnar Jansen , Unternehmensberater und Dozent, Genossenschaftsverband Weser-Ems e.V., Lehrbeauftrager Universität Oldenburg
Prof. Dr. Wolfgang Portisch , Leiter Bereich Bank- und Finanzmanagement , Hochschule Emden/Leer, Emden

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