Zum volkswirtschaftlichen Nutzen der Banken

Prof. Dr. Bernd Rudolph Foto: DAI

Entwicklungen wie Big Data und künstliche Intelligenz sowie die großen Internetkonzerne und die Fintechbranche als neue Mitspieler, wie sie der Autor als Beleg für den aktuellen Veränderungsdruck der Bankenbranche anführt, waren vor zehn Jahren in den heutigen Dimensionen noch nicht absehbar. Und doch schreibt er dem Bankensektor bei allem Anpassungsbedarf mit Blick auf die grundlegenden finanziellen Transformationsfunktionen auch in Zukunft eine wichtige volkswirtschaftliche Bedeutung zu. (Red.)

Die Banken stehen unter einem massiven Anpassungsdruck. "Tschüs, Bank. Hallo, App!" wurde schon 2015 ein Beitrag über die Entwicklung verschiedener Finanzgeschäfte überschrieben. Die von der BaFin 2018 gemeinsam mit Boston Consulting und dem Fraunhofer-Institut erarbeitete Studie zu Big Data und Artifical Intelligence prophezeit, dass in Zukunft bestimmte Finanzdienstleistungen nur noch Mittel zum Zweck werden könnten, wenn Internetriesen wie Amazon oder Google Zugriff auf Bankdaten bekommen und im Rahmen bestimmter Kooperationsmodelle Finanzdienstleistungen anbieten. Zwei Schweizer Ökonomen haben unter dem Pseudonym Jonathan McMillan ein Buch mit dem Titel "Das Ende der Banken - Warum wir sie nicht brauchen" verfasst, gut zu lesen, keineswegs auf Banken-Bashing getrimmt, aber klar in der These: In der Vergangenheit hatten wir Banken nötig, in Zukunft brauchen wir sie nicht mehr. Der Druck auf die Banken kann kaum größer werden.

Veränderungsdruck

Brauchen wir keine Banken mehr? Oder brauchen wir Banken, die in einer digitalen Welt andere Funktionen übernehmen, andere Leistungen anbieten? Welche traditionellen Leistungen werden obsolet, welche neuen Leistungen können möglicherweise zugewonnen werden? Können sich bestimmte Funktionen als überflüssig oder zumindest ersetzbar erweisen? Viele Fragen stellen sich und müssen von den Akteuren an den Finanzmärkten für die eigene Rolle, aber von der Politik und der Finanzaufsicht auch für das gesamte Finanzsystem beantwortet werden.

Vor dem Blick auf mögliche Antworten ist eine Rückbesinnung auf die grundlegenden Funktionen der Banken hilfreich. Im Rahmen ihrer vielfältigen Aufgaben im Finanzsystem sind es insbesondere zwei wichtige Funktionen, die die Banken für den wirtschaftlichen Kreislauf bei der Kapitalaufnahme und Kapitalanlage quasi unverzichtbar gemacht haben: Banken sorgen mit ihrer Fristen- und Liquiditätstransformation auf der einen und durch die Risikotransformation auf der anderen Seite für einen Ausgleich der unterschiedlichen Interessen und Bedürfnisse der Kapitalanbieter und der Kapitalnachfrager. Zu diesem Ausgleich gehört auch, dass die Banken durch ihre verschiedenen Aktivitäten und ihre aktuellen Erfahrungen Informationsnachteile der Kapitalanbieter und Kapitalnachfrager abbauen. Die Erfüllung der Grundfunktionen ist für die Realwirtschaft unverzichtbar; sie ist umso wertvoller, je effizienter und kostengünstiger die Funktionen erfüllt werden.

Fristen- und Liquiditätstransformation gilt als besonders wichtige Leistung der Finanzmärkte, weil die Kapitalanleger gern Geldbeträge ertragreich investieren, über ihre Gelder aber dann rasch und jederzeit verfügen können wollen, wenn sie im Haushalt, im Unternehmen oder anderswo benötigt werden. Die kleinen wie die großen Unternehmen oder auch Privatleute und die öffentliche Hand benötigen als Nachfrager von Krediten solche Gelder in der Regel für einen längeren Zeitraum. Die längere Frist gilt nicht nur für die offensichtlich langfristigen Investitionen in Immobilien, maschinellen Anlagen oder Konzessionen, sondern auch für die Käufe von Rohstoffen und Vorprodukten, Personalkosten und Werbung.

Transformation zur Zwischenfinanzierung: Die Unternehmen könnten in Zukunft ihre Auszahlungen für lang und kurz laufende Investitionen aus den Cashflow-Rückflüssen ihrer Investitionen begleichen. Lieferanten, Dienstleister und Mitarbeiter wollen und können aber nicht so lange auf die Begleichung ihrer Außenstände warten, sodass die Unternehmen zur Überbrückung eine "Zwischenfinanzierung" benötigen, die traditionell von einer Bank bereitgestellt wird, aber insbesondere bei großen Beträgen auch über den Kapitalmarkt finanziert werden kann.

Übernahme erheblicher Risiken

Während die Einleger der Bank kurzfristig oder sogar quasi jederzeit über ihre Gelder verfügen können wollen, stellt die Bank ihren Kreditnehmern das Geld für einen vertraglich vereinbarten Zeitraum zur Verfügung und kann daher ihre Kreditpositionen nicht zu jeder Zeit liquideren: Sie betreibt neben der Fristen- auch eine Liquiditätstransformation. Verschiedene Märkte wie die Loan-Sale-Märkte oder die für Asset-Backed Securities haben sich entwickelt, damit Kreditpositionen bei Bedarf doch veräußert werden können.

Grob gesprochen ist es die Funktion der Banken, aus "kurz" "lang" und aus "jederzeit abrufbar" ein "vertraglich fixiert" zu machen. Das sind Leistungen, die nicht ohne die Übernahme erheblicher Risiken erbracht werden können. Fristen- und Liquiditätstransformationsrisiken entstehen, weil die Ein- und Auszahlungen der Anbieter wie der Nachfrager nur begrenzt planbar sind. Sie induzieren im Treasury der Kreditinstitute Refinanzierungs- oder Wiederanlagerisiken und in der Ertragsrechnung der Bank Zinsänderungsrisiken.

Risikotransformation: Neben der Fristentransformation übernehmen die Banken zum Nutzen ihrer Einleger und Kreditnehmer auch die Aufgabe einer gezielten Risikotransformation. Die vorgesehenen Zins- und Tilgungszahlungen aus Kreditengagements unterliegen nämlich in aller Regel einem Rückzahlungsrisiko, das die Einleger der Banken nicht tragen wollen. Sie überlassen daher der Bank ihr Erspartes in dem Vertrauen, dass sie den eingezahlten Betrag, gleichgültig ob üppig oder nur sehr gering verzinst, mit großer Sicherheit wieder bekommen. Sie vertrauen dabei auch auf die Bankregulierung, die Bankenaufsicht und die Einlagensicherungseinrichtungen.

Zur Erfüllung der Risikotransformationsfunktion setzen die Banken eine breite Palette von Instrumenten ein. Angefangen von der intensiven Prüfung der Kreditwürdigkeit des Kreditnehmers über seine Begleitung im Zeitablauf, also dem Monitoring, betreiben Banken eine diversifizierende Portfoliopolitik. Sie streuen ihre Mittel über einen großen Kreis von Kreditnehmern, vermeiden Großengagements durch syndizierte Engagements, sichern Kreditrisiken durch Sicherheiten ab, aber auch durch Versicherungsverträge wie Kreditderivate.

Bedrohung der Kernfunktionen?

Banken verkaufen gegebenenfalls risikobehaftete Kredite am Markt oder wandeln sie über geeignete Verbriefungsformen in Kreditpools um, die sich selbst am Kapitalmarkt refinanzieren können. Schließlich halten sie selbst Eigenkapital vor, sodass eintretende Risiken die Einleger zunächst nicht berühren. Eine angemessene Eigenkapitalausstattung wird von der Bankenaufsicht zum Schutz vor Systemrisiken, aber auch der Einlagensicherungseinrichtungen, ständig überprüft.

Fristen- und Risikotransformation stellen aus gesamtwirtschaftlicher Sicht besonders wichtige Leistungen des Bankensektors für die Realwirtschaft dar. Es gibt zwar weitere Transformationsleistungen der Banken, die aber heute eher als nachrangig oder weniger regulierungsbedürftig einzuordnen sind. So zählte beispielsweise Schmalenbach (1949) noch den Ausgleich regionaler Unterschiede und den Ausgleich der Stückelungen (Losgrößentransformation) zu den Transformationsfunktionen der Banken. Die Bereitstellung und Entgegennahme von Bargeld (Zahlungsverkehr) oder von Wertpapieren (Depotgeschäft) sind immer noch wichtige Bankfunktionen, werden aber im Zuge des wachsenden bargeldlosen Zahlungs- und Wertpapierverkehrs in der Zukunft eher an Bedeutung verlieren.

Fraglich ist allerdings, ob die Kernfunktionen der Banken auch in Zukunft noch von Banken erfüllt werden oder ob sich alternative Wettbewerber durchsetzen, die diese Funktionen besser, rascher oder für die Kunden bequemer erfüllen können. Fristentransformation wird beispielsweise auch von anderen Marktteilnehmern als den Banken betrieben. Neben den Wertpapiermärkten, die in der EU über die Schaffung einer Kapitalmarktunion gestärkt werden sollen, ist in den letzten Jahren eine bankennahe Industrie entstanden, zu der die sogenannten Fintechs und Digital-Finance-Anbieter gehören, die die traditionelle Arbeitsteilung im Finanzsektor grundlegend angreifen beziehungsweise verändern kann.

Neue Finanzdienstleister klinken sich in geeignete Segmente der Wertschöpfungskette ein und stellen hier Leistungen zur Verfügung, die über Big-Data- oder Blockchain-Lösungen billiger, rascher oder bequemer erbracht werden können als im Rahmen der traditionellen Bankangebote. Das gilt insbesondere, wenn sie kleinteiliges Geschäft durch ihre Plattformlösungen skalierbar machen können.

Als Beispiel für Angebote von Fintechs im Bereich der Fristentransformation kann auf das Asset-Based Finance verwiesen werden, das aus der besonderen Anforderung an die Unternehmen erwächst, ihren Kunden immer längere Zahlungsfristen zu gewähren, die mit wachsenden Ausfallrisiken einhergehen. Das Unternehmen selbst möchte oder soll dagegen möglichst rasch zahlen, um Skontovorteile zu realisieren. Dazu benötigt es möglichst die Mittel, die sie von den Kunden aus den verkauften Produkten realisiert.

Auch hier entsteht ein "Aus kurz mach lang"-Bedürfnis, das mit einer erheblichen Mittelbindung und mit Ausfallrisiken verbunden ist, die zu einem Cash Management mit der Zielsetzung motivieren, Finanzierungskosten zu minimieren und die Ertrags-, Ausfall- und Liquiditätsrisiken möglichst gering zu halten. Fristentransformation findet in einer solchen Lieferanten-Abnehmer-Kette an mehreren, möglicherweise sogar zahlreichen Gliedern statt, wobei sich für jedes Glied ein Cash-Management-Problem ergibt. Jedes Unternehmen der Kette möchte aus seinen Forderungen möglichst die Cashflows verfügbar haben, was insbesondere durch den Verkauf an eine Factoring-Gesellschaft erfolgt. Das Unternehmen möchte andererseits aus Ertragsgründen (Skonto) seine Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen möglichst frühzeitig begleichen, wozu es beispielsweise eine Reverse-Factoring-Vereinbarung nutzt, damit es den Cashflow-Zufluss nicht erst aus dem Weiterverkauf der verkauften Produkte generieren muss.

Die komplexe Abhängigkeitsstruktur der Lieferkettenfinanzierung (Supply Chain Finance) kann zu einem speziellen Einsatzfeld für Fintechs werden, die sich auf ein Asset-Based Finance spezialisiert haben, wenn die Fristen- und Risikotransformation auf mehrere Unternehmen verteilt ist. Wenn Fintechs den Unternehmen Angebote unterbreiten können, die beispielsweise ein besseres Cash Management als bei separaten Bankbeziehungen ermöglichen, dann werden die etablierten Banken das Nachsehen haben. Das gilt erst recht, wenn das Fintech-Angebot dazu genutzt werden kann, das Working Capital Management der Unternehmen in der gesamten Lieferkette zu optimieren.

Im Bereich der Risikotransformation kann als Beispiel für innovative Lösungen auf die Konstruktion von Kreditfonds (Private Debt Fonds) verwiesen werden, die entweder selbst Darlehen vergeben oder in Darlehensforderungen investieren und ihre Investments als alternative Anlagemöglichkeit Versicherungsgesellschaften und anderen Institutionen wie Fondsgesellschaften ihren Beteiligungsgebern offerieren. Kreditfonds, die im Mai 2015 von der BaFin durch eine Änderung der Verwaltungspraxis für zulässig erklärt worden sind, bieten ihren Anlegern den Zugang zu Kreditrisiken, der ihnen auf anderem Wege nicht oder nur indirekt zur Verfügung steht, betreiben selbst über ihre Risikostreuung eine Risikoreduktion und können Kreditnehmer ansprechen, die im Bankenbereich keine attraktiven Finanzierungsbedingungen vorfinden. Die Kreditkonditionen können unter Umständen sogar günstiger als die bei Banken sein, wenn die Plattformen mit niedrigeren Kosten arbeiten können.

Kreditplattformen als Marktplatz

Kreditplattformen vermitteln Kredite zur Finanzierung von Immobilien, Infrastrukturprojekten und erneuerbaren Energien nicht an Banken, sondern an institutionelle Anleger, tragen also zur Desintermediation bei. Sie fungieren als Marktplatz und verbinden die kreditsuchenden Unternehmen mit ihren Investoren. Im Gegensatz zu ABS-Finanzierungen beinhalten die Pools eine geringere Anzahl an Kreditpositionen. Eine Tranchierung wie im Fall der Asset-Backed Securities findet nicht statt.

Welche Bedeutung die Fintechs für das Bankgeschäft in Zukunft insgesamt haben werden und welche Rolle dabei die verschiedenen Start-ups, aber auch die großen Internetkonzerne wie Google oder Amazon haben werden, lässt sich nicht genau absehen. Unklar ist auch, in welcher zeitlichen Staffelung sich die neuen Wettbewerber um das Firmenkreditgeschäft oder sogar das Emissionsgeschäft mit größeren Unternehmen intensiv bemühen werden. Klar ist aber, dass die Banken auf den Anpassungsdruck der neuen Wettbewerber rasch und grundsätzlich reagieren müssen, wenn ihre grundlegenden Bankleistungen weiterhin am Markt gefragt bleiben sollen. Dabei kann man davon ausgehen, dass die grundlegenden finanziellen Transformationsfunktionen auch in Zukunft weitgehend vom Bankensektor übernommen werden.

Ein umfassendes Literaturverzeichnis finden Sie hier.

Prof. Dr. Bernd Rudolph Ludwig-Maximilians-Universität, München, und Steinbeis-Hochschule, Berlin
Noch keine Bewertungen vorhanden


X