Wertberichtigungen nach IFRS 9 und neue Prozyklizität

Gernot Becker Foto: Helaba

Seit Anfang des Jahres ist der internationale Rechnungslegungsstandard IFRS 9 in Kraft getreten. Im vorliegenden Beitrag gehen die Autoren der Frage nach, weshalb die Auswirkungen der Einführung des neuen Standards durchweg unter den Erwartungen von einem Jahr zuvor lagen. Mit IFRS 9 wurde der Ansatz verfolgt, die finanzielle Stabilität durch eine Verringerung der Prozyklizität im Konjunkturzyklus zu verbessern. Mit dem Expected-Loss-Modell, sollen Kreditverluste bereits bei Anzeichen eines wirtschaftlichen Abschwungs berücksichtigt werden. Dies bedeutet, dass Banken Risikovorsorge in einer Phase bilden, in der die Erträge noch hoch genug sind, um eventuelle Verluste besser verkraften zu können. Laut den Autoren spielen nicht unerhebliche methodische Ermessensspielräume bei der Definition von Kreditausfällen, der Identifikation von Transferkriterien zwischen den einzelnen Stufen, der konkreten Berechnung der erwarteten Verluste sowie die gewählten Modelle des internen Ratingansatzes eine Rolle. Wie sich die neuen Schwankungen von IFRS 9 auf die Banken, insbesondere deren CET 1-Quote auswirken, verdeutlichen die Autoren anhand von Zahlenbeispielen. (Red.)

Zum 1. Januar 2018 wurde in der EU IFRS 9 und damit unter anderem auch neue Regeln für die Bemessung von Wertberichtigungen auf Kredite und nicht erfolgswirksam zum Fair Value bewertete Anleihen eingeführt. Die Auswirkungen der Einführung liegen durchweg unter den Erwartungen von einem Jahr zuvor. Ist dies nun der europaweit guten Konjunktur geschuldet oder handelt es sich um systematische Prognosefehler?

Gute Konjunktur oder Prognosefehler?

Die Frage erscheint von großer praktischer Bedeutung, denn im ersten Fall wäre bei einem Abschwung mit massiven Steigerungen der Wertberichtigungen und mit stärker als in der Vergangenheit abnehmenden Eigenkapitalquoten zu rechnen. Hinzu kommt eine zunehmende Skepsis über den weiteren Verlauf der globalen Konjunktur auch aufgrund weltweit zunehmender Verschuldung und Handelskonflikte sowie des Brexit, nicht zuletzt seitens des IWF und der Bundesbank.1) Höhere Schwankungen der Wertberichtigungen hätten erhebliche Auswirkungen auf die Gläubiger, gerade auch im Interbankengeschäft. Im Folgenden soll das Thema aufbauend auf einem früheren Aufsatz in dieser Zeitschrift anhand zwischenzeitlich gewonnener Erkenntnisse und anhand eines Zahlenbeispiels vertieft werden.

Das bis 31. Dezember 2017 anzuwendende Incurred Loss Model nach IAS 39 führte strukturell zu niedrigen und zu späten Wertminderungen. Dieser Makel soll mit dem Expected Loss Model nach IFRS 9 beseitigt werden. Dieses erfasst alle auch für die Zukunft erwarteten Wertminderungen auf die nächsten 12 Monate, nach Eintritt einer signifikanten Verschlechterung des Kreditrisikos (Stufe 2) oder eines Ausfalls (Stufe 3) sogar auf die gesamte Kreditrestlaufzeit. Dies erfordert jedoch Risikomessinstrumente, die Institute in die Lage versetzen, Kreditrisikoverluste zuverlässig einzuschätzen und festzustellen, wann signifikante Veränderungen eintreten. Hier spielen nicht unerhebliche methodische Ermessensspielräume bei der Definition von Kreditausfällen, der Identifikation von Transferkriterien zwischen den einzelnen Stufen, der konkreten Berechnung der erwarteten Verluste sowie die gewählten Modelle des internen Ratingansatzes eine Rolle.2)

Mit der Einführung von IFRS 9 hat sich die Bilanzierung von Krediten, Wertpapieren und Derivaten grundlegend geändert. Insbesondere durch das neue Wertminderungsmodell werden größere Auswirkungen auf die Eigenkapitalausstattung erwartet. Die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) prognostizierte im Juli 2017, dass IFRS 9 negative Auswirkungen von durchschnittlich 45 Basispunkten auf die harte Kernkapitalquote (CET 1-Quote) beziehungsweise 35 Basispunkten auf die Gesamtkapitalquote haben würde.3)

Mittlerweile haben diverse Banken Finanzberichte und Auswirkungsanalysen zu den Umsetzungseffekten durch IFRS 9 veröffentlicht. Gemäß Auswertungen von Moody's und KPMG sind die erwarteten negativen Auswirkungen auf die Eigenkapitalausstattung der jeweiligen Stichprobe im Durchschnitt niedriger als von der EBA prognostiziert.4)

Wie erwartet ist der größte Teil dieses Effekts auf höhere Risikovorsorge im Rahmen des Wertminderungsmodells zurückzuführen. Hierbei gibt es jedoch große Unterschiede zwischen einzelnen Ländern und Kreditkategorien.

Auswirkungen auf die Eigenkapitalausstattung

Während südeuropäische Banken (durchschnittlicher Rückgang der CET 1-Quote in Spanien um 30 bis 755) , in Italien um mehr als 100, in Griechenland um rund 350 Basispunkte6) ) überproportional stark betroffen sind, sind die Auswirkungen auf britische und skandinavische Banken gering (Rückgang der CET 1-Quote um zirka 10 beziehungsweise 6 Basispunkte). Die Auswirkungen für Banken in Osteuropa sind ebenfalls eher niedrig.7) Für Banken im asiatisch-/pazifischen Raum wird der durchschnittliche Rückgang der CET 1-Quote nach Einführung von IFRS 9 auf bis zu 50 Basispunkte geschätzt,8) wobei die Auswirkungen insbesondere in Indien konjunkturbedingt deutlich größer sein werden als in anderen Ländern der Region.

In den USA werden ähnliche Regeln für die Wertberichtigungen ab frühestens Ende 2019 eingeführt. Der wichtigste Unterschied zu IFRS 9 ist, dass die Wertberichtigungen stets auf die Gesamtrestlaufzeit zu bemessen sind.

Höhere Risikovorsorge

Mit IFRS 9 wurde der Ansatz verfolgt, die finanzielle Stabilität durch eine Verringerung der Prozyklizität im Konjunkturzyklus zu verbessern. Kreditverluste treten typischerweise in Abschwungphasen gehäuft auf. Mit dem Expected Loss Model, das künftige makroökonomische Bedingungen widerspiegelt, sollen diese bereits bei Anzeichen eines wirtschaftlichen Abschwungs berücksichtigt werden. Dies bedeutet, dass Banken Risikovorsorge in einer Phase bilden, in der die Erträge noch hoch genug sind, um eventuelle Verluste besser verkraften zu können.

Bei einsetzendem Abschwung erfolgt dann eine Umklassifizierung eines erheblichen Volumens an Krediten in Stufe 2 oder 3, wo eine Risikovorsorge für die gesamte Restlaufzeit erforderlich wird. Dadurch steigt die Kreditrisikovorsorge je nach Laufzeiten sprunghaft an. So erfolgt zwar die beabsichtigte Vorwegnahme von Verlusten, der einsetzende Abschwung dürfte sich aber aufgrund der durch die erhöhte Risikovorsorge ausgelösten Warnsignale vielfach verstärken. Banken dürften daher in Erwartung weiter steigender Risikovorsorge und sinkender Ertragskraft, dazu verleitet werden, die Kreditvergabe zu drosseln, was den Abschwung noch verschärfen würde. Im Idealfall sollten die Kreditzinsen zwar mögliche Kreditverluste während der Vertragslaufzeit widerspiegeln.

Erhöhte Risikovorsorge

IFRS 9 wird abhängig vom Wirtschaftssektor, der Dauer einer Transaktion, den Ratings der Gegenparteien und den erhaltenen Sicherheiten einige Produkte und Geschäftsbereiche strukturell gemessen am Bilanzausweis weniger profitabel machen, sodass die Banken ihre Portfoliostrategie viel differenzierter überprüfen werden als heute. Mittelfristig könnte IFRS 9 somit auch Auswirkungen auf die Kreditkonditionengestaltung haben. Unter Risikomanagementgesichtspunkten erscheint es daher nur logisch, dass Banken als Ausgleich für zukünftige Unsicherheiten die Preisgestaltung bei bestimmten Arten von Krediten entsprechend anpassen. Dieser Effekt dürfte sich vermutlich bei besicherten Hypothekendarlehen weniger stark zeigen als bei unbesicherten Privatkunden- beziehungsweise Unternehmenskrediten. Dabei könnte auch der Wettbewerbsdruck in verschiedenen Geschäftsbereichen letztlich einen entsprechenden Einfluss auf die Konditionengestaltung haben.

Wie wirken sich die neuen Schwankungen von IFRS 9 auf die Banken, insbesondere deren CET 1-Quote aus? Davon hängen dann die oben beschriebenen Folgeeffekte entscheidend ab. Zur Abschwächung des Umstellungseffekts hat der EU-Gesetzgeber unter Modifizierung eines entsprechenden Vorschlags des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht Übergangsregeln geschaffen. So kann der Umstellungseffekt auf IFRS 9 über 5 Jahre abnehmend dem harten Kernkapital (CET 1) wieder hinzugerechnet werden. Diese Regeln werden aber die neue Prozyklizität nur in den ersten Jahren vermindern können.9)

Zahlenbeispiel

Im Folgenden soll dies an einem stark vereinfachten Zahlenbeispiel verdeutlicht werden. Dabei liegt der Fokus auf der CET 1-Quote, auch wenn IFRS 9 in Verbindung mit den aufsichtsrechtlichen Eigenkapitalregeln in begrenztem Umfang zu einer Erhöhung des Ergänzungskapitals führt. Die CET 1-Quote ist der primäre Maßstab der EZB, der Ratingagenturen und der internationalen Investoren und Gläubiger, da ergänzendes Kernkapital und Ergänzungskapital nur eingeschränkt Eigenkapitalfunktionen erfüllen und daher auch leichter beschafft werden können als CET 1. Zudem wird der Portfolioeffekt, der sich aus durch höhere Wertberichtigungen veränderten Risikogewichten ergibt, und latente Steuereffekte zwecks besserer Veranschaulichung nicht berücksichtigt. Beides schwächt den dargestellten Effekt ab.

Gegeben sei eine Bank mit Sitz in der EU, deren Kreditvolumen 2,3 Milliarden Euro beträgt, auf das nach IAS 39 Wertberichtigungen von 220 Millionen Euro gebildet werden (Abbildung 1). Dabei wird unterstellt, dass die Bank den Standardansatz für die Ermittlung der aufsichtsrechtlichen Eigenkapitalquoten anwendet. Das durchschnittliche Risikogewicht betrage 100 Prozent, das bilanzielle Eigenkapital, Aktienkapital und Gewinnrücklagen 330 Millionen Euro. Daraus ergibt sich eine CET 1-Quote von 14,35 Prozent. Wenn bei Einführung von IFRS 9 Wertberichtigungen für Stufe 1 und 2 zusätzlich in Höhe von 40 Millionen gebildet werden müssten, ergibt sich eine entsprechende Verminderung der CET 1-Quote vor Übergangsregeln von 12,61 Prozent. Die mögliche aufsichtsrechtliche Rückrechnung von 95 Prozent der zusätzlichen Wertberichtigungen nach IFRS 9 im ersten Jahr führt zu einer Verbesserung auf 14,26 Prozent. Die Übergangsregeln werden aufgrund der Komplexität von vielen Instituten in der EU, auch in Südeuropa, zumindest derzeit noch nicht in Anspruch genommen.10)

Mit IFRS 9 erfolgen die Wertberichtigungen wie erwähnt früher und schneller als nach IAS 39. Wenn die Konjunktur nachlässt, steigen nicht nur die Ausfälle, sondern auch die Ausfallwahrscheinlichkeiten von vielen bislang noch nicht ausgefallenen Kreditengagements. Letzteres führt zu einer Umgruppierung eines erheblichen Teils von Krediten von Stufe 1 in Stufe 2, was dann Wertberichtigungen mit erhöhten Verlusterwartungen nunmehr für die Gesamtlaufzeit erfordert.

Standardansatz ...

Im Standardansatz schlägt die Erhöhung der Wertberichtigungen, von Portfolio- und Steuereffekten abgesehen, voll auf das bilanzielle und aufsichtsrechtliche Eigenkapital durch. Dies vermindert die CET 1-Quote entsprechend, wird aber bei Anwendung der Übergangsregeln in den ersten 5 Jahren jährlich abnehmend kompensiert. Würden die Wertberichtigungen der Stufe 1 und 2 nunmehr 100 statt 40 betragen, vermindert sich die CET 1-Quote vor Anwendung der Übergangsregeln auf 10,0 Prozent und nach Übergangsregeln im ersten Jahr auf 14,13 Prozent (Abbildung 2). Wegen der progressiv abnehmenden Rückrechnungsprozentsätze wird der CET 1-Rückgang jedes Jahr weniger kompensiert, falls eine Bank von den Übergangsregeln Gebrauch macht.

Gegeben sei nunmehr die gleiche Bank (Abbildung 3). Jetzt wird unterstellt, dass die Bank den internen Ratingansatz anwendet. Das durchschnittliche Risikogewicht betrage aufgrund der verbesserten Risikoschätzung nur 80 Prozent, das bilanzielle Eigenkapital unverändert 330 Millionen Euro. Im Rahmen des internen Ratingansatzes wäre zusätzlich noch der aufsichtsrechtlich erwartete Verlust mit den regulatorischen Parametern zu berechnen. Diese sind gegenüber den Parametern nach IFRS 9 zyklusübergreifend und vorsichtiger anzusetzen. Die Ausfallwahrscheinlichkeit ist allerdings stets auf ein Jahr bezogen. Soweit der aufsichtsrechtlich erwartete Verlust höher als der bilanziell erwartete Verlust ist, ist der überschießende Betrag vom Eigenkapital abzuziehen, um das CET 1 zu ermitteln. Im Beispiel beträgt der aufsichtsrechtlich erwartete Verlust 270 Millionen Euro. Daraus ergibt sich nach Verrechnung mit den Kreditwertberichtigungen von 220 Millionen Euro nach IAS 39 ein Abzug von 50 Millionen Euro und eine CET 1-Quote von 15,22 Prozent. Bei Einführung von IFRS 9 müssten Wertberichtigungen für Stufe 1 und 2 zusätzlich in Höhe von 40 Millionen Euro gebildet werden. Daraus ergibt sich eine entsprechende Verminderung des CET 1-Abzugs auf 10 (270- 220 - 40) Millionen Euro. Die CET 1-Quote beträgt unverändert 15,22 Prozent. Die zusätzlichen Wertberichtigungen nach IFRS 9 werden durch den CET 1-Abzug bis zur Höhe des aufsichtsrechtlich erwarteten Verlusts kompensiert. Die Übergangsregeln greifen hier nicht.

... versus internem Ratingansatz

Im Falle, dass die Konjunktur nachlässt und die Ausfallwahrscheinlichkeit von vielen Kreditengagements ansteigt, kommt es auch hier zu einer Umgruppierung eines erheblichen Teils von Krediten von Stufe 1 in Stufe 2. Dies erfordert dann Wertberichtigungen mit erhöhten Verlusterwartungen nunmehr für die Gesamtlaufzeit. Im internen Ratingansatz schlägt der Erhöhungseffekt durch IFRS 9 erst dann auf die CET 1-Quote durch, wenn der bilanziell erwartete Verlust den aufsichtsrechtlichen übersteigt. Erst dann beginnen auch die Übergangsregeln zu greifen, siehe Abbildung 4. Der Effekt der Übergangsregeln ist aber auch hier nur vorübergehend, da die Rückrechnungsprozentsätze wie erwähnt progressiv abnehmen. Der konkrete Effekt ist von der individuellen Ausgestaltung der internen Ratingsysteme abhängig. So weisen unterschiedliche Ratingsysteme im Rahmen der aufsichtlichen Vorgaben mal mehr eine stichtagsbezogene Pointin-Time-, mal mehr eine konjunkturglättende Throughthe-Cycle-Orientierung auf.

Bei einem Konjunkturabschwung wird die Erhöhung der Wertberichtigungen sowohl für Portfolios im Standard- als auch im internen Ratingansatz am jeweiligen Bilanzstichtag gegenüber dem Ersteinführungszeitpunkt von IFRS, also dem 1. Januar 2018, durch eine zweite dynamische Übergangskomponente11) zwar weiter abgefedert. Auch dieser Effekt ist jedoch nur auf wenige Jahre materiell bedeutsam. Hier gelten die gleichen Rückrechnungsprozentsätze. Gerade derzeit haben die meisten Banken eine gute Eigenkapitalausstattung, sodass die Übergangsregeln in den ersten Jahren meist von geringerem Interesse sind.

Für die Zukunft aber, wenn die niedrigeren Rückrechnungsprozentsätze zur Anwendung kommen beziehungsweise die Übergangsregeln auslaufen, schlägt ein Konjunkturabschwung stärker oder gar voll durch. Dann dürfte aber die Eigenkapitalausstattung auch aufgrund zusätzlicher Wertberichtigungen für ausgefallene Kredite und Direktabschreibungen (Stufe 3) sowie steigender Risikogewichte und Eigenkapitalanforderungen wegen höherer Ausfallwahrscheinlichkeiten deutlich knapper als derzeit sein.

Mindestanforderungen an Wertberichtigungen

Die Kreditengagements, die in Stufe 3 wandern, mindern zudem die bilanziell erfassten Zinserträge, da hier anders als in Stufe 1 und 2, die Zinserträge nur noch auf den Forderungsbetrag nach anstatt vor Wertberichtigungen berechnet werden. Auch dürften die Erträge aus anderen Quellen vielfach sinken und die Eigenkapitalausstattung weiter belasten. Der durch die neue Bilanzierungsmethodik bedingte Rückgang der CET 1-Quoten dürfte die Investoren vielfach verunsichern, zu einer Kreditzurückhaltung im Interbankengeschäft führen, die Refinanzierungskosten erhöhen und die Ertragslage weiter belasten. Entsprechend werden die Banken versuchen, durch eine Anpassung ihres Produktspektrums diese Effekte zu vermindern. Die jeweils zuständige Aufsicht kann Zuschläge auf die Eigenkapitalbedarfsquoten für Defizite aufgrund unzureichender Parameterschätzmodelle und mangelhafter Erkennung von Problemkrediten sowie aus ihrer Sicht nicht ausreichende Wertberichtigungen verordnen.12)

Auch kommen Mindestanforderungen an die Höhe der Wertberichtigungen der jeweiligen Aufsichtsbehörden hinzu. Zu erwähnen sind hier zum Beispiel die sogenannten statistischen Wertberichtigungen in Portugal und Spanien zwischen 2000 und 2016 und das NPL Guidance Addendum der EZB, die den Belastungseffekt in Konjunkturaufschwungphasen je nach Ausgestaltung verstärken, aber bei Nettoverbrauch zuvor gebildeter Wertberichtigungen auch kompensieren können.13) Soweit die aufsichtlichen Vorsichtsmaßstäbe über die der IFRS hinausgehen, können statt zusätzlichen Wertberichtigungen auch CET 1-Abzüge verordnet werden. Eine Kompensation von bilanziellen Wertberichtigungen durch aufsichtsrechtliche Puffer würde zwar den bilanziellen Verfall im Konjunkturabschwung aufhalten. Jedoch können weitere Klippeneffekte entstehen. Bis zum Verbrauch etwaiger Puffer ist die Verschlechterung der bilanziellen Verhältnisse abgeschwächt, danach verschlimmert sich die Situation jedoch deutlich schneller als zuvor.

Drohende Klippeneffekte

Derartige Klippeneffekte waren zum Beispiel in Spanien während der Immobilienkrise bedeutsam. So schwächten die statistischen Wertberichtigungen der spanischen Zentralbank, eine besondere Form von über den Konjunkturzyklus geglätteten Wertberichtigungen, die zwischenzeitlich entstehenden Kreditverluste ab. Als sie verbraucht waren, schlugen die konjunkturbedingt erforderlichen Einzelwertberichtigungen aber umso heftiger zu Buche. Dies erschwert generell die Transparenz, wobei die Auswirkungen entscheidend von der genauen Kalibrierung dieser zusätzlichen Pauschalwertberichtigungen und der Risikosensitivität der einzelnen Banken abhängig sind.14) Diese Klippeneffekte sind für Gläubiger und Investoren besonders problematisch, da sie in der Regel nicht antizipiert werden können. Hier sind die Auswirkungen auf den Eigenkapitalbedarf und die Quoten entscheidend von der Handhabung durch die einzelnen Aufsichtsbehörden abhängig. Diese war schon unter IAS 39 insbesondere im internationalen Vergleich nicht einheitlich. Generell werden die Interpretationsspielräume durch IFRS 9 sowohl für die Banken als auch die Aufsichtsbehörden gegenüber IAS 39 nicht kleiner, sondern größer.

Zwar werden mit IFRS 9 die bilanziellen Offenlegungsvorschriften erheblich ausgeweitet. Mangels vereinheitlichter Ausfalldefinition und einheitlicher Kriterien für den Übergang von Forderungen zwischen den verschiedenen Stufen sind diese Daten aber nur qualitativ verwertbar. Ein Vergleich zwischen Kreditinstituten ist kaum möglich. Hinzu kommen uneinheitliche Offenlegungsformate, teils im Geschäftsbericht, teils in einem separaten Säule 3-Bericht. Allerdings führt die Aufsicht im Rahmen der Säule 3-Anforderungen seit der Finanzkrise zunehmend standardisierte Formate ein.

Geringere Vergleichbarkeit

Unterschiedliche Definitionen entscheidender Parameter und Kriterien nach IFRS 9, bankindividuelle Daten- und (Rating-) methodenansätze, das Zusammenspiel mit den Eigenkapitalunterlegungsregeln mit Wahlrechten im Übergangszeitraum und die unterschiedliche Handhabung seitens der Aufsichtsbehörden machen den Vergleich zwischen Banken schwieriger. Die eingesetzten Konjunkturprognosedaten und -methoden sowie bankindividuelle Risikomessinstrumente gewinnen eine deutlich größere Rolle als unter IAS 39. Zudem nehmen die Schätzunsicherheiten methodenunabhängig bei langen Laufzeiten erheblich zu. Die zunehmende Heterogenität wird dadurch noch verstärkt, dass die steuerliche Abzugsfähigkeit in den einzelnen Ländern ebenfalls unterschiedlich geregelt ist. Je weniger Wertberichtigungen vor Eintritt echter Ausfälle steuerlich anerkannt werden, desto geringer ist meist auch der Anreiz solche in der Rechnungslegung gegenüber dem Kapitalmarkt zu bilden, wenn dies nicht zwingend erforderlich ist. Latente Steuereffekte erschweren die Analyse weiter.

Die Vergleichbarkeit wird in den nächsten Jahren weiter durch weltweit unterschiedliche Einführungszeitpunkte insbesondere im asiatisch-pazifischen Raum und den USA eingeschränkt. Nach US-Regeln bilanzierende Banken werden durch die stets gesamtrestlaufzeitbezogenen Wertberichtigungen stärker als europäische Institute betroffen sein. Jedoch relativiert sich dieser Effekt durch die in den USA üblicherweise kürzeren Kreditlaufzeiten.

Neue Prozyklizität

Aufgrund der vielen methodischen Ermessensspielräume ist eine Vergleichbarkeit der Risikovorsorge und der Auswirkungen auf die CET 1-Quoten länderübergreifend nur schwer möglich. Die neue Prozyklizität des Wertberichtigungsmodells des IFRS 9 dürfte auch im Zusammenwirken mit Basel III mittel- bis langfristig dazu führen, dass Kreditinstitute ihre Portfoliostrategien stärker an bilanziellen und aufsichtsrechtlichen Vorgaben ausrichten. Dies könnte zur Folge haben, dass im Konjunkturzyklus stark schwankende Geschäftsbereiche entweder eingestellt oder entsprechend teurer bepreist werden, sodass es gegebenenfalls zu einer Verknappung der Kreditversorgung kommen kann.

Wegen der hohen Prozyklizität von IFRS 9 wäre es sinnvoll, die schwankende Risikovorsorge dauerhaft bei der Kalibrierung des antizyklischen Kapitalpuffers zu berücksichtigen. Da hier aber die nationalen Aufsichtsbehörden zuständig sind und dabei primär eigene landesbezogene makroprudenzielle Steuerungsziele einfließen, besteht die Gefahr eines Auseinanderdriftens der Steuerungsimpulse mit potenziell negativen Auswirkungen auf die einzelnen Banken. Insofern wäre es besser, die dynamische Komponente der Übergangsregeln in eine dauerhafte Form zu überführen. So könnte der Übergang der durch IFRS 9 verstärkten Stichtags- oder Point in Time-Perspektive auf die dem Stabilitätszweck dienenden Eigenkapitalbemessung weitgehend zyklusneutral umgesetzt werden. Ein derartiger zyklusübergreifender Prudential-Filter würde nicht nur die makroprudenzielle Stabilität15) und die Steuerungsproblematik für die einzelnen Banken, sondern auch die Transparenz gegenüber Gläubigern und Investoren wesentlich erhöhen.

Der Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Meinung der Autoren wider.

Fußnoten

1) Vgl. Mallien (2018) und o.V. (2018).

2) Vgl. Becker (2017).

3) Vgl. EBA (2017).

4) Vgl. Rouault (2018) und Moody's (2018).

5) Vgl. BBVA Research (2017).

6) Rückgang der CET 1-Quote um 50, unter vollständiger Umsetzung der CRR sogar 350 Basispunkte. Vgl. National Bank of Greece (2018). In Griechenland sind die Umsetzungsfristen länger als in anderen EU-Ländern.

7) So erwartet zum Beispiel die rumänische Nationalbank für rumänische Banken eine Verminderung der CET 1-Quote beziehungsweise der Gesamteigenkapitalquote von rund 25 Basispunkten. Für serbische Banken wird ein Rückgang der CET 1-Quote von rund 39 Basispunkten erwartet.

8) Vgl. Fitch Ratings (2017).

9) Die Rückrechnung beträgt im ersten Jahr nach Umstellung 95 Porzent, im zweiten 85 Prozent, im dritten 70 Prozent, im vierten 50 Prozent und im fünften Jahr 25 Prozent der Erhöhung der Wertberichtigungen durch die Einführung von IFRS 9. Die Inanspruchnahme dieser Regelung ist optional und kann einmalig revidiert werden.

10) So wenden nur 16 von 48 Banken, die am EBA-Stresstest 2018 teilgenommen haben, die Übergangsregeln an. Vgl. EBA (2018) S. 14.

11) Art. 1 (a) bzw. (b) i.V.m. Art. 3 und 4 der Regulation (EU) 2017/2395 of the European Parliament and of the Council of 12 Dec. 2017.

12) Vgl. Novotny-Farkas (2016), S. 18-21.

13) Vgl. Novotny-Farkas (2016), S. 12 mit weiteren Verweisen.

14) Vgl. Mahapatra (2012) S. 10-11 und Saurina/Trucharte (2017) S. 145-148.

15)Ähnlich Borio (2018), S. 4.

Ein umfassendes Literaturverzeichnis zu diesem Beitrag finden Sie hier.

Gernot Becker Gruppenleiter Grundsatz fragen, Bereich Banken und Auslandsgeschäft, Landesbank Hessen-Thüringen, und Lehr beauftragter der Frankfurt School of Finance and Management, Frankfurt am Main
Alexander Voigt Referent Gruppe Grundsatz fragen, Bereich Banken und Auslandsgeschäft, Landesbank Hessen-Thüringen, Frankfurt am Main

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