Die Zukunft der Filiale: nahe am Menschen

Dr. Harald Vogelsang, Sprecher des Vorstands, Hamburger Sparkasse AG (Haspa) - Angesichts der Demografie sowie weiterer Wege zu anderen örtlichen Versorgungszentren will der Autor einen geringeren Bedarf an Filialen nicht ausschließen. Von der überragenden Bedeutung der Geschäftsstelle als Instrument der erlebbaren Kundenbindung gibt er sich aber für sein Haus wie für andere Sparkassen fest überzeugt. Die Kunst sieht er darin, die Filiale als spannenden Marktplatz für Finanzdienstleistungen auszubauen. (Red.)

Seit Generationen sind die Filialen Dreh- und Angelpunkt des Sparkassengeschäfts. Denn die flächendeckende Versorgung aller Bevölkerungsgruppen mit Finanzdienstleistungen ist elementarer Bestandteil der Sparkassenidee. Diese Aufgabe ist fest in den Satzungen der Sparkassen verankert und fördert das Gemeinwohl in der Region.

Filialbank - zukunftsfähig?

Doch aktuell steht die Frage im Raum, inwieweit Filialen ein Auslaufmodell sind. Großbanken kündigen die Halbierung ihres Filialnetzes an. Und gelegentlich wird sogar schon das völlige Ende des klassischen Geschäftsmodells der Filialbanken vorausgesagt, da kleine und große Internetanbieter aus dem Banken- und Nichtbankenbereich Finanzdienstleistungen viel einfacher und kostengünstiger für Verbraucher und Unternehmen zur Verfügung stellen könnten. Fakt ist, dass von 2009 bis 2013 die Zahl der Zweigstellen von Banken in Deutschland um 2 700 auf rund 38 200 zurück gegangen ist - ein Minus von 7 Prozent. Im gleichen Zeitraum hat sich die Zahl der Sparkassenstellen um 590 auf rund 15 100 reduziert. Dieser unterdurchschnittliche Rückgang von knapp 4 Prozent zeigt, dass den Sparkassen eine flächendeckende Versorgung mit Finanzdienstleistungen in allen Regionen Deutschlands nach wie vor sehr wichtig ist. Doch wie lange kann es bei solch relativ moderaten Anpassungen des Filialnetzes bleiben? Schließlich gibt es gravierende Umfeldveränderungen, die tendenziell weiteren Filialabbau erwarten lassen könnten.

An erster Stelle ist die Digitalisierung zu nennen, die das Kundenverhalten massiv verändert. Schon heute nutzen 45 Prozent der Kunden sowohl die Filiale als auch Online-Services über PC, Tablet oder Smartphone. Rund 20 Prozent sind reine Onlinekunden. Und beide Kundengruppen wachsen, während die Zahl der reinen Filialkunden abnimmt. Außerdem informieren sich rund zwei Drittel aller Kunden, bevor sie ein Finanzprodukt kaufen, vorab im Internet.

Entsprechend ist zu beobachten, dass Serviceleistungen in den Filialen deutlich weniger in Anspruch genommen werden. Aber auch Beratungsgespräche in der Filiale werden weniger, wenn sich die Kunden im Internet quasi selbst beraten. Wer sich umfassend online über Finanzierungs- oder Anlagemöglichkeiten informiert, Anbieter und deren Konditionen vergleicht, kauft oftmals auch im Internet entsprechende Produkte ohne eine Filiale auf zusuchen. Ob dieser Verzicht auf eine umfassende, individuelle Beratung durch einen sehr gut ausgebildeten und erfahrenen Kundenbetreuer zu guten Ergebnissen führt, ist allerdings fraglich.

Zur Digitalisierung kommt zweitens steigender Kostendruck hinzu. Einerseits beschneidet die anhaltende Niedrigzinspolitik die Ertragsmöglichkeiten, zugleich lässt die verstärkte Regulierung unweigerlich die Kosten steigen. Diese Situation zwingt zu Einsparungen. Dass dabei von den Sparkassen ihre Filialnetze auf den Prüfstand gestellt werden müssen, ist selbstverständlich - auch wenn zunehmender Filialabbau

ein bedauerlicher Kollateralschaden von Niedrigzinspolitik und Regulierungswut ist. Und drittens lässt der demografische Wandel längerfristig einen geringeren Bedarf an Filialen insbesondere in ländlichen Regionen erwarten. Wenn es schon längst keinen Bäcker, Supermarkt, Arzt oder Sportverein mehr vor Ort gibt, ist eine Bankfiliale wahrscheinlich auch verzichtbar. Denn die verbleibende Bevölkerung muss ohnehin längere Wege in Kauf nehmen, um ihren täglichen Bedarf zu decken oder in der Freizeit aktiv zu sein. Um hier gegenzusteuern, sind kreative Lösungen gefordert. Sei es die Integration von Service und Beratung der Sparkassen unter einem Dach mit bankfremden Dienstleistern oder mobilen Services, bei denen die Sparkasse bei den Kunden vorfährt. So gab es 2013 bereits 156 fahrbare Filialen der Sparkassen in Deutschland. Und Beratung zu Hause beim Kunden auch außerhalb der regulären Öffnungszeiten ist bei den Sparkassen zumeist bereits seit langem fester Bestandteil ihrer Kundenorientierung.

Anpassung der Filialnetze

Digitalisierung, Kostendruck und demografischer Wandel werden auch bei den Sparkassen tendenziell zu einem Abbau von Filialen führen. Davon werden kleine Abwicklungsfilialen in der Fläche eher betroffen sein als große Beratungsfilialen an zentralen Standorten. Neu ist die Anpassung des stationären Vertriebsnetzes an den Strukturwandel und das veränderte Kundenverhalten jedoch nicht. Selbstverständlich haben die Sparkassen schon immer ihre Standorte den sich wandelnden Kundenbedürfnissen angepasst. So hat auch die Hamburger Sparkasse (Haspa) in der Vergangenheit Filialen an zentralen Standorten zusammengelegt, wenn sich Stadtteile verändert haben und die Kundenfrequenzen in ehemals lebhaften Einkaufsstraßen stark zurückgegangen sind. Zugleich wurden in der wachsenden Stadt Hamburg Filialen zum Beispiel im neuen Stadtteil Hafen-City eröffnet und an hochfrequentierten Standorten die Öffnungszeiten ausgeweitet - in mehreren Einkaufszentren haben Filialen auch samstags geöffnet. Strukturwandel lässt sich aktiv gestalten. Die Filialen einfach über Bord zu werfen und langfristig zur Onlinebank zu mutieren, wäre falsch und eine viel zu defensive Strategie, um auf die aktuellen Herausforderungen für das Filialnetz zu reagieren. Stattdessen sollten gerade die Sparkassen in die Offensive gehen und an der Zukunft der Filiale arbeiten.

Filiale als Mehrwert für den Kunden

Am besten ist, die Sparkassen konzentrieren sich darauf, was bei ihnen traditionell im Mittelpunkt steht: die besondere Nähe zu den Menschen in der Region. Denn dadurch, dass die Menschen - Kunden und Mitarbeiter - konsequent in den Mittelpunkt gestellt werden, erfährt die Filiale eine Aufwertung. Service und Beratung in der Filiale müssen den Kunden Mehrwerte gegenüber dem Finanzdienstleistungsangebot auf anderen Vertriebskanälen bieten. Dann werden die Filialen das Herzstück des Sparkassengeschäfts bleiben.

Im Zentrum steht dabei die Qualität der Beratung. Sie muss für die Menschen spürbar besser und angenehmer sein als die Selbstberatung übers Internet. Klar ist, dass dies hohe Anforderungen an die Mitarbeiter stellt. Die konsequente Anwendung zielgruppengerechter Beratungskonzepte und umfassende Produktkenntnisse - auch von Angeboten der Wettbewerber - sind hier ebenso erforderlich wie Einfühlungsvermögen in die jeweilige Lebenssituation des Kunden. Gute Menschenkenntnis, Freundlichkeit und Fachwissen sind im Service ebenso entscheidend, um Nähe zu den Menschen zu schaffen und Lösungen für ihre finanziellen Fragen zu finden. So wird freundlicher und kompetenter Service zu einem echten Aushängeschild für die Sparkasse und ein guter Grund für den Filialbesuch. Erleben die Menschen Service und Beratung durch die Mitarbeiter in der Filiale als besonders mehrwertig, empfehlen sie diesen gern weiter und es gelingt, Kunden vom PC in die Filiale zu locken: Vorsprung durch menschliche Nähe statt durch Technik. Dabei muss der Online-Vertriebskanal auch nicht zwangsläufig als Feind der Filiale gesehen werden, sondern einfach als ein weiterer, gleichberechtigter Zugangsweg zu den Mitarbeitern.

Denn die Kunden wollen beides verfügbar haben, Service und Beratung in der Filiale und die Erledigung von Bankgeschäften online - je nachdem, was für sie gerade einfacher und bequemer ist. Deswegen arbeiten die Sparkassen offensiv an der Weiterentwicklung ihrer digitalen Angebote sowie der Vernetzung mit den Filialen. Es geht darum, die neuen technischen Möglichkeiten sinnvoll mit dem Filialgeschäft zu kombinieren, um zur besten Multikanalbank in der jeweiligen Region zu werden. Die Haspa bietet ihren Kunden auf allen Kanälen einen direkten Draht zum persönlichen Berater, um menschliche Nähe für die Kunden erlebbar zu machen - in der Filiale, online oder per Smartphone-App. Seit 2014 gibt es bei der Haspa auch eine Videoberatung, die insbesondere Kunden begeistert, die besonders technikaffin sind, längere Zeit im Ausland leben, auf Reisen oder gerade ans Haus gebunden sind.

Aber diese neue Technik, mit den Kunden zu sprechen, wird Filialbesuche nicht komplett ersetzen. So haben die technisch seit langem möglichen Videokonferenzen Besprechungen von Angesicht zu Angesicht bisher auch nicht abgelöst; es finden nach wie vor viele Reisen zu Gesprächsterminen statt. Offenkundig haben die Menschen ein hohes Bedürfnis nach direkter Interaktion. Und da sind die Sparkassen mit ihren Filialen gegenüber reinen Onlineanbietern klar im Vorteil. Gerade in Zeiten der Digitalisierung gewinnt das Gemeinschaftsgefühl sogar immer mehr an Bedeutung. Regionalität und vertraute Nähe werden wieder geschätzt. Dieser Trend bietet gerade regionalen Instituten eine große Chance, sich im Wettbewerb zu differenzieren. Entsprechend haben die Sparkassen gemeinsam an ihrer Markenpositionierung gearbeitet und diese gezielt geschärft. Der Fokus liegt zukünftig noch stärker auf menschlicher Nähe - einem der traditionellen Grundwerte der Sparkassen. Dass für diese Nähe Filialen unverzichtbar bleiben, liegt auf der Hand. Auch wenn jede Sparkasse gefordert bleibt, im Rahmen betriebswirtschaftlicher Notwendigkeiten ein für ihre Region passendes Filialnetz zu gestalten.

Die Haspa hat sich in den vergangenen beiden Jahren noch regionaler aufgestellt und ihr Leistungsangebot ausgeweitet. Für eine ganzheitliche Kundenberatung und ein perfektes Zusammenspiel der Mitarbeiter wurden die Kompetenzen von Service, Finanz- und Vermögensberatung, Immobilien-Spezialisten und Firmenkunden-Betreuung direkt vor Ort gebündelt. Das Geschäft mit Privat- und Firmenkunden wird in 27 Regionen abgebildet. So dezentral und so nah am Kunden war die Sparkasse noch nie aufgestellt. Mit dieser lokalen Struktur wird regionale Verantwortung und Entscheidungskompetenz geschaffen, wo sie benötigt wird, nämlich direkt vor Ort. Denn niemand kennt die Wünsche und Bedürfnisse der Privat- und Firmenkunden so gut wie die Mitarbeiter der Haspa.

Impulse durch Kundenbeiräte

Auch die Netzwerkarbeit wurde weiter verstärkt. In jeder Region gibt ein Kundenbeirat wichtige Impulse. Gemeinsames Ziel ist es zudem, die Entwicklung in den Stadtteilen voranzutreiben. Von der Verschönerung des Marktplatzes bis zur Flüchtlingshilfe. Die Sparkasse möchte für die Menschen in der Region der erste Ansprechpartner sein: immer nah, immer persönlich. Deshalb ist es folgerichtig, dass menschliche Nähe im Mittelpunkt der Markenkommunikation steht. In der neuen Werbekampagne werden die Mitarbeiter und ihr Engagement für die Kunden gezeigt. Denn durch sie wird die Haspa zur persönlichsten Bank in Hamburg - so wie es die Kunden auch im Internetzeitalter von einem idealen Finanzinstitut erwarten. Das Besondere der Kampagne ist, dass sie komplett aus der internen Kommunikation entstanden ist. Auf der internen Plattform "Dafür-stehe-ich" kann jeder Mitarbeiter zeigen, welches sein persönlicher Beitrag ist, um Kunden für die Haspa zu begeistern. Dass dabei menschliche Nähe als traditioneller Wert der Sparkassen noch stärker in den Mittelpunkt rückt, trifft genau den Nerv der Mitarbeiter.

Auf die Perspektive kommt es an: Als Sparkasse sehen wir die Filialen nicht als Last, sondern als Lust. Als spannenden Marktplatz für Finanzdienstleistungen mit den Menschen im Mittelpunkt. Das macht die Haspa gegenüber Wettbewerbern anders. Wenn die Filialen mit engagierten Mitarbeitern für Kompetenz und menschliche Nähe stehen, werden sie für die Kunden auch in Zukunft unverzichtbarer Bestandteil ihres Alltags - und Kern des Sparkassengeschäfts - bleiben.

Dr. Harald Vogelsang , Präsident, Hanseatischer Sparkassen- und Giroverbands (HSGV), Hamburg
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