Zusammenwachsen im Ostseeraum: Russland mit im Boot

Erk Westermann-Lammers Foto: IB.SH

Während sich im Welthandel verstärkt protektionistische Bestrebungen abzeichnen und auch in vielen sonstigen Politikfelder in Europa und weltweit eine Betonung der nationalen Interessen zu beobachten ist, lenkt der Autor den Blick auf den Ausbau der Zusammenarbeit der Osteeanrainerstaaten. Dem ostseeweiten EU-Förderprogramm haben sich nach zunächst vier mittlerweile acht EU-Staaten angeschlossen sowie die Nachbarstaaten Norwegen und die nordwestlichen Gebiete der Russischen Föderation. Mit dem Ziel die Stärken einzelner Regionen zu kombinieren und deren Schwächen zu kompensieren verstehen sie die Ostsee als geografische Einheit und legen mit nationalen beziehungsweise EU-Fördergeldern gemeinsame Förderprojekte aus, angefangen von der Verbesserung der Wasserqualität der Ostsee bis hin zur Ausschöpfung der wirtschaftlichen Möglichkeiten der Region in klassischen Disziplinen wie dem Schiffsbau auch neue Wachstumsfelder wie Aquakultur und marine Biotechnologie. (Red.)

Seit 1997 engagiert sich die Investitionsbank Schleswig-Holstein (IB.SH) für den Ausbau der Zusammenarbeit im Ostseeraum. Sie ist im Auftrag der Ostseeanrainer und der Europäischen Kommission als gemeinsame Verwaltungsbehörde für das ostseeweite EU-Förderprogramm Interreg Baltic Sea Region tätig und betreibt somit das Programmsekretariat an den Standorten Rostock und Riga mit aktuell rund dreißig internationalen Mitarbeitern. Seit dem Jahr 2014 verwaltet die IB.SH auch das grenz überschreitende Interreg Programm Deutschland-Danmark am Standort Kiel. Für eine regionale Förderbank sind das außergewöhnliche Aufgaben.

Die politisch-strategische Netzwerkbildung im Ostseeraum hat eine lange Tradition. 1995 traten Schweden und Finnland der Europäischen Union (EU) bei, der Deutschland und Dänemark bereits seit Längerem angehörten. In dieser Zeit hatte Schleswig-Holstein als angrenzendes Bundesland eine führende Rolle in der Ostseekooperation übernommen. So einigten sich die damals erst vier EU-Mitgliedsstaaten an der Ostsee darauf, die IB.SH mit der Verwaltung dieses neuen gemeinsamen Förderinstruments Interreg Baltic Sea Region zu beauftragen. Für jede neue EU-Förderperiode muss sich die Investitionsbank Schleswig-Holstein wieder bei den Ostseeanrainern für diese Aufgabe bewerben und hat das bisher dreimal erfolgreich geschafft.

Der Ostseeraum als geografische Einheit

Durch den Beitritt Polens und der drei baltischen Länder im Jahr 2004 beteiligen sich mittlerweile acht EU-Mitgliedsstaaten an dem Programm. Das Gebiet rund um die Ostsee als geografische Einheit umfasst auch die EU-Nachbarstaaten Norwegen und die nordwestlichen Gebiete der Russischen Föderation einschließlich ihrer Metropolen St. Petersburg und Kaliningrad. Auch diese nicht zur EU gehörenden Gebiete sind dem Interreg-Programm beigetreten (Abbildung 1).

Interreg, oder wie es offiziell heißt, die "europäische territoriale Zusammenarbeit", ist Bestandteil der Struktur- und Kohäsionspolitik der EU. Diese hat zum Ziel, die Lebens- und Wirtschaftsverhältnisse in der EU anzugleichen. Seit mehr als 20 Jahren unterstützt Interreg transnationale Projekte innerhalb definierter europäischer Kooperationsräume wie der Ostseeregion. Im Vordergrund steht der Mehrwert durch Zusammenarbeit.

Fördergelder aus der EU, Norwegen und Russland

Das durch die IB.SH verwaltete Förderprogramm Interreg Baltic Sea Region fördert konkrete Projekte, an denen sich Institutionen aus verschiedenen Ländern beteiligen. Angesprochen werden Themen wie Innovation, Umwelt und Transport, die für die Anrainer von besonderer Relevanz sind und gemeinsames Handeln erfordern. Dass mehr Kooperation nötig ist, zeigt beispielhaft der immer noch besorgniserregende ökologische Zustand der Ostsee. Es gilt aber auch, Chancen gemeinsam zu nutzen, zum Beispiel in der maritimen Wirtschaft. Für die Förderperiode 2014 bis 2020 stehen dem Programm dafür öffentliche Fördermittel in Höhe von 283 Millionen Euro zur Verfügung, wobei der Europäische Fonds für regionale Entwicklung den weitaus größten Anteil stellt. Hinzu kommen nationale Fördergelder aus Norwegen und neuerdings auch aus Russland.

Was macht das Programm? Zurzeit werden 74 Projekte gefördert mit durchschnittlich 15 Projektpartnern aus mindestens drei Anrainerstaaten. Die meisten federführenden Partner kommen aus Deutschland, dicht gefolgt von Finnland. Bisher beteiligten sich insgesamt 1 026 Institutionen aus dem gesamten Ostseeraum an dem Programm. Ende Januar 2018 konnte nach jahrelangen Verhandlungen endlich ein Finanzierungsabkommen zwischen der Europäischen Kommission und Russland unterzeichnet werden. Als Verwaltungsbehörde und Programmsekretariat hat sich die IB.SH dabei intensiv engagiert. Nun wird die IB.SH auch für russische Projektpartner insgesamt acht Millionen Euro zur Verfügung stellen können, jeweils zur Hälfte nationale russische und europäische Mittel.

Schwerpunkt: Wasserqualität der Ostsee verbessern

Das Programm ermöglicht es Regionen und Städten im Ostseeraum, gemeinsam Herausforderungen zu bewältigen, die über die Landesgrenzen hinausgehen. Die Wasserverschmutzung ist ein derartiges Problem, das ein Land nicht getrennt von seinen Nachbarn lösen kann.

Der Meeresgrund der Ostsee ist eine der größten toten Zonen der Welt, ein Gebiet ohne Sauerstoff und damit ohne Leben. Diese "Anoxie" wird durch überschüssige Nährstoffbelastung durch menschliche Einflüsse verursacht. Um die Belastungen zu reduzieren, berieten die Interreg-Projekte Pure und Presto bis zum Jahr 2015 Betreiber ausgewählter Kläranlagen über bessere Nährstoffentfernung und investierten in Wasseraufbereitungsanlagen (Abbildung 2), zum Beispiel in Riga, Lübeck und auch Brest (Weißrussland). Aus diesen Beispielen entwickelten die Projekte Fortbildungsmaterialien, die wiederum bei der Modernisierung von Kläranlagen in anderen Städten eingesetzt wurden. Seit 2016 vernetzen sich im Projekt Iwama Experten für Abwasseraufbereitung mit dem Baltic-Smart Water-Hub - einer Onlineplattform, in der bewährte Verfahren und technische Lösungen im Bereich Wasserwirtschaft präsentiert werden.

Indem bewährte Praktiken identifiziert, ausgetauscht und angewendet werden, können Städte und Regionen verhindern, dass Tonnen von Nährstoffen in die Ostsee eingeleitet werden. Sie tragen so dazu bei, den ökologischen Zustand der Ostsee zu verbessern. Für öffentliche Verwaltungen, sei es auf lokaler oder regionaler Ebene, ist Interreg eines der wenigen Instrumente, um sich international zu vernetzen.

Schwerpunkt: blaues Wachstum

Ein Beispiel für die gemeinsame Nutzung von Chancen im Ostseeraum ist das sogenannte "blaue Wachstum". Es liegt auf der Hand, dass die maritime Wirtschaft großes Potenzial für Wachstum birgt. Sie umfasst neben klassischen Disziplinen wie dem Schiffbau auch neue Wachstumsfelder wie Aquakultur und marine Biotechnologie. Zahlreiche an die Ostsee angrenzende Regionen - also in Deutschland Bundesländer, in Schweden Gebiete oder in Polen Wojewodschaften - haben die maritime Wirtschaft als Schwerpunkt in ihren regionalen Forschungs- und Innovationsstrategien verankert. Auf europäischer Ebene haben sich die Mitgliedsstaaten verpflichtet, die maritime Wirtschaft verstärkt und nachhaltig auszubauen.

Über Interreg-Mittel haben sich im Projekt Submariner öffentliche Verwaltungen, Forschungseinrichtungen und Business Parks aus der maritimen Wirtschaft des Ostseeraums grenzübergreifend vernetzt. Im Jahr 2013 gründeten sie eine Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV), die regelmäßig neue Projekte anstößt. Im Projekt Smart Blue Regions tauschen sich derzeit Regionalverwaltungen aus mehreren Ländern darüber aus, wie sie ihre Forschungs- und Innovationsstrategien für den maritimen Sektor am effektivsten von der politischen Ebene in die Umsetzung bringen. Im Pilotprojekt Baltic Blue Growth wurden sechs Muschelfarmen in der Ostsee installiert. Es wird getestet, ob und wie Miesmuschelzucht in der Ostsee umweltverträglich und wirtschaftlich attraktiv sein kann (Abbildung 3). Die Muschelzucht kann mit diesen Erfahrungen ein interessanter Markt für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) im Ostseeraum werden.

Stärkung von Zusammenhalt und Wettbewerbsfähigkeit

Im Projekt Baltic Blue Biotechology Alliance geht es darum, neue Produkte aus dem Meer zur Marktreife zu bringen. Forschungsanstalten, Einrichtungen der Unternehmensförderung und Firmen haben ein Netzwerk von Experten aus allen Ostseeanrainerländern aufgebaut. Sie bieten Unternehmern mit Produktideen Zugang zu Analysetechniken, Forschungslaboren und Produzenten von Bioressourcen wie Algen, Bakterien und Muscheln. Seit kurzem kann man das erste Alliance-Produkt, eine biologisch produzierte Gesichts creme mit Inhaltsstoffen aus Rotalgen aus der Kieler Bucht, käuflich erwerben. Ohne das Netzwerk hätte die estnische Firma womöglich auf japanische Algen zurückgreifen müssen. Gerade kleine und mittlere europäische Unternehmen können von einem solchen Netzwerk direkt profitieren.

Derartige Interreg-Kooperation über die Grenzen hinweg stärkt den Zusammenhalt zwischen den Akteuren im Ostseeraum und damit den europäischen Gedanken. Gleichzeitig hilft sie den Regionen, ihre Wettbewerbsfähigkeit in globalisierten Märkten zu verbessern. Seit 2009 gibt es eine eigene EU-Entwicklungsstrategie für den Ostseeraum. Interreg Baltic Sea Region ist ein wichtiges Finanzierungsinstrument der EU-Ostseestrategie. Das Programm unterstützt nicht nur Projekte, sondern auch die Akteure der Ostseestrategie.

Aufgabe der gemeinsamen Verwaltungsbehörde

Was macht die IB.SH konkret? Die Aufgabe einer Verwaltungsbehörde ist es, das Programm gemäß den geltenden EU-Verordnungen inhaltlich, finanziell und innerhalb der vorgegebenen Fristen umzusetzen. Auftraggeber sind die beteiligten Programmstaaten, mit denen die IB.SH entsprechende Verträge abgeschlossen hat. Ihnen muss die Förderbank regelmäßig über die Umsetzung der Aufgabe berichten. Sie ist die einzige deutsche Förderbank mit einer derartigen Aufgabe.

Die IB.SH als Verwaltungsbehörde und Programmsekretariat bilden eine organisatorische Einheit. Das Sekretariat wurde im benachbarten und ebenfalls an die Ostsee grenzenden Bundesland Mecklenburg-Vorpommern in Rostock eingerichtet. Nach dem Beitritt der baltischen Staaten kam 2004 eine Zweigstelle in Riga/Lettland dazu. Im Rostocker Büro hat die Hälfte der fast dreißig Mitarbeiter einen nicht-deutschen Pass - gelebte kulturelle Vielfalt und Kooperation. Die Umgangssprache dort - wie auch die Programmsprache - ist Englisch.

Die Mitarbeiter im Programmsekretariat beraten und schulen ihre Kunden - Antragsteller und Projektträger aus allen Programmstaaten - zu inhaltlichen und finanziellen Fragen der Umsetzung, leisten Unterstützung bei den Rechnungsprüfungen und fördern die Medienarbeit sowie die Verbreitung der Projektergebnisse. Gleichzeitig leisten sie einen umfangreichen Service für die Auftraggeber, die beteiligten Länder, die über einen transnationalen Begleitausschuss über die Verteilung der Fördermittel entscheiden.

Auch der EU-Kommission gegenüber erstattet das Programmsekretariat mehrmals jährlich Bericht und ruft über diese auch die EU-Fördermittel ab - auf Basis einer umfangreichen Dokumentation über deren Verwendung und Prüfung auf mehreren Ebenen. Erst dann können die Fördermittel an die Projektpartner ausgezahlt werden.

Alle projektbezogenen Aufgaben sind digitalisiert und werden über ein eigens dafür entwickeltes Programm-Managementsystem abgebildet. Das Programmsekretariat ist auch für den Außenauftritt des Programms zuständig, betreibt die Programmwebseite (www.interreg-baltic.eu) und füttert die sozialen Medien. Der jeweils aktuelle Newsletter wird zurzeit an mehr als 10 000 Abonnenten verschickt.

Zukunftsweisende grenzüberschreitende Kooperationsprojekte

Mittel aus dem Programm Interreg Baltic Sea Region werden traditionell stark nachgefragt. Für jede Bewerbungsrunde berät das Programmsekretariat Hunderte von Antragstellern und wertet Dutzende eingegangene Anträge aus. Der Begleitausschuss wählt daraus die am besten geeigneten Anträge aus. Die IB.SH schließt mit dem federführenden Antragsteller einen Fördervertrag über durchschnittlich drei Millionen Euro ab. Die Förderquote beträgt je nach Herkunftsland zwischen 75 und 85 Prozent - die Projektpartner müssen also jeweils eine Kofinanzierung von 15 bis 25 Prozent leisten. Das Programmsekretariat begleitet jedes Projekt über bis zu drei Jahre, dokumentiert inhaltliche Fortschritte und prüft die Finanzberichte. Die Personal- und Sachkosten der IB.SH als Verwaltungsbehörde und Programmsekretariat werden über die technische Hilfe des Programms vollständig abgedeckt.

Bei zunehmendem Europa-Skeptizismus setzt Interreg zukunftsweisende Beispiele von erfolgreichen ostseeweiten oder grenzüberschreitenden Kooperationsprojekten. Miteinander mehr erreichen, für eine wirtschaftlich, ökologisch und sozial nachhaltige Entwicklung auch in diesem Teil Europas - dafür steht die Investitionsbank Schleswig-Holstein.

Erk Westermann-Lammers Vorsitzender des Vorstands, Investitionsbank Schleswig-Holstein (IB.SH), Kiel
Erk Westermann-Lammers , Vorsitzender des Vorstands , Investitionsbank Schleswig-Holstein (IB.SH), Kiel

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