Wirtschaftspolitik

Covid-19 als Auslöser eines säkularen Epochenwandels?!

Die Zuversicht, dass die Corona-Krise als enorme, aber vorübergehende und daher beherrschbare Ärgerlichkeit eingestuft werden dürfe, weicht allmählich einer grundsätzlicheren Langfristbesorgnis. An den Kursständen der Aktienmärkte ist das - noch - nicht direkt ablesbar. Nach historischen Höchstständen noch im Februar stürzten die Aktienindizes innerhalb eines Monats heftiger ab als während der Weltfinanzkrise von 2008/09. Danach sind sie, allerdings bei anhaltend hoher Volatilität, wieder kräftig gestiegen. Ist das Schlimmste also endlich vorbei oder kommt da noch ein dickes Ende nach?

Ein triftiges Urteil hierzu wird durch den Mangel historisch einschlägiger Präzedenzfälle erschwert. Auslöser der Krise war weder ein klassischer Konjunktureinbruch noch ein Kollaps der Finanzmärkte, sondern der politisch freiwillig oktroyierte Lockdown des normalen wirtschaftlichen und sozialen Lebens, um das anhaltende Funktionieren des Gesundheitswesens durch ein so herbeigeführtes Abflachen der Ansteckungswelle des Virus zu gewährleisten. Nach Produktionsausfällen wegen des Zusammenbrechens von just in time getakteten internationalen Lieferketten löste der Lockdown dann umgehend auch einen substanziellen Nachfrage-, beziehungsweise Absatzrückgang aus - mit den hieraus wiederum folgenden Finanzengpässen.

Finanzielle Engpässe machen ihrerseits das Finanzsystem verwundbar, das einen hohen Grad an Leverage aufweist. Das nunmehr wegen dieser Engpässe global in größtem Umfang stattfindende Downgrading von in den Kapitalmärkten platzierter Anleihen mit schon zuvor nur marginalem Investment-Grade-Rating geht einher mit einer Verschlechterung der Kreditportfolios bei den Banken. Die US Fed und die EZB haben gleichwohl unter den Vorzeichen der Krise beschlossen, auch "Junk"-Anleihen im Portfolio zu behalten und weiter zu kaufen. Auch die Konkursanmeldungspflicht wurde einstweilen ausgesetzt, um Firmen und Banken zu entlasten. Lediglich durch Zufuhr von Liquidität werden die infolgedessen weiter zunehmenden Problemlagen sicher nicht zu lösen sein. Das Risiko eines sogenannten Minsky Momentes, also des totalen financial meltdown, erscheint demnach nicht vollkommen abwegig.

Kritische Geister wie Fareed Zakaria, Francis Fukuyama oder Niall Ferguson wagen inzwischen bereits einen Blick auf die Welt nach Covid-19, anstatt bei dem Streit über die Geeignetheit oder Ungeeignetheit dieser oder jener gegenwärtigen Regierungsmaßnahme zu verweilen. Sie vermuten angesichts des unübersehbaren, sehr komplexen Schadenpotenzials die Möglichkeit eines grundsätzlichen Epochenwandels, wie er sich zuletzt mit dem Ersten Weltkrieg oder der Weltwirtschaftskrise zugetragen hat, mit entsprechenden politischen und sozialen Folgen. Da tun sich düstere Perspektiven auf - von der Aufgabe der westlichen Führungsposition durch die USA über den endgültigen Zerfall der EU oder zumindest des Euro, Verbreitung diktatorischer Überwachungspraktiken nach chinesischem Vorbild, eine neue Migrationswelle ungeahnten Ausmaßes, weitgehende Aufgabe der Bemühungen um Klima- und Naturschutz ..., um nur einige der negativen Facetten zu nennen.

Allerdings besteht trotz bemerkenswerter Einschätzungsunterschiede unter den Auguren auch Einigkeit zu zwei elementaren Aspekten. Erstens: Was kommen wird, stellt lediglich die Fortsetzung oder Beschleunigung bereits beobachtbarer, aber teilweise gegenläufiger Trends dar, also nichts fundamental Neues. Zweitens: Gerade aus der Widersprüchlichkeit beobachtbarer Trends darf geschlossen werden, dass es sich nicht um zwangsläufige Abläufe in eine bestimmte Richtung handelt. Gerade der Druck und die Herausforderungen der Corona-Krise lassen auch eine Wende zum Positiven, lang Erhofften und Angestrebten, bislang nicht Realisierbaren möglich erscheinen. Als wesentlich und ausschlaggebend hierfür können die Robustheit und Widerstandsfähigkeit vertrauenswürdiger demokratischer Institutionen (Verwaltung, Rechtsprechung) gelten und die Unverwüstlichkeit des kritischen, aber respektvollen öffentlichen Diskurses (Politik, Medien, Gesellschaft). Unter diesem Aspekt hat das EuGH-kritische Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Mai trotz inhaltlich im einzelnen nachvollziehbarer Bedenken zur Praxis der EZB-Anleihekäufe dem weiter konstruktiven Zusammenspiel der europäischen Institutionen einen Bärendienst erwiesen.

Michael Altenburg, Partner MAF Group, Luzern, Schweiz

Michael Altenburg , Luzern, Schweiz
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