Zentralbanken

Exit nur unter Schmerzen

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Die EZB hat den neuen Finanzstabilitätsbericht (FSB) veröffentlicht. Der Stabilität droht demnach von vielen Seiten Ungemach. Eine mögliche Ursache dafür liegt jedoch gar nicht in Europa, sondern in den USA. Die EZB zeigte sich besorgt über den jüngsten Anstieg der Benchmark-Renditen in den Vereinigten Staaten, der potenziell zu einer Anpassung der Finanzierungsbedingungen führen kann. Angesichts stark gestiegener Vermögenspreise und Verschuldungsquoten könnte das zu einem Problem werden. Man muss sich mal die Zahlen vor Augen führen. So hat sich beispielsweise der Dow Jones auf Fünfjahressicht beinahe verdoppelt.

Wenn man zu diesen Zahlen eine Statistik der Financial Industry Regulatory Authority (FINRA) hinzuzieht, erkennt man auch das Bedrohungspotenzial. In der sogenannten Margin Statistics der Behörde wird für April 2021 ein Rekordwert von 847 Milliarden US-Dollar Schuldensaldo auf den amerikanischen Wertpapierkonten ausgewiesen. Anders ausgedrückt: Die Amerikaner haben derzeit Wertpapiere im Volumen von 847 Milliarden US-Dollar kreditfinanziert gekauft. Hierzulande unvorstellbar, wird doch in der Regel als oberste Maxime gelehrt und gemahnt, niemals auf Kredit in Aktien zu investieren.

Wenn nun das "Schreckgespenst" steigender Zinsen wie derzeit durch die Märkte geistert, könnte das eine Kettenreaktion auslösen. Die ersten könnten aufgrund steigender Zinsen und dadurch verteuerter Wertpapierkredite verkaufen. Das lässt die Kurse sinken, weitere fangen an sich Sorgen zu machen, dass die Verkaufserlöse nicht mehr reichen könnten, die Kredite zu bedienen. Auch Margin Calls der Banken könnten dann die Masse zusätzlich ins Rutschen bringen. Ein circulus vitiosus könnte eintreten, der zu einem veritablen Crash führt. Das wiederum kann dann auch die Banken in den USA ins Wanken bringen, wenn Kredite im Volumen von derzeit annähernd 850 Milliarden US-Dollar in Gefahr sind. Das würde natürlich auch an den europäischen Finanzmärkten nicht spurlos vorübergehen. Zumal gleichzeitig, wie auch der Financial Stability Report betont, viele Nichtbanken davon hart getroffen werden könnten, da sie über "umfangreiche Risikopositionen gegenüber Unternehmen mit schwachen Fundamentaldaten" verfügen. Zwar sind laut dem FSB die Unternehmensinsolvenzen trotz Corona auf einem Rekordtief. Staatshilfen in allen Ländern der EU und Insovlenzsaussetzungsgesetze in einigen Ländern sei Dank. Aber nicht nur die EZB rechnet damit, dass mit dem allmählichen Wegfall der Hilfen - und dem Ende der Aussetzung der Insolvenzanzeigepflicht - die Zahl der Pleiten auf ein Niveau über dem vor der Krise ansteigen werde.

Es würde also eine große Belastungswelle auf die Banken zurollen, die laut FSB zwar derzeit noch stabile Aktiva haben, aber deren Ertragskraft - nicht zuletzt aufgrund der Geldpolitik der EZB - gering sei. Kein schönes Szenario also. Aber: Natürlich können sich auch die Notenbanken dieses Szenario ausmalen und selbstverständlich kennen diese auch die Zahlen. Vor diesem Hintergrund könnte man zudem vermuten, dass die erste zarte Andeutung Janet Yellens über eine Zinswende, die dann postwendend bei den ersten Stresssymptomen des Kapitalmarktes dementiert wurde, ein reiner Versuchsballon waren, um die Fieberkurve zu messen. Es deutet also weiterhin sehr wenig daraufhin, dass wir das "Schreckgespenst" Zinswende zu Gesicht bekommen. Auch in den USA. Wir sind gefangen im Fluch der Nullzinspolitik. Einen Exit gibt es nur unter großen Schmerzen. Daher dürfte die Bereitschaft dazu gering sein. Aber die Folgen werden immer schmerzhafter, je länger damit gewartet wird.

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