Plattformen

Freund oder Feind?

Mit den milliardenschweren Corona-Programmen haben viele Unternehmen den dringend benötigten Spielraum bekommen, um die unmittelbaren Folgen von Lockdowns zu überbrücken. Doch zum Aufatmen bleibt keine Zeit: Mehr denn je wird Liquidität zum entscheidenden Kriterium, um wieder mehr Fahrt aufnehmen zu können. Erschwerend kommt hinzu, dass strategische Lieferanten vor den gleichen Schwierigkeiten stehen. Denn Maßnahmen wie die Verlängerung von Zahlungszielen können insbesondere für kleinere Lieferanten schnell das Aus bedeuten. Für viele Unternehmen kann hier Supply Chain Finance, kurz SCF, Abhilfe schaffen. Richtig umgesetzt, können nämlich sowohl Lieferanten als auch die jeweiligen Abnehmer profitieren.

Möglich wird dies durch eine Finanzierung in Höhe des vereinbarten Kaufpreises, für die der Käufer sein im Vergleich zum Lieferanten meist besseres Rating nutzt. Der Lieferant erhält daraus sofort den abgezinsten Kaufpreis. Der Käufer wiederum zahlt am Ende im Rahmen der von ihm gewünschten Frist den vereinbarten Kaufpreis an die finanzierende Bank. So erreicht er die angestrebte Verbesserung seiner Finanzkennzahlen und weiß gleichzeitig seinen Lieferanten auf der liquiditätsmäßig sicheren Seite - eine klassische Win-win-Situation, weshalb die Relevanz von SCF im Verlauf der Pandemie durchaus weiter zunehmen dürfte.

Aufgesetzt und strukturiert wird SCF in Kooperation mit Plattformen unterschiedlicher Fintech-Unternehmen. Wo auch sonst? Bei den klassischen Finanzinstituten herrscht ja schließlich noch jede Menge Nachholbedarf an der Digitalisierungsfront! Die jungen Player können das also viel leichter abbilden. Da die Bindung an eine einzige bankeigene Plattformlösung zudem bedeuten würde, dass ein Unternehmen nicht so schnell auf Preis- oder Risikoänderungen reagieren kann, wünschen sich auch immer mehr Firmenkunden mittlerweile Plattform- anstatt Monobanklösungen, so die Studie "Innovation in Supply Chain Finance" des Beratungsunternehmens Aite-Novarica. Lediglich 14 Prozent würden eine reine Bankenlösung bevorzugen, während sich 42 Prozent für eine Plattformlösung aussprechen und 34 Prozent eine Kombination aus Bank und Plattform favorisieren.

Und trotz des zunehmenden Wunsches der Kunden zu mehr Unabhängigkeit und Wahlfreiheit soll aber natürlich der enge Draht im Sinne einer Geschäftsbeziehung zur Hausbank aufrechterhalten werden. Doch ist die Plattform eher ein Freund oder ein Feind für die Institute? Sobald ein Unternehmen tief in die Plattformwelt eingetaucht ist, sinkt die Wahrscheinlichkeit, für eine Monobanklösung zur Hausbank zurückzukehren, enorm. Insofern könnten viele Plattformen im Laufe der Zeit die Institute aus der für sie wichtigen Kundenbeziehung herausdrängen. Daher sollten die Fintech-Unternehmen als Anbieter dringend daran arbeiten, ihr Angebot bankenfreundlicher zu gestalten. Das Gute ist aber, dass viele Plattformen als Kandidaten zur Verfügung stehen und die Banken damit also eher die Qual der Wahl haben. Die Finanzinstitute können jetzt noch eine aktive Rolle bei den Entwicklungen spielen und mit beeinflussen, welche Plattformmodelle sich im Markt durchsetzen werden. Dann könnte man am Ende vermutlich doch eher von einem Freund sprechen.

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