Rechtsfragen

Negativzinsen nur individualrechtlich vereinbar

Das Landgericht Leipzig hat am 8. Juli 2021 im Rechtsstreit eines Verbraucherverbands gegen eine Sparkasse folgendes entschieden: Die Vereinbarung eines Verwahrentgelts ("Negativzins") für Guthaben ab 5 000,01 Euro in Neuverträgen und bei einem Kontomodellwechsel ist eine kontrollfreie, wirksame Preishauptabrede. Die Bank verstößt mit dieser Vereinbarung nicht gegen die AGB-rechtliche Norm des § 307 BGB, wenn sie individualvertraglich mit Neukunden oder im Falle eines Kontomodellwechsels mit Altkunden getroffen wird. Da die Sparkasse eine als "Anlage Verwahrentgelt zu Girokonto" bezeichnete, den Neukunden und bei einem Modellwechsel den Altkunden zur Unterschrift vorgelegte Zustimmungserklärung zu dem Verwahrentgelt verwendet, wies das LG die Klage ab. Nur in einem Nebenpunkt hatte diese Erfolg: Die Sparkasse darf das für Schüler, Studenten und Auszubildende angebotene Kontomodell nicht als "gebührenfrei" bewerben, wenn sie auch dafür das Verwahrentgelt erhebt (AZ 5 O 640/20 - ZIP 2021 S. 1533).

Mit dieser Entscheidung hat das LG Leipzig eigentlich "Eulen nach Athen" getragen und nur festgestellt, was ohnehin rechtlich gilt: Banken und Sparkassen - und nicht nur sie - dürfen Preise für ihre Leistungen grundsätzlich mit jedem Kunden frei vereinbaren, wenn auch dieser sich - als Verbraucher nach Aufklärung und im jeweiligen gesetzlichen Rahmen - frei entscheiden kann, zuzustimmen oder nicht. Dieses Prinzip gilt auch für einen als Verwahrentgelt kaschierten oder offen so bezeichneten Negativzins auf Geldeinlagen. In dem Rechtsstreit ging es daher primär um die Frage, ob die Sparkasse ihren Kunden einseitig etwa durch Aufnahme in die AGB eine Leistung auferlegen darf oder ob das den individuellen Konsens mit ihnen erfordert. Diese Frage konnte eigentlich nur im Sinne der zweiten Alternative entscheidbar sein.

Die Kritik und der Widerstand gegen die zuweilen als "Verwahrentgelt" umschriebenen Negativzinsen entzündet sich ja auch nicht primär an deren Vereinbarkeit mit dem Vertrags-, Verbraucher- und Wettbewerbsrecht. Sie betreffen auch nicht die Rechtsmeinung des LG Leipzig, es handele sich bei den Negativzinsen in Wahrheit um das Entgelt aufgrund eines unregelmäßigen Verwahrungsvertrags im Sinne des § 700 BGB, weil es nach dem gesetzlichen Leitbild des Darlehensrechts in § 488 BGB Negativzinsen gar nicht gebe; dieses Leitbild sehe den Zins nur als Faktor der "Kapitalvermehrung". Davon weicht ein negativer Zins aber diametral ab.

Die Diskussion um und die Kritik an den Negativzinsen, wie auch immer man sie rechtlich einordnen mag, betrifft vor allem eine ganz praktische Frage, die auch in dieser Zeitschrift schon gelegentlich angesprochen wurde: Ist den Einlegerkunden der Kreditinstitute zumutbar, dass ihr Institut ihnen das Vielfache der (so bezeichneten oder als Verwahrentgelt kaschierten) Negativzinsen abverlangt, die es selbst an die Europäische Zentralbank vergüten muss? Man darf nämlich davon ausgehen, dass die Kreditinstitute im Durchschnitt etwa nur 10 Prozent ihrer Kundeneinlagen als Mindestreserve (1 Prozent) und als Liquiditätsreserve parken. Ferner gilt, dass die 1-prozentige Mindestreserve sowie das 6-Fache hiervon von Negativzinsen frei sind. Im Ergebnis werden also die Kreditinstitute im Schnitt nur für 3 Prozent ihrer gesamten Kundeneinlagen mit 0,5 Prozent Negativzinsen belangt.

Bei Umlage auf nur die Hälfte ihrer Kundeneinlagen (wegen der Freibeträge) führt das zu der rechnerischen Belastung dieser Einlagen mit nur 0,03 Prozent Negativzinsen, also zu der vertretbaren geringen Gebühr von 30 Euro im Jahr pro 100 000 Euro Einlagenvolumen. Die Institute erheben dagegen auf diese Hälfte 0,5 Prozent Verwahrentgelte und erzielen damit das etwa 17-Fache ihres Eigenaufwands an Negativzinsen. Die mögliche Kritik von Kunden, dass somit der weit überwiegende Teil der ihnen für ihre Einlagen auferlegten Negativzinsen kein Ersatz des Eigenaufwands ihrer Bank oder Sparkasse sind, sondern deren Zinsüberschuss subventionieren, werden die Institute kaum unbeachtet lassen können. RA Dr. Claus Steiner, Wiesbaden

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