Rechtsfragen

Zahlen mit gefundener EC-Karte - strafbar?

Dr. Claus Steiner, Foto: privat

Verwendet jemand eine zum Beispiel auf der Straße gefundene, vom Inhaber verlorene Girocard zum Bezahlen eigener Einkäufe im Point-of-Sale-Verfahren mit Beträgen unterhalb der von der kartenausgebenden Bank für die PIN-Abfrage gesetzten Grenze, haben die Gerichte Probleme, diese Tat dem richtigen Strafgesetz zuzuordnen und eine Strafe zu verhängen. Das OLG Hamm hatte in einem Beschluss vom 7.4.2020 über diesen Tatbestand in letzter Instanz zu entscheiden. (AZ 4 RVs 12/20 - ZIP 2021, Heft 7, S. 342).

In erster Instanz verurteilte das Amtsgericht den Täter, der mit einer gefundenen fremden Girocard sofort vier Getränke- und Lebensmitteleinkäufe unter der PIN-Abfrage-Grenze von 25 Euro bezahlt hatte, wegen Computerbetrugs nach § 263a Abs.1 StGB zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe. Das Landgericht bestätigte in zweiter Instanz dieses Urteil, wertete die Tat aber abweichend vom Amtsgericht als Betrug im Sinne von § 263 StGB. Auf die Revision des Täters stellte das OLG - nun rechtskräftig - fest, dass dieser "keine natürliche Person über Tatsachen im Sinne des Betrugs nach § 263 StGB getäuscht" und also auch keine Fehlvorstellung bei einer getäuschten Person erregt habe. Auf der Suche nach dem anwendbaren Strafgesetz kam das OLG nach umfangreicher Fallanalyse zu dem Ergebnis, die Tat sei weder wegen Betrugs (§ 263 StGB) noch Computerbetrugs (§ 263a StGB), und auch nicht wegen Fälschung beweiserheblicher Daten gemäß §§ 269 Abs.1, 270 StGB strafbar. Sie müsse als eine "Urkundenunterdrückung" gemäß § 274 Abs. 1 Nr. 2 StGB gewertet werden. Die Strafe sei daher zu Recht verhängt worden, zumal der Täter eine zumindest laienhafte Vorstellung vom technischen Ablauf einer kontaktlosen Zahlung im POS-Verfahren gehabt habe.

Ist das übergroßer gerichtlicher Aufwand wegen eines Kleindelikts mit einem Schaden von weniger als 100 Euro? Allein der Umfang der etwa 500-zeiligen Urteilsbegründung des OLG zwingt zu der Frage, ob hier mit einer "Kanone auf einen Spatzen" geschossen wurde und ob die ohnehin überlasteten Gerichte mit der über drei Instanzen reichenden Fahndung nach dem "anwendbaren Paragrafen" nicht zu viel des Guten betrieben haben könnten.

Doch der rechtsstaatliche Grundsatz "nulla poena sine lege", in Deutsch: "Keine Strafe ohne Gesetz", ließ es für die Richter nicht zu, sich die Suche nach dem anwendbaren Gesetz einfacher zu machen. Schließlich sollte mit der Bestrafung des unehrlichen Girocard-Finders auch das präventive Signal an etwaige Nachahmer ausgehen, dass das Bezahlen mit einer gefundenen fremden Girocard keine kleine Ordnungswidrigkeit, sondern eine echte Straftat ist. Auch wenn es dabei nur um Kleinbeträge unterhalb der PIN-Abfrage-Grenze geht. Für den daran interessierten Leser sei hier der Wortlaut des § 274 Abs. 1 Ziff. 2 hinzugefügt: "Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, ... wer beweiserhebliche Daten (§202a Abs. 2), über die er nicht oder nicht ausschließlich verfügen darf, in der Absicht, einem anderen Nachteil zuzufügen, löscht, unterdrückt, unbrauchbar macht oder verändert.

Der nichtjuristische Leser sollte sich nicht grämen, wenn er bei der Suche nach dem Bindeglied zwischen Gesetzestext und abgeurteilter Tat gewisse Schwierigkeiten hat. Denn wie der vorliegende Fall zeigt, hatten auch richterliche "Profis" ihre Mühe damit. Schließlich waren drei Instanzen nötig, um den "zutreffenden" Gesetzestext für das Delikt des unehrlichen Girocard-Finders im Strafgesetzbuch zu finden!

RA Dr. Claus Steiner (Wiesbaden)

Dr. Claus Steiner , Rechtsanwalt, Wiesbaden
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