Redaktionsgespräch mit Hans Joachim Reinke

"Corona kam als schwarzer Schwan um die Ecke"

Hans Joachim Reinke, Foto: Union Investment

Neben bekannte Herausforderungen wie sich kontinuierlich verändernde Kundenbedürfnisse, die Digitalisierung, Regulatorik oder das anhaltende Niedrigzinsumfeld, die Banken dazu zu drängen neue Geschäftsmodelle entwickeln zu müssen, ist nun vollkommen unerwartet die Corona-Pandemie getreten, die das wirtschaftliche Umfeld beeinflusst. Historisch betrachtet sei die Auseinandersetzung mit Krisen jeglicher Art aber nichts Neues und so gehören sie quasi spätestens seit der Finanzkrise 2008/2009 zur Normalität für die Genossenschaftliche Finanzgruppe, so Hans Joachim Reinke. Er zieht Bilanz für die letzten zehn Jahre und blickt trotz der Pandemie zuversichtlich in die Zukunft, denn auch in Krisenzeiten könnten sich Chancen ergeben. Seine Erwartungen, wie sich die Institute zukünftig weiterentwickeln werden und wie sich dabei beispielsweise der Fondsvertrieb verändern wird, erläutert er im Redaktionsgespräch. (Red.)

Herr Reinke, herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum. Sie sind seit zehn Jahren Vorstandsvorsitzender der Union Asset Management. Das Umfeld hätte zwar besser sein können, aber wie fällt Ihre Zwischenbilanz aus?

Lieber Herr Otto, vielen Dank für die Glückwünsche. Was kann man über die letzten zehn Jahre zusammenfassend sagen? Seit dem Ausbruch der Finanzkrise sind krisenhafte Erscheinungen die Normalität geworden. Die Eurostaatenkrisen aufgrund der schnell steigenden staatlichen Verschuldung, besonders in Südeuropa, folgten als eine Konsequenz daraus auf dem Fuße. Die Ausnahmen bilden heutzutage die kurzen Zeiträume, in denen keine Krise besonders spürbar ist. Dennoch gibt es in allen Krisenzeiten nicht nur Herausforderungen, sondern auch Chancen. Und die haben wir als Union Investment in den letzten zehn Jahren genutzt. Dies wird deutlich an der Entwicklung unserer Marktstellung in unserem Heimatmarkt. Innerhalb der letzten zehn Jahre ist die Union Investment von Platz vier auf Platz zwei im deutschen Asset-Management-Markt aufgestiegen und hat dabei gemäß den BVI-Zahlen der gemanagten Assets in Deutschland 2012 erst die Deka und dann 2017 die DWS hinter sich gelassen.

Wie hat sich das Asset Management in den vergangenen zehn Jahren verändert und wie wird es sich in Zukunft weiterentwickeln müssen?

Ich erläutere Ihnen die Entwicklung gerne anhand unseres Hauses. Von unserer Gründung im Jahr 1956 an bis zur Jahrtausendwende waren wir ein auf Einzelprodukte fokussiertes Haus mit einem starken Gewicht auf Rentenfonds. Eine wichtige Innovation wurde bereits mit der Auflage unseres ersten Fonds, dem Uni Fonds am 12. April 1956 vollzogen. Seine Stücke wurden nämlich mit 50 D-Mark angeboten. Damit waren wir die ersten in Deutschland, die den breiten Bevölkerungsschichten einen Zugang zum Kapitalmarkt boten. Erst zur Jahrtausendwende wurden wir dann zum Vollsortimenter, indem wir Produkte für die wichtigsten Anlageklassen, also Aktien, Renten, Immobilien und Kasse anboten.

Im Jahr 2004 folgte die gezielte Strukturierung unserer Produkte nach Anlageformaten wie Publikumsfonds, Spezialfonds, Depotlösungen und Drittfonds. Eine wichtige Wende in unserer Vertriebspolitik stellt das Jahr 2006 dar. Seitdem steht die konsequente Kundenorientierung im Mittelpunkt unseres strategischen Denkens und Handelns. Es stehen nunmehr Lösungen und nicht Produkte im Vertriebsfokus. Wir positionierten uns als Risikomanager für institutionelle Kunden, als Lösungsanbieter für Privatkunden und verfolgten dabei den Investmentansatz unseres Portfoliomanagements als aktiver Asset-Manager. Diese Kundenorientierung untermauerten wir ab 2010 mit der nochmaligen Schärfung der Geschäftsfelder für unsere Privatkunden, bei denen es um die Themen Service, Beratung und Betreuung geht sowie für unsere institutionellen Kunden, seien sie Genokunden oder nicht im Inland und Ausland. Die jüngste Entwicklung in unserer Evolution ist die Einführung einer Fondsvermögensverwaltung, die unsere klassischen neben allen Anlageklassen und Anlageformaten im Fondsgeschäft ergänzt. In der Zukunft wird mehr denn je die Kundenorientierung das Maß aller Dinge sein. Gerade die jüngeren Generationen agieren pragmatisch zwischen analog und digital. Wenn sie nicht zu den zehn Prozent Selbstentscheidern gehören, informieren sie sich online und wollen dann das stationäre Beratungsgespräch. Die Informations- und Absatzkanäle verschwimmen zunehmend. Auch für diese Kundengruppen schaffen wir neue Angebote beziehungsweise haben wir bereits Angebote geschaffen.

Was sind die wesentlichen Treiber der Entwicklung, die Kunden oder das Umfeld wie Regulatorik, Zinsentwicklung und Digitalisierung?

Tatsächlich sind sie es alle. Das Niedrigzinsumfeld ist nun auch global durch Corona zementiert worden. Denn die Verschuldung der Staaten kennt nur einen Weg: nach oben. Daher werden die Zinsen auf Dauer sehr niedrig bleiben. Damit fällt das achte Weltwunder, der Zinseszins, weg. Das heißt aber auch, dass Kunden fast nur noch Rendite mit Anlagen in Sachwerten erzielen können, also Aktien und Immobilien. Da hat der Fonds einen klaren Vorteil gegenüber der Versicherung oder dem Bausparvertrag.

Die Regulierung wird uns weiter begleiten. Es wird kein Zurück in die alte Welt vor dem Ausbruch der Finanzmarktkrise geben. Gleichwohl müssen wir mit darauf achten, dass die Regulierungsmaßnahmen maß- und sinnvoll bleiben und unsere Kunden nicht belasten, sondern entlasten. Ein weiterer Treiber ist das Thema Nachhaltigkeit. Während es bis vor Kurzem vor allem vorrangig ein Thema unter institutionellen Kunden war, hat es nun auch im Privatkundengeschäft Fuß gefasst. Mittlerweile fließt bei uns jeder zweite neu angelegte Euro eines Privatkunden in nachhaltige Lösungen.

Welche Lehren sollte die Bankenaufsicht aus den Entwicklungen der vergangenen Monate ziehen?

Tatsächlich haben wir in den vergangenen Monaten erlebt, dass es für Wirtschaftsprüfer und Bankenaufsichten eine Herausforderung darstellt, kriminelles Vorgehen in Unternehmen zu erkennen. Dies gilt umso mehr, wenn ein Unternehmen seine internationale Aufstellung nutzt, um die Nachvollziehbarkeit seiner geschäftlichen Aktivitäten zu erschweren. Gleichwohl werden alle Beteiligten aus den zurückliegenden Entwicklungen ihre Lehren ziehen und Zahlen und Darstellungen von Unternehmen künftig kritischer prüfen. Ob Bankenaufsicht und Wirtschaftsprüfer dies bereits in der Vergangenheit intensiver hätten tun müssen, wird sich erst im Rahmen der Aufarbeitung der Entwicklungen der vergangenen Monate zeigen.

Und wie sieht es mit der Politik in Berlin und Brüssel aus: Was heißen die Erfahrungen für Projekte wie Kapitalmarktunion, Einlagensicherung, Finanztransaktionssteuer?

Natürlich ist eine vertiefte Kapitalmarktunion wünschenswert, da sie, wenn sie richtig ausgestaltet wird, zu besseren Finanzierungsmöglichkeiten, insbesondere von Klein- und mittelständischen Unternehmen führen würde. Als KVG sind wir Kapitalsammelstelle und erfüllen somit auch die volkswirtschaftliche Aufgabe eines Transmissionsriemens zwischen den vielen Kleinanlegern und dem Kapitalbedarf für große Investitionen, wie beispielsweise der Transformation hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft. Für uns steht dabei aber grundsätzlich immer der Anleger im Mittelpunkt. Hier liegt wie so oft der Teufel im Detail: So könnte eine wirkungsvolle Anpassung der Regeln des Kapitalmarktes wie zum Beispiel der Wertpapierrichtlinie MiFID II und der PRIIP-Verordnung ein Engagement der Anleger in Wertpapieranlagen und damit auch das Finanzierungspotenzial von Unternehmen über den Kapitalmarkt erhöhen.

Teilweise sind die jetzigen Regelungen inkonsistent, unverständlich oder überzogen beziehungsweise lassen keine hinreichende Differenzierung hinsichtlich der Kenntnisse und Erfahrungen des Anlegers zu. Dies sollte korrigiert werden. Dazu ist es erforderlich, dass die Gesetzgeber neben Unternehmen und Märkten auch Bürger und Investoren als ein insgesamt in Wechselwirkung stehendes und sich gegenseitig verstärkendes System verstehen. Die einen suchen Finanzierungsmöglichkeiten, die anderen stellen die Infrastruktur zur Verfügung, wieder andere fungieren als Sparer oder Investor. Union Investment hat über meinen Vorstandskollegen Alexander Schindler im High Level Forum der EU-Kommission zur Weiterentwicklung der Kapitalmarktunion mitgewirkt, das in dem im Juni 2020 veröffentlichten Bericht 17 Empfehlungen ausgesprochen hat. Nur eine ganzheitliche Betrachtung und differenzierte Ausrichtung der konkreten Maßnahmen kann zum Ziel führen.

Bei der Einlagensicherung sehen wir es wie der BVR: Es besteht eine große Uneinigkeit zwischen den EU-Mitgliedsländern, was das Vorhaben angeht, die Einlagensicherungen in Europa zu vergemeinschaften. Die notleidenden Kredite in einer Reihe von Ländern sind nach wie vor zu hoch und werden durch die Corona-Krise noch verstärkt. Auch ist das Insolvenzrecht in Europa für eine Bankenunion zu uneinheitlich. Das Vertrauen der Kunden deutscher Kreditinstitute würde durch eine mit EDIS erzwungene Transferunion unter Banken beschädigt. Funktionierende, nachweislich stabilisierende Sicherungssysteme wie die Institutssicherung der deutschen Genossenschaftsbanken würden geschwächt. Das kann nicht im Sinne eines Europas sein, dessen starke Gemeinschaft auf Eigenverantwortung und Vielfalt aufgebaut ist.

Den Diskurs um eine europäische Finanztransaktionssteuer, kurz FTT, und deren Ausgestaltung gibt es ja bereits seit September 2013. Im Laufe der Zeit haben sich die beteiligten Mitgliedstaaten jedoch immer weiter vom Ursprungsgedanken entfernt. Wo die ursprüngliche Idee einer FTT einst das Risiko-Arbitrage-Verhalten von Hochfrequenzhändler eindämmen sollte, dient nun offenkundig der Kleinanleger als Steigbügelhalter. Das sind weder gute Vorzeichen in die Legitimation eines solchen Vorhabens, noch ein sinnvoller Beitrag in die Realisierung einer europaweiten Kapitalmarktunion. Hier geht es schließlich darum, Anleger für den Kapitalmarkt zu gewinnen und nicht abzuschrecken. In der Summe bleibt es daher bei unserer bereits mehrfach kommunizierten Auffassung: Im Sinne einer politisch gewollten, ausgewogenen privaten Vermögensbildung wirkt eine FTT als eine Art "Börsenumsatzsteuer" absolut kontraproduktiv. Wir lehnen eine FTT daher ab.

Wenn es etwas Positives an der Corona-Pandemie gibt, ist es sicherlich der Schub für die Digitalisierung: Was heißt das für die Union. Wie stellt sich ihr Haus darauf ein?

Zuerst einmal haben wir schon vor Jahren die meisten Mitarbeiter mit Laptops und viele mit iPhones ausgestattet. Mobiles Arbeiten ist Teil unserer Unternehmenskultur. So haben wir schon länger eine Betriebsvereinbarung, die es für jeden Kollegen ermöglicht, bis zu acht Tage pro Monat mobil außerhalb des Büros zu arbeiten. Insofern lief die Umstellung zu Beginn des Lockdown im März schnell und reibungslos. In diesem Sondergeschäftsbetrieb waren nur zehn Prozent aller Mitarbeiter im Büro - alle anderen arbeiteten mobil von zu Hause. Langsam kehrt aber schrittweise wieder etwas Normalität zurück. Natürlich spielte die Digitalisierung schon vor Corona eine große Rolle für uns. Sie beschleunigt sich nun nicht nur im Bereich der neuen Arbeitsplatzkonzepte. Wir werden auch in unserem Kundengeschäft unsere Omnikanalfähigkeit weiter ausbauen. Im Grunde ist die Digitalisierung eine bekannte Herausforderung, die in der Asset-Management-Branche nicht so disruptiv wirken dürfte, wie in anderen Branchen. Denn die Digitalisierung ist nur ein neues Wort für Prozesse, die schon in den siebziger Jahren anfingen. In der Bankenwelt begann dies mit der Einführung elektronischer Konten und dem Einsatz von PC's. Neu ist die Ausweitung dieser Prozesse auf die Schnittstelle mit den Kunden. Dabei handelt der Kunde weder nur digital, noch nur analog. Informationen im Internet folgt oft die Beratung in der Bank. Daher verfolgt auch Union Investment eine hybride Strategie. Wir unterstützen unverändert die Beratung in den Filialen der Genossenschaftsbanken, arbeiten aber gleichzeitig an digitalen Strategien. So haben wir schon frühzeitig mit einem eigenen Robo Advisor Visual Vest als Forschungslabor gestartet und haben die daraus gewonnenen Erkenntnisse mittels Mein Invest bei unseren Partnerbanken verankert.

Wie haben Sie die vergangene Monate erlebt und gemanagt: Geht Fondsvertrieb auch rein digital oder sind persönliche Kontakte nach wie vor wichtig?

Nein, der Fondsvertrieb ging bei der überwiegenden Zahl der Kunden vorher nicht rein digital und so wird es auch auf Dauer nicht sein. Das Gleiche stellen wir im Austausch mit den Banken fest. Wir leben in einem Peoples-Business, in dem den persönlichen Kontakten, zum Beispiel zwischen Berater und Kunde oder zwischen mir und einem Bankvorstand, eine entscheidende Rolle zukommt. Tatsächlich wird es zukünftig allerdings mehr hybride Wege des Kontakts geben. Nicht jedes Gespräch muss in der Filiale stattfinden, nicht jede Dienstreise muss angetreten werden. Manchmal reicht auch eine Videoberatung oder eine Web-Konferenz.

Wie ließe sich die Digitalisierung in die Vertriebsaufstellung der Union, die eng mit den Volks- und Raiffeisenbanken verbunden ist, einbinden? Würde das bewährte Strukturen und Partnerschaften infrage stellen?

Wie bereits erwähnt, findet die Einbindung mit digitalen Beratungsstrecken der jeweiligen Partnerbanken bereits statt. Wir orientieren uns hier ganz klar an den Anforderungen unserer Kunden und Partner. Es bleibt daher bei einer omnikanalen Haltung und einer engen Zusammenarbeit und Partnerschaft mit den Genossenschaftsbanken.

Wer sind Ihre Wettbewerber heute und welche sind es morgen?

Das muss man differenziert betrachten. Im institutionellen Kundengeschäft müssen wir zum einen zwischen Geno und Non-Geno-Geschäft unterscheiden. Erstes beinhaltet hauptsächlich das Depot-A-Geschäft der mit uns partnerschaftlich verbundenen Genossenschaftsbanken. Da sind wir oft erster Ansprechpartner, daher ist dieses Segment für uns weniger wettbewerbsintensiv. Dagegen ist natürlich im Non-Geno-Geschäft jeder andere Asset Manager unser natürlicher Wettbewerber.

Im Privatkundengeschäft, das wir in Deutschland ausschließlich über die Banken der Genossenschaftlichen Finanzgruppe betreiben, sind es einerseits auch andere Asset Manager, wobei wir mit unseren Leistungen die Loyalität innerhalb der genossenschaftlichen Gruppe insbesondere in den letzten Jahren deutlich festigen konnten. Eine andere Dimension ist der gruppeninterne Wettbewerb um die Zeit des Beraters. Hier befinden wir uns immer wieder einmal mit unseren Schwestergesellschaften in einer interessanten Situation. Denn einerseits betreiben wir viel gemeinsames Geschäft, andererseits konkurrieren wir manchmal am "Point of Sale". Denn letztlich kommt es auf den Bankberater an, ob er für seinen jeweiligen Kunden die optimale Lösung für dessen Bedürfnisse in der Anlage in einem Bausparvertrag, einer Versicherung oder einem Fonds sieht und ihm dieses vorschlagen wird.

Erwarten Sie eine Konsolidierung unter Asset Managern? Wie würde Ihr Haus einen solchen Prozess begleiten, aktiv oder passiv?

Eine Konsolidierung können wir seit Jahren in einzelnen Fällen beobachten, aber eine große Welle, die so oft angekündigt wurde, gab es bislang noch nicht. Wir schauen uns unabhängig von Marktphasen regelmäßig Offerten an. Damit wir uns für ein anorganisches Wachstum entscheiden würden, müssten aber folgende Faktoren gegeben sein: Das Unternehmen muss bezüglich der Produktstärke oder des regionalen Marktschwerpunkts eine Ergänzung zu Union Investment darstellen, die in unsere Strategie passt. Des Weiteren müsste es profitabel und zu einem vernünftigen Preis erwerbbar sein. Und zu guter Letzt - und daran scheitern die meisten realisierten Übernahmen, die man am Markt beobachten konnte - müsste das Unternehmen zu unserer Kultur passen.

Wie sollte man das Ergebnis der Union in den ersten sechs Monaten fairerweise werten?

Unterm Strich können wir trotz der Corona-Krise zufrieden sein. Mit einem Nettoabsatz von 4,3 Milliarden Euro lagen wir zwar rund 50 Prozent unter dem Vorjahresniveau. Dies kam aber fast ausschließlich durch wenige größere Abflüsse im institutionellen Geschäft zustande. Das Privatkundengeschäft hingegen war fast genauso stark wie im Jahr zuvor.

Hat Sie die große Zurückhaltung der institutionellen Investoren überrascht?

Das Geschäft mit den institutionellen Kunden lief eigentlich zu Jahresbeginn gar nicht schlecht an. Im März wurden jedoch wenige, aber große Mandate zurückgezogen, da einige große Adressen Liquidität benötigten. Im zweiten Halbjahr sieht es unterm Strich bislang besser aus.

Was sind für Sie die wesentlichen Erkenntnisse aus den vergangenen Monaten? Was sind die Folgen von all dem für das Geschäft und das betriebswirtschaftliche Ergebnis der Union?

Die Corona-Krise hat natürlich Spuren in den Zahlen hinterlassen. Über das Betriebsergebnis berichten wir immer nur einmal jährlich auf unserer Jahrespressekonferenz im Februar. Ich bin aber Stand heute sehr zuversichtlich, dass wir auch für das Jahr 2020 ein sehr ordentliches Betriebsergebnis vorlegen werden, dass sich sehen lassen kann.

Wie wird sich die Corona-Pandemie auf das Sparverhalten der Bürger auswirken?

Insbesondere Fondssparer haben in der Corona-Krise besonnen gehandelt und auf die Langfristorientierung ihrer Fondsanlage vertraut. Dieses Verhalten hebt sich positiv von den kräftigen Abverkäufen in früheren Krisensituationen wie dem Beginn der Finanzkrise ab. Es ist kein Angstsparen zu beobachten, sondern die Kunden legen ihre Gelder zumindest bei uns in die attraktiven Anlageklassen wie Aktien und Immobilien an. Und dies geschieht vor allem in Form von Fondssparplänen. So haben unsere Kunden im ersten Halbjahr 232 000 neue Fondssparpläne abgeschlossen und damit weit mehr als im Vorjahreszeitraum, als es 183 000 waren.

Befürchten Sie einem Dämpfer für das zarte Pflänzchen Aktienkultur durch die große Volatilität?

Das glaube ich nicht. Die Anleger machen sich mit Aktienfondssparplänen diese Volatilität sogar zunutze. Auch der Skandal um Wirecard hat der Aktienkultur offenbar nicht geschadet. Das liegt wohl auch daran, dass Wirecard nie eine Volksaktie war und somit keinen Schaden anrichten konnte wie einst die Deutsche Telekom um die Jahrtausendwende.

Bei der Bilanzpressekonferenz im Frühjahr sprachen Sie noch von einem kommenden "Jahrzehnt der Genossenschaften". Würden Sie das heute mit den Erfahrungen der vergangenen Monate immer noch tun?

Ich hatte gesagt: "Die vergangenen zehn Jahre waren die Dekade der Genossenschaften und des genossenschaftlichen Fondsgeschäfts, warum nicht auch die nächste?" Das neue Jahrzehnt ist ja erst ein dreiviertel Jahr alt und Corona kam als schwarzer Schwan um die Ecke. Ich bin fest davon überzeugt, dass in einer Zeit, wo der Ruf nach dem starken Staat zwar immer lauter wird, er jedoch immer weniger zu leisten vermag, die genossenschaftlichen Werte mehr denn je eine Renaissance erfahren werden.

Welche Lehren lassen sich aus den Krisenerfahrungen für den laufenden Strategieprozess der Genossenschaftlichen Finanzgruppe ziehen?

In Zeiten sozialer Distanz ist die Genossenschaftliche Finanzgruppe noch enger zusammengerückt. Wichtig ist es, den Blick auf das Kommende zu richten. Entwicklungen wie die dauerhaft niedrigen Zinsen, die demografischen Verschiebungen, die Digitalisierung oder die Nachhaltigkeit sind Themen, die Kunden wie Banken beschäftigen. Der Druck zu handeln wird größer. Das findet auch Eingang in die Strategiearbeit in der Genossenschaftlichen Finanzgruppe.

Und was haben Sie sich persönlich für ein weiteres Jahrzehnt an der Spitze der Union vorgenommen?

(Lacht). Also erst einmal läuft mein aktueller Vertrag bis 2023. Über meine weitere Zukunft habe ich noch nicht entschieden. Aber Sie kennen mich gut genug, um zu wissen, dass ich in der verbleibenden Zeit für meine Union noch einiges bewegen möchte. Wir müssen vor allem weiterhin zukunftsfähig aufgestellt bleiben. Das bedeutet, in einem stetigen Prozess Wachstumsfelder zu eruieren und in sie zu investieren, dabei die Kosten immer im Blick und unter Kontrolle zu halten und das zu pflegen, was uns so einzigartig in der Asset-Management-Branche macht - unsere Kultur. Denn wir stellen fest: Eine eigene Kultur ist in der Lage, auch eine eigene Konjunktur zu schaffen.

Hans Joachim Reinke Vorsitzender des Vorstands, Union Investment, Frankfurt am Main
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