Redaktionsgespräch mit Milena Rottensteiner

"Insurtechs sind eine interessante Inspirationsquelle für uns"

Milena Rottensteiner, Foto: Star Finanz Hamburg

Aufgrund der zunehmenden Digitalisierung und sich kontinuierlich verändernden Kundenbedürfnissen müssen Banken und Versicherer ihre Geschäftsmodelle überprüfen sowie neue Lösungen und Zugangswege zu ihren Kunden finden. Allerdings können die etablierten Institute wegen der hohen regulatorischen Anforderungen an die Häuser meist nicht so schnell agieren, wie das beispielsweise ein Start-up-Unternehmen zu tun pflegt. Doch von den jungen Playern wie Fintechs oder Insurtechs geht trotz der enormen Flexibilität, die es ihnen ermöglicht schnell auf den Kunden zugeschnittene Produkte zu entwickeln, keine sonderlich große Gefahr für die etablierten Institute aus, so die Autorin. Vielmehr würden die meisten jungen Unternehmen den Partnering-Ansatz verfolgen und dadurch eine interessante Inspirationsquelle darstellen. Anders sehe es bei Bigtechs aus, die bereits Zugang zu Kundendaten und Kundengruppen haben und den Markt mit ihren Services schnell verändern könnten. (Red.)

Frau Rottensteiner, ist das klassische Geschäftsmodell von Banken und Versicherern weiterhin disruptiven Umbrüchen unterworfen? Was muss hier aus Ihrer Sicht passieren?

Bisher beobachten wir tatsächlich wenig Disruption. Die große Angst zu Beginn der Fintech-Welle hat sich also nicht bewahrheitet. Stattdessen sehen wir eher evolutionäre Veränderungen. Start-ups sind zwar ein wichtiger Treiber und zeigen neue Wege in der Kundeninteraktion und -ansprache auf, grundlegende (Produkt-)Disruptionen beobachten wir jedoch nicht. Gleiches bei Neobanken und -versicherern. Diese sammeln zwar eifrig Kunden, finanziert wird das Wachstum allerdings nicht aus dem laufenden Geschäftsmodell, sondern mit reichlich vorhandenen Investorengeldern. Eine gewisse Bedrohung geht von den Bigtechs aus, die ihre Kundendaten perfekt zu nutzen wissen und bereits Zugang zu vielen Kundengruppen, insbesondere den jüngeren, haben. Sie wagen immer wieder Vorstöße in die Finanzbranche und mit einer ernsthaften und durchgängigen Initiative könnten sie den Markt schnell verändern, weil sie ihre Services einfacher, individuell zugeschnitten und intuitiver anbieten. Ein wichtiger technologischer Treiber dafür sind API-basierte Banking-as-a-Service-Angebote, die es auch bankfremden Playern ermöglichen, Banking-Produkte anzubieten.

Darüber hinaus sollten Banken und Versicherer auch die gesellschaftliche Diskussion rund um Themen wie Diversität und Individualität berücksichtigen. Produkte und Konzepte zur Kundenansprache werden immer "nischiger". Viele Unternehmen bieten ihren Kunden eine breite Palette von mehr oder weniger standardisierten Dienstleistungen an, in Zukunft werden aber spezifische Leistungen und Services, die auf die besonderen Bedürfnisse und Wünsche der jeweiligen Kundengruppe ausgerichtet sind, erfolgsentscheidend sein, Stichwort: Vertical Banking. Banken und Versicherer stehen damit vor der Herausforderung, ihre jeweiligen Zielgruppen mit einer entsprechenden Marke sowie einem passenden Wertversprechen und Produkt zu adressieren.

Was heißt das konkret für die S-Finanzgruppe? Welche Rolle spielt der S-Hub bei der Suche nach zukünftigen besseren Lösungen?

Die digitale Transformation vorantreiben und ein einfaches und individuelles Kundenerlebnis vor allem für junge Kunden schaffen, um den Anschluss nicht zu verlieren. Da passiert in der Sparkassen-Finanzgruppe schon eine ganze Menge, es gibt teilweise jedoch noch Potenzial, Kräfte stärker zu bündeln und schnelle Umsetzungswege für Innovationen zu stärken. Wir entwickeln und gestalten im S-Hub Lösungsansätze für Kundenprobleme sowie als Antwort auf grundlegende Trends und Marktveränderungen. Um diesen Innovationsprozess zu beschleunigen, bringen wir Experten der Sparkassen-Finanzgruppe, Fintechs und kundenzentrierte Methoden zusammen.

Welche Rolle werden Fintechs und Insurtechs künftig für Banken und Sparkassen spielen, die des Konkurrenten, die des Partners, die des Akquisitionsobjektes oder alle drei?

Aus unserer Sicht dominiert der Partnering-Ansatz. Alles, was die Interaktion und Kommunikation sowie Prozessdigitalisierung betrifft, können wir durch gezielte Kollaboration mit Start-ups verbessern. Das ist für uns auch ein Lernprozess.

Etablierte Banken werden aufgrund des höheren Reputationsrisikos selten so schnell wie ein Start-up reagieren können. Daher geht es mehr darum, die Entwicklungen und aufkommenden neuen Modelle auch weiterhin kontinuierlich im Auge zu behalten und im jeweiligen Fall zu evaluieren, welche Rolle wir einnehmen sollten. Mithilfe unseres API-Portals können wir aber bereits Partnering-Ansätze technisch ermöglichen. Dies schließt auch Fintechs und Insurtechs, die mit Sparkassen kooperieren, ein. Entlang der Geschäftsstrategien der Sparkassen-Finanzgruppe können wir ihnen einen kuratierten Zugang zu den strategischen Vertriebsanwendungen der Sparkasse ermöglichen.

Wo haben Sie in Ihrem ersten Jahr als Leiterin des S-Hub schon etwas bewegen können, wo wären Sie gerne weitergekommen?

Wir haben uns mit wichtigen Zielgruppen, wie zum Beispiel der Generation Z und Frauen, also Female Finance, intensiv beschäftigt und konnten Antworten liefern. Wir haben Themen in die Umsetzung übergeben, vielfältige Diskussionen angestoßen und generell die Offenheit für wichtige Digitalisierungsthemen erhöht. Auch das gemeinsame Arbeiten an eben diesen Themen haben wir mehr in den Fokus gerückt. Wir hätten gerne noch mehr Antworten direkt bis zum Kunden gebracht, das ist aber der "normale Tageskampf" eines Innovation-Hubs. Generell erleben wir großen Zuspruch und Nachfrage von den Sparkassen, insbesondere was unsere Einbringung in die nutzerzentrierte Entwicklung betrifft.

Wie fällt Ihr Fazit mit Blick auf Corona aus? Einerseits beflügelt es den technologischen Fortschritt in der Finanzbranche, andererseits sind viele Mitarbeiter im Homeoffice, was die Kreativität sicherlich nicht unbedingt fördert. Was würden Sie sich wünschen?

Die Digitalisierung hat die Offenheit für Homeoffice beflügelt und viele unserer Mitarbeiter, und da zähle ich mich auch dazu, wollen gar nicht mehr zu 100 Prozent zurück ins Office. Gleichzeitig bleibt das Gespräch an der Kaffeemaschine aus und mit dieser informellen Interaktion fehlt leider auch das Gefühl füreinander. Derzeit entscheiden unsere Teams autark, welche Meetings sie remote oder vor Ort durchführen. Der Impuls, Team-Planungen und Workshops wieder vor Ort durchzuführen, ist groß. Ich bin sicher, dass wir am Ende eine gesunde Mischung finden. Wo wir auch noch Lösungsansätze suchen, ist bei der erfolgreichen Durchführung von Hybrid-Meetings. Zwar haben unsere jährlichen Innovation Days als Hybrid-Event sehr gut funktioniert, aber im Arbeitsalltag gibt es noch die ein oder andere Herausforderung. Deswegen werden wir dieses Jahr weiter mit unterstützender Technologie experimentieren, um Hybrid-Meetings besser durchführen zu können.

Die Sparkassen stehen mit Blick auf das derzeit anspruchsvolle Umfeld unter einem wachsenden Ertragsdruck. Inwieweit kann hierbei die Zusammenarbeit mit Versicherungen und auch Prop- und Insurtechs neue Impulse geben?

Provisionserträge durch den Versicherungsvertrieb sind ein wichtiger Hebel und das ist auch kein Geheimnis. Wir sind natürlich auf der Suche nach Ansätzen zu einem erweiterten Leistungsportfolio und neuen Lösungen, die auch neue Ertragsquellen aufzeigen. Insurtechs sind oft interessante Inspirationsquellen für uns.

Auch der Bereich Proptech und das Thema Immobilien bieten viele Chancen für Zusatzerträge. Die Sparkassen sind in der Baufinanzierung sehr gut aufgestellt und wollen ihre Kunden in Zukunft auch nach dem Immobilienerwerb begleiten. Hier sind Kollaborationen mit Proptechs eine Möglichkeit, den eigenen Kunden Mehrwerte anzubieten und gleichzeitig Zusatzerträge zu generieren.

Gewinnt dadurch der Vertrieb von Versicherungsprodukten über Sparkassen aus Ihrer Sicht künftig noch stärker an Bedeutung?

Grundsätzlich ja, denn es geht um ein integriertes, einfaches und vollständiges Finanzerlebnis. Die Grenze zwischen Bank und Versicherung verschwimmt in der Wahrnehmung des Endkunden und des Beraters. Alles sollte aus einer Hand und abgestimmt auf die finanzielle Lebenssituation des Kunden geregelt werden können. Darauf müssen wir hinarbeiten.

Laut einer Studie würden Versicherer beim Thema Bancassurance ihre Fähigkeit als Kooperationspartner überschätzen und Banken Vertriebspotenziale links liegen lassen. Wie stellt sich das bei den Sparkassen dar?

Auch hier bietet die Digitalisierung Chancen: Der Versicherungsvertrieb muss nicht zwingend über den Bankschalter erfolgen. Das Thema Bancassurance ist nicht neu und es gibt viel Potenzial. Allerdings sehen wir mehrere Trends zusammenkommen, die sich gegenseitig befeuern: Die Möglichkeit, durch KI-Algorithmen Vertriebsimpulse zu identifizieren, der immer umfangreichere digitale Fußabdruck eines jeden Kunden als Grundlage sowie nicht zuletzt die veränderte Mentalität junger Kunden, die eine personalisierte Ansprache als Mehrwert verstehen und deutlich weniger Datenschutzbedenken haben. All dies wird das Thema meiner Einschätzung nach treiben. In der Sparkassen-Finanzgruppe passiert schon eine ganze Menge, doch die Verknüpfung mit digitalen Angeboten können wir sicher in Zukunft noch ausbauen und dadurch gemeinsam mehr gewinnen.

Kunden erwarten neben Standardisierung immer mehr Individualisierung, gleichzeitig bestmöglichen Service rund um die Uhr, perfekte Prozesse und günstige Preise. Passt das zusammen? Inwieweit wird sich dies auf das Produktangebot und die Kundenansprache auswirken?

Das ist der Spagat, an dem wir alle arbeiten. Wir möchten unseren digitalaffinen Kunden rund um die Uhr verfügbare digitale Services zur Verfügung stellen und gleichzeitig persönliche Beratung anbieten, wo die Kunden es brauchen. Das optimale Verhältnis verschiebt sich hier kontinuierlich und ist stärkstes Symptom der fortschreitenden Digitalisierung in allen Branchen. Sparkassen haben eine unheimliche regionale Stärke, die muss aber nicht so persönlich bleiben, wie sie es gerade ist, sondern kann auch digital gelebt werden. Ein lokal angepasstes, umfassendes digitales Angebot lautet das Credo der nächsten Jahre. Für herausragende Services und Angebote besteht dann durchaus auch Zahlungsbereitschaft, was wir zuletzt in unserer Befragung von Generation-Z-Kunden gesehen haben.

Könnten PSD2 und bessere technologische Anbindungen dazu beitragen, dass Banken den Absatz von Versicherungsprodukten steigern können?

Grundsätzlich galt PSD2 hier als eine der wichtigsten Veränderungen, die uns den Weg geebnet haben. Denn das Auslesen, Analysieren und Anreichern von Kontoumsätzen ermöglicht es, einzelne vertriebliche Signale, die wir Life Changing Moments nennen, Risikosignale und Kundencharakteristika bis hin zur finanziellen Situation zu erkennen.

In zahlreichen Lösungsansätzen und Sprints mussten wir allerdings feststellen, dass die Bereitschaft der deutschen Kunden, Einsicht in ihre Kontotransaktionen zu geben, um besseren Service oder ein passgenaues Angebot zu erhalten, noch sehr begrenzt ist. Wir brauchen also sehr klare und überzeugende Mehrwerte für den Kunden, um Kontotransaktionsdaten aus Versicherungssicht besser nutzen zu können.

Man hört immer wieder von Plattformen beziehungsweise Ökosystemen, KI und dergleichen. Ist das etwas, was deutsche Banken und Versicherer heute schon können oder ist der Markt davon noch ein Stück entfernt?

Das sind zwei Buzzwords, die für mich einerseits etwas abgenutzt sind und andererseits für zwei der wichtigsten Fragen stehen, mit denen wir uns beschäftigen. Für Ökosysteme ist dies die Frage: Wie ist Finanzdienstleistung nahtlos in die Lebensrealität der Kunden zu integrieren und welche Rolle besetzen die Sparkassen hier? Und für Künstliche Intelligenz: Wie können digitale Prozesse besser und intelligenter werden, um Kunden ein hohes individualisiertes Servicelevel zu bieten, ohne die Prozesse komplexer zu machen? Das sind Kernfragen, an denen wir kontinuierlich arbeiten. Es gibt bereits viele gute Ansätze. Zuletzt haben wir zum Beispiel mit dem Gewinner unseres digitalen Hackathons einen Ansatz entwickelt, um die Vergabe von Firmenkrediten auf Basis von Künstlicher Intelligenz zu vereinfachen. Mit regionalen Ökosystemen haben wir uns im digitalen Magazin des S-Hubs befasst. Es gibt noch viel zu tun, aber das gilt wohl für jedes Unternehmen, das sich Digitalisierung auf die Fahnen geschrieben hat.

Milena Rottensteiner , Leiterin , Sparkassen Innovation Hub (Star Finanz-Software Entwicklung und Vertriebs GmbH), Hamburg
Noch keine Bewertungen vorhanden


X