Redaktionsgespräch mit Peter Reitz

"Wir sind ein Wegbereiter der Energiewende"

Peter Reitz, Foto: EEX AG

Die European Energy Exchange ist eng verwoben mit dem Thema Klimawandel. Das Kerngeschäft der Gruppe, der Stromhandel, spielt eine wichtige Rolle bei der Aufnahme regenerativ erzeugtem Stroms und hilft auch dabei, neue Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien erfolgreich zu machen. Aber auch bei der Vermeidung von CO2 spielt die Tochter der Deutschen Börse eine wichtige Rolle mit ihrer Plattform zum Handel von Emissionszertifikaten. In diesem Instrument sieht Reitz den effizientesten Weg, den CO 2 -Ausstoß im gewünschten Ausmaß zu reduzieren. Allerdings weist er darauf hin, dass bislang der weitaus geringste Teil des globalen CO2 -Ausstoßes über den Zertifikatehandel abgedeckt ist. Hier schlummert also noch großes Potenzial für den Commodity-Arm der Deutschen Börse. Doch nicht nur da erkennt er noch viel Potenzial für sein Unternehmen. In der regionalen Ausdehnung und der weiteren Gewinnung von Volumen aus dem außerbörslichen Handel sieht Reitz die Basis, die EEX zur global führenden Commodity-Börse zu machen. (Red.)

Herr Reitz, die European Energy Exchange ist eine Tochtergesellschaft der Deutschen Börse, aber im Detail vielleicht nicht allen Lesern bekannt. Können Sie zunächst einmal einen kurzen Überblick über Ihr Unternehmen geben? Welche Geschäftsfelder gibt es und welches sind die Kerngeschäftsfelder?

Die Deutsche Börse ist Mehrheitsaktionär bei der EEX und organisiert in der EEX-Gruppe ihr gesamtes Commodity-Geschäft. Die EEX-Group ist somit der Commodity-Arm der Deutschen Börse. Wir sind inzwischen global aufgestellt, das heißt, zur EEX-Group gehören eine Börse in Singapur und eine Börse in den USA sowie natürlich all unserer Aktivitäten hier in Europa, die sich dann noch -mal auf verschiedene Gesellschaften und Standorte verteilen. Schwerpunkt der Aktivitäten ist der Energiemarkt. Auf diesem Markt bieten wir sowohl den Handel als auch das Clearing an. Zur EEX-Gruppe gehört mit der European Commodity Clearing (ECC) auch ein Clearing-Haus hier in Europa. Auch in den USA haben wir mit Nodal Clear, neben der Nodal Exchange, auch ein Clearing-Haus.

Neben dem Energiehandel haben wir aber auch noch andere Aktivitäten im Commodity-Bereich dazugenommen, wie den Handel mit CO2-Emissionszertifikaten, Frachtmärkte bis hin zu Agrarprodukten, die man auch bei uns handeln kann. Die größten Geschäftsfelder sind bei uns aber ganz klar der Stromhandel - wobei wir hier nochmal unterscheiden zwischen dem sehr kurzfristigen Stromhandel auf dem sogenannten Spot-Markt und dem langfristigen Absicherungsmarkt, also dem Derivatehandel - und das Gassegment. Das sind die beiden Hauptprodukte, wobei wir uns auch regional mittlerweile sehr breit aufstellen. Zum Beispiel im Stromterminmarkt kann man an der EEX über 20 verschiedene einzelne Märkte handeln.

Emissionszertifikate, Energiehandel, das sind alles Themen, die in der Klimadiskussion wichtig sind. Würden Sie sagen, dass die EEX in gewisser Weise ein Profiteur der von Aktivisten ausgerufenen Klimakrise ist?

Profiteur würde ich es nicht nennen. Wir sind eher ein Wegbereiter der Energiewende. Über unsere Märkte ist es möglich, erneuerbare Energien in den Energiemarkt aufzunehmen. Das führt im Zweifelsfall auch zu zusätzlichem Volumen auf unseren Plattformen, aber das ist ein Effekt, der auch von vielen anderen Effekten überlagert wird.

Im Jahr 2018 lief das Geschäft der EEX in nahezu allen Bereichen hervorragend. Umsatz und Gewinn haben prozentual deutlich zweistellig zugelegt. Für das dritte Quartal 2019 wurden bislang nur Handelsvolumina veröffentlicht. Zumindest bei den Emissionszertifikaten gibt es da einen drastischen Einbruch um 62 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal. Woran liegt der Einbruch und wird sich das auch in den Gesamtzahlen spürbar niederschlagen?

Dieser Rückgang hat mehrere Bestandteile. Auch dieser Markt untergliedert sich in verschiedene Teilsegmente. Die EEX ist die Auktionsplattform für 27 Staaten in Europa, also für alle EU-Mitgliedsstaaten außerhalb von Großbritannien. In diesem Primärmarkt werden jedes Jahr jedoch weniger Zertifikate ausgegeben. Diese Verknappung ist aber auch Sinn und Zweck des Emissionshandels, um den CO2 -Ausstoß zu reduzieren. In diesem Jahr ist der Effekt besonders groß, weil schon die Reform des EU-ETS-Handels greift und da schon überschüssige Zertifikate aus dem Markt genommen werden. Eine Rolle spielte dabei aber auch der Sekundärmarkt, wo bereits bestehende Zertifikate gehandelt werden können. Da hatten wir 2018 erhebliche Marktanteile von Konkurrenten gewinnen können, die wir in diesem Jahr zum Teil wieder verloren haben. Auf die Gesamtzahlen wird der Effekt nicht so groß sein, da der Emissionsmarkt in den Erlösen der EEX-Gruppe nur eine kleinere Rolle spielt.

Erwarten Sie für das Geschäftsjahr 2019 insgesamt gesehen für die gesamte EEX-Gruppe ein ähnlich dynamisches Wachstum beim Umsatz und Gewinn?

Bislang sind wir mit dem Verlauf des Jahres sehr zufrieden. Wir haben im Stromderivatemarkt - das ist unser größter Markt, auch was die Erlöse der Gruppe angeht - ein Wachstum von 20 Prozent in den Volumina gesehen. Der Gasmarkt ist sogar mit über 30 Prozent gewachsen. Das lässt uns für das Gesamtergebnis recht positiv in die Zukunft schauen.

Im dritten Quartal 2019 ist die Zahl der gehandelten Kontrakte im Segment Fracht um 112 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal gestiegen. Kann das als Indiz gewertet werden, dass die Konjunkturdelle in der Weltwirtschaft schon wieder vorbei sein könnte?

Im Frachtgeschäft liegt unsere wesentliche Aktivität in Asien. Da haben wir in diesem Jahr einige Meilensteine erreicht, die dafür sorgen, dass wir unser Geschäft hier massiv ausbauen konnten. Das ist jetzt im dritten Quartal besonders stark ausgeprägt, aber auch für das Gesamtjahr zeigt das Handelsvolumen ein Wachstum in der Größenordnung von über 90 Prozent, insbesondere auch dadurch, dass wir von anderen Plattformen Volumen dazugewonnen haben. Wesentlich dazu beigetragen hat auch, dass unser Clearing-Haus ECC über die Lizenz verfügt, Clearing-Services in Singapur zu betreiben.

Ein gesamtes Marktwachstum und damit Rückschlüsse auf die Weltwirtschaft lassen sich dadurch also nicht ziehen?

Nein, wir sind da noch ein kleiner Anbieter, was dieses Segment angeht. Aber auch wenn das Gesamtwachstum hoch wäre, würde ich diesen Rückschluss nicht ziehen.

Vor allem auch in Asien und Nordamerika versucht die EEX zu wachsen. Wie läuft das Geschäft in diesen beiden Regionen im laufenden Geschäftsjahr?

Über Asien haben wir jetzt ja schon gesprochen. Der Frachtmarkt ist unser wesentliches Standbein in Asien. Das Geschäft läuft sehr gut. Gleiches gilt auf noch größerer Ebene für das Nordamerika-Geschäft. Das Volumen an der Nodal Exchange für US-amerikanischen Strom ist in den ersten neun Monaten dieses Jahres um mehr als 80 Prozent gewachsen. Das sind phänomenale Wachstumsraten für unser Hauptgeschäft in den USA. Wir haben dort auch einige neue Produkte auf den Weg gebracht, wie den Eintritt in die Emissionsmärkte. Jetzt starten wir mit Gaskontrakten. Die USA sind im Moment ein großer Wachstumstreiber für die EEX-Gruppe.

Erwarten Sie, dass das Thema Emissionshandel in den USA genauso wichtig wird wie in Europa oder glauben Sie, dass es unter Donald Trump kleingehalten wird?

Obwohl Herr Trump sagt, was Herr Trump sagt, ist der amerikanische Emissionsmarkt schon der zweitgrößte der Welt. Nicht, weil die auch ein nationales System haben, sondern weil es viele regionale Systeme auf der Ebene der Bundesstaaten gibt, beispielsweise in Kalifornien oder bei einem Zusammenschluss mehrerer Staaten in New England. Es gibt dort zwar keinen einheitlichen Gesamtmarkt, aber immer mehr Bundesstaaten, die den Nutzen von solchen mengenbasierten Systemen und von Preissignalen für den CO2 -Markt erkannt haben und das entsprechend ausbauen.

Kommen wir zurück nach Europa. Die Politik versucht die Integration der europäischen Märkte mit der Kapitalmarktunion und der Bankenunion voranzutreiben. Die EEX versucht sich ja global, aber auch explizit europäisch aufzustellen. Wie weit sind die Energiemärkte in Europa schon integriert?

Das ist ein ständiger Prozess. Es gibt ein ganz klares europäisches Ziel, einen Binnenmarkt für Strom herzustellen. Da ist man auch schon sehr weit gekommen! Wenn man sich den kurzfristigen Markt anschaut, gibt es dort das Konzept der Marktkopplung. Inzwischen ist das soweit ausgerollt, dass man Märkte von Finnland bis Portugal gekoppelt hat. Mittlerweile sind 19 Länder miteinander verbunden, womit 85 Prozent des Stromverbrauchs in Europa abgedeckt sind. Marktkopplung bedeutet, dass die Kapazitäten an den Ländergrenzen - also die physischen Leitungen, die es da gibt - optimal ausgenutzt werden und, wenn es dort keine physischen Engpässe gibt, dann in diesem miteinander gekoppelten Marktgebiet ein einheitlicher Preis entsteht. Die Preise weichen dann nur noch voneinander ab, wenn über die physischen Leitungen nicht transportiert werden kann. Das ist ein sehr großer Schritt zu einem einheitlichen Strommarkt. Wenn man dann in die Terminmärkte schaut, dann ist es natürlich noch so, dass jedes einzelne Land ein eigenes Marktgebiet darstellt. Wie ich aber bereits erwähnte, kann man an der EEX aktuell 20 Länder handeln, sodass man schon heute auf einer Plattform sozusagen einen europäischen Markt vorfindet.

Wie muss man sich das jetzt vorstellen, ist der Handel immer nur zwischen aneinandergrenzenden Ländern möglich oder kann man jetzt auch als deutscher Versorger hingehen und Strom etwa in Portugal einkaufen, oder geht so etwas beispielsweise aufgrund der Leitungsverluste gar nicht?

Doch, man kann als Marktakteur natürlich in all diesen Marktgebieten handeln, vorausgesetzt, dass es die entsprechenden physischen Kapazitäten gibt, um den Stromfluss dann auch sicherzustellen. Diese Kapazitäten werden aber implizit mitvergeben in diesem Markt. Insofern sind diese Märkte tatsächlich miteinander verbunden.

Gibt es ähnliche Integrationsbemühungen vonseiten der EU für die Energiemärkte?

Über die Strommärkte haben wir ja schon gesprochen. Aber es gibt ähnliche Bemühungen im Gasmarkt, wobei die aber noch nicht so weit fortgeschritten sind. Das Gasnetz in Europa ist sehr gut ausgebaut, sodass es eine sehr hohe Korrelation zwischen den einzelnen Marktgebieten gibt.

Die Politik hat auf den Energiemarkt großen Einfluss. Derzeit wird sie von der Klimapanik getrieben. Gibt es noch Regionen, wo der Handel mit CO2-Zertifikaten nicht so verbreitet ist?

Ja, sehr viele. Im Moment sind weltweit erst ungefähr 15 Prozent aller Emissionen durch ein Handelssystem abgedeckt. Da ist noch sehr viel Luft nach oben.

Wo sind solche Handelssysteme noch nicht vorhanden?

In weiten Teilen von Asien sind solche Systeme noch nicht vorhanden. Einer der Vorreiter in Asien ist aber China. Dort ist man gerade dabei, einen nationalen Markt aufzubauen, nachdem es bislang sieben regionale Börsen gab. Wenn man die Gesamtgröße der Emissionen dort anschaut, wird das natürlich ein sehr großer Markt. Er wird größer sein als der europäische Markt. Es gibt in China viele Initiativen und wir engagieren uns da auch sehr stark, diese Märkte mit aufzubauen.

Letztendlich hat der Handel ja nur einen Sinn und Zweck: Die Emissionen für unseren Planeten zu reduzieren! Dem Planeten ist es relativ egal, ob die Emissionen irgendwo in Südamerika zustande kommen oder eben hier in Deutschland. Wir adressieren hier ein globales Problem. Deswegen muss es langfristig auch das Ziel sein, global einen Preis für CO2 festzustellen. Deswegen ist beim Design solcher Märkte auch darauf zu achten, dass sie erst einmal für sich funktionieren, aber dann auch langfristig gesehen miteinander zu verbinden sind. Und da haben wir natürlich sehr viel Erfahrung - wir betreiben diese Emissionsmärkte seit 2005 - und helfen dann anderen, solche Märkte aufzubauen.

Aber jetzt noch mal "Closer to home": Auch in Deutschland und Europa sind noch nicht alle Emissionen durch das Emissionshandelssystem abgedeckt. Es konzentriert sich ja auf die Segmente Stromproduktion und Industrie. Insbesondere die großen Emissionsbereiche Transport und Wärme sind noch nicht mit abgedeckt. In Deutschland hat es jetzt eine Grundsatzentscheidung gegeben, auch für diese Märkte ein Handelssystem einzuführen. Da wollen wir mithelfen, damit das effizient funktioniert und stehen als mögliche Betreiberplattform natürlich auch zur Verfügung.

Eine grundsätzliche Frage dazu: Halten Sie den Handel mit Emissionszertifikaten tatsächlich für den Königsweg, um die CO2-Emissionen nachhaltig zu reduzieren, oder gibt es auch noch andere Möglichkeiten?

Es gäbe andere Möglichkeiten, aber in der Tat ist ein solcher Zertifikatehandel der effizienteste Weg, die Emissionen zu reduzieren. Es ist auch der einzige Weg, der sicherstellt, dass das gewünschte Resultat eintritt, weil es genau die Mengen begrenzt. Es ist ein Mengeninstrument und stellt schon durch das Design des Systems sicher, dass das Ziel erreicht wird. Die Variable ist, zu welchem Preis dieses Ziel erreicht wird. Da überlässt man es den Marktkräften, das heißt, es wird immer dort reduziert, wo es am günstigsten ist. Deshalb ist es auch das effizienteste System, um das Reduktionsziel tatsächlich hinzubekommen.

Es ist ebenfalls wahrscheinlich, dass die erneuerbaren Energien in Europa verstärkt ausgebaut werden. Wird sich das eher fördernd oder belastend auf den Stromhandel auswirken?

Für den Handel ist es eher positiv zu sehen, insbesondere für den Kurzfristhandel. Die Mehrzahl der erneuerbaren Energien wird an der Spotbörse vermarktet, weil man dann genaue Daten hat, was tatsächlich produziert wird. Wenn die erneuerbaren Energien ausgebaut werden, dann erwarten wir auch, dass das Handelsvolumen im ganz kurzfristigen Markt zunimmt. Es gibt einen zweiten Effekt, den wir jetzt schon sehen und der betrifft den ganz langfristigen Handel. Gerade in Ländern, wo es keine Fördersysteme für erneuerbare Energien gibt, wo aber erneuerbare Energien den günstigsten Weg darstellen, neue Kapazitäten in den Markt zu bringen, beispielsweise in Spanien, brauchen die Unternehmen, die neue Anlagen bauen, eine Finanzierung. Die bekommen sie günstiger, wenn sie einen langfristigen Einkommensstrom nachweisen können. Hier wird schon im Vorfeld die zu erwartende Menge der Produktion langfristig verkauft über sogenannte Power Purchase Agreements.

Das ist ein relativ neues Phänomen in Europa, hat aber unser Handelsvolumen zum Beispiel im spanischen Markt deutlich vorangebracht, weil die Unternehmen dann solche Lieferverträge abschließen und diese dann über die Börse und insbesondere über das Clearing-Haus abgesichert werden. Das Clearing-Haus sorgt dafür, dass das Kreditausfallrisiko aus dem Markt genommen wird. Auch am langen Ende erwarten wir somit durch den verstärkten Zubau von erneuerbaren Energien eine Zunahme des Handelsvolumens.

Die Politik drängt die Wirtschaft hin zur E-Mobilität, ungeachtet aller Probleme, die sich bei der Massenanwendung der Technologie ergeben. Sollte sich die E-Mobilität tatsächlich in der Breite durchsetzen, dürfte das Stromnetz durch ganz andere Belastungsspitzen als jetzt gefordert werden. Erwarten Sie dadurch auch eine Triebfeder für Wachstum?

Natürlich wird es sich positiv auf den Handel mit Strom auswirken, wenn Strom anstatt Benzin genutzt wird, ganz einfach weil dann mehr Strom genutzt wird. Ich erwarte jetzt aber nicht, dass es zu großen Problemen kommt durch solche Verbrauchsspitzen. Das ist ja auch immer eine Frage, wie intelligent man den Ladevorgang löst. Im Moment sind wir weit davon weg, dass es deswegen zu Engpässen oder Versorgungsproblemen kommen könnte.

Das ist klar, im Moment sind wir ja auch erst bei unter 3 Prozent Marktanteil der Elektroautos. Doch bliebe das auch so, wenn der Anteil deutlich steigt?

Es wird ja auch schon jetzt deutlich investiert, zum Beispiel in die Verteilnetze, um dann auch solche Spitzen abfangen zu können. Und es ist ja auch so: Die meisten Autos stehen nachts rum, die müssen nicht in dem Moment geladen werden, wenn sie angeschlossen werden. Die müssen einfach nur am nächsten Morgen wieder voll sein. Das kann man durchaus intelligent verteilen über die Zeit, die man dann zur Verfügung hat.

Der Markt für die klassischen Börsenbetreiber ist in einer Konsolidierungsphase. Übernahmen und Übernahmeversuche sind an der Tagesordnung. Dabei versuchen die Betreiber verstärkt die Wertschöpfungskette auszuweiten. Das führt nun dazu, dass die Nasdaq in das angestammte Geschäft der EEX ihre Fühler ausstreckt. In der ersten Hälfte des kommenden Jahres will die Nasdaq in den Day-Ahead-Markt für Deutschland einsteigen und damit der EEX-Tochter Epex Spot Konkurrenz machen. Zunächst die Frage, was genau ist der Day-Ahead-Markt?

Der Day-Ahead-Markt ist der Markt im kurzfristigen Bereich, wo die Marktteilnehmer sowohl auf Angebots- als auch Nachfrageseite heute Gebote abgeben für Stromlieferungen am nächsten Tag. Das geschieht in Auktionen. Mittags um 12 Uhr gibt es eine Auktion für den darauffolgenden Tag, in der die einzelnen Stunden des Tages als separate Auktionsprodukte angeboten werden. Dort geschieht ein großer Teil des kurzfristigen Handels.

Sind in den Auktionen nur die Produzenten und Abnehmer aktiv oder handeln dort auch rein gewinnorientierte Finanzintermediäre?

Die gibt es natürlich auch, die gibt es immer in solchen Märkten. Allerdings ist der ganz große Teil unseres Handels - das gilt für alle unsere Marktsegmente - getrieben von tatsächlichen Produzenten und tatsächlichen Verbrauchern.

In Skandinavien plant die EPEX ja selbst den Markt eintritt. Wie ist da der Stand der Dinge?

Der Markteintritt ist noch nicht vollzogen. Das hängt zunächst davon ab, dass die regulatorischen Voraussetzungen geschaffen werden. Die sind noch nicht eingetreten. Aber wir erwarten, dass das jetzt in Kürze der Fall sein wird. Wir bereiten unseren Einstieg in die nordischen Länder vor und planen im ersten Quartal 2020 mit Produkten für den kurzfristigen Stromhandel in Dänemark, Finnland, Norwegen und Schweden an den Start zu gehen.

Konkurrenz belebt das Geschäft heißt es ja. Oder sehen Sie den Markteintritt eines so großen Players wie der Nasdaq eher als Bedrohung an?

Die Nasdaq erweitert ja nur sozusagen ihre Präsenz in unseren Märkten. Im Stromterminmarkt - das ist ja der deutlich größere Markt - ist die Nasdaq auch mit einem deutschen Produkt schon seit vielen Jahren im Angebot. Sie hat dort aber einen Marktanteil von deutlich unter fünf Prozent, insofern ist das für uns noch keine Bedrohung. Aber natürlich muss man Konkurrenz auch immer ernst nehmen und das machen wir auch. Wenn die Nasdaq nun auch im Day-Ahead-Markt aktiv wird, ist das für uns natürlich auch ein Ansporn, unser Angebot weiterzuentwickeln und zu verbessern.

Ist bei Ihnen die Digitalisierung ein ähnlich umtreibendes und allumfassendes Thema wie im Kreditwesen?

Allumfassend würde ich nicht sagen, aber es ist natürlich ein wichtiges Thema. Wir sehen, dass sich viele Prozesse in der Energiewirtschaft digitalisieren. Das bedingt natürlich auch, dass wir digital anbieten. Es ist ja so: Wir sind schon seit unserer Gründung eine vollelektronische Plattform, aber auch bei uns gibt es noch Potenzial, einzelne Prozesse weiterzuentwickeln in eine digitale Richtung.

Bietet die hohe Komplexität des Marktes einen gewissen Schutz gegen einen ähnlichen Massenansturm von Start-ups, die den etablierten Anbietern möglichst viele Kuchenstücke vom Teller ziehen wollen?

Von einem Massenansturm würde ich im Energiemarkt jetzt nicht sprechen, aber trotzdem - es gibt übrigens auch Leute, die sagen, die Bankenwelt ist so komplex, dass man das nicht machen kann - gibt es immer wieder auch in unserem Bereich Start-ups, die versuchen, neue Lösungen an den Start zu bringen, die das, was wir machen, effizienter gestalten und dabei neue Tools einsetzen. Es gibt also durchaus auch auf dem Energiemarkt und hier insbesondere im Energiehandel neue Akteure, die entsprechend versuchen, ihren Teil des Kuchens zu gewinnen.

Gibt es dabei Start-ups, die besonders erfolgreich sind?

In Nischenmärkten durchaus. Aber in unserem Kerngeschäft, dem Großhandelsmarkt, ist das bislang noch nicht gelungen. Das würde auch von heute auf morgen nicht passieren, weil wir ja ein sehr großes Teilnehmernetz an die Börse angebunden haben - an der EEX sind gruppenweit über 600 Firmen angeschlossen, die direkt bei uns handeln. Das ist nicht so einfach zu replizieren. Aber es gibt immer wieder Möglichkeiten in einzelnen Produkten und einzelnen Nischenmärkten, den etablierten Anbietern Marktanteile abzunehmen.

Sind da auch eventuell welche dabei, die so innovative Ideen entwickelt haben, dass sie ein möglicher Übernahmekandidat für die EEX Group sind?

Wir beobachten das sehr genau. Die EEX ist in der Vergangenheit auch immer durch Zukäufe gewachsen. Wir haben viele andere Börsen und Dienstleister übernommen. Insofern schauen wir uns den Markt immer genau an, ob es dort Gelegenheiten gibt, die gut zu uns passen.

Was ist der Fokus Ihrer weiteren Strategie für die European Energy Exchange?

Der Fokus liegt darauf, dass wir unser Wachstum, das wir in den vergangenen Jahren gezeigt haben, fortsetzen wollen. Wir haben verschiedene Quellen dieses Wachstums. Wir wachsen auch immer noch in unseren Kernmärkten. Das liegt auch daran, dass es uns gelingt, Volumen aus dem außerbörslichen Handel an die Börse zu ziehen. Es ist im Energiemarkt immer noch so, dass der überwiegende Teil des Handels außerbörslich stattfindet. Über die letzten Jahre war das einer der Wachstumstreiber und soll das auch in den kommenden Jahren sein. Der zweite Wachstumstreiber für uns ist die regionale Ausdehnung. Wir haben immer wieder neue Märkte hinzugenommen. Wir haben gerade erst in diesem Jahr im Stromterminhandel drei weitere Länder mit aufgenommen. Da wo neue Märkte entstehen und die Grundvoraussetzungen für den Stromterminhandel gegeben sind, werden wir uns auch weiter regional ausdehnen. Der dritte Treiber für künftiges Wachstum der EEX Group sind neue Geschäftsfelder, die ähnliche Kundenstrukturen haben. Da können wir neue Erlösquellen aufbauen.

Wo will die EEX in fünf Jahren stehen und welche Vision haben Sie von der EEX in zehn Jahren?

Die European Energy Exchange ist in den letzten Jahren zur weltgrößten Strombörse geworden. Wir sind die Nummer 2 weltweit im Emissionshandel und wir sind weltweit die Nummer 3 im Gashandel. Wir wollen dieses Angebot weiter ausbauen und auch diese Position weiter stärken - und das in allen drei Zeitzonen. Deswegen haben wir uns global aufgestellt, um diese Marktposition entsprechend zu verbessern. Wir wollen unser Kundennetzwerk ausbauen, damit der Nutzen für jeden schon angeschlossenen Kunden in unserem Netzwerkgeschäft weiter steigt. Wir werden natürlich auch in den nächsten fünf Jahren weitere Produkte und Assetklassen hinzunehmen. Das ist die Strategie, die sicherlich auch für die nächsten fünf Jahre gilt. Zehn Jahre ist natürlich ein sehr langer Zeitraum. Wenn Sie aber eine Vision hören wollen: Wir haben als langfristiges Ziel, die präferierte globale Commodity-Börse zu werden. Da arbeiten wir jetzt schon darauf hin.

Peter Reitz Vorsitzender des Vorstands, European Energy Exchange AG, Leipzig
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