Redaktionsgespräch mit Martin Schlegel

"Eine Wholesale-CBDC würde gewichtige Policy- und Governance-Fragen aufwerfen"

Dr. Martin Schlegel, Foto: SNB (D. Büttner)

Wie digital wird das Bezahlen von morgen? Diese Frage treibt derzeit nahezu alle großen Notenbanken der Welt um. Die Schweizerische Nationalbank hat als eine der wenigen Notenbanken bereits praktische Erfahrungen mit digitalem Zentralbankgeld gesammelt. Gemeinsam mit dem BIZ Innovation Hub und der SIX Digital Exchange wurde Ende vergangenen Jahres eine Machbarkeitsstudie zu Wholesale-CBDC durchgeführt. Das Projekt Helvetia hat einerseits die Vorteile einer vollständigen Integration von Zentralbankgeld in die DLT-Plattform nachgewiesen, andererseits aber auch die Risiken verdeutlicht. So warnt der Autor vor erheblichen Policy- und Governance-Herausforderungen für eine Zentralbank. Auch digitalem Zentralbankgeld für die breite Bevölkerung steht er eher abwartend gegenüber, würde dadurch doch das gut funktionierende zweistufige Bankensystem aus Zentralbank und Geschäftsbanken infrage gestellt. Nichtsdestoweniger würde sich die Schweiz einem digitalen Euro öffnen. Konkurrenz durch private Anbieter wie Facebook sei bei diesen Themen nicht zu befürchten. (Red.)

Herr Dr. Schlegel, in Deutschland haben sich viele Menschen im Laufe der Corona-Pandemie daran gewöhnt, bargeldlos zu bezahlen. Ist in der Schweiz eine ähnliche Entwicklung zu verzeichnen?

Ja, im Grundsatz ist es ähnlich. In der Schweiz sind derzeit zwei gegenläufige Entwicklungen zu beobachten. Einerseits sind die Zahlungen mit Karten in der Pandemie deutlich angestiegen, im Internet sowieso, aber auch in den vielen Läden des Einzelhandels. Das ist nicht verwunderlich, weil man nun überall die Hinweise sieht, dass man bargeld-, am besten kontaktlos bezahlen soll. Die gut ausgebaute Infrastruktur für bargeldlose Zahlungen hat sicherlich auch dazu beigetragen. Andererseits hat gleichzeitig der Bargeldumlauf zugenommen. Bargeld ist in der Schweiz nicht nur als Zahlungsmittel, sondern auch als Wertaufbewahrungsmittel populär. Zudem ist Bargeld technologieunabhängig und funktioniert damit immer. Entsprechend wollen die Menschen in unsicheren Zeiten einen höheren Bestand an Bargeld als Reserve halten. Schon seit dem vergangenen Frühling beobachten wir daher eine erhöhte Nachfrage vor allem nach größeren Noten.

Wie beurteilen Sie das aus Sicht einer stabilitätsorientierten Notenbank?

Die Schweizerische Nationalbank hat keine Präferenz, denn es ist die Entscheidung der Bürgerinnen und Bürger womit sie bezahlen - in bar, mit Karte, dem Telefon oder der Uhr. Diese Wahlfreiheit ist den Menschen sehr wichtig. Die SNB hat als Zentralbank das Notenbankmonopol in der Schweiz, es ist unsere Aufgabe, die Bevölkerung mit Noten zu versorgen. Solange eine Nachfrage nach Banknoten besteht, werden wir diese befriedigen. Grundsätzlich haben die Schweizerinnen und Schweizer eine hohe Affinität zu Bargeld.

Wie stark hat die Pandemie das Bezahlverhalten verändert, wie hoch ist der Anteil der Kartenzahlungen an den gesamten Bezahlvorgängen aktuell?

Bei der letzten Zahlungsmittelumfrage vor drei Jahren lag der Anteil der Barzahlungen noch bei 70 Prozent. Der Rest waren größtenteils Kartenzahlungen. Die heute verfügbaren Daten weisen darauf hin, dass derzeit häufiger mit bargeldlosen Zahlungsmitteln bezahlt wird als noch vor der Pandemie. Wir werden im Sommer unsere neue Zahlungsmittelumfrage veröffentlichen mit weiteren Informationen zu diesen Entwicklungen.

Und wie groß ist das Interesse an Zahlungsmitteln auf Token-Basis und digitalen Technologien?

Bei Token muss man unterscheiden zwischen Kryptowährungen und sogenannten Stablecoins. Kryptowährungen wie beispielsweise Bitcoin sind in der Schweiz als Zahlungsmittel eine Randerscheinung und im Moment mit Blick auf das Bezahlverhalten vernachlässigbar. Das ist nicht weiter erstaunlich, denn Kryptowährungen sind aufgrund ihrer hohen Preisvolatilität heute eher spekulative Anlageinstrumente als Zahlungsmittel.

Sogenannte Stablecoins eignen sich eher als Zahlungsmittel. Deren Wert ist üblicherweise an eine oder mehrere Währungen oder andere werthaltige Anlagemittel wie Gold geknüpft, sodass sie deutlich weniger schwankungsanfällig sind als Kryptowährungen. Von daher glaube ich schon, dass solche Token eine gewisse Relevanz als Zahlungsmittel bekommen könnten, sofern alle regulatorischen Vorgaben erfüllt würden. Entsprechend beteiligt sich die SNB in internationalen Arbeitsgruppen zur Ergründung von Stablecoins.

Wie wichtig ist es aus Ihrer Sicht, dass diese Stablecoins von Zentralbanken begeben werden, im Sinne der Sicherheit und Stabilitätsvermittlung, anstatt von privaten Institutionen?

Das ist eine sehr interessante Frage. Denn der allergrößte Teil des Geldes, welches heute in der Wirtschaft verwendet wird, ist kein Zentralbankgeld, sondern Buchgeld bei den Geschäftsbanken. Etwa 90 Prozent des Geldumlaufes in der Schweiz entfallen auf Buchgeld und nur 10 Prozent auf Bargeld. Und nur letzteres von den beiden ist Zentralbankgeld. Insofern sind wir heute eigentlich schon in einer Situation, in der der Großteil des Geldes im Wirtschaftskreislauf nicht von Zentralbanken herausgegeben wird.

Die entscheidende Frage ist die des Vertrauens in die herausgebende Institution. Das Vertrauen in Banken ist grundsätzlich hoch, nicht zuletzt aufgrund der regulatorischen Arbeit von Zentralbanken und Finanzaufsichtsbehörden. Aber gilt das auch für Emittenten von digitalem Geld, die aus dem Nichtbanken-Sektor stammen? Wenn sich diese ein hohes Vertrauen erarbeiten, dann können ihre Stablecoins eine gewisse Attraktivität erreichen, ansonsten wird es schwierig.

Sehen Sie denn einen Mehrwert dieser Stablecoins gegenüber den bisherigen Bezahlverfahren?

Das ist schlussendlich eine Entscheidung der Nutzer. Ob sie lieber mit Stablecoins, mit Debit- und Kreditkarte oder mit Bargeld bezahlen möchten, ist letztlich ihnen überlassen. Hier sollte eine Zentralbank grundsätzlich neutral sein.

Kann man sagen, dass die Schweiz beim Thema Central Bank Digital Currency (CBDC) schon weiter ist als andere Länder?

Die SNB beschäftigt sich schon lange und intensiv mit diesen Fragen. Insgesamt muss man feststellen, dass das Thema Geld und Zahlungsmittel, also etwas, was Zentralbanken im Kern betrifft und was viele Jahre als trockene Materie galt, plötzlich enorm an Dynamik gewonnen hat. Ich glaube aber nicht, dass die Schweiz bei dem Thema weiter ist als andere. Sehr viele Zentralbanken befassen sich intensiv mit digitalen Zahlungsmitteln. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich etwa hat gerade eine Studie veröffentlicht, nach der sich 86 Prozent der Zentralbanken mit dem Thema CBDC beschäftigen. Das ist bemerkenswert.

Eine Besonderheit für die Schweizerische Nationalbank ist vielleicht, dass wir bereits praktische Erfahrungen auf diesem Gebiet gesammelt haben. Gemeinsam mit dem BIZ Innovation Hub und SIX, der Betreiberin der Finanzmarktinfrastruktur in der Schweiz, wurde im vergangenen Jahr eine Machbarkeitsstudie zu CBDC durchgeführt. Das Projekt Helvetia untersuchte die technologische und rechtliche Machbarkeit der Übertragung tokenisierter Vermögenswerte gegen Zentralbankgeld für Finanzintermediäre.

Was sind für Sie konkrete Erfahrungen aus diesem Projekt?

Eine wichtige Erkenntnis aus dem Projekt ist, dass Zentralbanken Optionen haben, wie tokenisierte Wertschriften in Zentralbankgeld abgewickelt werden können. Denn die Machbarkeitsstudien wiesen die funktionale und rechtliche Machbarkeit der beiden Alternativen in einem produktionsnahen Szenario nach. Allerdings zeigt der Vergleich der beiden durchgeführten Experimente auch die jeweiligen Herausforderungen auf. Eine Wholesale-CBDC bietet potenzielle Vorteile, da Zentralbankgeld in tokenisierter Form die Funktionalitäten der DLT unterstützen kann. Jedoch würden sich damit gewichtige Policy- und Governance-Fragen für die Zentralbank stellen. Wer darf diesen Zentralbanken-Token halten? Welche Rolle nimmt die Zentralbank auf einer solchen DLT-Plattform im Vergleich zu ihrer heutigen Rolle im Zahlungssystem ein?

Diese Fragen stellen sich bei der reinen Verbindung der DLT-Plattformen mit den existierenden Zahlungssystemen wie dem Swiss Interbank Clearing (SIC) nicht. Jedoch gingen dabei die potenziellen Vorteile einer vollständigen Integration von Zentralbankgeld in die DLT-Plattform verloren.

Eine Entscheidung, was besser oder schlechter ist, können Sie noch nicht treffen?

Auf diese Frage gibt es derzeit noch keine klare Antwort. Wir gehen davon aus, dass zentrale Systeme und DLT-Plattformen in Zukunft nebeneinander existieren könnten. Wichtig hierbei ist vor allem die Interoperabilität.

Wie intensiv ist der Austausch zum Thema digitales Zentralbankgeld mit den Kollegen anderer Zentralbanken und der EZB?

Die Zusammenarbeit mit anderen Zentralbanken ist sehr intensiv. So war die SNB eine der sieben Zentralbanken, die gemeinsam mit der BIZ Potenziale von CBDC untersucht haben. Der im Oktober 2020 veröffentliche Abschlussbericht "Central bank digital currencies: foundational principles and core features" hebt drei notwenige Grundprinzipien für eine CBDC hervor: CBDC soll die Währungs- und die Finanzstabilität nicht gefährden, CBDC soll mit bereits vorhandenen Formen von Geld koexistieren und diese ergänzen, CBDC sollte die Innovation und die Effizienz fördern.

Gilt die angesprochene Interoperabilität auch für unterschiedliche CBDCs oder nur gegenüber bestehenden Systemen?

Die Schnittstellenthematik ist enorm wichtig, vielleicht sogar die entscheidende Fragestellung. Große Aufmerksamkeit erhalten zudem potenzielle Erleichterungen im bargeldlosen Zahlungsverkehr. Das Committee on Payments and Market Infrastructures sieht den Einsatz von CBDC als eine Möglichkeit, um grenzüberschreitende Zahlungen effizienter zu gestalten. Diese sind heute deutlich komplexer als Inlandszahlungen, da teilweise zahlreiche Akteure beteiligt sind und die Zahlungen verschiedene Zeitzonen und Rechtsordnungen durchlaufen müssen. Das macht sie oft langsam, undurchsichtig und teuer. Die G20 hat entsprechend die Verbesserung des grenzüberschreitenden Zahlungsverkehrs zu einer Priorität gemacht.

Weshalb haben Sie in der Schweiz das Retail-Thema zunächst ausgeklammert?

Eine Retail CBDC würde das zweistufige Bankensystem mit der Zentralbank als Bank der Banken und den Geschäftsbanken als Banken der Öffentlichkeit infrage stellen. Dieses System hat sich bis jetzt bewährt. Darüber hinaus würden sich bei einer Retail-CBDC je nach Ausgestaltung neue Pflichten für die Zentralbanken zum Beispiel in den Bereichen Anti-Money-Laundering, Know-Your-Customer oder Terrorist Financing ergeben. Daraus würde ein erheblicher zusätzlicher Aufwand und auch Risiken für die Zentralbank entstehen. Das sind Themen, die Geschäftsbanken aufgrund der bisherigen Praxis und Erfahrung zurzeit viel besser angehen und umsetzen können als eine Zentralbank. Man muss sich als Zentralbank also gut überlegen, was man durch Retail-CBDC gewinnen und welche zusätzlichen Risiken entstehen würden.

Befürworter digitalen Zentralbankgeldes sehen darin auch eine Erleichterung für die Geldpolitik. Teilen Sie diese Meinung?

So allgemein kann man das nicht sagen. In normalen Zeiten hätte eine Retail-CBDC wohl keine erkennbaren Vorteile für die Wirksamkeit der Geldpolitik. Sie könnte aber die Kreditvergabe und das Wirtschaftswachstum verlangsamen sowie das Geschäftsmodell der Banken einschränken. Und wenn in unsicheren Zeiten sichere Häfen gesucht sind, würde es die Flucht in den Franken erleichtern und damit den Aufwertungsdruck auf den Franken verstärken.

Die EZB-Präsidentin sprach von einem Zeitrahmen von rund fünf Jahren, bis eine solche Währung zu realisieren sei. Wie lange würde es dauern, bis eine Wholesale-CBDC in der Schweiz einsatzfähig wäre?

Wir haben immer betont, dass es sich bei den durchgeführten Machbarkeitsstudien um Experimente handelt, die keinen Hinweis darauf liefern, dass die SNB eine Wholesale-CBDC ausgeben oder die Abwicklung von SDX-Transaktionen im Swiss-Interbank-Clearing-System zulassen würde. Im Moment planen wir weder eine Retail- noch eine Wholesale-CBDC einzuführen.

Würde sich die Schweiz denn einem digitalen Euro in irgendeiner Form öffnen oder die Banken ermuntern, dass solche Zahlungen auch in der Schweiz möglich wären?

Schon heute sind in der Schweiz an vielen Orten Zahlungen in Euro möglich. Man kann mit Kredit- oder Debitkarte sowie mit Bargeld in Euro bezahlen. Es ist aber noch zu früh, um etwas zum digitalen Euro zu sagen. Es kommt darauf an, wie dieser ausgestaltet wäre.

Wie stehen Sie zu dem Projekt Diem (früher Libra) von Facebook? Ist das eher eine Konkurrenz für die Zentralbanken oder eine Ergänzung?

Dieses Projekt hat bei seiner Ankündigung sehr viel Aufmerksamkeit bekommen. Positiv daran ist, dass dadurch auch in der breiten Bevölkerung ein Interesse an diesen Themen geweckt wurde. Meiner persönlichen Einschätzung nach wäre Diem in seiner Ausgestaltung als ein Korb von verschiedenen Währungen keine Konkurrenz für die etablierten Währungen. Ohnehin ist der Währungswettbewerb für Zentralbanken keine neue Erscheinung. Beispielsweise konnte sich der Schweizer Franken in den vergangenen rund zwanzig Jahren im Nebeneinander mit dem Euro sehr gut behaupten. Ähnlich dürfte es gegenüber einer digitalen privaten Konkurrenz sein.

Wie ist das Thema "private Emittenten von Währungen" regulatorisch einzuordnen?

Der Emittent eines Stablecoin, der an eine oder mehrere Währungen gebunden wäre, ist ökonomisch einer Bank sehr ähnlich und müsste dementsprechend die gleichen regulatorischen Bedingungen erfüllen. Wir sagen immer: "Same business, same risks, same rules."

Dr. Martin Schlegel Stellvertretendes Mitglied des Direktoriums, Schweizerische Nationalbank, Zürich
 
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