Redaktionsgespräch mit Jörg Diewald

"Unser Ziel ist der Aufbau einer paneuropäischen Plattform"

Jörg Diewald, Foto: Max Threlfall Photo

Die fortschreitende Digitalisierung, die sich kontinuierlich verändernden Kundenbedürfnisse sowie die zunehmende Präsenz von Bigtech-Unternehmen haben den Wettbewerbsdruck auf etablierte Kreditinstitute weiter verschärft. Fintech-Unternehmen haben eigene Lösungen entwickelt und diese kundenzentrisch ausgerichtet. Doch (bis auf ein paar Ausnahmen) verfügen diese Unternehmen über keine eigene Vollbanklizenz, was ihnen das klassische Bankgeschäft untersagt. Genau an diesem Punkt setzt die Solarisbank an: Das "Technologieunternehmen mit Vollbanklizenz", wie sie sich selbst nennt, stellt seinen Partnern eine komplette Banking-Infrastruktur zur Verfügung und kümmert sich um die regulatorischen Anforderungen. Nächstes Ziel ist nun die Expansion und der Aufbau einer grenzüberschreitenden Plattform, wie der Autor im Redaktionsgespräch erläutert. (Red.)

Welche Herausforderungen, aber auch welche Chancen, sehen Sie im Jahr 2021 für die Finanzbranche im Allgemeinen und die Solarisbank im Speziellen?

Nichts hat 2020 so sehr geprägt wie die Corona-Krise. Wir können aber davon ausgehen, dass die tatsächlichen Auswirkungen der Pandemie erst in diesem Jahr sichtbar werden. Ein in den kommenden Monaten erwarteter Anstieg von Unternehmensinsolvenzen, das durch Corona beschleunigte Filialsterben und die anhaltende Niedrigzinspolitik unterziehen die Finanzbranche einem nie da gewesenen Stresstest. Gleichzeitig erleben wir aktuell ein positives Momentum hinsichtlich der Transformation der Branche. Angetrieben auch durch den Markteintritt der Bigtechs, investieren viele Banken in die Digitalisierung ihrer Geschäftsmodelle und bauen Partnerschaften mit der Fintech-Szene aus. Ich sehe hier eine große Chance für die deutsche Finanzbranche, ein international wettbewerbsfähiges Ökosystem aufzubauen. Dafür müssen vor allem die etablierten Player sich mit der Frage auseinandersetzen, welche Rolle sie in Zukunft spielen wollen. Denn eines ist sicher, die Kundenbedürfnisse und -ansprüche haben und werden sich weiter verändern. Die Solarisbank profitiert natürlich von genau dieser Entwicklung, da Unternehmen mit einem ausgeprägten kundenzentrischen Denken nach Möglichkeiten suchen, ihren Kunden Finanzdienstleistungen anzubieten.

Die Corona-Pandemie hat vieles in der Finanzbranche verändert, manche Entwicklungen beschleunigt, manche Probleme offengelegt. Was sind Ihre persönlichen Erfahrungen, wo konnten Sie sich 2020 weiterentwickeln?

Die Solarisbank hat im Frühjahr 2020 den Entschluss gefasst, den Weg einer "Remotefirst"-Organisation zu gehen. Dabei konnten wir trotz Corona unsere Arbeit ungebremst fortsetzen. Die meisten Menschen, die in Technologieunternehmen oder Digitalbanken arbeiten, haben ein "digitales Mindset". Sie sind besser in der Lage, sich an neue Situationen wie Homeoffice schnell anzupassen. Diese Denkweise und Unternehmenskultur sind elementar, um die Corona-Krise zu meistern.

Die Solarisbank hat kurz vor Weihnachten angekündigt, gemeinsam mit Partnern in ausgewählte europäische Länder wie Frankreich, Italien und Spanien zu expandieren. Was sind die Gründe für diesen Schritt?

Die Solarisbank ist in Europa die Go-To-Plattform im kontextuellen Banking und eine treibende Kraft für Fintech-Innovationen. Unser Ziel ist der Aufbau einer paneuropäischen Plattform. Auch unsere Partner denken in europäischen Dimensionen. Bereits heute können wir via Passporting Zugang zum gesamten Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) ermöglichen. Im zweiten Halbjahr werden wir dann in Italien, Spanien und Frankreich mit lokalen IBANs live gehen. Dieser Schritt ist eine natürliche Weiterentwicklung unserer Geschäftsstrategie in puncto Expansion und Internationalisierung.

Werden ähnliche Produkte und Dienstleistungen wie in Deutschland angeboten?

Ja, wir gehen mit unserem gesamten Produktangebot in die Märkte.

Sind die Bankenmärkte in diesen Ländern nicht sehr unterschiedlich zum deutschen Markt? Daran sind schon manche Institute gescheitert. Was macht Sie zuversichtlich, dass die Expansion ein Erfolg wird?

Der Markteintritt der Solarisbank lässt sich nicht wirklich mit dem einer Retailbank vergleichen. Unser Geschäftsmodell basiert auf einem B2B2X-Ansatz. Das bedeutet, wir stellen unseren Partnern die komplette Banking-Infrastruktur zur Verfügung und kümmern uns um die regulatorischen Anforderungen, sodass sie sich auf den bestmöglichen Service für den Endkunden konzentrieren können. Man könnte sagen, wir exportieren Technologie und die kennt keine Grenzen.

Und wie ist es mit den Kundenbedürfnissen? Wo kann Ihr Angebot eine Bereicherung darstellen?

Als Banking-as-a-Service-Plattform sind wir die Antwort auf den aufsteigenden Trend namens "contextual banking" beziehungs weise "embedded finance". Dahinter verbirgt sich die nahtlose und reibungslose Integration von Finanzdienstleistungen in das Produktangebot von Unternehmen, die keine Banken sind. So erhalten die Endkunden Bankprodukte im Kontext ihres Kaufverhaltens, ohne sich direkt mit einer Bank auseinandersetzen zu müssen. Das Potenzial eines End-to-End-Kundenerlebnisses, das auch Finanzdienstleistungen einschließt, ist enorm. Es generiert nicht nur neue Umsatzquellen, sondern auch mehr Datenpunkte, um die Kundenbindung zu erhöhen und neue Geschäftsmodelle zu entwickeln.

Inwieweit werden diese Pläne durch die Corona-Pandemie weiter erschwert?

Die regulatorischen Voraussetzungen sind die gleichen, daran hat auch Corona nichts geändert. Die Marktvoraussetzungen sind meines Erachtens sogar besser geworden, da die Adaption digitaler Produkte und damit auch die Offenheit für Innovationen beschleunigt wurde.

Ihr noch recht junges Haus bezeichnet sich selbst als "Technologieunternehmen mit Vollbanklizenz". Ihre Identität bewegt sich also zwischen den Bereichen Bank und Technologie. Ist das genau der Erfolgsfaktor und Wettbewerbsvorteil, da das Bankgeschäft zunehmend von technologischen Faktoren beeinflusst wird?

Genau. Unser B2B2X-Geschäftsmodell bietet Produkte, die man letztlich als Commodities bezeichnen kann. Erst durch die Veredelung mit unseren Partnern entsteht die Differenzierung am Markt, welche den Kundennutzen schafft. Darin liegt unsere Stärke. Deshalb verstehen wir uns auch als Technologieunternehmen mit Banklizenz und nicht etwa als Digitalbank. Knapp 50 Prozent unserer Mitarbeiter sind Entwickler oder Produktexperten. Im vergangenen Jahr hat das Team nicht nur ein eigenes Kernbankensystem entwickelt, sondern auch alle Systeme, digitalen Produkte und Datenbanken erfolgreich auf die AWS Cloud von Amazon migriert. Damit sind wir die erste Bank in Deutschland, die vollständig in die Cloud migriert ist.

Was glauben Sie, besser beziehungsweise anders zu machen als traditionelle Banken?

Wir bedienen eine ganz andere Zielgruppe als klassische Banken oder Direktbanken. Zu unseren Partnern zählen etablierte Digitalunternehmen, Fintechs, Corporates und auch Banken. Wir befähigen also die Wettbewerber der traditionellen Banken. Dabei macht unser B2B2X-Geschäftsmodell den Unterschied. Wir fahren einen strikt neutralen Ansatz gegenüber Endkunden. Sprich, unsere Partner haben die Kontrolle über die Kundenbeziehung.

Welche Anpassungen sollten die Institute Ihrer Meinung nach in der Zukunft vornehmen?

Sie sollten den bereits eingeschlagenen Weg der digitalen Transformation fortsetzen und eher noch beschleunigen. Was traditionelle Banken von den Challenger Banks und Bigtechs lernen könnten, ist vor allem kundenzentrisches Denken und das Kundenerlebnis in den Mittelpunkt ihrer Strategie zu stellen. Dabei werden sie schnell herausfinden, ob ihr Leistungsversprechen vom Kunden gespiegelt wird und welche Rolle sie in Zukunft einnehmen müssen.

Wird die Solarisbank von etablierten Banken eigentlich als Wettbewerber wahrgenommen?

Nicht unbedingt. Wir selbst verstehen uns eher als (potenzieller) Partner. Wir arbeiten bereits mit etablierten Instituten zusammen und diese profitieren vor allem von unserer Innovationskraft. Wir haben zum Beispiel erst vergangenes Jahr eine neue Identifikationsmethode eingeführt, die eine komplett digitale Kundenidentifikation ohne Medienbruch ermöglicht und sicher für viele Banken interessant ist.

Und wie ist es andersherum: Wen sehen Sie als Konkurrenten?

Als führende Banking-as-a-Service-Plattform in Europa schauen wir uns natürlich alle anderen Anbieter in dem Markt an.

Sie bieten als Banking-as-a-Service-(BaaS)-Plattform ihren B2B-Kunden, die selbst über keine Banklizenz verfügen, die Möglichkeit, Finanzprodukte anbieten zu können. Welche Institute nehmen dieses Angebot vor allem in Anspruch, eher Newcomer oder auch traditionelle Banken?

Die Solarisbank ermöglicht es einer Vielzahl von Unternehmen, Finanzdienstleistungen anzubieten, darunter weltweit führende Marken wie Samsung oder American Express sowie schnell wachsende Fintechs wie Vivid Money oder Bitwala. Der vielfältige Kundenstamm zählt mehr als 70 Partner, die auf der Solarisbank-Plattform live sind.

Offenbar kommt Ihr Geschäftsmodell bei Firmenkunden gut an. Es scheint aber Verbesserungsbedarf im Privatkundengeschäft zu geben. Im Netz wird vor allem der Support kritisiert. Wie gehen Sie damit um und welche Maßnahmen haben Sie zur Lösung auf Ihrer Agenda?

Wir werden unser Operations-Team weiter ausbauen und stärken, um den starken Wachstumsplänen unserer Partner gerecht werden zu können. Gleichzeitig investieren wir kontinuierlich in unsere Technologie- und Produktplattform. Die Migration unserer Partner auf unser eigenes Kernbankensystem und die AWS-Migration werden unseren Support entlasten und die Kundenzufriedenheit verbessern.

Inwieweit unterscheidet sich eigentlich Banking-as-a-Service von Open Banking?

Die beiden Modelle werden oft verwechselt, denn beim Open Banking verbinden sich auch Banken mit Nichtbanken über eine sogenannte API. Die Modelle dienen jedoch völlig unterschiedlichen Zwecken. Bei BaaS-Modellen integrieren Nichtbanken komplette Bankdienstleistungen in ihre eigenen Produkte. Bei Open-Banking-Modellen hingegen nutzen Nichtbank-Unternehmen lediglich die Daten der Bank für ihre Produkte.

Anfangs arbeiteten Sie allerdings (wie viele Banken) mit bereits etablierter Technologie. Wie kam es nun doch zum Aufbau eines eigenen Core-Banking-Systems? Was sind die Vorteile?

Core Banking ist ein Hygienefaktor. Es muss funktionieren und mit unserem Wachstumstempo Schritt halten. Und es darf keine negativen Einflüsse auf Effizienz und Innovationsfähigkeit haben. Die Vorteile der Eigenentwicklung sind vielseitig. Die Vorteile sind zum einen: volle Kontrolle bezüglich Performance und Qualität, und damit Möglichkeit zum Angebot von massiv verbesserten Service-Level-Agreements (SLAs), und zum an deren: volle Kontrolle bezüglich Weiterentwicklungen (keine Abhängigkeiten von Dritten). Mit unserer gewählten Architektur können wir beliebig skalieren. Zudem reduzieren wir die Dauer von Transaktionen deutlich. Innerhalb weniger Sekunden können beispielsweise Gelder bei Vivid Money, die bereits auf neuen Systemen laufen, zwischen Vivid-Kunden sowie auch deren Unterkonten verschoben werden.

Die Solarisbank hat ihre Systeme Ende 2020 vollständig in die AWS Cloud migriert. Wie sind Ihre bisherigen Erfahrungen, welche Vor- und Nachteile ergeben sich durch den Umstieg mit Blick auf die verschiedenen Geschäftsbereiche?

Die Cloud-Migration ist Kernbestandteil der Solarisbank-Strategie, eine Produktund Technologieplattform aufzubauen, die die bestmöglichen Rahmenbedingungen für Skalierung und Automatisierung schafft, um dem wachsenden Kundenstamm unserer Partner gerecht zu werden. Die Sicherheit, hohe Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit von AWS ermöglicht uns, skalierbare Produktinnovationen zu entwickeln und zu betreiben.

Jörg Diewald Chief Commercial Officer, Solarisbank AG, Berlin
 
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