Aufbruch im Umbruch

Carsten Englert Redakteur, Foto: Verlag Fritz Knapp GmbH

Deutschland ist im Umbruch - und das gleich in vielfacher Hinsicht. Neben den übergeordneten und omnipräsenten Transformationsthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung erfindet sich das Land gerade auch politisch neu nach 16 sehr langen Jahren Angela Merkel, die einen großen Reformstau hinterlassen haben. Keine einfache Aufgabe. Eine wichtige Rolle in der Diskussion um den großen Wandel der Gesellschaft und des Wirtschaftens spielt die Frage, wie das alles finanziert werden soll: Energieerzeugung, Infrastruktur - sowohl analog als auch digital - müssen saniert und innovativer gemacht werden. In der öffentlichen Diskussion, aber auch in der Bankenwelt, spielt dabei die Frage nach Fremdkapital - Stichwort Green Bonds - meistens die zentrale Rolle. Doch die Unternehmen brauchen natürlich auch Eigenkapital, um die mannigfaltigen Herausforderungen bewältigen zu können.

Zwei Bereiche des Sektors Beteiligungskapital spielen in Deutschland dabei zwar leider immer noch eine Nebenrolle, denn bei den großen Herausforderungen der heutigen Zeit könnten diese neben der schlichten Kapitalversorgung noch so viel mehr bieten. Da wäre zum einen der Bereich Private Equity. Deren Partner beteiligen sich an etablierten Unternehmen und versuchen diese dann mithilfe eines großen Netzwerks, Erfahrung und Knowhow fit für die Zukunft zu machen, um die Beteiligung dann später, wenn das Unternehmen auf Vordermann gebracht ist, mit (großem) Gewinn wieder zu veräußern. Gerade auch bei Unternehmen, die Schwierigkeiten mit der digitalen und/oder nachhaltigen Transition haben, könnte Private Equity sinnvoll unterstützen und daher einen wertvollen Beitrag leisten.

Oder nehmen wir die Welt des Venture Capital: Spezialisiert auf noch sehr junge, neue Unternehmen bringen auch die Venture-Capital-Gesellschaften viel mehr ein als nur Kapital. Gerade noch unerfahrene Unternehmer brauchen Hilfe beim Bilden von Netzwerken, aber auch Beratung beim Aufbau der Unternehmensstrukturen. All das können Venture-Capital-Netzwerke und Communities liefern, von denen es einige gibt. Gerade die jungen, agilen Unternehmen werden für den Wandel gebraucht. Sei es, um die nötigen "Sprung-Innovationen" für den Klimaschutz, wie es Rolf Nagel im Interview auf Seite 24 formuliert, zu entwickeln oder den etablierten Konzernen bei der Digitalisierung Beine zu machen. Einen gerade für Banken hochinteressanten Ansatz fährt dabei die Commerzbank mit ihrem Venture-Capital-Arm "Main Incubator". Im spannenden Interview mit den Geschäftsführern Matthias Lais und Kai Werner auf Seite 10 kann man erkennen, wie eine solche enge Zusammenarbeit zwischen klassischer Bank und innovativen, agilen Start-ups für beide Seiten fruchtbar sein kann und sich dabei für die Bank auch noch Geld verdienen lässt. Der Ansatz der Zukunft, um die Angriffe der Fintechs und Bigtechs zu parieren? Das wird natürlich erst die Zeit zeigen, aber es klingt zumindest nach einem sinnvollen und erfolgversprechenden Weg.

Das waren nur einige Beispiele und Argumente, die dennoch allesamt belegen, warum sich die deutsche Wirtschaft, aber auch die Politik, mit beiden Märkten intensiver auseinandersetzen sollten. Zwar hat auch die alte Regierung durchaus schon die Bedeutung des Venture-Capital-Marktes erkannt, wie die KfW-Tochter KfW Capital in ihrer Existenz allein schon belegt. Was konkret die Venture-Capital-Tochter der Staatsbank für den Markt bringen kann, ist auf Seite 22 zu lesen. Aber gerade beim Thema Rahmenbedingungen gibt es noch viele offene Baustellen. So weist beispielsweise Peter Fricke, Head of Deutsche Börse Venture Network (siehe Seite 19) ganz grundsätzlich darauf hin, dass in puncto Steuern in Deutschland Fremdkapital strukturell weiterhin besser gestellt wird als Eigenkapital. Er sieht auch bei der Mitarbeiterbeteiligung, die gerade für noch junge Start-ups ein sehr wichtiges Instrument für die Vergütung ist, noch Nachbesserungsbedarf.

Damit wäre der Ball nun wieder zum Thema politische Neuerfindung zurückgespielt. Ein Blick in das Sondierungspapier der wahrscheinlichen künftigen Regierung aus SPD, FDP und Grünen deutet zumindest schon einmal an, dass die Thematik und die Wichtigkeit der Förderung von Venture Capital und Co. durchaus erkannt wurden. Laut dem Papier will die Ampel-Koalition Mitarbeiterkapitalbeteiligungen unter anderem durch eine weitere Anhebung des Steuerfreibetrags "attraktiver machen". Wohlklingend ist auch die Absicht, "Projekte wie die Bundesagentur für Sprung-Innovationen" ausbauen zu wollen.

Dazu wollen die drei beteiligten Parteien "die Start-up- und Gründerförderung stärken und die Innovationsförderung und -finanzierung entbürokratisieren", mehr privates Kapital für Transformationsprojekte aktivieren und einen verbesserten Zugang zu Daten schaffen, der insbesondere kleine und mittlere Unternehmen und Start-ups neue innovative Geschäftsmodelle ermöglichen soll.

Da es das Hauptsignal sein soll, kommt im Ampel-Sondierungspapier natürlich auch oft das Wort "Aufbruch" vor. Doch genau das ist es bislang: Ein Wort. Leider wäre es bei Weitem nicht das erste Wort in der Politik, das die Transformation zur Tat nicht geschafft hat. Zudem handelt es sich hier auch bislang nur um ein Sondierungspapier, von dem erfahrungsgemäß auch nicht alles übernommen werden wird. Der Beweis für eine tatsächliche Neuerfindung ist naturgemäß derzeit noch nicht zu erbringen.

Der Markt für Venture Capital und Private Equity wächst derweil auch ohne von der Politik verbesserte Rahmenbedingungen - zumindest in Teilen. Laut Zahlen des Branchenverbands BVK betrug das eingeworbene Kapital der gesamten Beteiligungskapitalbranche im ersten Halbjahr 2021 rund 3,34 Milliarden Euro. Gegenüber dem ersten Halbjahr 2019 - die ersten sechs Monate 2020 waren wegen Corona ein Ausreißer nach unten und eignen sich daher wenig für den Vergleich - ist das ein Wachstum von mehr als 60 Prozent. Besonders starken Zuwachs verzeichneten auch die Investitionen im Bereich Venture Capital, die in diesem Zeitraum bei 2,253 Milliarden Euro lagen, was bereits mehr war als jeweils in den Gesamtjahren 2019 und 2020 in Venture Capital investiert wurde. Bezogen auf die Finanzierungsphase war der Anstieg insbesondere im Bereich Later Stage Venture Capital von 382 Millionen Euro im ersten Halbjahr 2019 auf nun 1,286 Milliarden Euro durchaus bemerkenswert.

Bemerkenswert und bezeichnend ist allerdings auch, dass laut einer Studie von Bain & Company das Jahr 2021 global gesehen zum besten Jahr der Geschichte für Private Equity werden könnte, in dem erstmals innerhalb eines Kalenderjahres die magische Marke von einer Billion US-Dollar bei den Buy-out-Investitionen erreicht werden könnte, während in Deutschland die Buy-out-Investitionen im ersten Halbjahr nicht einmal die Hälfte des Volumens des gleichen Zeitraums der Jahre 2019 und 2020 erreicht hat.

Die Zahlen zeigen: Die Beteiligungsbranche ist schon im Aufbruch und wächst zumindest in manchen Bereichen. Allerdings belegt vor allem der internationale Vergleich, dass hierzulande dennoch viel Nachholpotenzial und -bedarf besteht. So weist Frank Hüther, Sprecher des Vorstandes, Bundesverband Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften, darauf hin (siehe Seite 15), dass Deutschland im Bereich Private Equity zwar in absoluten Zahlen zur europäischen Spitze gehört, beim viel sinnvolleren Vergleich von Investitionen im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt jedoch unter dem europäischen Durchschnitt und auch nur im Mittelfeld liegt. Selbst die "große Wirtschaftsmacht" Portugal liegt bei dieser Kennziffer vor Deutschland.

Die Politik ist also aufgerufen, das Potenzial von Venture Capital und Private Equity zu fördern, um im Kampf um die Wettbewerbsfähigkeit nicht weiteren Boden zu verlieren und um die Transformation der Wirtschaft schaffen zu können. Die Politik hat zumindest schon die Notwendigkeit erkannt, dass es auch in der Beteiligungsindustrie diesen Aufbruch braucht. Jetzt muss die sich gerade neu erfindende Bundesregierung dann allerdings den Worten auch die entsprechenden Taten folgen lassen, damit es für die Wirtschaft und damit für die ganze Gesellschaft heißen kann: Aufbruch im Umbruch!

Carsten Englert , Leitender Redakteur, Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen , Fritz Knapp Verlag
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