Banken, es ist Zeit!

Philipp Otto

"Angesichts der unabsehbaren Folgen des Klimawandels und der Ressourcenknappheit, mit denen unser Planet zunehmend konfrontiert ist, ist es dringend erforderlich, Anpassungen im Sinne einer größeren Nachhaltigkeit vorzunehmen. Damit die EU ihre in Paris vereinbarten Klimaziele, wie etwa die 40-prozentige Senkung der Treibhausgasemissionen bis 2030, auch erreicht, werden etwa 180 Milliarden Euro zusätzlicher Investitionen benötigt. Daher legt die Kommission heute einen Fahrplan vor, der sich auf die Empfehlungen der hochrangigen Sachverständigengruppe für ein nachhaltiges Finanzwesen stützt und mit dem die Rolle des Finanzsektors bei der Verwirklichung einer gut funktionierenden Wirtschaft, in der aber auch umwelt- und sozialpolitische Ziele umgesetzt werden, gestärkt werden soll."

Diese Passage aus der Pressemitteilung der Europäischen Kommission zum Aktionsplan der Kommission für eine umweltfreundlichere und sauberere Wirtschaft von Anfang März verdeutlicht, welche Geschwindigkeit das Thema Green beziehungsweise Sustainable Finance inzwischen aufgenommen hat. Und dabei geht es keineswegs nur um die Emission grüner Bonds, sondern um den Beitrag der Finanzwirtschaft zu einer insgesamt nachhaltigeren Wirtschaft und Gesellschaft. Während die Problematik des Klimawandels für Politik und Gesellschaft schon seit Langem eines der drängenden Themen ist, beschäftigt sich die Finanzwirtschaft mit den Auswirkungen noch nicht so lange. Ausgangspunkt war auch hier das Jahr 2015, in dem auch das Pariser Klimaabkommen von 195 Staaten unterzeichnet wurde, als China das Thema "Green Finance" auf die Agenda seiner G20-Präsidentschaft setzte.

Spürbar Fahrt aufgenommen hat die Debatte durch die am 29. September 2015 in London gehaltene, viel beachtete Rede "Breaking the Tragedy of the Horizon - climate change and financial stability" des britischen Notenbank-Gouverneurs Mark Carney, der damit einen direkten Bezug zwischen Klimawandel und den daraus resultierenden Gefahren für die Finanzstabilität und die Finanzwirtschaft herstellte. In den Schlussbemerkungen heißt es: "The combination of the weight of scientific evidence and the dynamics of the financial system suggest that, in the fullness of time, climate change will threaten financial resilience and longer-term prosperity. While there is still time to act, the window of opportunity is finite and shrinking."

Und die Finanzwirtschaft ist weit mehr betroffen und verantwortlich, als manch einer angesichts der großen Zeiträume, über die gesprochen wird, vermutet. Zunächst einmal sind Banken und Versicherungen große Kapitalsammelstellen und damit Investoren am Kapitalmarkt, andererseits sind sie selbst Emittenten verschiedenster Papiere, von Bonds über Schuldverschreibungen bis hin zu Verbriefungen. Allerdings ist das Angebot an nachhaltigen Investments trotz stetig steigender Nachfrage immer noch überschaubar. So sind gerade einmal knapp 2 Prozent des gesamten in Publikumsfonds verwalteten Vermögens vom BVI als nachhaltig eingestuft. Und Green Bonds, die zur gezielten Finanzierung ökologischer Projekte aufgelegt wurden, repräsentieren derzeit Schätzungen zufolge nur knapp 1 Prozent des gesamten Anleihemarktes. Tendenz zwar steigend, aber die Zahlen zeigen, wie groß das Potenzial noch ist.

Ein Problem ist die mitunter unzureichende Informationslage. Zum einen fehlt es an verlässlichen Definitionen, was genau unter Green beziehunsgweise Sustainable Finance genau zu verstehen ist. Unter Green Finance fallen im weitesten Sinn Finanzierungen für ökologische Ziele wie Umwelt- und Klimaschutz, während Sustainable Finance darüber hinaus auch wirtschaftliche und soziale Nachhaltigkeitsaspekte abdeckt. Etwas mehr Klarheit in die Begriffslage sollte der gerade von der EU-Kommission vorgelegte Aktionsplan geben, der auf Basis des Abschlussberichtes der "High Level Expert Group (HLEG)" für ein nachhaltiges Finanzwesen erstellt wurde und unter anderem die Festlegung einer gemeinsamen Sprache für das nachhaltige Finanzwesen, das heißt ein einheitliches EU-Klassifikationssystem (Taxonomie) zum Ziel hat, in dem der Begriff der Nachhaltigkeit festgelegt und die Bereiche genannt werden, in denen nachhaltige Investitionen größtmögliche Wirkung entfalten können.

Ein hartnäckiges Missverständnis ist zudem die Vermutung, nachhaltige Investments seien unrentabler als klassische Anlagen. Etliche Studien haben dafür keinerlei Beweis geliefert. Und auch Allianz-Vorstand Günther Tallinger betonte auf dem Bundesbank-Symposium, nachhaltige Anlagen würden keineswegs schlechter und meist sogar besser rentieren als vergleichbare Investitionen in nicht nachhaltige Investments. Zudem würden künftige Risiken beispielsweise aus einer veränderten Gesetzgebung (Diesel-Fahrverbot, mögliche CO 2-Steuer) minimiert.

Gerade diese teils weit in der Zukunft liegenden Risiken sind es, die mittlerweile Bankenaufseher beschäftigen und beunruhigen. Denn während primäre physische Risiken aus Unwetterkatastrophen wie Überschwemmung, Erdbeben oder Sturmschäden sowie daraus resultierende sekundäre Risiken wie Marktpreisverwerfungen beispielsweise bei Katastrophenanleihen oder Zahlungsausfällen bei von Unwettern betroffenen Kunden (Kreditrisiko) noch jedermann zu vermitteln sind, ist das mit den sogenannten tertiären oder Übergangsrisiken schon komplizierter.

Ein viel zitiertes Beispiel: Um die Ziele das Pariser Klimaschutzabkommens zu erreichen, dürfen nur noch rund 1 100 Milliarden Tonnen CO2 emittiert werden. Würden alle fossilen Brennstoffe, die derzeit noch im Boden lagern, verbrannt, so würden 2 800 Milliarden Tonnen CO2 freigesetzt. Am Ende könnten also zwei Drittel aller derzeit bekannten fossilen Brennstoffe nicht gefördert werden. Dies stellt ein ernstes Problem für das Geschäftsmodell aller Unternehmen dar, die Kohle, Erdgas oder Öl fördern. Dementsprechend ist die Marktkapitalisierung der vier größten US-amerikanischen Kohleproduzenten in den letzten sechs Jahren bereits um 90 Prozent gefallen.

Solche heute nur schwer abzuschätzenden Risiken in den eigenen Bilanzen wie in den Bilanzen ihre Kunden müssen Finanzdienstleister in ihrem Risikomanagement mehr und mehr berücksichtigen. Allerdings stellen die mangelnde Verfügbarkeit von Daten aus der Vergangenheit sowie die Abhängigkeit von politischen Entscheidungen und die damit verbundene hohe Unsicherheit ein Problem dar.

Dennoch muss es das Ziel der Institute sein, Finanzierungen in gefährdeten, weil nicht nachhaltigen Branchen künftig zu unterlassen und bereits getätigte Engagements im Zuge eines Divestments zurückzufahren. Dafür bedarf es eines klaren Commitments auf Vorstandsebene, an dem sich das gesamte Haus ausrichten muss. Zugleich - hier verlagert sich die Argumentation auf die Chancenperspektive - würden auch neue Geschäftsmöglichkeiten aus dem Übergang zum kohlenstoffarmen Wirtschaften offenbar werden.

Die Redaktion veröffentlicht in dieser Ausgabe ausgewählte Vorträge des Bundesbank Symposiums Bankenaufsicht im Dialog, das den kompletten Vormittag dem Thema Green Finance gewidmet hat. Eine gute Nachricht: Trotz des wachsenden Drucks vonseiten der EU wehren sich die Aufseher noch gegen neue Regeln, um den Klimawandel zu forcieren. Der niederländische Notenbank-Präsident Klaas Knot sagt deutlich: "Ich halte nichts davon, einen Fehler, nämlich die zu geringe Eigenkapitalkosten von Brown Finance, mit einem anderen Fehler, der Erleichterung für grüne Finanzierungen, zu beheben. Die Eigenkapitalunterlegung von Brown Finance muss sich dem Risiko anpassen." Doch auch ohne das bleiben enorme Herausforderungen und die schönen Tage sind vorüber. Angelehnt an das Gedicht "Herbsttag" von Rainer Maria Rilke: Banken, es ist Zeit!

Philipp Otto , Geschäftsführer, Verleger, Chefredakteur , Verlag Fritz Knapp, Verlag Helmut Richardi, Verlag für Absatzwirtschaft

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