Brexit-Übungen für den europäischen Markt?

Dr. Berthold Morschhäuser

Ob es im Zuge der Umsetzung des Brexits massenhaft Londoner Banker nach Frankfurt beziehungsweise Deutschland verschlagen wird, ist immer auch eine Frage der Erwartungshaltung. Und die war hierzulande nie übertrieben hoch. Sowohl die Verantwortlichen aus der Politik als auch die Vertreter der Kreditwirtschaft haben stets vorsichtig kalkuliert und vernünftigerweise keine übertriebenen Hoffnungen geweckt. Weit mehr als ein Jahr nach dem überraschenden Brexit-Votum gibt es inzwischen zwar noch keine belastbaren Zahlen, wohl aber einige konkrete Standortentscheidungen, viele positive Signale und durchaus auch unverrückbare Fakten.

So haben Institute wie die Standard Chartered Bank (siehe Beitrag in diesem Heft) ebenso wie mehrere japanische Institute beschlossen, ihren EU-Hub nach Frankfurt zu verlegen und demnach eine entsprechende Lizenz in Deutschland zu beantragen. Andere, wie die UTB Bank Deutschland, haben schon eine Lizenz in der künftigen EU-27, räumen dem Standort Frankfurt in ihrer Europastrategie aber mehr Gewicht ein (siehe Beitrag in diesem Heft). Die großen amerikanischen Institute Citi, Morgan Stanley und Goldman Sachs wollen sich frühzeitig die Möglichkeit erhalten, alle Facetten ihres Europageschäftes auch nach Vollzug des Brexits reibungslos weiterführen zu können. In diesem Sinne haben sie eine Verlagerung bestimmter Einheiten wie etwa des Handelsgeschäftes angekündigt und eine Aufstockung ihrer Frankfurter Belegschaft bekundet. Nicht zuletzt hat die Deutsche Bank mehrfach verlauten lassen, Funktionen und Mitarbeiter aus London nach Frankfurt und Berlin zu verlegen, die Rede ist von bis zu 4000. In solchen Dimensionen bewegen sich die zur Disposition stehenden Mitarbeiterzahlen der genannten Auslandsbanken bei Weitem nicht, zumal bei der angekündigten Aufwertung des Standortes Frankfurt längst noch nicht klar ist, ob und inwieweit von dem Abzug von einigen Hundertschaften aus London nicht auch andere europäische Bankenplätze profitieren, indem einige Teilfunktionen etwa nach Amsterdam, Dublin, Madrid, Mailand oder Paris ausgelagert werden. Dennoch könnten Stand heute in Frankfurt in absehbarer Zeit einige Tausend Mitarbeiter hinzukommen, selbst wenn man den Beschäftigungsabbau der hiesigen Großbanken gegenrechnet. Am Frankfurter Immobilienmarkt ist diese schöne Aussicht bereits spürbar. Seit Monaten berichtet die Branche von einem deutlich wachsenden Kaufinteresse und tendenziell steigenden Preisen.

An dieser Stelle ist man dann sehr schnell bei der Attraktivität Frankfurts als Arbeitsplatz und Wohnort. Viele hiesige Banker mit guten Kontakten in die britische Hauptstadt äußern zwar nach wie vor ihre Zweifel, ob die Imagepflege und das intensive Standortmarketing ausreichen, es gibt aber eben auch eine Reihe von Faktoren, die Frankfurt doch sehr erträglich machen. Das fängt an mit der Verkehrsinfrastruktur, dem Bildungs- und kulturellen Angebot in der Rhein-Main Region und reicht bis hin zu so handfesten wirtschaftlichen Überlegungen wie den vergleichsweise günstigen Preisen für Büroraum, einschließlich des in absehbarer Zeit hinzukommenden Angebots der in Bau befindlichen Objekte. In den offenbar als äußerst wichtig empfundenen Fragen des Arbeitsrechtes wird man freilich erst nach der Bundestagswahl auf Änderungen hoffen dürfen. Ohnehin muss man sich als internationaler Banker in Frankfurt keineswegs in einer Enklave von deutschen Kreditinstituten fühlen. Im Gegenteil: Der reinen Anzahl nach wird der Finanzplatz Frankfurt seit vielen Jahren eindeutig von den Auslandsbanken dominiert. Lässt man die Kapitalverwaltungsstellen außer Acht, entfallen der Bundesbankstatistik nach per Ende 2016 von den 195 Instituten mit Sitz in Frankfurt 156 auf die Auslandsbanken und lediglich 39 auf die inländischen Häuser. Als Folge des Brexits dürfte sich diese Quote nach den jüngsten Standortentscheidungen einiger Auslandsbanken auf geraume Zeit sogar noch weiter zu deren Gunsten verschieben. Dem in Frankfurt ansässigen Verband der Auslandsbanken in Deutschland (VAB) beschert die Entscheidung der britischen Wähler jedenfalls 35 Jahre nach seiner Gründung gerade an seinem Sitz in Frankfurt zusätzliches Potenzial für eine wirksame Unterstützung seiner Mitglieder bei deren Positionierung in Deutschland (siehe Interview in diesem Heft).

Wie gut diese in den zurückliegenden Jahren schon gelungen ist, zeigt sich in einer ganzen Reihe von global ausgerichteten Geschäftsfeldern, in denen die deutschen Institute eher ein Schattendasein fristen. So finden sich im Ranking der Bietergruppe für Bundesemissionen im ersten Halbjahr 2016 unter den ersten 36 nur neun einheimische Adressen, bei den Aktienemissionen mit JP Morgan an der Spitze waren es vier von zehn Instituten, bei den Anleiheemissionen drei von zehn, bei den Gebühren im Investmentbanking zwei von zehn und im deutschen M & A - mit der Deutschen Bank auf Rang 6 - nur eine von zehn. Das große Flair des Investmentbankings freilich dürfte Londoner Bankern an dem von der kreditwirtschaftlichen Finanzierung geprägten Finanzplatz Frankfurt fehlen. Aber selbst das könnte sich mittelfristig ändern, wenn sich die EU nach einem vollzogenen Austritt Großbritanniens wieder stärker dem Großprojekt der Kapitalmarktunion zuwenden und damit die Förderung der Unternehmens- und Mittelstandsfinanzierung über den Kapitalmarkt in den Fokus rücken sollte.

Allem Eindruck nach stellen viele internationale Häuser im Zuge ihrer Brexit-Überlegungen längst auch die Weichen für den künftigen europäischen Binnenmarkt. Sie haben in den vergangenen Monaten die ungeliebte - weil für den gesellschaftlichen Wohlstand in der Eurozone kontraproduktive - Brexit-Vorbereitung dafür genutzt, sich ganz grundsätzlich und systematisch mit ihrer künftigen Europastrategie auseinanderzusetzen und die organisatorischen Vorbereitungen für den Antritt in der EU-27 zu treffen. Das wirft sogleich die Frage auf, ob auch die deutsche Kreditwirtschaft schon europatauglich aufgestellt ist. Die größeren Häuser mit eigenen Einheiten in London haben das sicherlich im Blick. Aber was wird aus den beiden großen Verbundgruppen, die sich im Internetzeitalter an das Regionalprinzip gebunden fühlen beziehungsweise ihm verpflichtet sind?

35 Jahre VAB 31. März 1982 Gründung des Verbandes26. Mai 1982 Eintragung der "Vereinigung der Auslandsbanken in Deutschland" in das Vereinsregister; Vorsitzender: Brian Kissack; Leiter der Geschäftsstelle: Dr. Jürgen Eicke1986 Namensänderung in "Verband der Auslandsbanken in Deutschland"1990 Dr. Hans-Georg Engel wird Vorstandsvorsitzender1993 Dr. Jan Marwede wird Geschäftsführer2001 Dr. Peter Coym wird Vorstandsvorsitzender2003 Jens Tolckmitt wird Geschäftsführer2005 Dr. Michael Zitzmann wird Vorstandsvorsitzender2007 Achim P. Klüber wird Vorstandsvorsitzender2009 Dr. Oliver Wagner wird Geschäftsführer2009 Stefan Winter wird Vorstandsvorsitzender
Dr. Berthold Morschhäuser , ehem. Chefredakteur , Fritz Knapp Verlag

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