Deutsche Großbanken: Verfassungsänderung

Berthold Morschhäuser

Für die Kreditwirtschaft ist schon die neunte Bilanzsaison nach dem akuten Ausbruch der Finanzkrise angelaufen. Traditionell gilt in dieser frühen Berichtsphase ein besonderer Blick den beiden verbliebenen Großbanken, die mit der vergleichsweise frühen Präsentation ihrer Zahlen häufig Akzente setzen und/ oder Entwicklungen aufgreifen, die für die gesamte Branche Anknüpfungs- oder gerne auch Reibungspunkte bieten. In ihrer strategischen Gesamtausrichtung vergleichbar sind die "Blauen" und die "Gelben" allerdings längst nicht mehr.

Und auch in der Allgemeinverfassung laufen die (Erfolgs-)Linien der beiden Großbanken seit Beginn der Subprime-Turbulenzen Mitte 2007 kaum einmal im Gleichschritt.

Rückblick auf die Bilanzsaison 2007: Die Deutsche Bank arbeitete seinerzeit mit Hochdruck daran, ihren erklärten Anspruch als eine der weltweit führenden Investmentbanken zu untermauern. Für die Commerzbank ging es nach dem weitgehenden Abschluss der mühevollen Integration der Eurohypo darum, durch eine Verbesserung der Eigenkapitalrentabilität die Augenhöhe mit der Peergroup der europäisch ausgerichteten Großbanken mit nationalem Schwerpunkt zu wahren. In beiden Häusern war die Berichterstattung 2007 - wie in der hiesigen Branche allgemein - noch durch den vergleichsweise guten Verlauf des ersten Halbjahres geprägt. Die Deutsche durfte noch einmal ein Ergebnis vor Steuern von knapp 8,75 Milliarden Euro und eine Eigenkapitalrendite von fast 25 Prozent feiern. Und die Commerzbank zeigte sich stolz über das Erreichen des angepeilten Ziels einer Eigenkapitalrendite von 15,4 Prozent und eines Ergebnisses vor Steuern in Höhe von 2,51 Milliarden Euro.

Erst die Zahlen des Jahres 2008 haben in den Ertragsrechnungen wie bei den Aktienkursen der beiden Banken die deutlichen Spuren der Finanzkrise hinterlassen, mit denen sie bis heute zu kämpfen haben. Die Deutsche Bank wies seinerzeit ein Ergebnis vor Steuern von minus 5,741 Milliarden Euro beziehungsweise einen Jahresfehlbetrag von 3,896 Milliarden Euro aus. Für die Commerzbank stand durch die Mehrfachbelastung aus höheren Eigenkapitalanforderungen der Aufsicht, der inzwischen anstehenden Integration der Dresdner Bank und den weltweiten Turbulenzen an den Kapitalmärkten nicht nur ein Ergebnis vor Steuern von minus 403 Millionen Euro zu Buche. Sondern das Institut hatte im Verlauf des Jahres 2008 auch auf eine Staatshilfe in Form einer stillen Einlage des Bundes sowie einer Minderheitsbeteiligung des Soffin in Höhe von insgesamt 18,2 Milliarden Euro zurückgreifen müssen. Diese staatliche Stützung wurde ihm fortan von den Medien wie den Wettbewerbern am Markt immer und immer wieder als massive Begünstigung im Tagesgeschäft vorgehalten. Auf Jahre hinaus war und ist die Bank mit dem Makel behaftet, am Tropf des Staates zu hängen. Auch nach der Rückzahlung der stillen Einlage im Jahre 2013 ist der Bund mit derzeit rund 17 Prozent immer noch größter Anteilseigner. Der Deutschen Bank hin gegen wurde trotz der Ergebnisdelle 2008 über all die Jahre hin zugetraut, sich aus eigener Kraft im Ranking der internationalen Großbanken weit nach vorn schieben zu können.

In der seit 2011 geführten Liste des Financial Stability Boards mit den globalen systemrelevanten Banken, die mit einem zusätzlichen Eigenkapitalaufschlag belegt werden, war die Deutsche zunächst in der am höchsten eingestuften Gruppe 4 geführt und gehört mit drei weiteren Instituten der Gruppe 3 auch in der jüngsten Aktualisierung von November 2015 mit einer Quote von zwei Prozent noch zu den sechs am stärksten belasteten Instituten. Die Commerzbank hingegen ist wegen ihrer zurückgegangenen Relevanz im internationalen Geschäft zunächst aufgenommen, aber schon 2012 wieder aus dieser Liste der derzeit weltweit 30 betroffenen Banken gestrichen worden. Kurzum: In diesen ersten Jahren der Finanzkrise standen die beiden Banken oft in einem höchst unterschiedlichen Licht - hier der kühle Global Player mit berechtigten Erfolgsaussichten, dort das gebündelte Resultat zweier traditionsreicher Großbanken mit tendenziell abnehmender globaler Bedeutung und meist ohne den leuchtenden Glanz der Hausfarbe.

Erst in den vergangenen drei Jahren hat sich diese Wahrnehmung deutlich zugunsten der Commerzbank verschoben. Als die Deutsche Bank Ende Januar 2016 vor der Presse und den Analysten ihre Zahlen für das Berichtsjahr 2015 im Einzelnen erläutert hat, waren die Medien mit Blick auf das Ergebnis fast wieder beruhigt. Denn für den heftigen Aufreger hatte schon acht Tage vorher die Adhoc-Meldung gesorgt, die den Verlust für das Gesamtjahr mit 6,1 Milliarden Euro vor und 6,7 Milliarden Euro nach Steuern auswies. Diese Nachricht hatte es gleich in die Schlagzeilen von Funk und Fernsehen geschafft und am Folgetag den ohnehin hinfälligen Aktienkurs noch einmal jäh absacken lassen. Wirklich überraschend indes ist solche Art der Ergebnisrechnung freilich nicht, sie entspricht im Gegenteil allgemein geläufigen Mustern.

Dass 2015 für die Bank in einem satten Minus enden würde, war angesichts des Vorstandswechsels, der angekündigten Neuausrichtung ohne die einst als strategische Weichenstellung gefeierte Postbank sowie der unterjährigen Berichterstattung für das dritte Quartal 2015 zu er warten. Allerdings ist die Dimension des Verlustes offensichtlich höher ausgefallen, als von den Analysten vermutet. Wenn unter dem neuen Vorstandschef John Cryan schon erklärtermaßen ein Neuanfang gestartet wird, ist es weder verwunderlich noch verwerflich, alle erkennbaren Risikolagen und Anpassungslasten in das ohnehin schlecht gelaufene Jahr zu packen - jedenfalls soweit die Rechnungslegungsvorschriften es zulassen und/oder die Wirtschaftsprüfer es für vertretbar halten.

Für die Commerzbank steht die Veröffentlichung der Jahreszahlen 2015 dieser Tage erst noch an, doch deuten die Q3-Zahlen ebenso wie die Schätzungen der Analysten auf einen deutlichen Anstieg des Ergebnisses vor Steuern hin und bescheinigen dem Institut auch für die Folgejahre recht solide Aussichten. Selbst wenn die anvisierten Eckdaten der strategischen Agenda 2016 ganz oder teils revidiert werden müssen, zeigt die Entwicklung der Bank der Tendenz nach in die richtige Richtung. Sie ist zumindest auf dem angekündigten Weg. Die Deutsche Bank hingegen ist aus der Spur und muss neu starten.

Mit Blick auf die Vorstandsspitze steht freilich im Verlauf dieses Jahres auch für die Commerzbank ein Neubeginn an. Doch auch an dieser Stelle unterscheiden sich die Verhältnisse der beiden deutschen Großbanken grundsätzlich. Martin Blessing musste angesichts der spärlichen Erfolge in der Ergebnisentwicklung der Commerzbank über viele Jahre als Prügelknabe herhalten. Doch trotz aller zwischenzeitlichen Trialand-Error-Prozesse, etwa im Umgang mit der Eurohypo, ist er aber im Großen und Ganzen auf dem selbstgesteckten Kurs geblieben - Ausrichtung an den Bedürfnissen der Kunden und der Realwirtschaft, Abbau von Risiken, Stärkung der Kapitalausstattung sowie eine kontrollierte Balance zwischen Kostenmanagement und Investitionen in mögliche neue Ertragsfelder. Zumindest seit 2012 kann die Bank dieses Konzept der Richtung nach auch mit Zahlen untermauern. Martin Blessing selbst konnte somit aus einer Position der Stärke heraus die ihm angebotene Vertragsverlängerung ausschlagen und wird das Amt des Vorstandsvorsitzenden im Herbst dieses Jahres räumen.

Anshu Jain und Jürgen Fitschen hingegen haben die teils schon unter ihrer Mitverantwortung im Vorstand angehäuften Lasten aus der Vergangenheit nicht überzeugend aufarbeiten können und sind gescheitert. Ihr sicher ernst gemeinter Ansatz eines Kulturwandels wurde immer wieder durch frühere Verfehlungen eingeholt, angefangen vom Libor-Skandal, über Vorwürfe gegen Divisenhändler, Unregelmäßigkeiten im Russlandgeschäft bis zu den immer noch nicht abgeschlossenen Verfehlungen auf dem amerikanischen Subprime-Markt. Rückstellungen für Rechtsstreitigkeiten in Milliardenhöhe gehören bei der Bank in den vergangenen Jahren zum Normalfall. Allein für das vierte Quartal 2015 sind weitere 1,2 Milliarden Euro hinzugekommen.

Vor diversen Rückstellungen für Rechtsstreitigkeiten war zwar auch die Commerzbank nicht gefeit. Auch sie hatte noch im März 2015 nach einem Vergleich mit den US-Justizbehörden satte Belastungen von just 1,2 Milliarden Euro zu verkraften, die aus der Anwendung der amerikanischen Rechtsordnung in den Bereichen Geldwäsche und Terrorismusbekämpfung resultieren. Doch all das hat sich als beherrschbar gezeigt. Seit Jahren ist die strategische Aufstellung der Bank in hohem Maße stabil und ganz allmählich schlägt sich das auch in recht verlässlichen Ertragssteigerungen nieder. Die Allgemeinverfassung der Commerzbank tendiert zur Verbesserung, die der Deutschen verschlechtert sich eher.

Übrigens: "Konzentration auf das Wesentliche" war im Jahre 2008 der Geschäftsbericht der Commerzbank überschrieben. "Krise als Chance nutzen" war auf dem Cover des Jahresberichtes der Deutschen Bank zu lesen. Preisfrage: Wer ist seinen Ansprüchen in den vergangenen neun Jahren besser gerecht geworden?

Dr. Berthold Morschhäuser , ehem. Chefredakteur , Fritz Knapp Verlag
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