Wir fahren nach Berlin

Dr. Berthold Morschhäuser

Dass die deutschen Fußballvereine und mit ihnen tausende ihrer Fans im Frühjahr jeden Jahres liebend gerne nach Berlin fahren, wird sich in weniger als zwei Wochen wieder beobachten lassen. Wenn Ende April in den Halbfinalpartien die zwei Teilnehmer am Endspiel um den DFB-Pokal ermittelt werden, kündigen die Anhänger der Siegerteams in einem bekannten Ritual stimmgewaltig und wohlgelaunt ihre Berlinreise an. Mit welchem Grad an Begeisterung es Anfang April die Spitzenmanager der privaten deutschen Banken nach Berlin gezogen hat, um ihren 21. Bankentag zu feiern, lässt sich weit weniger eindeutig beurteilen. Die Voraussetzungen für eine kollektive Feierlaune sind allerdings bei dieser im Dreijahresrhythmus stattfindenden Veranstaltung von vornherein schlechter. Denn dort gibt es nur begrenzte Aussichten auf greifbare Erfolge für das eigene Haus. Und die anstehenden Entscheidungen - in diesem Falle die Abstimmung über eine Reform der freiwilligen Einlagensicherung sowie die teilweise Neubesetzung des BdB-Vorstands - schließen wegen guter Vorbereitung Überraschungen meist aus. Anders als bei den Verbandstagen von Sparkassen und Kreditgenossenschaften kann sich unter den Vertretern der privaten Banken auch ein Gemeinschaftsgefühl nur schwerlich einstellen. Dafür stehen viele von ihnen trotz einer weit auseinanderklaffenden strategischen Ausrichtung und höchst unterschiedlichen Größenverhältnissen zu sehr in hartem Wettbewerb vor Ort.

Unter diesen Vorzeichen hat die Delegiertenversammlung schon vor dem offiziellen Programm des Bankentages den Mitte Februar dieses Jahres öffentlich vorgestellten Vorschlägen des Verbandsvorstands zur Reform des freiwilligen Einlagensicherungsfonds zugestimmt (siehe ZfgK 5-2017). Wichtigste Neuerung: Bankähnliche Kunden wie Wertpapierfirmen sowie Bund, Länder und Kommunen werden als professionelle Investoren eingestuft und verlieren den bisher gewohnten Schutz. Dass die Neuregelung für alle private Banken mit mehr oder weniger starken Ausrichtung auf die betroffene Klientel und/oder die Produkte zu Verschiebungen der Geschäftsausrichtung führen kann, wurde in Berlin noch einmal vorgetragen, hat die Entscheidung des zuständigen Gremiums aber nicht mehr verändert. Sich selbst um solche Belange zu kümmern sind die BdB-Institute freilich gewohnt. Auch an dieser Stelle zeigen sich die Unterschiede zu den beiden durch das Regionalprinzip geprägten Verbundorganisationen. Während deren Vorstände bei ihren Verbandstagen recht konkret über Muster von Lösungsansätzen reden können, ohne sich im Wettbewerb vor Ort ins Gehege zu kommen, berührt ein solcher Austausch in den privaten Banken sehr schnell essenzielle Differenzierungsmerkmale im Wettbewerb. Folglich muss der BdB immer wieder besonders sorgsam darauf achten, für seine Mitglieder zwar greifbaren Nutzen zu stiften, sich aber keinesfalls in deren strategische Ausrichtung einzumischen. Trotz des fehlenden Mandats für eine Strategieführerschaft in konkreten Fragen der Marktbearbeitung, hat die BdB-Spitze in Berlin wiederholt von einem Familientreffen gesprochen und unverändert die gemeinsamen Interessen und die enge Bande sowie die einheitliche Stimme von Wettbewerbern über die gesamte Bandbreite des Bankgeschäftes und höchst unterschiedlichen Größenordnungen hinweg betont. Nie zuvor, so hat Verbandspräsident Hans-Walter Peter erfreut registriert, konnten bei dieser Veranstaltung so viele Vorstände, Bankleiter und Geschäftsführer aus den Mitgliedshäusern gezählt werden.

Die Voraussetzungen für einen konstruktiven Verlauf waren diesmal allerdings gut. Denn viele der besonders drängenden Themen liegen außerhalb der konkreten Marktbearbeitung. Neben der Weichenstellung mit der Beschlussfassung über die Modifikation der Einlagensicherung gab es in Zeiten des Brexit, der wiederstrebenden Kräfte in Europa, der alle Häuser irgendwie belastenden Geldpolitik, der Anforderungen der Regulierung sowie der alle Institute betreffenden Herausforderungen an die Digitalisierung und den Auf- und Ausbau der Banktechnik diesmal ein besonders dankbares Themenspektrum. In den großen Linien fiel die Konsensbildung nicht schwer und hat für viele Delegierte eher eine Bestätigung und Festigung ihrer Positionen gebracht. Das betrifft etwa die allgemeine Überzeugung, dass die Geldpolitik und die Regulierung längst ein Stadium erreicht haben, in dem eine ernsthafte Kosten-/Nutzenanalyse notwendig ist. Der allgemeine Tenor der offiziellen Veranstaltung unterstrich ausnahmslos Überlegungen und zum Teil auch klare Forderungen nach einer Trendwende, sprich einem kalkulierbaren Ausstieg aus der expansiven Geldpolitik sowie einer Überprüfung der regulatorischen Maßnahmen hinsichtlich ihrer Interdependenzen und Gesamtwirkungen. Mit seinen grundsätzlichen Forderungen zur Umsetzung des Proportionalitätsgedankens in der Regulierung unterscheidet sich die Diktion des BdB im Übrigen kaum von der Sprachregelung des DSGV und des BVR. Wohlwollend zur Kenntnis genommen wurde auch die positive Resonanz auf dieses Thema durch Bundesbankpräsident Jens Weidmann und dem zuständigen EU-Kommissar Valdis Dombrovskis. Doch trotz solcher verbaler Bekenntnisse fällt es vielen Praktikern schwer, an eine Umsetzung zu glauben, so jedenfalls die Resonanz in den Pausengesprächen.

Eher eine Verfestigung altbekannter Einsichten brachte auch die Brexit-Diskussion. Bei allen Willensbekundungen und Appellen, die in den kommenden zwei Jahren anstehenden Austrittsverhandlungen nüchtern anzugehen und keinesfalls in eine Strafaktion münden zu lassen, dominiert die Erwartung von harten Verhandlungen. Auch und gerade weil bei vielen Beteiligten angesichts der Komplexität der anstehenden Regelungen die Notwendigkeit von Übergangsfristen gesehen wird, rechnen die privaten Banken mit anhaltenden Unsicherheiten, die letztlich zu Wohlstandsverlusten führen werden.

Interessant waren schließlich die Einsichten zum Stand und den Aussichten einer Konsolidierung der europäischen Bankenlandschaft. Obwohl die Ertragslage der hiesigen Kreditwirtschaft als unzureichend und vor dem Hintergrund der Bedrohung vieler Geschäftsmodelle durch eine unaufhaltsame Digitalisierung eine Konsolidierung als notwendig erachtet wird, werden die Chancen dafür von den Bankern, den Wissenschaftlern und auch den Politikern als sehr begrenzt eingeschätzt, solange wichtige Vorarbeiten der Banken- und die Kapitalmarktunion sowie viele flankierende Harmonisierungsbestrebungen, etwa im Steuer- und Insolvenzrecht, noch unterentwickelt sind. Die Chefs der Deutschen Bank als auch der Commerzbank haben auf dem Bankentag noch einmal ausdrücklich unterstrichen, sich ihrerseits auf absehbare Zeit auf die Hausaufgaben der strategischen Neuausrichtung konzentrieren und allenfalls organisch wachsen zu wollen. Schon im Herbst vergangenen Jahres hatte der CEO der ING die (regulatorischen) Rahmenbedingungen und damit das Klima für eine grenzüberschreitende Bankenkonsolidierung als völlig unzureichend eingestuft.

Und dennoch gibt es in der täglichen Praxis deutliche und sanfte Anzeichen in diese Richtung. Eine deutsch-französische Bank wie sie erklärtermaßen Oddo & Cie aufbauen und unter der Marke Oddo BHF etablieren will, gehört sicherlich zu den wenigen offensiven Experimenten hin zu einem europäischen Finanzmarkt. Aber die Strukturen für grenzüberschreitende Zusammenschlüsse werden auch gelegt, je einheitlicher die europäische Regulierung aufgebaut und angewendet wird. Und bei aller Ungeduld der Beteiligten gibt es immerhin erkennbare Bestrebungen, die steuerlichen Rahmenbedingungen und das Insolvenzrecht schrittweise zu harmonisieren. Hinzu kommt sowohl national als auch paneuropäisch oder global ein Austausch über die offiziellen Kanäle wie die Deutsche Kreditwirtschaft oder das Institute of International Finance. Daneben gibt es auf Arbeitsebene konkrete Initiativen, die - wenn auch sehr langsam - einer Vereinheitlichung der Rahmenbedingungen näherbringen. So darf man den paneuropäischen Austausch zwischen bankgeführten Allfinanzkonglomeraten in regulatorischen oder auch bilanztechnischen Angelegenheiten sicherlich längst noch nicht als unmittelbaren Vorboten für eine grenzüberschreitende Bankenkonsolidierung werten. Aber auch er trägt in Einzelfragen und Verfahrensweisen zu einer Harmonisierung bei, die später einmal europäische Strukturen erleichtern könnte. Innerhalb der deutschen Finanzwirtschaft schließlich gibt es einen ge wissen situationsbezogenen Austausch zwischen Instituten mit ähnlichen Angelegenheiten.

Nicht zuletzt sind da noch die Erfahrungen mit ausländischen Tochtergesellschaften. Ein Konzern wie die ING Group mit seiner starken Einheit in Deutschland lernt auf Dauer sehr gut die Bedingungen in beiden Ländern kennen. Die Commerzbank ist durch die dortige Tochter genau mit den Verhältnissen am polnischen Markt vertraut. Die großen französischen Banken aber auch der Banco Santander bewegen sich über ihre Töchter ebenso auf deutschem Terrain wie eine Unicredit. All das mögen derzeit noch vergleichbar kleine Schritte sein, aber in Summe bewegen sie sich doch in Richtung eines europäischen Bankenmarktes. Allein zur Schärfung dieses Blickwinkels war der 21. Deutsche Bankentag vielleicht schon eine Reise wert.

Dr. Berthold Morschhäuser , ehem. Chefredakteur , Fritz Knapp Verlag
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