Eine Frage von Zeit- und Mittelausstattung

Berthold Morschhäuser

Wenn in der S-Bahn oder im Zug zur Rushhour Personen in Freizeitkleidung in Richtung Frankfurt unterwegs sind, die man gewöhnlich nur im feinen Zwirn sieht, kann das am Wochentag liegen. Am Casual Friday ist der in vielen Frankfurter Bankhochhäusern immer noch übliche graue, schwarze, blaue oder zumindest dezent dunkle Dresscode aufgelockert. Macht man die gleiche Beobachtung einer ungewohnten Kleiderordnung zur gleichen Zeit an einem anderen Wochentag, kann schon mal ein soziales Projekt der Grund sein.

Im Zuge des Corporate Citizenship engagieren sich einige Banken und Sparkassen für gesellschaftliche Projekte, etwa beim Aufbau von Spielplätzen oder der Renovierung oder Säuberung von öffentlichen Einrichtungen und binden dabei gerne mal ihre Mitarbeiter ein. Führt der Weg zur Rushhour und in Freizeitbekleidung in die andere S-Bahn- Richtung, also aus Frankfurt heraus, waren in früheren Jahren zumindest für die Mitarbeiter der beiden Frankfurter Großbanken die Ausbildungszentren im Vordertaunus das Ziel. Dieser Fall war dann meist ein untrügliches Zeichen für finanzielle Entspannung in der Ertragsrechnung.

Wenn es den Banken gut ging, wurden oft die Budgets für die Aus- und Weiterbildung sowie für Teambuilding-Maßnahmen aufgestockt. Umgekehrt wurden und werden diese finanziellen Mittel schnell und ziemlich radikal beschnitten, wenn die Ergebnisse der Banken weniger gut ausfallen. Kontinuierliches Personalmanagement, wie sich die HR-Abteilungen in Banken wie anderen Unternehmen das wünschen, ist längst nicht der Regelfall. Und allem Eindruck nach wird zumindest im Bankgewerbe auch der demografische Wandel derzeit noch nicht als dringlich genug empfunden, den Maßnahmen für die Mitarbeiterbindung und -gewinnung einen herausragenden Stellenwert einzuräumen.

Speziell in den beiden Frankfurter Großbanken stehen derzeit keineswegs Bildungs-, Motivations- und auch nicht Vergütungsfragen im Mittelpunkt, sondern ganz einfach die Sorge um den Arbeitsplatz. Wie will man den Mitarbeitern der beiden Institute bis zur Klärung der Verhältnisse vermitteln, dass sie die angekündigte Transformation in die digitale Welt als Chance und nicht als Bedrohung empfinden sollen? Die Deutsche Bank hat erst Anfang Oktober eine Einigung mit dem Konzern- und Gesamtbetriebsrat zum Abbau von weiteren 1000 Stellen gemeldet, nachdem schon im Juni dieses Jahres in einem ersten Schritt der Wegfall von 3000 Arbeitsplätzen beschlossen worden war. In der Commerzbank sollen in den kommenden Jahren 9600 Stellen abgebaut werden. In welchen Bereichen das geschehen soll, wird dieser Tage vorsichtig kommuniziert. Bis konkrete Entscheidungen fallen und die Betroffenen informiert werden können, bedarf es noch intensiver Verhandlungen in den Gremien, mit all den Nebenwirkungen der schwierigen internen Kommunikation. Dass es in der gelben Bank gleichzeitig einen Aufbau von 2300 neuen Arbeitsplätzen geben soll, mag ein untrügliches Zeichen für den überzeugenden Aufbruch in den seit Langem diskutierten Wandel der Branche sein. Die Motivation der vorhandenen Belegschaft dürften solche zukunftsweisenden Aktivitäten aber kaum heben.

Zudem werfen diese Personalmaßnahmen der Großbanken sofort die Frage auf, ob die beiden großen Verbundgruppen und die vielen kleinen und mittleren Institute aus dem privaten Bankensektor die Entwicklung verschlafen und früher oder später ähnlich abrupte Personaleinschnitte vor sich haben, wie sie die beiden Großbanken gerade vollziehen. Nicht zwingend, wie der Blick auf die aggregierten Zahlen zeigt. So weist der Finanzbericht des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes per Jahresende 2013 für die hiesigen Sparkassen 244038 Mitarbeiter aus, am 31. Dezember 2015 nur noch 233742. Innerhalb von nur zwei Jahren bedeutet das einen Rückgang der Beschäftigtenzahl um 10296 oder immerhin gut 4,2 Prozent. Ein ähnliches Bild findet sich in der Statistik des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken für den Genossenschaftssektor. Wurden für die Genossenschaftsbanken inklusive der Sparda-Banken und der PSD-Banken zum Stichtag 2013 noch 160 100 Mitarbeiter registriert, waren es zwei Jahre später noch 155 300 - ein Minus von rund 3 Prozent. Einen permanenten Mitarbeiterabbau gibt es also auch in den Verbundorganisationen, nur verläuft dieser schon seit vielen Jahren evolutionär - über viele Einzelinstitute und über die Fläche verteilt. Drastische Maßnahmen in einzelnen Häusern kommen dabei durchaus vor, finden aber nicht die bundesweite Beachtung, wie sie den Großbanken gewiss ist.

Eine Komfortzone zur Umsetzung all der klugen Maßnahmen des Personalmanagements, wie sie in den Beiträgen dieses Heftes aufgezeigt werden, haben allerdings auch die Ortsbanken der Verbünde nicht. Eine Kultur der Achtsamkeit, der kluge Umgang mit Fehlern, der Respekt vor der Expertise der "unteren Hierarchie", die Schaffung einer unverwechselbaren Unternehmenskultur durch besseres Miteinander-Arbeiten und effektiveres Mit einander-Reden, die Auswahl der richtigen Social-Media-Kanäle für die Personalgewinnung, die Förderung der Bereitschaft zu Transparenz und zur Veränderung, all das erfordert ein entsprechendes finanzielles Budget und vor allen Dingen auch Zeit zur Umsetzung. Und um diese beiden Ressourcen müssen die HR-Verantwortlichen in der Kreditwirtschaft in Zeiten zunehmender Regulierung und hartem Konditionenwettbewerb zäh ringen - oft vergeblich.

Die Kleiderordnung der Banker in und um Frankfurt dürfte übrigens noch vielfältiger werden. Denn bei der Deutschen Bank werden 400 und im weiteren Ausbau stadium 800 Mitarbeiter in Richtung der kürzlich eröffneten neuen Digitalfabrik unterwegs sein. Und bei der Commerzbank sollen sich für ein Jahr lang 1 000 oder mehr Mitarbeiter in den sogenannten Digital Campus bewegen, der im Zuge der kürzlich verkündeten Strategie Commerzbank 4.0 die Transformation der Bank in die digitale Welt vorantreiben soll.

Konkret sollen Mitarbeiter aus allen Bereichen für ein Jahr ihre Linienfunktion aufgeben und daran mitarbeiten, möglichst viele Abläufe der Bank zu digitalisieren und dann bankweit einzuführen. Angepeilte Zielgröße für die Digitalisierung sind mindestens 80 Prozent aller Prozesse. Solche Projektarbeit, so steht zu vermuten, kann nur in einem Outfit gedeihen, das bei den Fintechs üblich ist, also zumindest grundsätzlich ohne Krawatte. Ob dieses fraglos unkonventionelle Großprojekt in einer Rückbetrachtung einmal als öffentlichkeitswirksame Idee von Unternehmensberatern gewertet wird oder wirklich dazu beiträgt die Digitalisierung wie gewünscht zu beschleunigen und im Idealfall auch die entsprechende Unternehmenskultur in der Bank nachhaltig im Sinne professioneller HR-Arbeit zu verändern? Es wird in jedem Falle von der technischen wie von der Mitarbeiterseite her höchst spannende (Nach-) Betrachtungen erlauben.

Dr. Berthold Morschhäuser , ehem. Chefredakteur , Fritz Knapp Verlag

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