Fruchtbarer Boden

Carsten Englert, Redakteur Foto: Verlag Fritz Knapp GmbH

"Sparweltmeister" waren die Deutschen gefühlt ja schon immer. In den vergangenen 30 Jahren gab es laut Daten von Statista nur fünf Jahre (1999 und 2000 sowie 2012 bis 2014), in denen die privaten Haushalte hierzulande weniger als zehn Prozent ihres verfügbaren Einkommens gespart haben (siehe Abbildung). Doch 2020 dürfte die Sparquote nochmals sprunghaft angestiegen sein. Laut Zahlen des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) wird sie 2020 bei 17 Prozent liegen, im zweiten Quartal 2020 schoss die Quote laut BVR kurzzeitig sogar auf 21,1 Prozent in die Höhe. Das ist ungewöhnlich. In früheren Konjunkturkrisen sank die Sparquote für gewöhnlich, da damit sinkende Einkommen kompensiert wurden. Doch dank Kurzarbeitergeld und gigantischen Hilfspaketen sowie einer faktischen Insolvenzaussetzung für Unternehmen sinken die Einkommen nicht in größerem Umfang. Die Deutsche Bundesbank führt die erhöhte Sparleistung in ihrem Monatsbericht Dezember 2020 darauf zurück, dass durch die diversen Lockdowns schlichtweg die Gelegenheit zum Konsum gefehlt hat. Zudem dürfte auch eine nicht zu vernachlässigende Rolle dabei gespielt haben, dass in Krisenzeiten die Neigung zur Vorsichtskassenhaltung tendenziell steigt und nun bei ungefähr gleichbleibendem Einkommen sowie sinkendem Konsum auch das Potenzial dafür da ist.

Laut BVR ist das Geldvermögen der Deutschen durch die vermehrten Sparanstrengungen allein im ersten Halbjahr um 5,4 Prozent beziehungsweise 348 Milliarden Euro gestiegen. Gleichzeitig sind auch die Umsätze an den Börsen in Deutschland massiv gestiegen (siehe Seite 48). Die Menschen in Deutschland - sonst dem Kapitalmarkt gegenüber eher skeptisch eingestellt - finden anscheinend langsam den Weg zu einem sinnvolleren Anlageverhalten, sind aber dennoch weit weg vom Idealzustand. Auf Seite 10 der aktuellen ZfgK-Ausgabe befasst sich Hans Joachim Reinke, Vorstandsvorsitzender der Union Investment, ausführlich mit diesem Thema. Ab Seite 13 analysiert zudem Christine Bortenlänger vom Deutschen Aktieninstitut die Auswirkungen der Pandemie auf die deutsche Aktienkultur. Dennoch dominieren nach wie vor beim Sparen das Bargeld und die Einlagen, die laut der Analyse des BVR für 40 Prozent des Zuwachses des Geldvermögens im ersten Halbjahr verantwortlich waren. Nach wie vor bleibt ein wesentlicher Teil des Ersparten also einfach auf dem Konto. Das wiederum sind schlechte Nachrichten für die Banken, denen zusätzliche negative Zinserträge durch den negativen Zinssatz der Einlagenfazilität drohen.

Für die Fondsgesellschaften sind das dem Anschein nach hingegen eher gute Nachrichten. Tatsächlich flossen den offenen Publikumsfonds laut Daten des Branchenverbands BVI sowohl im zweiten als auch im dritten Quartal 2020 jeweils mehr als 15 Milliarden Euro neue Mittel zu. Noch mehr wurde zuletzt im vierten Quartal 2017 eingesammelt. Doch der Anstieg der Sparquote und des Geldvermögens ist wie bereits erwähnt keiner strukturellen Steigerung des Vermögens zu verdanken, sondern Pandemie-bedingt. Die Freude darüber wäre also möglicherweise zu einseitig und zu kurz gedacht. Es sollte dabei auch bedacht werden, was die volkswirtschaftlichen Folgen eines ausufernden Sparens aufgrund dieses exogenen Schocks sein könnten.

In der theoretischen geschlossenen Volkswirtschaft gilt die Formel S = I, also Ersparnisse = Investitionen. Nun haben wir keine geschlossene Volkswirtschaft und leben auch nicht in der Theorie, sondern in der Realität. Dazu kommt nun der Störfaktor Pandemie. Dieser lässt nicht nur auf der einen Seite die Sparquote (gezwungenermaßen) ansteigen, sondern gleichzeitig dürfte sie auch einen stark negativen Einfluss auf die Investitionstätigkeit haben. Aufgrund der Unsicherheit über die künftige Entwicklung und auch der unter Unternehmern zunehmenden Zukunftsangst dürften Investitionen erst mal auf breiter Front zurückgestellt werden, zumal auch schon vorher die Investitionsquote in Deutschland im internationalen Vergleich eher niedrig war und dazu im Zeitverlauf rückläufig. Es droht eine Ausweitung des Ungleichgewichts.

Auf der anderen Seite erwartet unter anderem der BVR auch nach dem Ende der Pandemie einen großen Impuls für die Konjunktur, allein durch die Reduzierung der Sparquote rechnet der Verband mit einem Schub von bis zu 3,2 Prozentpunkten für die Wirtschaftsleistung. Getragen wird das Ganze aber dann in erster Linie von Konsumaufholeffekten. Doch dazu muss man auch kein Volkswirt sein, um ahnen zu können, dass nach (weitgehender) Beendigung der Pandemie und einer Rückkehr zum freien kulturellen und gesellschaftlichen Leben die Menschen vieles nachholen werden. Die Nachfrage nach allerlei Dingen, denen wir jetzt schweren Herzens entsagen müssen, wird steil in die Höhe schießen. Doch gleichzeitig dürfte das Angebot deutlich zurückgegangen sein. Wenn das "Insolvenzverschleppungsgesetz" endlich mal ausläuft (nach der Bundestagswahl?), werden viele Gastronomen, Konzertveranstalter et cetera die Segel streichen. Auch wenn in diesem Land nicht mehr alles nach den Gesetzen der Marktwirtschaft läuft, dürfte jedoch auch hier die Regel bestehen bleiben: Sinkendes Angebot bei gleichzeitig steil steigender Nachfrage wird steigende Preise auslösen. Ist das dann die Initialzündung für die - von der EZB lange herbeigesehnte - Inflation?

Dazu gesellen sich ab diesem Jahr die CO2-Steuer und die Rückkehr zur alten Mehrwertsteuer. Gerade die Energiepreise haben in der Regel einen großen Einfluss auf den Verbraucherpreisindex. Beides könnte als zusätzlicher Inflationstreiber wirken und auf fruchtbaren Boden fallen, da die EZB im Dezember angekündigt hat, eine weitere halbe Billion Euro Liquidität in die Märkte zu pumpen.

Zu allem Überfluss befinden sich die Notenbanken in einem Dilemma, in das sie sich mit ihrer Geldpolitik selbst reinmanövriert haben. Durch das massive "Drucken" von Geld und der Quasiabschaffung des Zinses hat sich die Verschuldungsquote bei den Staaten aber auch den privaten Haushalten und Unternehmen in den letzten Jahren massiv erhöht - durch Corona wurde diese Entwicklung in den Staatshaushalten nochmals enorm beschleunigt. Gerade den trotzdem noch kriselnden Staaten wie Italien oder Spanien könnte eine Zinswende endgültig den ökonomischen Garaus machen. Die Notenbanken - insbesondere die EZB - dürften im Falle einer anziehenden Inflation also vorerst stillhalten. Vorbereitet wurde das ja auch schon durch den theoretischen Unterbau des symmetrischen anstatt eines asymmetrischen Inflationsziels.

Gerade deswegen ist es das gemeinsame Interesse der Banken und Asset Manager - aber auch der Kunden! - nun, die Menschen noch stärker dazu zu bringen, ihren neuen "Reichtum" auch richtig zu investieren. Fonds und Aktien sind dabei alternativlos, da nur sie allein noch eine spürbare Rendite bringen - wenn man mal Immobilien außen vor lässt, die nicht für jedermann geeignet sind. Für die Banken würde sich das doppelt lohnen: Weniger Einlagen, die für Minuszinsen sorgen, und gleichzeitig die Möglichkeit, das Provisionsergebnis voranzubringen. Die drohende Inflationsbeschleunigung könnte dabei als gutes Verkaufsargument dienen, da Sachwerte wie Aktien, Immobilien oder Gold traditionell zu den Gewinnern in inflationären Zeiten gehören, wie Armin Sabeur von Optinova im Schlussaufsatz der Fondsausgabe der ZfgK treffend vorträgt.

Sparquote der vergangenen 30 Jahre in Deutschland (Prozent) Quellen: Statista, BVR

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Carsten Englert , Leitender Redakteur, Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen , Fritz Knapp Verlag

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