Es führt kein Weg an Fonds vorbei

Carsten Englert Redakteur, Foto: Verlag Fritz Knapp GmbH

Der DAX als wichtigster deutscher Aktienindex hat gerade ein für ihn starkes und ereignisreiches Jahr abgeschlossen. Neben der strukturellen Veränderung mit der Umstellung auf 40 Werte - vorher jahrzehntelang unvorstellbar - wartete der Index vor allem mit einer sehr guten Performance auf. Der Kalenderjahresgewinn summierte sich auf 15,8 Prozent beziehungsweise mehr als 2 100 Indexpunkte. In Punkten gerechnet war das der zweithöchste Jahreszuwachs nach 2019 (2 690 Punkte) und zudem das dritte Jahr in Folge mit einem Kursplus. Beeindruckend - vor allem vor dem Hintergrund, dass wir immer noch mitten in der Pandemie stehen!

Ein ebenso starkes Jahr war 2021 für die Publikumsfonds-Branche in Deutschland. Nach noch nicht abschließenden Zahlen des Bundesverbands Investment und Asset Management (BVI) flossen den Publikumsfonds Anbietern in Deutschland bis einschließlich Oktober 2021 knapp 94 Milliarden Euro zu und der Bestand betrug Ende Oktober des vergangenen Jahres 1,420 Billionen Euro. Die wirklich Größe des Nettozuflusses 2021 entfaltet ihre Wirkung erst vollständig in Zusammenhang mit den Zahlen der Vorjahre: Da flossen den Anbietern mehr als 82 Milliarden Euro zu - und zwar kumuliert in den Gesamtjahren 2018 bis 2020! Im Jahr 2018 betrug das Nettomittelaufkommen nur 21,7 Milliarden Euro, 2019 sogar nur 17,3 Milliarden Euro. Was kommt als nächstes? Die Dampflock rollt weiter und die Nettozuflüsse steigen immer weiter? Um diese Frage beantworten zu können, sollte man sich nochmal verdeutlichen, was die Gründe für dieses vermutliche Rekordjahr waren.

Grundsätzlich dürften es drei Trends gewesen sein, die für hohe Zuflüsse in Publikumsfonds gesorgt haben. Erstens: Anlagenotstand, da der Zins abgeschafft wurde. Zweitens: Nachhaltigkeitsaufschwung. Drittens: steigende Risikobereitschaft, gerade auch bei jüngeren Sparern, getragen vom scheinbar endlos steigenden Aktienmarkt mit immer nur kurzen Dips. Sicherlich gibt es auch weitere Gründe, doch die drei genannten dürften die zentralen Ursachen sein. Bei der Suche nach der Antwort, ob sich die Entwicklung des Jahres 2021 für die Branche auch im Jahr 2022 einfach so weiter fortsetzen wird, dürfte ein Blick auf diese Aspekte hilfreich sein.

Erstens: Vor einem Jahr wurde an gleicher Stelle die Frage gestellt, ob die aktuelle Lage nicht die Initialzündung für die - von der EZB lange herbeigesehnte - Inflation sein könnte. In der Tat sind im Jahresverlauf wie erwartet die Raten hochgeschossen. Am 7. Januar 2022 wurden die Werte des harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) für die Eurozone von Eurostat für den Dezember 2021 in einer Vorabschätzung mit 5,0 Prozent angegeben. Es ist der höchste Wert seit Beginn der Erhebung dieses Index im Jahr 1997. Noch ein Jahr zuvor zeigte der HVPI für die Eurozone eine "Teuerung" von minus 0,3 Prozent an. Die Frage der Preissteigerungen ist wiederum zentral für die Frage, wie es mit der Geldpolitik weitergeht.

Aus Europa ist meist - auch von dem einen oder anderen Volkswirt - zu vernehmen, die Inflation wäre nur ein vorübergehendes Phänomen. Doch - mal wieder - sind die amerikanischen Geldpolitiker hier bereits einen Schritt weiter. Jenseits des Atlantiks scheint die Erkenntnis gereift zu sein, dass es allerhöchste Zeit ist, ernsthaft den inflationären Tendenzen entgegenzutreten. Das dürfte nicht nur an den in den USA noch höheren Preissteigerungsraten liegen. Die Fed scheint nun noch schärfer die Zügel anzuziehen; darauf deuten zumindest die Fed "Minutes" hin, die am Dreikönigstag veröffentlicht wurden. Demnach sprachen sich laut dem Sitzungsprotokoll einige Mitglieder dafür aus, schon kurz nach der ersten Zinserhöhung mit der Verringerung der Bilanzsumme der Notenbank zu beginnen. Das würde Anleiheverkäufe bedeuten und somit die Renditen anheben. Das wiederum dürfte die Kapitalströme vom Aktienmarkt teilweise wieder in den Anleihenmarkt umleiten und so die Kurse der Börsen belasten. Von der EZB hingegen sind weiterhin außer Nebelkerzen - PEPP runter, dafür APP rauf - bislang keine Signale zu vernehmen.

Zweitens: Der immer größer werdende Nachhaltigkeitsdruck sorgt für enormen Geldzufluss. Aus Branchenkreisen ist zu vernehmen, dass vor allem Sparpläne in nachhaltige Fonds für die Mittelzuflüsse gesorgt haben. Dieser "Anlagedruck" dürfte naturgemäß auch im Jahr 2022 den Absatz erleichtern. Allerdings, wie auch Henry Schäfer in seinem Beitrag ab Seite 13 feststellt, sind auch nachhaltig ausgerichtete Anleger nicht frei von Renditewünschen. In einem eher schwachen Aktienjahr könnte diese Absatzschiene daher ausgebremst werden. Für Diskussionen in der Branche wird hier auch noch die jüngste Entscheidung der EU sorgen, Atomkraft (und Erdgas) in die EU-Taxonomie aufzunehmen. Ein Vorhaben, das in Deutschland und Österreich in der Politik auf heftigen Widerstand stößt. Ein frei williger Verzicht der Asset Manager, in Atomenergie zu investieren, könnte hier der Weg des geringsten Widerstands sein und birgt zudem nicht die Gefahr, sich am Ende aufgrund dieser kontroversen Entscheidung dem Vorwurf des Greenwashings auszusetzen.

Drittens: Bis vor Kurzem schien die Börse tatsächlich am Ende doch noch eine Einbahnstraße geworden zu sein - wenn man einmal den ganz kurzen Corona-Dip außen vor lässt. Doch kann das immer so bleiben? Diese Frage hängt natürlich auch mit der ersten Frage zusammen. Eine Kehrtwende der Geldpolitik dürfte für länger anhaltende Korrekturen sorgen. Doch noch ist es nicht so weit. Auch die Frage nach den Bewertungen, die nicht immer einfach zu beantworten ist, und vor allem auch am Ende einer langen Hausse gerne verdrängt wird, spielt eine Rolle, zumal dynamisch steigende Rohstoff- und Erzeugerpreise mit Sicherheit nicht ohne Spuren in den Gewinn- und-Verlust- Rechnungen der Unternehmen bleiben werden.

Bleibt die Frage nach der Nachhaltigkeit der Bewertungen. Denn auch ein Blick auf absolute Marktwertzahlen kann schon mal für hochgezogene Augenbrauen sorgen. Ein Beispiel: Allein die sieben bedeutendsten US-Tech-Aktien, die einen großen Anteil an der Rallye der Aktienmärkte haben, in Form von Apple, Amazon, Google, Meta, Microsoft, Netflix und Tesla, haben einen kumulierten Marktwert von 11,4 Billionen (!) US-Dollar (Stand: erste Januarwoche 2022) erreicht. Diese Zahl muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Mal ein paar Bezugspunkte, um die Dimension besser erfassen zu können: Im Jahr 2020 erwirtschafteten Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien - also die vier größten Volkswirtschaften der Eurozone - gut zehn Billionen US-Dollar Bruttoinlandsprodukt (zu aktuellen Preisen, Quelle: IWF). Börsenwert aller 40 DAX Unternehmen (Stand: 7. Januar 2022, Quelle: Onvista): 1,73 Billionen US-Dollar.

Natürlich geht es in erster Linie nicht um absolute Werte. Aber auch die relativen, gewinnbezogenen Bewertungen sind zum Teil abenteuerlich. Bestes Beispiel: Tesla. Nach der durchschnittlichen Gewinnschätzung für das Jahr 2022 beträgt das Kurs-Gewinn-Verhältnis hier schon 116. Fans der Aktie argumentieren zwar gerne, dass spiele keine Rolle, da Tesla die Zukunft gehöre. Das ist jedoch eine Begründung, die sehr stark an die Argumentationen zur Jahrtausendwende erinnert ...

Das Fazit: Die Bewertungen haben zumindest in Teilen abenteuerliches Niveau erreicht, die Inflation ist hoch, die Geldpolitik beginnt (in den USA) gegenzusteuern, eine immer noch schwelende Pandemie, breite Anlegerschichten sind investiert, die es vorher nicht waren, und viele Anleger glauben, es wird immer nur weiter nach oben gehen. Das klingt nach der "perfekten" Rezeptur für ein überaus schwaches Börsenjahr. Es könnte für die Fondsbranche also herausfordernd werden, unter diesen Bedingungen ein auch nur annähernd gleich starkes Jahr wie 2021 zu erzielen. Es muss also heißen: Möglichst viel Alpha in einem möglicherweise schwachen Markt generieren und das Marketing-Instrument Sustainable Finance intensiv nutzen, um ein schwaches Jahr - sofern es denn eines wird - gut zu überbrücken. Doch es wird auch wieder besser werden. Denn auch das ist eine Gesetzmäßigkeit der Börse: Wenn es runter geht, geht es danach auch wieder hoch. Zumal eines nach wie vor gilt: Für die Altersvorsorge kommt langfristig niemand an Aktien und Fonds vorbei!

Carsten Englert , Leitender Redakteur, Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen , Fritz Knapp Verlag
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