Wer hätte das gedacht

Philipp Otto, Chefredakteur Foto: Verlag Fritz Knapp GmbH

Es war einmal eine Zeit, da ging man zu der Filiale einer Bank, um Erspartes einzuzahlen, den Kontostand überprüfen zu lassen und zwei papierene Überweisungsträger bei einem freundlichen Mitarbeiter am Schalter abzugeben. Diese Zeiten sind gar nicht lange her. Für manche von uns erst wenige Monate. Doch dann kam Corona. Und plötzlich werden Bankgeschäfte von nahezu allen Altersgruppen online erledigt, gehört Homeoffice zum Standard einer guten, weil klugen Personalpolitik, ruft der Bankberater seine Kunden kundenorientiert auch am Samstagnachmittag an und werden Beratungsgespräche sogar ganz online abgewickelt - mit funktionierender IT-Unterstützung und einem Datenpool, der verlässlich Auskunft geben kann. Das Bargeld wird ganz selbstverständlich im Portemonnaie gelassen, stattdessen die Karte oder das Smartphone gezückt und natürlich bietet selbst der Bäcker um die Ecke oder der Taxifahrer in Frankfurt die Möglichkeit zur Kartenzahlung an, als hätte es nie etwas anderes gegeben. Die Covid-19-Pandemie hat das Verhalten von Verbrauchern und Unternehmen völlig verändert. Die Welt tickt nur noch zwischen 1 und 0. Wer hätte das gedacht?

Einer Umfrage des Bundesverbandes deutscher Banken vom Mai dieses Jahres zufolge gaben mehr als 60 Prozent der Deutschen an, an den Supermarkt- oder anderen Kassen mit Karte oder Handy zu bezahlen. Mehr als ein Viertel der Befragten räumte ein, ihr Verhalten im Zuge der Corona-Krise geändert zu haben und nun ganz bewusst auf Barzahlungen zu verzichten. Andere Studien kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Im gleichen Atemzug muss man den enormen Boost für das kontaktlose Bezahlen erwähnen: Laut Euro-Kartensysteme wurden im ersten Halbjahr 2020 rund 46 Prozent der insgesamt 2,59 Milliarden Girocard-Transaktionen sozusagen im Vorbeigehen erledigt, Tendenz steigend, aktuell liegt der Anteil wohl schon bei über 50 Prozent. Wir erinnern uns noch: 2019 waren es nur rund 25 Prozent.

Mehr als jeder zweite Euro im Handel per Karte bezahlt (in Prozent) Quelle: EHI

Was bedeuten all die Erfahrungen aus den vergangenen Monaten nun für die rund 1800 Banken und Sparkassen in Deutschland. Zunächst einmal wächst das Bewusstsein, dass Payment spannend und wichtig ist. Das ist durchaus positiv, erhält es damit doch endlich einen gewichtigeren Stellenwert in der Liste bedeutender Geschäftsfelder. Zweitens: Payment oder klassisch Zahlungsverkehr hat das Zeug zum großen Kino. Verschwundene Milliarden, getäuschte Prüfer, ein geheimnisvoller Manager, den es vielleicht gar niemals gegeben hat, Geheimdienste, gekaufte Schauspieler, Potemkinsche Filialen - der Fall Wirecard hat jahrelang eindrucksvoll gezeigt, welche Power im Payment steckt, nun aber auch bewiesen, dass die Wachstumschancen zumindest ordentlich betrachtet und abgerechnet begrenzt sind. Es ist und bleibt halt doch ein transaktionsabhängiges Geschäft. Drittens haben sich die Möglichkeiten zum bargeldlosen Bezahlen in den vergangenen Monaten spürbar erhöht, weil immer mehr, nun vor allem auch kleinere Händler Kartenzahlungen akzeptieren. Dadurch wächst in den Kreditinstituten die Erkenntnis, dass Payment nicht nur Retailgeschäft ist, sondern durchaus auch im Firmenkundenbereich seine Bedeutung hat und lukrative Nischen erschlossen werden können.

Viertens: Sparkassen-Kunden können ab sofort in Deutschland mit der populären Girocard und Apple Pay bezahlen. Das dürfte der endgültige Durchbruch für das Bezahlsystem des Technologiegiganten in der Bundesrepublik sein. 46 Millionen Sparkassen-Cards, also knapp die Hälfte der rund 100 Millionen Girocards in Deutschland insgesamt, sind eine Macht im Markt. Ohne die Sparkassen geht nichts, hat der damalige DSGV-Präsident Georg Fahrenschon über Paydirekt gesagt. An dieser Stelle zumindest mag er geirrt haben. Denn auch wenn das gemeinschaftliche Online-Bezahlverfahren der deutschen Kreditwirtschaft sicherlich langsam vorankommt, so fehlt doch immer noch der ganz große Wurf, der zum scheinbar übermächtigen Konkurrenten Paypal aufschließen lassen würde.

Da hilft vermutlich auch die im Rahmen des Projektes #DK kurz bevorstehende Zusammenlegung mit Giropay nicht, jenem 2005 von allen Bankengruppen gegründeten Verfahren für Bezahlvorgänge im Internet, das mittlerweile nahezu alle Banken in Deutschland angebunden hat. Auch wenn das deutsche Online-Überweisungsverfahren aufgrund des Nachfrageanstiegs bei Lieferdiensten, Lebensmitteln, Drogerien und Apotheken sowie bei Produkten und Dienstleistungen, die der Freizeitbeschäftigung dienen - von Elektronikartikeln über Telekommunikation, Computer und Spiele bis hin zu Software, im April 2020 erstmals die Schwelle von einer Million Transaktionen im Monat geknackt hat. Paypal zählt allein in Deutschland 25,6 Millionen Nutzer und verbuchte im Mai die weltweit höchste Zahl von Transaktionen seiner Geschichte. Trotzdem ist der Schritt richtig und macht es den Verbrauchern leichter, den Überblick zwischen all den deutschen Zahlungsangeboten zu behalten.

Nochmal #DK: Das Projekt kommt laut BVR-Vorstand Andreas Martin gut voran und wird noch im Herbst dieses Jahres erste Ergebnisse vorlegen, wie er im Interview in dieser Ausgabe ankündigt. Neben der Zusammenlegung von Paydirekt und Giropay dürfte es dabei wohl um eine wie auch immer geartete Einbindung von KWITT, dem P-to-P-Verfahren auf Instant-Payment-Basis der Sparkassen und Genossenschaftsbanken gehen, über die bereits Ende Mai in den entsprechenden Kreisen diskutiert wurde.

Das wird aber nicht ausreichen und Befürworter einer schnellen "Bündelung der Kräfte" wie Bundesbank-Vorstand Burkhard Balz nicht zufriedenstellen. Denn in einer Netzwerkindustrie wie dem Zahlungsverkehr wird es künftig noch mehr darauf ankommen, zu kooperieren und die einzelnen Stärken zusammenzuführen - und dies nicht nur national, sondern auch grenzüberschreitend. Dafür muss innerhalb der DK noch viel intensiver über weitere Schritte der Zusammenlegung, aber vor allem auch über die schwierigen Fragen von Investment und Desinvestment gesprochen werden.

Es mag gut sein, dass die Covid-19-Pandemie ein klein wenig Aufschub gebracht hat. Denn auch die Europäische Payment Initiative (EPI) befindet sich noch in der Gründungsphase. Gegenwärtig geht es primär um den Aufbau einer Zielgesellschaft, an der die bisherigen 16 Gründungsmitglieder der EPI beteiligt sein sollen. Von Gesprächen über die nationalen Schemes, das künftige europäische Bezahlverfahren und die Anbindung weiterer EU-Länder über die fünf Staaten, aus denen die Gründungsmitglieder kommen, hinaus, ist man auch hier noch ein Stück weit entfernt. Von daher fehlt einfach die praktische Relevanz dieses Themas für die Banken und Sparkassen - noch. Zum Glück mag mancher angesichts der Dynamik der Entwicklungen im Payment sagen.

All das zeigt: Die vergangenen Monate haben den etablierten Spielern an vielen Stellen Beine gemacht. Themen, die über Jahre diskutiert wurden, werden vorangetrieben oder sind schon Wirklichkeit. Dadurch hat sich die Position der Institute im Wettbewerb mit Bigtechs und Fintechs definitiv nicht verschlechtert. Und wenn die deutschen Banken und Sparkassen dann in fünf Jahren immer noch eine bedeutenden Rolle im Zahlungsverkehr spielen, dann werden manche wieder sagen: Wer hätte das gedacht!

Philipp Otto Chefredakteur

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Philipp Otto , Geschäftsführer, Verleger, Chefredakteur , Verlag Fritz Knapp, Verlag Helmut Richardi, Verlag für Absatzwirtschaft

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