Kapital in großen Massen

Carsten Englert Redakteur, Foto: Verlag Fritz Knapp GmbH

Während die Kreditbranche unter der anhaltenden Nullzinsphase zunehmend ächzt, ist sie für die Investmentbranche fast schon ein Segen. Zwar sind auch für die Profis nun niedrigere Renditen mit Bonds zu erzielen, doch der dadurch anhaltende große Zufluss von Kapital in die Aktienmärkte (und Immobilien) dürfte das auf der anderen Seite mehr als ausgleichen. Mehr noch: Immer weitere Bevölkerungsteile nähern sich dem Aktienmarkt an und verbreitern damit die Basis und machen die Märkte immer liquider und damit effizienter. Die Folge: Immer neue Rekorde der Aktienmärkte - inmitten der größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Das erleichtert den Asset Manager, egal ob Publikums- oder Spezialfonds, natürlich eine gute Performance zu erzielen und hilft beiden Zweigen der Branche damit auch beim Vertrieb.

Das belegen auch eindrucksvoll die Zahlen für das Jahr 2021, die allerdings erst bis einschließlich des Monats Mai vorliegen. So betrug das Nettomittelaufkommen der offenen Spezialfonds in Deutschland Ende Mai nach Zahlen des Bundesverbandes Investment und Asset Management (BVI) knapp 52 Milliarden Euro und damit gut 70 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Wenn der Zufluss an Mitteln in gleichem Tempo auf das Gesamtjahr interpoliert wird, dann wackelt sogar der Rekord aus dem Jahr 2015, als der Branche 121,19 Milliarden Euro zuflossen. Insgesamt gab es laut der langfristigen Statistik des BVI bislang nur zwei Jahre, in denen die Marke von 100 Milliarden Euro überschritten wurde. Das sollte auch dieses Jahr zumindest gelingen.

Das gesamte verwaltete Vermögen stieg dadurch auf circa 2,05 Billionen Euro nach 1,84 Billionen Euro im Vorjahr. Zu dem Nettomittelaufkommen kommt also auch noch ein kräftiger Wertzuwachs hinzu. Mehr noch: Es ist das erste Mal in der Geschichte der Spezialfondsbranche in Deutschland, dass sie die Schallmauer von zwei Billionen Euro überschritten hat. So richtig beeindruckend wird die Zahl erst, wenn man sie in den Kontext der Entwicklung im Zeitablauf stellt. Erst im Jahr 2013 wurde erstmals die runde Marke von einer Billion Euro erreicht.

Der Status quo kann für die Branche also durchaus als zufriedenstellend bezeichnet werden. Doch darauf sollten sich die Spezialfonds-Anbieter nicht ausruhen. Ganz getreu dem Motto "wer rastet, der rostet" muss der Blick nach vorne gerichtet werden. Es stellt sich also die Frage, was ist zu tun, damit das Wachstum zumindest ähnlich schnell weitergehen kann. Die Branche muss dabei vor allem natürlich Performance bringen und das Thema Nachhaltigkeit weiter ausbauen, das vor allem von institutionellen Anlegern immer stärker nachgefragt wird. Aber auch die Bundesregierung hat in diesem Jahr mit dem Fondsstandortgesetz schon erste Schritte unternommen, um die Fondsbranche in Deutschland zu stärken.

Eine der viel beachteten Änderungen: Spezial Alternative Investmentfunds (AIF) können künftig Kryptowährungen wie Bitcoin oder andere in Höhe von bis zu 20 Prozent des Anlagevermögens kaufen. Eine viel gelobte Änderung - vor allem von der Kryptoindustrie. Aber ist es wirklich eine gute Idee? Selbstverständlich sollte es den Fondsmanagern selbst überlassen werden, welche Assets sie für ihre Fonds kaufen. Wer dabei versagt, wird sowieso aus dem Markt gespült. Allerdings sollten Asset Manager hier sehr genau abwägen, ob es lohnt, sich von der Aussicht auf schnelle Renditen locken zu lassen. Gerade auch angesichts der hohen Quote, die mit 20 Prozent Anteil am Anlagevermögen erlaubt ist, drohen gleich drei Risiken: Kurs-, Image- und ESG-Risiken. Über die unglaublich hohe Volatilität der Kryptowährungen und die permanente Gefahr des Crashs braucht man nicht mehr zu reden.

Dazu kommen aber auch noch die ESG-Risiken. Zwar ist die Kritik am Energieverbrauch nicht neu, doch sie hat zuletzt neuen Schwung bekommen. Selbst Tesla-Gründer und Tausendsassa Elon Musk - eigentlich ein glühender und exzentrischer Fan der Kryptowährungen, der mit seinen Tweets Milliarden-Schwankungen beim Bitcoin immer wieder auslöst - hat nun die ökologisch verheerende Bilanz beim Mining der Währung angesprochen. Der Energieverbrauch dabei liegt derzeit über dem von den Niederlanden - allerdings erzeugt in Ländern ohne hohe ökologische Standards. Der Druck könnte auf die Kryptobranche zunehmen - es wäre allerdings auch nur konsequent und gerecht, wenn ihr der gleiche Nachhaltigkeitsdruck zuteilwird wie anderen Branchen. Die schnellen Prozente könnten dann am Ende zu hohem Ansehensverlust - durch Förderung "schmutziger" Technologien und dem daraus folgenden Druck von Aktivisten und/oder durch massive Kursverluste - führen und damit nach hinten losgehen.

Was muss aber sonst weiter geschehen, um den Kapitalmarkt voranzubringen und damit auch die Basis für die Fondsbranche auszubauen? Ein Knackpunkt in Deutschland ist sicherlich die mangelnde Nachfrage der Unternehmen nach Kapital über Börsengänge. Der internationale Vergleich der Jahre 2016 bis 2020 vom Deutschen Aktieninstitut belegt eindrucksvoll, welch Entwicklungsland wir hier sind: In den genannten fünf Jahren wagten 2 103 Unternehmen in China ein Initial Public Offering (IPO). In den USA waren es immerhin noch 884. Deutschland kommt auf schlappe 42. Selbst Schweden - Deutschland hat achtmal so viele Einwohner und ein knapp siebenmal so hohes Bruttoinlandsprodukt - hat mit 190 IPOs fast fünfmal so viele Börsengänge in diesem Zeitraum wie Deutschland. Ein erschütternder Vergleich. Zwar hat sich der IPO-Markt auch in Deutschland in diesem Jahr belebt. So sind im ersten Halbjahr bereits 11 Unternehmen - inklusive zweier SPACs - in Frankfurt an die Börse gegangen, immerhin schon zwei mehr als im gesamten Jahr 2020. Allerdings ist das immer noch weit weg von den Zahlen anderer Industrienationen.

Doch woran liegt das? Das Angebot an Kapital ist wie eingangs schon dargestellt enorm, der Liquiditätsfluss ungebremst. So hat nach Angaben der Deutschen Bundesbank das Geldvermögen der Deutschen sogar erstmals die Marke von sieben Billionen Euro überstiegen. Die Sorge, die Aktien nicht loszuwerden, wird es also nicht sein, was Vorstände deutscher Unternehmen vom Gang aufs Parkett abhält. Doch was ist es dann? Die Angst vor der bösen Presse, die die armen Unternehmen zögern lässt, ihr Grundrecht auf Kapitaleinsammeln auszuüben? Das ist natürlich Unfug.

Aber genau diesen Gedankengang hatten zumindest einige im Beirat des Wirtschaftsministeriums "Junge Digitale Wirtschaft". In einem Positionspapier - das mittlerweile wieder zurückgezogen wurde - haben drei der Mitglieder aufgezeigt, was die Politik tun müsste, um eben dieses IPO-Problem in den Griff zu bekommen. Dabei von "Disziplinierung der Presse" zu sprechen, darf getrost als Eigentor gewertet werden. Der Shitstorm, der folgte, war völlig zu Recht enorm. Die Reaktion darauf wiederum war, nun ja, auch recht unprofessionell. Vorgeschoben wurde als Grund, dass die Umstellung auf agile Arbeitsmethoden zu Problemen bei der Abstimmung geführt habe. Und das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen - es handelte sich hierbei um den Beirat "Junge Digitale Wirtschaft" besetzt mit Start-up-Gründern und -Experten. Ist nicht genau das immer das Argument, warum diese alles viel besser und schneller können? Weil sie agil agieren? Diese Reaktion macht aus dem Eigentor einen PR-GAU.

Viel wichtiger als eine gefügige Presse, die tunlichst nicht beim Kapitaleinsammeln stören sollte, wäre es, die Rahmenbedingungen zu optimieren. Die Fremdbestimmung durch Aktionäre hält sicherlich auch das ein oder andere Unternehmen vom Gang an die Börse ab, doch das größte Hindernis dürften die großen regulatorischen Kosten sein. Im September steht die Bundestagswahl an und es wird definitiv eine neue Regierung geben. Diese kann da den "Ball" der alten Bundesregierung durch das neue Fondstandortgesetz aufnehmen und weitere Verbesserungen in Form regulatorischer Erleichterungen bringen. Das Land brauchte - gerade jetzt, wo alles von den vielen Krisen zermürbt ist - eine neue Gründungskultur mit der Bereitschaft auch ins Risiko zu gehen. Das Kapital dafür gibt es in großen Massen an der Börse. Traut euch, liebe Gründer und Unternehmer!

Carsten Englert , Leitender Redakteur, Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen , Fritz Knapp Verlag
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