Keine Zeit für (Macht-)Spielchen

Berthold Morschhäuser

Das Jahr 2014 ist für die deutschen Sparkassen gut gelaufen. Ein Plus von 0,5 Prozent beim Zinsüberschuss, ein Anstieg des Provisionsüberschusses von 2,8 Prozent, ein historisch niedriger Wertberichtigungsbedarf im Kreditgeschäft und gar Zuschreibungen im Wertpapiergeschäft haben die Ertragsrechnung begünstigt und eine weitere Aufstockung der Vorsorgereserven um satte 4,1 Milliarden Euro zugelassen. Auf der Kostenseite haben ein höherer Personalaufwand und die Regulierungskosten zwar den Verwaltungsaufwand um 2,3 Prozent erhöht und die Cost Income Ratio auf 63,7 Prozent ansteigen lassen.

Dennoch konnten die 416 Sparkassen eine nochmalige Steigerung des Betriebsergebnisses nach Bewertung auf 6,3 Milliarden Euro vermelden. Von echter Hochstimmung ist gleichwohl weit und breit keine Spur. Im Gegenteil, angesichts der geldpolitisch induzierten Niedrigzinsen deuten inzwischen auch alle Planungsrechnungen der Gruppe auf eine deutliche Abschmelzung des Zinsüberschusses hin - nach Einschätzung des DSGV um 15 Prozent binnen der kommenden fünf Jahre. Konsequenterweise plädiert Präsident Georg Fahrenschon für einen kräftigen Ausbau der Substanz sowie verantwortungsvolle Ausschüttungen und bereitet verbal auf betriebswirtschaftlich schwierige Jahre vor.

Die Atmosphäre im Sparkassenlager wird allerdings beileibe nicht nur durch die eingetrübten Ertragsaussichten sowie die bekannten Herausforderungen der Digitalisierung und der demografischen Entwicklung belastet, sondern mindestens ebenso sehr durch die von der EU-Kommission eingeforderte Weiterentwicklung des Haftungsverbundes. Dieses wegweisende Projekt wird seit Monaten von einer seltsamen Mischung aus Kritik, Sorge, Appellen und Mahnungen in den Medien, in weiten Teilen der Organisation und seitens der Aufsicht begleitet. Medial wurde das Thema dabei meist genüsslich auf eine Führungsschwäche des DSGV-Präsidenten und/oder die wie auch immer geartete Kampfeslust eines regionalen Sparkassenpräsidenten reduziert. Doch der Haftungsverbund dokumentiert letztlich die gesamte Komplexität der Zukunftsgestaltung des öffentlich-rechtlichen Verbundes mit seinen vielen widerstrebenden Interessenlagen. Nachdem sich der DSGV-Präsident schon bei der Präsentation der Geschäftszahlen 2014 selbstbewusst gezeigt hatte, bis zum Inkrafttreten des Einlagensicherungsgesetzes am 3. Juli 2015 ein überarbeitetes, fertiges und funktionsfähiges Konzept der deutschen Sparkassenorganisation vorlegen zu können, soll inzwischen der Mitgliederversammlung am 21. April 2015 ein mehrheitlich abgesegneter Vorschlag des mit der Reform befassten Lenkungsausschusses zur Abstimmung gestellt werden. Die an den gedeckten Einlagen der Gruppe per 31. Dezember 2014 orientierte Zielbestückung des S-Haftungstopfes von 4,92 Milliarden Euro soll demnach zu 49,4 Prozent von den Sparkassen, zu 42,2 Prozent von den Landesbanken und zu 8,4 Prozent von den Landesbausparkassen aufgebracht werden. Dass diese Empfehlung seitens der Landesbausparkassen, in den Sparkassenregionen mit und ohne eigene Landesbank und/oder mit hohem Gewicht der Einlagen an der Bilanz unterschiedlich bewertet wird und folgerichtig nicht einstimmig beschlossen wurde, spiegelt die unterschiedlichen Interessenlagen wider. Diesen Zwischenstand schon als großen Verhandlungserfolg des DSGV-Präsidenten zu werten, wäre aber verfrüht.

Denn ob die Gruppe im Ernstfall wirklich ein wie auch immer subsidiär und dezentral abgesichertes Institutssicherungssystem garantieren kann, darf bei aller ernst gemeinten Willensbekundung mit einem großen Fragezeichen versehen werden. Das Gebilde der gegenseitigen Absicherung ist einfach zu groß und vielfältig, um in einem großen realen Stressszenario wirklich alle Folgen absehen, geschweige denn abfedern zu können. Wer will in dem mehrstufigen Konzept aus elf regionalen Sparkassenstützungsfonds, der Sicherungsreserve der Landesbanken und Girozentralen sowie dem Sicherungsfonds der Landesbausparkassen schon klar voraussehen, welche Haftungsfragen durch Schieflagen auf die Sparkassen und die anderen Verbundunternehmen zukommen könnten? Wer will die Gesamtrisikolage der Landesbanken richtig einschätzen, die von der Schiffskrise über Immobilienengagements bis hin zu aktuellen und früheren Auslandsbeteiligungen tangiert wird? Wer will sich bei den unterschiedlichen Eigentumsverhältnissen der Landesbausparkassen festlegen, welche Risiken mittelfristig auf die einzelnen Ortsbanken durchschlagen könnten? Und noch komplizierter: Wer will in der Gemengelage der Öffentlichen Versicherer die Risiken benennen, die über die jeweiligen Beteiligungsverhältnisse auf die einzelnen Verbundmitglieder zukommen könnten? Kurzum: eine wirklich risikogerechte Beitragserhebung für das Sicherungssystem des S-Sektors umzusetzen, wie sie erstrebenswert wäre, ist in der Praxis ein höchst anspruchsvolles Unterfangen.

Das gilt umso mehr, wenn man auf eine echte Durchschau auf die Gesamtrisiken der Gruppe abstellt. Zwar gibt es in jedem Haus Systeme für das Risikomanagement. Und auch jeder Regionalverband tappt nicht im Dunkeln, sondern hat in seinem Geschäftsgebiet die Risikolage seiner Sparkassen sowie seiner Beteiligungen an den jeweiligen Landesbanken, Bausparkassen, Versicherern und sonstigen Verbundunternehmen im Blick. Es fehlt aber die Gesamtschau auf die Risikolage. Und die Sparkassenorganisation pflegt insbesondere durch den Auftritt der Landesbanken, aber auch der Landesbausparkassen und öffentlich-rechtlichen Versicherer eine Wettbewerbskultur im eigenen Lager, die auch ein Einstehen für Gruppenrisiken im Zweifelsfall erschwert. Ganz weit gedacht begünstigt eine solche Konstellation sogar die Tendenz zum Trittbrettfahren.

An dieser Stelle kommt die Interessenlage der Bankenaufsicht ins Spiel, die das mehrstufige Haftungskonzept als Gesamtkomplex bewerten und absegnen muss. Nicht von ungefähr hat Andreas Dombret, das für Banken und Finanzaufsicht zuständige Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank, vor allem das regional orientierte Selbstverständnis innerhalb des Sparkassensektors für das gruppeninterne Gerangel um die Reform der Sicherungssysteme verantwortlich gemacht und erst kürzlich klare Anforderungen formuliert (siehe Kasten). Die Aufsicht will sich später nicht vorwerfen lassen, ein System geprüft und genehmigt zu haben, dessen Elemente zur zentralen Risikosteuerung, zur Früherkennung von Risiken und zu abgestimmten Haftungskaskaden nicht stimmig ist.

Die Strukturen der Sparkassenorganisation in Richtung einer verbesserten Gesamtschau auf die Risiken zu ändern, bleibt daher auf der Agenda jedes DSGV-Präsidenten. In einer Konstellation unterschiedlicher Interessenlagen nähert sich dabei in der Praxis eine Lösung oft dann dem Optimum, wenn alle Beteiligten gleichermaßen unzufrieden sind. Neben der harten Sachauseinandersetzung ist deshalb persönliches Gerangel nicht auszuschließen - auch unter Einbeziehung der Medien. Als Politiker sollte Georg Fahrenschon das nicht anders erwartet haben.

Zentrale Anforderungen an ein tragfähiges Sicherungssystem für den Sparkassensektor Entscheidend ist, dass ein Sicherungssystem glaubwürdig ist, denn sonst kann es seinen Zweck nicht erfüllen. Wenn die Einleger das System nicht für glaubwürdig halten, kann es im schlimmsten Fall zu einem Bank Run kommen - zu dem also, was das System verhindern will.Damit ein Sicherungssystem glaubwürdig ist, muss es seinen Mitgliedern die richtigen Anreize setzen, um einen übermäßigen Aufbau von Risiken zu verhindern. Hier gilt für ein Sicherungssystem, was die Bundesbank auch mit Blick auf unsere Währungsunion fordert: Haftung und Kontrolle müssen im Gleichgewicht sein.Mit Blick auf die Anreize eines Sicherungssystems ist die Frage der Beitragsgestaltung relevant. Ideal wäre es, wenn die Mitglieder entsprechend ihres individuellen Risikos Beiträge zum Sicherungssystem leisten. Eine solche risikoorientierte Beitragserhebung sehen im Übrigen auch die EU-Richtlinie und das deutsche Umsetzungsgesetz vor.Für einen Haftungsverbund wie den Sparkassensektor ist hier entscheidend, dass auch die Spitzeninstitute des Verbundes einen risikogerechten Beitrag leisten. Die von der EBA vorgeschlagene Berechnung der Beiträge gewichtet meiner Ansicht nach zu stark die Höhe der gedeckten Einlagen. Damit würden die Spitzeninstitute, die über weniger Einlagen verfügen, nicht angemessen berücksichtigt.Für die Frage richtiger Anreize ist aber nicht nur die Beitragserhebung von Bedeutung. Ein weiterer Aspekt sind die verbundinternen Forderungen - also die Kreditbeziehungen zwischen den einzelnen Mitgliedern des Sicherungssystems. Es ist davon auszugehen, dass der Sparkassensektor darauf setzt, verbundinterne Forderungen weiterhin privilegiert behandeln zu können.Für einen Verbund ist das auch selbstverständlich, da gerade der Liquiditätsausgleich zu seinen zentralen Funktionen gehört. Es setzt allerdings Anreize, vor allem innerhalb des Verbundes hohe gegenseitige Forderungen aufzubauen. Hier muss eine Balance gefunden werden zwischen einem internen Liquiditätsausgleich und einem übermäßigen Aufbau interner Finanzbeziehungen, aus dem Stabilitätsrisiken entstehen können.Die richtigen Anreize sind also entscheidend für die Stabilität eines Sicherungssystems. Konkret bedeutet das, dass das Sicherungssystem als Ganzes in der Lage sein muss, Risiken zu steuern. Entsprechend fordert die Kapitaladäquanzverordnung, also die CRR, eine zentrale Risikosteuerung für ein institutsbezogenes Einlagensicherungssystem. Nur eine solche Zentralität erlaubt es, Haftung und Kontrolle ins Gleichgewicht zu bringen.Quelle: Auszug aus einer Rede von Dr. Andreas Dombret, Mitglied des Vorstands der Deutschen Bundesbank, bei der Handelsblatt Jahrestagung "Zukunftsstrategien für Sparkassen und Landesbanken" am 26. Februar 2015
Dr. Berthold Morschhäuser , ehem. Chefredakteur , Fritz Knapp Verlag
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