Was lange währt ...

Philipp Otto Chefredakteur, Foto: Fritz Knapp Verlag GmbH

"Was lange währt, wird endlich gut", so heißt ein deutsches Sprichwort. Es drückt aus, dass alles seine Zeit braucht und das Geduld belohnt wird, weil irgendwann ein lang erwartetes Ereignis doch noch eintritt - mit positiven Folgen natürlich. Die positiven Folgen der Niedrigzinspolitik zu erkennen, wird indes immer schwieriger, weil sie Monat um Monat und Jahr für Jahr anhält. Die negativen Auswirkungen dagegen werden in der laufenden Bilanzsaison der deutschen Kreditinstitute erstmals richtig auffällig. In den vergangenen Jahren wurden Kritiker der EZB-Politik, wie beispielsweise der hessische Sparkassenpräsident Gerhard Grandke, meist nur müde belächelt, wenn sie vor der drohenden Ertragserosion gewarnt haben. Schließlich haben die Banken und Sparkassen in all den Jahren immer noch gute Gewinne geschrieben, teilweise sogar bessere als zuvor.

Nun lächelt keiner mehr - außer vielleicht der eine oder andere Politiker, für den die Entwicklung ein hervorragendes Argument für eine große Bankenehe zu sein scheint. Denn die Zahlenwerke 2018 zeigen, wie tief die Bremsspuren der EZB-Politik mittlerweile sind. Der größte Teil des Altgeschäfts ist nun wirklich alt und ausgelaufen, eine Kompensation des Abschmelzens der Aktivmargen durch die Passivseite ist auch nicht mehr möglich. Doch die Zinsen sind immer noch genauso niedrig. Die Folgen: 3,5 Prozent weniger Zinsüberschuss bei den Sparkassen, ein Plus von 0,6 Prozent bei den Volksbanken Raiffeisenbanken, wobei dies allein auf die Initiative der gruppen eigenen Union Investment zurückzuführen ist, die viele Liquiditätsüberschüsse von Firmenkunden in Fondsanlagen transferiert hat, was die Bankbilanzen- und Ertragsrechnungen natürlich erheblich entlastet. Der Zinsertrag dagegen ist auch bei den Kreditgenossenschaften in den vergangenen zwölf Monaten um 3,3 Prozent gesunken.

Das zeigt leider ausdrucksvoll, dass es den Banken nicht mehr gelingt, die Belastungen zu absorbieren: Denn schon zwischen 2015 und 2017 sind die Zinsüberschüsse der gesamten deutschen Kreditwirtschaft laut Zahlen der Deutschen Bundesbank um mehr als 10 Milliarden Euro auf nur noch 85,5 Milliarden Euro gesunken - ein Minus von 11 Prozent und der tiefste Stand seit 2010. Der Anteil des Zinsüberschusses an den operativen Erträgen sank bei den Großbanken von 64,8 Prozent im Jahr 2014 auf 57,3 Prozent 2017, bei den Sparkassen von 79,8 auf 73,9 Prozent und bei der genossenschaftlichen Finanzgruppe von 79,2 auf 75,3 Prozent.

Die Zinsmarge, berechnet als Relation von Zinsüberschuss zur Bilanzsumme, sank 2017 laut Bundesbank im Vergleich zum Vorjahr erkennbar auf nur noch 1,04 Prozent. Weiter heißt es: Auch die Zinsmarge im engeren Sinne, die das Zinsergebnis aus dem zinsbezogenen Geschäft in Relation zu den zinstragenden Aktiva setzt, büßte spürbar auf 1,43 Prozent ein. Besonders betroffen sind dadurch in erster Linie die Sparkassen und Volksbanken Raiffeisenbanken, bei denen die zinstragenden Aktiva rund 80 Prozent der Bilanzsumme ausmachen. So engte sich die Zinsmarge im Sparkassensektor auf 1,87 Prozent und im Genossenschaftssektor auf 1,90 Prozent ein. Interessanterweise sind diese Werte im Bankengruppenvergleich trotzdem weiterhin die besten.

Wohlgemerkt: All das bezieht sich auf das Jahr 2017 als die Welt noch halbwegs in Ordnung schien, die Ergebnisse stimmten und man von einem Auslaufen des Anleihekaufprogramms Anfang 2018 und einer moderaten Zinswende im Jahr 2019 ausgehen konnte. Davon kann im Frühjahr 2018 keine Rede mehr sein. Zwar ist das Anleihekaufprogramm offiziell beendet, aber allein die Wiederanlage von Tilgungen führt zu Investitionen der Zentralbanken im zweistelligen Milliardenbereich jedes Jahr.

Die Zinswende ist bis in die 2020er Jahre vertagt. Kaum einer - Ökonom oder Banker - rechnet noch mit einer Erhöhung der Leitzinsen im Jahr 2020, zu groß sind die Gefahren des konjunkturellen Abschwungs.

Und auch der Wunsch nach einer Abkehr von den Negativzinsen wird vermutlich noch länger ein Wunsch bleiben. BdB-Präsident Hans-Walter Peters sprach auf einem Empfang in Berlin jüngst gar von einer "Strafsteuer", die von der Europäischen Zentralbank als einziger großer Notenbank ohne eine Entlastung durch Freibeträge für die Überschussliquidität eingeführt wurde. Er beziffert die Belastung für die Banken der Eurozone auf rund 7,5 Milliarden Euro jährlich.

Überhaupt kann man das EZB-Handeln kritisch hinterfragen. Ohne Zweifel wurde durch das schnelle Eingreifen und die Bereitstellung von Liquidität Schlimmeres verhindert und das System stabilisiert. Es zeigt sich aber auch, dass Zins und Liquidität allein keine Steuerungsimpulse für ein höheres Wirtschaftswachstum setzen können, wenn die wirtschaftlichen und politischen Voraussetzungen in den jeweiligen Ländern der Eurozone derart unterschiedlich sind.

Die EZB hat sich dann in einer Spirale immer tiefer in Eingriffe verstrickt, aus denen sie vermutlich nur schwer wieder herauskommt: Als die Banken das viele billige Geld nämlich nicht für die Kreditvergabe, sondern zur risikolosen Anlage bei der Notenbank benutzten, führte sie die Strafzinsen ein. Als Banken dann anfingen, Staatsanleihen zu kaufen, stieg die Zentralbank in dieses Geschäft ein, Ähnliches folgte dann mit den Unternehmensanleihen. All das führte nur zu mehr Wettbewerb, schlechteren Margen und eben nicht zu mehr Krediten und einem konjunkturellen Wachstum.

All das heißt, die Institute müssen mindestens noch drei Jahre mit ähnlich schwierigen Rahmenbedingungen auf der Zinsseite zurechtkommen. Denn bevor auf der Aktivseite nachhaltig eine Erholung einsetzt, steigen erst einmal die Refinanzierungskosten. Diese Zeit zu überbrücken, wird aktivlastigen Häusern mit Sicherheit etwas besser gelingen als einlagenstarken Instituten. So rechnet der Vorstandschef einer großen Sparkasse bei unveränderten Rahmenbedingungen mit Belastungen von rund 10 Millionen Euro jährlich. Das geht nicht ohne spürbare Einschnitte. Es wird an Personal gespart, Filialen werden geschlossen, Gebühren erhöht. Mehr und mehr Banken und Sparkassen erwägen mittlerweile, die Negativzinsen der EZB an die Kunden weiterzugeben, und zwar nicht nur an große Firmenkunden, sondern auch an etwas besser gestellte Privatkunden. Allein das zeigt schon, wie ernst die Lage mittlerweile von den Verantwortlichen empfunden wird.

Da lässt es schon aufhorchen, wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel, die in den vergangenen Jahren bestimmt nicht durch besonders bankenfreundliches Agieren Aufmerksamkeit erregt hat, feststellt, dass die Niedrigzinsphase keine "Dauererscheinung" sein sollte. "Trotzdem glaube oder hoffe ich, wir sind jetzt schon fast wieder bei zwei Prozent Inflationsrate, dass die Europäische Zentralbank ihre Politik ja auch wieder ändern kann", sagte Merkel Ende März.

Es scheint also kein Zufall zu sein, das Mario Draghi jüngst von Erleichterungen für die Banken gesprochen hat. "Falls nötig, müssen wir über mögliche Maßnahmen nachdenken, wie die positiven Effekte der negativen Zinsen für die Wirtschaft beibehalten und gleichzeitig die Nebenwirkungen, falls vorhanden, gemildert werden können", so der EZB-Präsident. Den Überlegungen der Notenbanker zufolge würden die Banken künftig nicht mehr auf ihre gesamte bei der EZB geparkte Liquidität Strafzinsen zahlen müssen, sondern nur auf einen Teil davon. Ein gestaffeltes System gibt es bereits bei den Notenbanken in der Schweiz und Japan.

Der (politische) Druck auf die EZB nimmt zu, weil die Sorge um die Banken steigt. Denn auch wenn die Eigenkapitalsituation der meisten Häuser durchaus auskömmlich ist, weil die vergangenen Jahre mithilfe der Eigentümer zur Substanzstärkung genutzt wurden - zwischen 2012 und 2018 ist die Kernkapitalquote der Sparkassen von 12,5 Prozent auf 16,2 Prozent gestiegen, die der Kreditgenossen von 11,9 Prozent auf 15 Prozent - garantiert das nicht das Überleben. Und kranke Banken sind eine schlechte Medizin für eine schwächelnde Wirtschaft - das hat hoffentlich auch die EZB erkannt.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X