Neue Debattenkultur

Carsten Englert, Redakteur Foto: Verlag Fritz Knapp GmbH

Deutschland steht immer noch still. Aber die Unruhe dahinter wächst. Immer mehr Menschen hinterfragen die Maßnahmen zur sozialen Distanzierung zumindest in Teilen, hinterfragen den Stillstand. Natürlich macht das Vorgehen aus epidemiologischer Seite nach wie vor Sinn, aber die Sorgen vor den ökonomischen Folgen wachsen. Es ist gut und richtig, dass das Land nicht in Agonie erstarrt und einfach abwartet, bis alles vorbei ist, sondern seine Gedanken schon mal darauf konzentriert, wie es nach dem Stillstand weitergehen und vor allem wie er möglichst schnell beendet werden kann - ohne zu hohe gesundheitliche Risiken einzugehen. Eine wichtige Frage ist auch, wie die Welt danach aussehen könnte. Auch, wenn von ganz oben Unbehagen über die neue Debattenvielfalt und -intensität geäußert wird, es ist dennoch einer der wenigen positiven Nebeneffekte dieser Krise. Zu lange - schon vor Corona - war die Debattenkultur in diesem Land seltsam gehemmt.

Dass die Diskussionen zunehmen, liegt nicht zuletzt auch daran, dass die wirtschaftlichen Auswirkungen sichtlich dramatischer werden. So hat China für das erste Quartal 2020 eine Kontraktion des Bruttoinlandprodukts in Höhe von 6,8 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal verkündet. Es ist der erste Rückgang überhaupt seit Beginn der Erfassung im Reich der Mitte im Jahr 1992. Auch in den USA deuten verschiedene Frühindikatoren auf einen dramatischen Einbruch hin. So notierte der viel beachtete Philly Fed Index im April 2020 bei minus 56,6 Punkten, dem niedrigsten Stand seit August 1980. Negative Werte des Index deuten auf eine Kontraktion der Wirtschaftsleistung hin.

Ein klares Indiz dafür, wie außergewöhnlich ernst die Lage ist, ist die irrwitzige Lage am Ölmarkt. Ein Future US-Öl der Sorte WTI "kostete" eine kurze Zeit lang minus 37 US-Dollar je Barrel. Das hat zwar auch mit den Besonderheiten des Rohstoffhandels und vollen Öllagern in Cushing (USA) zu tun, ist aber auch eine indirekte Folge des dramatischen globalen Wirtschaftseinbruchs und dem damit einhergehenden Nachfrageeinbruch nach Öl.

Es sind also viele Fragen zu erörtern. Was passiert mit Europa? Wie sieht die Zukunft der Europäischen Union aus? Wie geht es mit der Gesellschaft und der Wirtschaft weiter? Wie wird sich die Bankenbranche verändern? Das ist an dieser Stelle natürlich die spannendste Frage. Natürlich wird auch die Corona-Pandemie irgendwann Geschichte sein. Doch andere Pandemien sind jederzeit möglich. Auch diese Pandemie wurde schon von Visionären wie Bill Gates früh vorhergesehen. Zoonosen, der Sprung von tierischen Erregern auf den Menschen, können jederzeit passieren. In einer derart vernetzten Welt kann sich ein solcher Virus auch in Windeseile global verbreiten, wie man aktuell sieht. Damit dürfte klar sein, es kann nicht einfach so weitergehen wie zuvor. Die Welt nach Corona wird eine andere sein als die Welt vor Corona. Sie muss diesmal vorbereiteter sein auf solche Krisen.

Die Frage nach der Zukunft Europas ist nicht nur eine politische. Für die Aufholjagd der Realwirtschaft, aber auch der Finanzwirtschaft wird es eine große Rolle spielen, ob Europa an einem Strang zieht oder ob Europa an der Krise zerbricht. Länder wie Italien und Spanien, deren Wirtschaft auch schon vor der Krise angeschlagen waren, sind auch im Kampf gegen den Virus besonders hart getroffen. Sie verlangen nach Solidarität. Das ist richtig und berechtigt. Keine Gemeinschaft, auch nicht die Europäische Union, kommt ohne Solidarität aus.

Wie diese auszusehen hat, da divergieren die Meinungen allerdings heftig. In Italien wächst darüber der Unmut auf Deutschland. Der Zusammenhalt bröckelt. Vor allem der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte fordert dabei sehr lauthals "Corona-Bonds". Naturgemäß kommt diese Forderung in den wirtschaftlich stärkeren Ländern wie Deutschland nicht besonders gut an. Die Befürchtung ist nicht ganz unberechtigt, dass damit die Hintertür für eine dauerhafte Vergemeinschaftung der Schulden geöffnet werden könnte - sozusagen die Büchse der Pandora sich auftun könnte: Nach der Krise könnten aus Corona-Bonds die lange heftig diskutierten und strikt abzulehnenden Euro-Bonds werden. Professor Dirk Meyer aus Hamburg steuert dazu in dieser Ausgabe (siehe hier) einen spannenden Fachbeitrag bei.

Die Frage nach der Zukunft der Banken ist natürlich multidimensional. Zunächst stellt sich die Frage, wie die unmittelbaren Auswirkungen der Krise sein werden. Auch wenn der Bundesfinanzminister Olaf Scholz wohl in bester taktischer Anlehnung an "whatever it takes"-Draghi versuchte zu betonen, dass die Bundesregierung kein gesundes Unternehmen in die Pleite entlassen würde. Es dürfte dennoch jedem klar sein, dass es - auch bei eigentlich gesunden Unternehmen - zu Insolvenzen kommen wird und das wohl auch nicht in unerheblichem Umfang. Creditreform (siehe hier) geht davon aus, dass die Zahl der Pleiten höher sein wird als nach der Finanzkrise - 2009 waren es 33 000 Unternehmen, die in die Pleite gingen.

Das wird zu Ausfällen in den Bilanzen der Banken führen. Für die Kredite zur Überbrückung der Liquiditätsengpässe, die einfach von der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) durchgeleitet werden, mag das aufgrund der weitgehenden Haftungsbefreiung noch überschaubar werden. Doch es werden natürlich auch Kredite notleidend werden, die schon vorher vergeben wurden. Da wird es sich bald auszahlen, dass die deutschen Banken in den letzten Jahren eifrig Kapitalpolster aufgebaut haben. Doch die Erträge dürften in diesem Jahr massiv durch Forderungsausfälle belastet werden. Dazu kommt zu allem Übel, dass die Nullzinsphase nun wohl für noch ein paar Jahre mehr zementiert sein dürfte. Die Herausforderungen beim Führen einer Bank werden also nicht kleiner werden.

In der Nachkrisenzeit werden viele Geschäftsmodelle überdacht werden, auch und vor allem die der Banken. Diese Krise sollte von den Banken daher als Chance gesehen werden. Eine Branche, die besondere Erfahrung im Umgang mit Krisen hat und diese bislang alle gut gemeistert hat, wird auch diese meistern. Zumal sie diesmal nicht Teil der Ursache ist. Das wiederum bietet die große Chance, diesmal als Teil der Lösung wahrgenommen zu werden und damit wieder an Reputation in der Gesellschaft zu gewinnen.

Eine Chance liegt vor allem darin, dass Onlinebanking und Mobile Banking derzeit gezwungenermaßen eine viel breitere Akzeptanz findet als zuvor. Die Digitalisierung wird noch mehr Dringlichkeit entwickeln und die Bankenwelt verändern. Ein digitaler Geschäftsbetrieb kann eben auch in Pandemiezeiten problemlos aufrechterhalten werden. Strukturell dürfte das für die Banken bedeuten, wenn die Akzeptanz dauerhaft so hoch bleibt, dass die Anzahl der Filialen noch stärker sinken wird. Auch zusätzliches Personal dürfte nach der Krise abgebaut werden. Ein nicht nur kleiner Nebeneffekt dürfte dabei sein, dass die Kreditinstitute damit, wenn es denn so kommt, auch gleich ihrer zinsbedingten Ertragsschwäche deutlich sinkende Kosten entgegenstellen könnten.

Ein weitere Lehre, die aus der Krise gezogen werden sollte: Die Regulierung darf nicht weiter überdreht werden, damit die Banken auch in Krisenzeiten genügend Kraft haben zu überstehen. Die Kreditversorgung ist gerade in solchen Zeiten essenziell, um der Realwirtschaft nicht auch noch die Überbrückungsliquidität zu erschweren. Natürlich ist der eigentliche Kerngedanke der strengen Regulierung, künftige Krisen zu verhindern. Doch wie man sieht, gibt es auch Krisen, die jenseits der Finanzindustrie entstehen. Wenn dann aber durch strangulierende Regulierung - zusätzlich zur Quasiabschaffung des Zinses - den Banken die Ertragskraft systematisch abgegraben wurde, fehlt es an Löschkraft als finanzielle Feuerwehr für die Realwirtschaft.

Es werden in den kommenden Wochen und Monaten viele Debatten anstehen und im Anschluss sehr viel Arbeit auf uns alle zukommen. Mit dieser Ausgabe mit zahlreichen Fachbeiträgen zu den drängenden Fragen dieser Krise versucht die Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen schon einmal eine Basis für die anstehenden Diskussionen zu liefern. Als oberste Priorität gilt bei all dem: Bleiben Sie gesund!

Carsten Englert , Leitender Redakteur, Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen , Fritz Knapp Verlag
Noch keine Bewertungen vorhanden


X