Niedrigzinsen: Bremse und Treiber zugleich

Berthold Morschhäuser

Die Chinakrise zu Jahresbeginn, das Brexit-Votum Ende Juni, die neue, alte Diskussion um eine Bankenschwäche in Europa rund um die Veröffentlichung der Stresstestergebnisse Ende Juli, die Ängste durch Terrorgefahr im gesamten Jahresverlauf und möglicherweise gar die unkalkulierbaren Auswirkungen der Präsidentenwahl in den USA im November: All diese Einflüsse, die die Kapitalmärkte seit Jahresbeginn besonders häufig und heftig erleben müssen, sind alles andere als geschäftsfördernd.

Sie tragen permanent zu einer hochgradigen Verunsicherung bei und sind damit allesamt auch der Entwicklung der Fondsbranche nicht förderlich. Allen Erfahrungen nach leiden nicht nur die privaten Anleger, sondern auch die professionellen Akteure im institutionellen Asset Management unter den daraus resultierenden Volatilitäten.

Neben diesen Widrigkeiten gibt es der Tendenz nach aber auch einen positiven Nebeneffekt. Diesen sprechen die Asset Manager in seinen Auswirkungen zwar nicht so laut an, er beschert ihnen aber schon seit einigen Jahren ein wachsendes Interesse und eine größere Offenheit für neue Lösungen. Denn die aktuelle Geldpolitik mit weltweiten Niedrigzinsen der Notenbanken zwingt die Anleger und Investoren, angefangen von den hierzulande mit Abstand größten Nachfragern Versicherungen und Altersvorsorgeunternehmen über Kreditinstitute und Unternehmen bis hin zu Stiftungen, sich intensiv mit neuen Möglichkeiten und Risiken zur Sicherstellung der erwünschten Renditevorstellungen zu beschäftigen.

Diese Gemengelage ist mit ein Grund dafür, dass die reinen Volumenzahlen der institutionellen Asset Manager so schlecht nicht sind. So erreichen die Mittelzuflüsse der Wertpapierspezialfonds im abgelaufenen Jahr 2015 sowie im bisherigen Jahresverlauf 2016 eine Aufstockungsquote, die fast an die Jahre 2010 und 2012 heranreicht (siehe Beitrag Entzian in diesem Heft). Trotz aller Volatilitäten an den Kapitalmärkten seit Beginn dieses Jahres konnte damit das verwaltete Spezialfondsvermögen auf 1335 Milliarden Euro weiter gesteigert werden und damit an die kontinuierliche Aufwärtsentwicklung der vergangenen Jahre anknüpfen. Die Volumina sind allerdings nur eine Seite der Geschichte. Dass sich bei aller Verfeinerung des Produkt- und Dienstleistungsangebotes und aller Professionalisierung des Risikomanagements auch eine Verbesserung der Ertragslage einstellt, ist damit längst nicht gesagt. An dieser Stelle kommen vielmehr die Kostenbelastung durch die Regulatorik sowie der erhöhte technische Aufwand ins Spiel.

Gerade von den Rahmenbedingungen können unterschiedliche Wirkungen auf Kreditwirtschaft und Asset Manager ausgehen. Selbst die viel diskutierten Regulierungsthemen Solvency II und Basel III müssen für Finanzdienstleister nicht zwingend eine Belastung sein, sondern sie können sich auch als Feld für zukunftsweisende spezialisierte Dienstleistungen erweisen. In diesem Sinne wird in diesem Heft auf die Möglichkeit verwiesen, speziell im Asset Management mit besonderen Angeboten rund um die Regulierung einen willkommenen Mehrwert für die Kunden zu liefern. Konkret angesprochen wird beispielsweise die Möglichkeit im Rahmen der Reporting-Tools der Master-KVG den Kunden aus der Kreditwirtschaft eine Fondsdurchschau und/oder Auswertungen zu den Liquiditätsanforderungen zu liefern, wie sie auch von den Regulatoren geschätzt werden. Im Idealfall könnte das nicht nur vor einer erhöhten Taktfolge von Sonderprüfungen nach § 44 KWG bewahren, sondern auch Daten liefern, die für die Schnittstellen von interner Steuerung und externer Berichterstattung für die Rechnungslegung und die Aufsicht genutzt werden können.

Geredet wird von dieser Idealvorstellung von Regulierungs-, Controlling- und Rechnungslegungsinstanzen schon seit Langem. Und auch abstrakte Sympathiebekundungen für lohnende Anstrengungen in diese Richtung gibt es zuhauf. Inwieweit und mit welcher Qualität solche Konzepte in einzelnen Häusern schon umgesetzt werden, welche Zeitdauer ihre Implementierung realistischerweise in Anspruch nimmt und welche Rolle sie heute schon oder zumindest zukünftig als Wettbewerbsfaktor spielen, ist für Außenstehende allerdings nur schwer durchschaubar und wird auch innerhalb der Branche unterschiedlich eingeschätzt. Während beispielsweise die Helaba Invest zumindest bei der Fondsdurchschau schon fertige Lösungen anbietet und diese als Asset im Wettbewerb gewertet wissen will, verweist man bei der Bayern Invest (Interview van Rüth) auf einen Sockel von Erwartungen, der in einem deutschlandweit ohnehin hohen Niveau des Reportings einfach geboten werden muss, sprich von den Kunden als Standard schlicht vorausgesetzt wird. Die problemlose Einbindung von gelieferten Datengerüsten in die interne Steuerung sowie in das Berichtswesen der Rechnungslegung und der Aufsicht bieten gleichwohl enorme Effizienzreserven und werden damit zu einem wichtigen Wettbewerbsfaktor.

Interessante Perspektiven eröffnet die bisherige Fondssaison 2016 auch mit Blick auf das Reizthema ETFs. Durften die zusammen mit den Aktienkursen recht ungebremsten Abwärtsbewegungen der Indexfonds in den Monaten Januar und Februar dieses Jahres noch als Bestätigung für das aktive Fondsmanagement gewertet werden, so finden sich in diesem Heft für das institutionelle Geschäft zwei eindringliche Plädoyers für die wachsende Bedeutung der ETFs (siehe Beiträge Meyer zu Drewer und Klein). Die Fondskonzepte der institutionellen Asset Manager, so der Tenor, sind mittlerweile so ausdifferenziert, dass auch bekennende aktive Asset Manager - sei es bei Anleiheportfolios oder zur Umsetzung der beliebten Multi-Asset-Konzepte - auf eine gebührende Beimischung von ETFs gar nicht verzichten können, wollen sie ihre ausgeklügelten Fondskonzepte effizient umsetzen. Viel spricht in der Tat dafür, dass ETFs unter den heutigen Rahmenbedingungen durch ihre günstigen Kostenstrukturen die Handlungsmöglichkeiten von institutionellen Investoren erweitern.

Als weitgehend unbestritten gilt diese Wertschätzung mittlerweile für einen verstärkten Einsatz von Alternative Investments, und zwar unabhängig davon, ob man Immobilien zu diesem Segment hinzurechnet oder es auf andere Instrumente wie Public Debt, Hedgefonds, Private Equity oder Infrastrukturinvestments bezieht. Vor zehn Jahren hat die hiesige Branche noch argwöhnisch auf die Quote von Alternative Investments geblickt, die angloamerikanische Investoren ihren Portfolios beizumischen pflegten - drei bis fünf Prozent wurden lange Zeit als realistische Zielgröße für hiesige Verhältnisse angegeben. In heutigen Zeiten der allgemeinen Suche nach Assetklassen mit einem vorzeigbaren Beitrag zur Erfüllung der Renditeversprechen gelten selbst hierzulande Quoten von bis zu einem Viertel als denkbar, verbunden mit verbesserten Standards und erhöhten Anforderungen an die Methoden für das Risikomanagement.

Nicht zuletzt dürften unter den aktuellen Marktbedingungen auch die Consultants in ihrer Wertschätzung (wieder) steigen. Denn je mehr Marktteilnehmer sich mit neuen Assetklassen beschäftigen, umso größer ist der Bedarf an Knowhow in diesen Bereichen. Auch wenn deren Dienstleistung in Zeiten enger Margen natürlich ebenfalls ihren Preis hat, lässt sich wie so oft im Leben durch ein einfaches Kosten-Nutzen-Kalkül ausrechnen, ob es effizienter ist die notwendige Expertise im eigenen Haus aufzubauen oder nach Spezialisten Ausschau zu halten, die diese Dinge in der erforderlichen Qualität zuliefern können.

Dr. Berthold Morschhäuser , ehem. Chefredakteur , Fritz Knapp Verlag

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