In der Phase der Wiederannäherung

Dr. Berthold Morschhäuser, Foto: Fritz Knapp Verlag GmbH

Das Verhältnis der Finanzwirtschaft zu jeweiligen Herrschern beziehungsweise den staatlichen Instanzen hat im Verlauf der (deutschen) Wirtschaftsgeschichte höchst wechselhafte Zeiten erlebt. Über viele Jahrhunderte haben sich Banken, Staaten und Politiker gegenseitig in ihren Machtansprüchen gestärkt, haben in engem Zusammenwirken wirtschaftliches Wachstum ermöglicht, mussten aber auch gemein sam Krisenzeiten durchleben, angefangen von zahlreichen Kriegen im Mittelalter über die gesellschaftlichen Verwerfungen in den Anfangszeiten der Industrialisierung, die Weltwirtschaftskrise in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts bis hin zur Dotcom-Blase rund um den Jahrtausendwechsel und der jüngsten Finanzkrise mit ihrem Höhepunkt in den Jahren 2008/2009.

Im Zuge der Aufarbeitung der Krisen, so skizziert es Cornelius Riese in diesem Heft (Seite 10), gab es regelmäßig Phasen großer Distanz zwischen Politik/Staatsmacht, der Finanzbranche und breiten Bevölkerungsschichten. Diskussionen um die Angemessenheit von Konditionen und/oder die Macht der Financiers beziehungsweise der Banken ziehen sich bis heute in schöner Regelmäßigkeit durch die Jahrhunderte. Eher eine Gegenbewegung zu dem mehr oder weniger festen Gefüge zwischen Machthabern und Finanzbranche markiert allerdings die Entstehungsgeschichte der für Deutschland so wichtigen Verbundgruppen der Sparkassen und Genossenschaftsbanken. Ihre Gründung war von Anfang an als Beitrag zur Lösung oder Linderung sozialer Fragen für weite Teile der Bevölkerung ausgelegt.

Insofern ist es sicherlich dieser historisch gewachsenen Verbundenheit der hiesigen Kreditgenossenschaften und Sparkassen zu der Masse der Bevölkerung zu verdanken, dass die Verbindung der Politik zu den beiden großen Verbundgruppen auch nach der jüngsten Finanzkrise nie so richtig abgekühlt ist. Zwar bedurfte es nach den weltweit massiven staatlichen Stützungsmaßnahmen für den Finanzsektor vor gut zehn Jahren allgemein einer gewissen Karenzzeit, bevor zwischen Banken und der Politik wieder ein halbwegs brauchbarer Gesprächsfaden gefunden werden konnte. Aber zumindest die Ortsbanken der beiden großen Verbundgruppen konnten und können hierzulande über alle Parteigrenzen hinweg auf eine Grundsympathie für ihr Geschäftsmodell und die besondere Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung in den Regionen bauen. Grundsätzliche politische Zweifel an der stabilitätsfördernden Wirkung des Dreisäulensystems wurden in den vergangenen Jahren jedenfalls kaum laut.

Nachdem die Welle aus Stützungsmaßnahmen und dem Bekanntwerden immer neuer Verfehlungen insbesondere vonseiten einer deutschen Großbank ein wenig abgeebbt war, ist seit einigen Jahren das Verhältnis zwischen Banken und Politik wieder ein bisschen unverkrampfter geworden. Die Politik hat wieder offene Ohren für die Anliegen der Branche. Ihre Anregungen, etwa für eine Regulierung mit Augenmaß und/ oder eine Evaluierung der diversen Meldevorschriften, wurden von deutschen Politikern aufgegriffen, in die europäischen Institutionen getragen und dort mit Verbündeten aus anderen EU-Staaten umgesetzt. Hinsichtlich der Arbeit im künftigen Europaparlament wird es allerdings interessant sein, wie und ob sich die Anliegen der deutschen Finanzbranche nach dem Ausscheiden einiger profilierter deutscher Europaparlamentarier weiterhin so gut positionieren lassen, wie das in den vergangenen Jahren immer wieder gelungen ist.

So konnte noch vor Ende der Legislaturperiode des Europaparlamentes das Bankenpaket mit konkreten Vorgaben zur Umsetzung des Proportionalitätsgedankens verabschiedet werden und auch die Förderbanken wurden aus dem Aufsichtsregime der EZB in die Hände der jeweiligen nationalen Aufsichtsbehörden entlassen. Mit Blick auf die Vollendung der Bankenunion gibt es zudem bisher eine sehr geschlossene deutsche Position aus Politik, Notenbank/ Aufsicht und Kreditwirtschaft zur Einlagensicherung (EDIS). Erst Mitte Mai haben sowohl die Bundeskanzlerin Angela Merkel als auch Finanzminister Scholz in ihren Reden auf dem 26. Deutschen Sparkassentag noch einmal unabhängig voneinander betont, wie wichtig der deutschen Seite als Grundvoraussetzung für weitere Aktivitäten in Richtung EDIS der Abbau von notleidenden Krediten in den Bankbilanzen, die Beherrschbarkeit der Risiken von Staatsanleihen sowie die Harmonisierung des Insolvenzrechtes ist.

Auf nationaler Ebene ist ab Ende 2013 unter der Großen Koalition und deren Wiederauflage im Jahre 2018 der Dialog zwischen Politik und Banken intensiver geworden. Zuletzt hat es gar Anflüge von aktiver Strukturpolitik gegeben. Unter dem neuen Finanzminister und seinem Staatssekretär hat zu Beginn dieses Jahres das zunächst nur sanft artikulierte Interesse der deutschen Politik an einer wettbewerbsfähigen deutschen Großbank eine derartige Eigendynamik entwickelt, dass in Sondierungsgesprächen zwischen Deutscher Bank und Commerzbank ausgelotet wurde, ob konkrete Fusionsverhandlungen aufgenommen werden sollten. Ob die Gespräche der Banken aus eigenem Antrieb zustande kamen oder nach sanftem Druck aus Berlin und der daraus resultierenden Erwartungshaltung in der Öffentlichkeit schließlich der einzige elegante Ausweg waren, das Thema ohne erheblichen Schaden für die Politiker und/oder die beiden Großbanken zu entschärfen, lässt sich für Außenstehende bis heute nicht ganz klar beurteilen.

Auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier hat sich auf gefährlichem Terrain bewegt. Er hat seit Anfang Februar miterleben müssen, wie die von ihm durch sein Papier zur Nationalen Industriestrategie 2030 angestoßene Debatte um die richtige Ausübung der Lenkungsfunktion des Staates auf heftige Kritik aus allen Wirtschaftsbereichen, einschließlich der Finanzindustrie gestoßen ist. Mitte Mai ist er auf der 75. Bankwirtschaftlichen Tagung des BVR vor fast 1 000 Genossenschaftsbankern überwiegend aus Primärinstituten einmal mehr zurückgerudert, indem er sich klar und deutlich zum Mittelstand und zur großen Bedeutung der mittelständischen Banken in der Region bekannt, den hohen Stellenwert von Gründern betont, die Erhaltung der Lebensqualität in der Fläche als politische Aufgabe benannt und die Förderung von Venture Capital Fonds hervorgehoben hat. In der Sache hat er aber darauf beharrt, in einer Welt voller massiver Industriepolitik, nicht nur in China und den USA, sondern ebenso in Japan und Korea, auch in Europa offensiv über Felder mit höchster strategischer Wichtigkeit für Europa nachdenken und Initiativen zur Wahrung der europäischen Interessen durch Förderung von Schlüsseltechniken anstoßen zu wollen, etwa bei der Batteriezellenproduktion. Als Interessensphäre der Bundesregierung in Richtung der Finanzindustrie hat Angela Merkel beim Sparkassentag zusätzlich den Anspruch formuliert, Deutschland zu einem führenden Standort für Sustainable Finance auszubauen, im Fintech-Sektor eine Vorreiterrolle einzunehmen und in der Finanzbranche wie in allen anderen Sektoren der Cybersicherheit höchste Beachtung zu schenken.

Ebenfalls beim Sparkassentag hat Finanzminister Scholz noch einmal auf die Rolle der Sparkassen bei der Finanzierung der regionalen Wirtschaft verwiesen, hat die Erleichterungen des in Brüssel verabschiedeten Bankenpaketes betont und sich offen gezeigt, die Wechselwirkungen der einzelnen Maßnahmen der Bankenregulierung genau zu untersuchen sowie unerwünschte Nebenwirkungen zu entschärfen. Mit Blick auf die anstehenden Strukturveränderungen in der Sparkassenorganisation hat er allerdings auch die zukunftsfähige Ausgestaltung der gemeinsamen Institutssicherungssysteme angemahnt.

All diese Äußerungen der Politik sprechen derzeit für einen konstruktiven Dialog mit den Banken. Cornelius Riese hat für alle Beteiligten einige Überlegungen parat, um diese Gesprächskultur und letztlich die Stellung der Banken als Schlüsselindustrie zu erhalten: Er regt an, erstens die proportionale Regulierung des Sektors und artverwandter Branchen als zentrale Gestaltungsaufgabe zu sehen, zweitens ethische Standards in der Unternehmensführung als Selbstverpflichtung und Chance für Banken zu begreifen und drittens die Zusammenarbeit und den Austausch zwischen Finanzindustrie und Politik wieder stärker zu institutionalisieren. Frohes Schaffen allerseits, einfach wird das gewiss nicht werden.

Dr. Berthold Morschhäuser , ehem. Chefredakteur , Fritz Knapp Verlag
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