Sandburgen?

Gregor Brunner, Volontär, Foto: G. Brunner

Richten wir den Blick nach Nassau. Nicht auf die Stadt in Rheinland-Pfalz, unterhalb der gleichnamigen Burg. Der Blick schweift weit in die Karibik. In der nach Wilhelm III. von Oranien-Nassau, König von England, benannten Hauptstadt der Bahamas wurde am 20. Oktober 2020 die - nach eigener Aussage - weltweit erste nationale digitale Zentralbankwährung (Central Bank Digital Currency, CBDC) ausgegeben. Dies ist keine Versuchsversion, wie sie derzeit in mehreren Metropolregionen Chinas erprobt wird. Der sogenannte Sand Dollar (SD) ist für jeden, der sich auf den Bahamas aufhält, zugänglich und als Zahlungsmittel verwendbar.

Technisch gestützt wird die von der bahamaischen Zentralbank ausgegebene Währung durch den Dienstleister NZIA. Auf ein Konto bei der Zentralbank oder bei autorisierten Finanzinstituten (AFI) kann online wie offline zugegriffen werden, per Smartphone oder Karte. Konten existieren in drei Stufen, die nach Limits, Transaktionsvolumen und korrespondierenden Know-Your-Customer- (KYC) und Anti-Geldwäsche-Anforderungen (Anti Money Laundering, AML) gestaffelt sind. Mit der Beschränkung der Nutzbarkeit wird der Furcht vor einem Bank Run vorgebeugt: Wenn nur geringe Mengen von Sand Dollars gehalten werden können, besteht kein Anreiz für die Verbraucher, die gesamten Einlagen von der Bank abzuziehen.

Dass man sich in Nassau gerne etwas verwegen darstellt, ist wohl dem historischen Erbe der Stadt geschuldet, welche in den frühen Jahren nach ihrer Gründung als Piratenhochburg bekannt war. In ganz unbekannte Gewässer segelt die bahamaische Zentralbank jedoch nicht: 2015 versuchte Ecuador eine staatliche Digitalwährung einzuführen. 2018 wurden jedoch die Smartphone-App eingestellt und die Nutzer angewiesen, ihr deponiertes Geld abzuheben. Es war Ähnliches geschehen, wie während der ecuadorianischen Finanzkrise 1998/99: Damals wurde die alte Währung, der ecuadorianische Sucre, aufgrund des fehlenden Vertrauens in das Finanzsystem und der Hyperinflation zugunsten des schon weithin genutzten US-Dollars abgeschafft. Fehlendes Vertrauen der Bevölkerung in den Umgang mit einer eigenen Währung vonseiten der ecuadorianischen Zentralbank führte zu geringer Nutzung des elektronischen Geldsystems. 2017 wurde berichtet, dass 71 Prozent der eröffneten Depots nie für Transaktionen verwendet wurden. So wurde das elektronische Geld 2018 wieder abgeschafft und der US-Dollar hatte als Zahlungsmittel des Vertrauens Bestand.

Also waren die Bahamas nicht ganz die ersten. Kolumbus war nachweislich auch nicht der erste Europäer, der einen Fuß nach Amerika gesetzt hat. Aber derjenige, der anhaltenden Erfolg mit der Verbreitung des Wissens um den Kontinent in Europa hatte. Wie versuchen nun also die Bahamas ihren Anspruch auf eine erste (funktionierende) CBDC mit dem Sand Dollar zu untermauern?

Genau wie Ecuadors elektronisches Geld ist der Sand Dollar über den "normalen" bahamaischen Dollar eins zu eins an den US-Dollar gekoppelt. Die Inselgruppe ist ein beliebtes Ziel für US-Touristen, daher ist der US-Dollar neben dem bahamaischen ein weit verbreitetes Zahlungsmittel. Diese Koppelung hat zur Folge, dass ein Teil des Vertrauens auf der Federal Reserve und damit einer starken und vertrauenserweckenden Zentralbank liegt. Auch hat die Zentralbank der Bahamas mit keiner belasteten Vergangenheit zu ringen. Ängste, dass die Zentralbank den Sand Dollar zu ihren Gunsten manipulieren würde, sind weniger prävalent. Eine stabile Währung ist im Interesse der Zentralbank, da das ausgemachte Ziel der Einführung des Sand Dollar die Versorgung der Bevölkerung auf den entlegeneren Inseln des Archipels mit Zugang zu Finanzdienstleistungen ist. Die auf einem Mobiltelefon-Netzwerk aufgebaute Infrastruktur des Sand Dollar bietet hier durchaus technische Vorteile gegenüber "verkabelten" Zahlungsverkehrssystemen. Es bleiben aber Fragen nach nach der Finanzierung des technischen Unterbaus sowie der tatsächlichen Nutzung der Währung.

Die technische Umsetzung wird getragen durch die bereits erwähnten AFI. Diese setzen sich derzeit aus acht Instituten zusammen, darunter Zahlungsdienstleister und eine kommerzielle Bank. Sie versorgen Kunden mit der Standard-App oder einer eigenen und prüfen die Nutzer der Währung nach KYC- und AML-Prinzipien. Damit ist das Investment in die Zahlungsinfrastruktur und das Interesse an ihrem Erfolg auf mehrere Schultern verteilt. In einer ersten Phase der Veröffentlichung soll der private Sektor mit der Technologie versorgt werden. Der öffentliche Sektor wird in einer zweiten Phase in das System eingebunden.

Und doch: Auch wenn anbieterseitig viele Marktteilnehmer an dem Erfolg einer Zahlungsmöglichkeit interessiert sind, so garantiert dies nicht die nutzerseitige Annahme. Anders als bei Feldversuchen wie beispielsweise im chinesischen Shenzhen sind von Anfang an keine Partner wie Taxi-Unternehmen oder Online-Händler als Annahmestellen des Sand Dollar ausgewiesen. Die Hoffnung ruht also darauf, dass Nutzer im System einen Mehrwert gegenüber bisherigen Zahlungsmöglichkeiten sehen und von ihren gewohnten Mitteln umsteigen. Eine am 20. November beendete Umfrage, die Kunden und Händler nach der Nutzung von Zahlungsmöglichkeiten gefragt hatte, wird wohl wenig aussagekräftig bleiben. Um Anlaufschwierigkeiten oder Einmaleffekte in einen Kontext zu setzen, brauchte es mehrere Jahre der Beobachtung.

Der Informationsgehalt für andere Zentralbanken aus der Einführung des Sand Dollar wird sich damit auch zunächst in Grenzen halten. Dennoch wäre es gewiss nicht schlecht, auch die Entwicklung in anderen Staaten abseits des in diesen Belangen superdigitalisierten Chinas über längere Zeit zu verfolgen. Dass der Grad der Digitalisierung eines Landes allein noch keine Notwendigkeit ergibt, zeigt zum einen die Länge der Untersuchung vonseiten der schwedischen Riksbank zur E-Krona. Sie forscht seit 2017 zu dem Thema. Zum anderen gibt die norwegische Norges Bank zu verstehen, dass sie zwar an einer möglichen CBDC forscht, aber selbst bei einer während der Corona-Pandemie auf 4 Prozent gefallenen Bargeldnutzung "keine akute Notwendigkeit" für eine Einführung sieht.

Wie sieht es mit der Versorgung der Bevölkerungsgruppen ohne Zugang zu Finanzdienstleistungen aus? Nur wenige Staaten in Europa haben dieses Problem, ein Beispiel wäre jedoch Bulgarien. Hier haben nur 72 Prozent der Bevölkerung eine Bankverbindung. Die restlichen 28 Prozent mit einem Konto zu versorgen wäre ein Argument für eine einfach zugängliche CBDC. Diesen Zahlen kann jedoch der Anteil des informellen Sektors am Bruttoinlandsprodukt Bulgariens gegenübergestellt werden: 31,9 Prozent (2012; vergleiche Deutschland: 13,3 Prozent). Nun bedeutet Korrelation keinen Kausalzusammenhang, allerdings ist zu vermuten, dass ein großer Teil der Bevölkerung nicht an einer Anbindung an ein von Banken, Aufsicht und Fiskus überwachtes System interessiert sein sollte. In einer 2017 in Bulgarien durchgeführten Umfrage geben zudem 31 Prozent der Befragten ohne Bankkonto an, den Banken nicht zu vertrauen. Diesem Teil der Bevölkerung nun beizubringen, dass sie ihr Geld bei einer Zentralbank, die die volle Kontrolle über die Währung hätte, lagern sollen, wäre wahrscheinlich eine undankbare Aufgabe.

Die Diskussionen um digitale Zentralbankwährung häufen sich. Hinzu kommt die Entwicklung privater, aber an staatliche Währungen angeknüpfte Zahlungsverkehrssysteme mit ähnlichen Ansprüchen, allen voran Facebooks Initiative "Libra" beziehungsweise seit 1. Dezember "Diem". Das Fundament, auf dem jedes Geld gebaut ist, ist das Vertrauen seiner Nutzer. Egal ob staatliches oder "privates" Geld: Wenn man heute Geld für eine Leistung annimmt, dann möchte man darauf vertrauen können, dass damit auch übermorgen etwas bezahlt werden kann. Wer auf dieses Fundament mehr als nur Sandburgen bauen möchte, muss mehr als nur im Markt präsent sein und auch die besseren Argumente auf sich vereinen. Ob die Aussage von Christine Lagarde in einem Beitrag vom 30. November 2020: "A digital euro would also be an emblem of the ongoing process of European integration", ein solches Argument ist, muss sich noch herausstellen.

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Gregor Brunner , Redaktionsvolontär , Fritz Knapp Verlag GmbH
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