Der schwarze Schwan

Carsten Englert, Redakteur Foto: Verlag Fritz Knapp GmbH

Das vergangene Jahr war ein klar abgestecktes Jahr für die Branche der Spezialfondsanbieter: Der Markt wächst anhaltend auf hohem Niveau. Als größte Aufgabe galt es, die Transition der Finanzbranche zur Sustainable Finance zu begleiten und zu gestalten und der Nachfrage nach nachhaltigen Investmentprodukten vonseiten der institutionellen Investoren das passende Angebot zu liefern. Doch dann trat mit der Corona-Pandemie ein von den meisten völlig unerwartetes Ereignis auf, das unerwartete, neue Herausforderungen mit sich brachte. Für die Gesellschaft und Wirtschaft als Ganzes, aber auch für die Spezialfondsbranche im Einzelnen.

Der Markt sah bislang im Jahr 2020 bis Mai kumuliert einen deutlichen Mittelzufluss von über 30 Milliarden Euro. Doch diese Zahl täuscht im ersten Moment. Nur in den ersten drei Monaten des laufenden Jahres sah es noch richtig gut aus. Im April hingegen flossen netto sogar 4,558 Milliarden Euro aus den Spezialfonds ab. Im Mai erholte sich die Lage mit leichten Zuflüssen von 0,459 Milliarden Euro (Quelle bei allen Zahlen: Bundesbank), was aber noch weit unter den Werten im ersten Quartal lag, als in jedem einzelnen Monat zwischen 10 und 12 Milliarden Euro neue Mittel zuflossen - anders übrigens als bei den Publikumsfonds, die in den ersten drei Monaten 2020 bereits einen Nettomittelabfluss in Höhe von 13,9 Milliarden Euro erlitten. Im Juni verbesserte sich der Nettomittelzufluss bei den Spezialfonds schon wieder auf 5,28 Milliarden Euro. Auch in puncto Performance waren die Spezialfonds im ersten Quartal besser als die Publikumsfonds, da das Nettovermögen der Publikumsfonds um fast 67 Milliarden Euro gesunken ist, während das Nettovermögen um gut 53 Milliarden Euro gestiegen ist.

Dennoch stellt sich die Frage, ob der lang anhaltende Wachstumsschub der Spezialfondsbranche durch die Corona-Krise nun zum Erliegen kommen könnte oder ob es sich nur um eine Corona-bedingte "Wachstumsdelle" handelt. Schließlich ist die Corona-Krise ein "schwarzer Schwan" mit ökonomischen Folgen bisher nicht gekannten Ausmaßes. Diese Frage kann jetzt natürlich noch nicht abschließend beantwortet werden. Der Nettomittelabfluss könnte aber durchaus auch nur ein temporärer Einbruch bleiben, weil sich viele Gesellschaften in der Krise mit Liquidität eindecken wollten. Neuere Zahlen sind noch nicht zugänglich. Es bleibt somit abzuwarten, ob sich dieser Trend auch im weiteren Verlauf verstetigt.

Der starke Mittelabfluss im April dürfte aber nur zum Teil auf die Liquiditätsbedürfnisse der Kunden zurückzuführen sein. Der dramatische Kurseinbruch an den Börsen, als klar wurde, in welchem Ausmaß die Weltwirtschaft ausgebremst werden könnte, erfolgte einen Monat vorher im März und könnte somit auch eine Rolle gespielt haben. Die große Frage, die sich da natürlich stellt: Wie stark wäre der Einbruch bei den Nettomittelzuflüssen, wenn es doch nochmal zu einer intensiven Korrektur kommt? Denn völlig von der Hand zu weisen ist diese Befürchtung nicht. Der Konjunktureinbruch hat historisch einmalige Ausmaße angenommen. Deutschland mit seiner Kontraktion um 11,7 Prozent auf Jahressicht im zweiten Quartal war noch verhältnismäßig mäßig betroffen. Den Vogel abgeschossen haben die USA, mit einem Einbruch um fast ein Drittel gegenüber dem Vorquartal! Daher verwundert es nicht, dass Unternehmen derzeit reihenweise Gewinneinbrüche oder sogar dicke Verluste vermelden. Dazu warnen immer mehr Stimmen vor einer Pleitewelle - wenn das "Insolvenzverschleppungsgesetz" CorInsAG im September ausläuft. Das wiederum könnte die Banken in die Bredouille bringen. Allerdings überlegt Bundesjustizministerin Lambrecht bereits, dieses Gesetz noch bis März 2021 zu verlängern. Doch das würde das Problem nur verschieben, nicht lösen.

Noch viel heftiger könnte den Aktienmarkt und die Realwirtschaft eine erneut aufbrandende Corona-Welle und Sorgen vor einem erneuten Lockdown treffen. Bis in den Juli herein schien die Lage in Deutschland mit nur dreistelligen Neufallzahlen am Tag komplett im Griff. Anfang August fingen die Zahlen wieder zu steigen an und erreichten tägliche Neuinfektionszahlen jenseits der Marke von 1 000. Ein zweiter Lockdown dürfte jedoch dramatische ökonomische Auswirkungen haben und vielen Unternehmen endgültig das "Genick brechen". Es bleibt zu hoffen, dass es keinen oder zumindest nur partielle Lockdowns in einer möglichen zweiten Welle geben würde - oder noch besser keine zweite Welle.

In diesen Zeiten sind in der Spezialfondsbranche gute und intelligente Konzepte gefragt. In jeder Hinsicht. Auf der Anlageseite werden alternative Konzepte bereits angeboten. So stellt Martin Opfermann von der Allianz Global Investor auf Seite 36 vor, wie Banken und Asset Manager beim Thema Trade Finance zusammenarbeiten können. Kunden finden dadurch eine gute Diversifikationsmöglichkeit, und Banken können gerade, wenn tatsächlich die Kreditausfallflut kommt, dadurch besser ihrer Aufgabe zur Unterstützung des für die deutsche Wirtschaft so wichtigen Außenhandels gerecht werden. Aber auch andere Angebote wie Infrastruktur-Investments in erneuerbare Energien (siehe Seite 34) bieten den Kunden Diversifikationspotenzial gegenüber den Aktienmärkten. Es ist zu erwarten, dass die Nachfrage nach diesen und ähnlichen Produkten im Zuge der Corona-Krise einen zusätzlichen Schub bekommen wird.

Aber es stellt sich auch die Frage, was sich organisatorisch für die Spezialfondsanbieter ändern wird. Die Strukturen werden effizienter werden müssen und auch Notfallpläne aufgebaut werden, denn Pandemien können immer wieder kommen. Doch das trifft natürlich auf alle Branchen zu. Die Corona-Auswirkungen dürften ohne Frage auch den Trend zum Outsourcen der Fonds-Administration weiter anheizen. Auch das Thema Stellenabbau wird schon diskutiert. So ist zu vernehmen, dass bei einem der großen deutschen Anbieter bis zu einem Fünftel der Stellen wegfallen soll.

Eine weitere Frage, die sich stellt, ist der Einfluss der Politik auf den Markt. Auch wenn die Reaktion auf die Pandemie doch recht spät kam und am Anfang noch viel verharmlost wurde: Doch dann wurde viel - aber nicht alles - richtig gemacht mit den Hilfspaketen, aber auch den pandemischen Maßnahmen. Auch auf europäischer Ebene wurde gehandelt mit einem gigantischen Wiederaufbauprogramm. Zudem hat die EU die Kapitalmarktunion als Projekt wiederentdeckt, nachdem es lange Zeit nicht vorwärts ging. Nun wird sie gezielt als Teil der Strategie eingesetzt, die ökonomischen Corona-Folgen zu bekämpfen. Erleichterungen für einen einheitlichen europäischen Kapitalmarkt wären zu begrüßen. Doch müssen am Ende des Tages den Worten auch mal Taten folgen. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Kapitalmarktunion als wichtiges Projekt ausgerufen wird und dann passiert nicht viel. Langfristig gedacht könnte die Politik aber auch wieder zum Wachstumshindernis werden. So richtig und wichtig die ganzen Hilfsmaßnahmen sind, sie müssen am Ende auch bezahlt werden von irgendjemanden. Daher steht zu befürchten, dass nach der Krise reihenweise die Steuern erhöht werden und damit eine neue Wachstumsbremse auftritt.

Last, but not least stellt sich noch die Frage, was wird aus dem eingangs erwähnten Megathema, das die Diskussionen vor der Pandemie dominiert hat? Das Thema Wandel zur Sustainable Finance hatte zuvor alles überlagert. Im Zuge der Pandemie ist es zunächst völlig in den Hintergrund geraten. So langsam drängt es nun aber wieder an die Oberfläche. Das ist auch kein Wunder, denn das Thema hat natürlich nichts an Dringlichkeit verloren. Auch aufseiten der institutionellen Investoren. Sie fragen unverändert stark nachhaltige Anlageprodukte nach. Aber es gibt auch Verschiebungen. Wie die Autoren Simon Bond und Benjamin Kelly von Columbia Threadneedle auf Seite 32 in ihrem Beitrag feststellen, gibt es aufgrund der Corona-Krise einen dynamischen Anstieg in der Nachfrage nach Social Bonds. Es findet also beim Thema ESG-Anlage eine Verschiebung hin zum "S" statt, jedoch ohne das "E" dabei zu vernachlässigen. Das Beispiel Wirecard hat zudem gezeigt, dass auch das "G" in ESG noch kein Selbstläufer ist und wieder etwas mehr in den Fokus rücken sollte. Die Spezialfondsbranche tut gut daran, das Thema weiter intensiv zu verfolgen. Doch nicht nur, um ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden, es dürfte auch das wichtigste absatzfördernde Thema auf absehbare Zeit werden.

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Carsten Englert , Leitender Redakteur, Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen , Fritz Knapp Verlag
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