Sparfrust statt Sparlust

Philipp Otto

Das private Geldvermögen wächst, Deutschland wird im Durchschnitt immer reicher, auch wenn die Mittel natürlich keineswegs gleichmäßig und auch nicht immer gerecht verteilt sind. Im dritten Quartal 2014 hat das Geldvermögen der privaten Haushalte laut Auswertung der Deutschen Bundesbank gegenüber dem Vorquartal um 28 Milliarden Euro zugenommen und beläuft sich damit auf rund 5,01 Billionen Euro. Das ist das Zwanzigfache des privaten Geldvermögens aus dem Jahr 1970 und allein seit Beginn der neunziger Jahre hat sich das Geldvermögen des privaten Haushaltssektors mehr als verdreifacht.

Nur einmal zum Vergleich: 2013 war das Geldvermögen der privaten Haushalte Deutschlands fast so groß wie die gesamte Wirtschaftsleistung der Europäischen Union im selben Jahr.

Bricht man das auf die Anzahl der Haushalte herunter, ergibt sich ein Geldvermögen von rund 126 000 Euro pro Haushalt in Deutschland. Diesem Vermögen stand eine durchschnittliche Verschuldung pro Haushalt von rund 38 600 Euro gegenüber. Rechnet man noch Bauland und Anlagevermögen hinzu, ergibt sich ein Gesamtvermögen (ohne Gebrauchsvermögen) von rund 11,3 Billionen Euro. Das ist mehr als das Vierfache des derzeitigen jährlichen Bruttoinlandsprodukts Deutschlands und weit mehr als das Fünffache des Schuldenbergs der öffentlichen Hand.

Doch was tun die Deutschen mit ihrem Geld? "Nicht alle Deutschen glauben an Gott, aber alle glauben an die Bundesbank", sagte Jacques Delors einmal ehrfürchtig. Das mag heute vielleicht auch noch so sein - dank Jens Weidmann, der nicht müde wird, Risiken zu betonen und falsche Wege anzusprechen.

Aber die Bundesbank hat im System Europa nur noch eine Stimme, damit gelingt es nicht mehr, alles zu verhindern. Immer öfter wird Weidmann überstimmt. Die Bedeutung der Bundesbank als Stabilitätsanker sinkt also in der öffentlichen Wahrnehmung. Und die permanente öffentliche Schelte für Finanzdienstleister - Banken in erster Linie, aber auch Versicherungen -, die ständigen politischen Schuldzuweisungen und die nahezu unkontrollierbaren Verbraucherschützer mit teils übertriebener Kritik haben natürlich das Vertrauen in die Geldeinsammler zerrüttet.

Von daher geben die Bürger das Geld lieber aus. Der Anteil des Sparbetrages am verfügbaren Einkommen sank von 10,5 Prozent im Jahr 2008 auf 9,1 Prozent im Jahr 2014. Entsprechend stieg die Konsumquote vor allem 2013 und 2014 an. Das freut die deutsche Konjunktur, die seit Monaten stark vom privaten Konsum getrieben wird. Daran wird sich so schnell nichts ändern. Laut einer Umfrage des Verbandes der privaten Bausparkassen ist die Altersvorsorge mit 60 Prozent zwar nach wie vor das wichtigste Sparmotiv, aber direkt dahinter folgt mit 59 Prozent schon der Konsum. Der Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) rechnet bis zum Jahr 2025 mit einem Rückgang der Sparquote auf unter sieben Prozent. Damit würde sich der Bundesdurchschnitt amerikanischen Verhältnissen annähern. In den USA werden nur zwischen vier und fünf Prozent des Geldvermögens der privaten Haushalte gespart. Trotzdem sind die Amerikaner beim Vermögensaufbau erfolgreicher, da der vorsichtige deutsche Sparer sein Geld in erster Linie den Banken anvertraut, und das immer kurzfristiger, da niemand die Chance bei einem Zinsanstieg verpassen will. Sichteinlagen, die täglich kündbar sind, verzeichneten 2013 einen Rekordmittelzufluss, fast 104 Milliarden Euro, im Gegenzug verloren längerfristig gebundene Anlagen spürbar an Zuneigung: Termineinlagen verloren 10,5 Milliarden Euro, Spareinlagen 8,7 Milliarden Euro und Sparbriefe verzeichneten 2013 einen Abfluss von 16,1 Milliarden Euro.

51 Prozent der Geldanlagen der Bundesbürger waren 2014 Sparbücher oder Spareinlagen, gefolgt vom Bausparvertrag mit 37 Prozent. Das zeigt, dass es trotz des gewaltigen Imageschadens der Kreditwirtschaft Versicherungen und Fondsgesellschaften nicht gelungen ist, den Banken und Sparkassen nennenswert Marktanteile im Wettbewerb um das Geld der Kunden abzunehmen. Denn nach wie vor entfällt rund ein Drittel der Anlagen auf Renten- oder Kapitallebensversicherungen und etwa ein Fünftel wird in Investmentfonds investiert. Der Fondsbranche scheint das schon zu genügen, um 2014 neuerlich einen Rekord aufzustellen. Das verwaltete Vermögen erreichte mit 2,4 Billionen Euro einen neuen Höchstwert. In den vergangenen Jahren hat sich dieses Vermögen mehr als verdoppelt. Von diesen 2,4 Billionen Euro entfallen 790 Milliarden Euro auf Publikumsfonds, in die hauptsächlich private Anleger investieren, 1,2 Billionen Euro auf Spezialfonds und rund 363 Milliarden Euro auf freie Mandate.

Doch nicht nur im Bestand, auch im Neugeschäft konnte sich der Branchenverband BVI über Rekorde freuen. Mit 123,4 Milliarden Euro flossen den Kapitalverwaltungsgesellschaften (KVG) so viele Mittel zu wie nie zuvor. Treiber dieser Entwicklung waren in erster Linie die institutionellen Investoren mit 91 Milliarden Euro, ein Plus gegenüber dem Vorjahr von rund 14 Milliarden Euro. Doch auch der Mittelzufluss der privaten Anleger legte kräftig zu, von 18,6 Milliarden Euro im Jahr 2013 auf 32,4 Milliarden Euro im vergangenen Jahr. Das ist das beste Neugeschäft bei den Publikumsfonds seit 2005. Man könnte also sehr zufrieden sein. Ist man aber nur bedingt und die Freude wird durch den Blick nach vorn getrübt.

Knackpunkt ist die Regulierung, die auch die Fondsbranche mehr und mehr einengt und belastet. Allein in den vergangenen sechs Jahren zählte der BVI insgesamt 98 Regulierungsvorhaben, davon 39 EU-Richtlinien und 59 flankierende nationale Gesetzgebungsverfahren. Nicht eingerechnet sind weitere EU-Verfahren auf Level 2 und Level 3 sowie nationale Verordnungen und BaFin-Richtlinien. Mit all dem seien die Regulierer dem Ziel, den Verbraucherschutz zu erhöhen und die Systemrisiken zu verringern, ein gutes Stück näher gekommen, so BVI-Hauptgeschäftsführer Thomas Richter. Doch "Widersprüche, Inkonsistenzen und Doppelregulierung schaffen Rechtsunsicherheit, erzeugen einen erheblichen bürokratischen Aufwand und erhöhen die Kosten auch für die Anleger", so Richter weiter.

Besonders sauer stoßen den BVI-Verantwortlichen natürlich Wettbewerbsverzerrungen auf, auch wenn Richter durchaus einräumt, dass die Regulierung der Fondsbranche in der Vergangenheit einen Wettbewerbsvorteil verschafft hat. Aktuell stört man sich vor allem an der deutlich schärferen Behandlung des Vertriebs nach MiFID II im Vergleich zu der Versicherungswirtschaft, die gemäß der IMD II reguliert wird. So scheinen die Versicherungsagenten besser wegzukommen, da alle Vermittler Provisionen nehmen dürfen, es ausreicht, wenn die Zuwendungen an die Vertriebler für die Kunden nicht nachteilig sind oder nur die Pflicht zur Übermittlung der Produktinformationen besteht. Nach MiFID II dürfen unabhängige Berater keine Provisionen mehr nehmen, muss die Zuwendung die Beratungsqualität verbessern (wie auch immer das zu messen ist?) und es bestehen deutlich umfassendere Informationspflichten.

Eine weitere Sorge der Verantwortlichen muss natürlich sein, dass durch die hohen Anforderungen gerade kleinere Gesellschaften überfordert werden und eine Konsolidierung droht. Weniger Mitglieder, weniger Einnahmen, weniger Lobby ist eine einfache Formel. Aber mit Blick auf den Markt muss man sich fragen, ob das wirklich schlimm wäre und das Fondssparen in Deutschland nachhaltig dämpfen würde. Heute schon vereinen die drei großen Gesellschaften Allianz, die DWS-Gruppe und die Union Investment nahezu das gesamte Mittelaufkommen der Publikumsfonds auf sich. Echter Wettbewerb sieht anders aus, könnte da der Regulator meinen.

Philipp Otto , Geschäftsführer, Verleger, Chefredakteur , Verlag Fritz Knapp, Verlag Helmut Richardi, Verlag für Absatzwirtschaft

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