Sparkassentag 2016: Überschaubarer Kontrollverlust

Berthold Morschhäuser

Der 25. Deutsche Sparkassentag in Düsseldorf hatte viele bekannte Abläufe, darunter die traditionellen Treffen der Regionalverbände am Vorabend und der gemeinsame zentrale Abend am ersten Kongresstag. Es gab aber auch eine Auffrischung durch neue Elemente. Für die hör- und sichtbarste Belebung der Szenerie sorgte ein Ideencamp, zu dem als offizieller Teil der Veranstaltung rund 300 Auszubildende von Sparkassen und Verbundunternehmen aus dem gesamten Bundesgebiet dazugekommen waren. In einem eigenen Forum diskutierten sie über innovative Lösungen für Sparkassen der Zukunft und durften die Ergebnisse am zweiten Kongresstag im großen Plenum der versammelten S-Familie vorstellen.

Durch die überall sichtbare Affinität zu neuen Medien untermauerte die demonstrative Öffnung zu jungen Mitarbeitern der S-Gruppe einerseits die Aufgeschlossenheit gegenüber dem - wie schon 2013 in Dresden - wichtigen Tagungsthema Digitalisierung. Andererseits sollte in Zeiten des demografischen Wandels und einem bereits absehbaren stärkeren Wettbewerb um hoffnungsvolle Nachwuchskräfte ein Zeichen gesetzt werden. Motto: In der Sparkassenorganisation können junge Talente einen gebührenden Platz finden.

Neu war auch das Format der Veranstaltung. Im großen Plenum waren neben der Eröffnungs- und Schlusszeremonie die Grundsatzrede des DSGV-Präsidenten, die Ansprache der Bundeskanzlerin sowie die bemerkenswerte Sicht des ehemaligen Verfassungsrichters Udo Di Fabio auf die Zukunft Europas zu hören. Daneben gab es an beiden Tagen jeweils drei parallel laufende Fachplenen. Deren thematisches Spektrum reichte von den Auswirkungen der Niedrigzinspolitik der EZB auf die Altersvorsorge und die Bankenstruktur über die Verantwortlichkeiten von (Kredit-)Wirtschaft und Politik für die Finanzmärkte bis hin zu konkret greifbaren Auswirkungen und teils gewagt anmutenden Zukunftsvisionen zu den Schlüsselthemen Big Data, Digitalisierung sowie der künftigen Rolle der Menschen als Banker und Kunden in einer von Technik dominierten Welt. Präsentiert wurden all diese Aspekte in einer lebendigen Mischung aus Vorträgen und Diskussionsrunden von externen Fachleuten und Vertretern aus der Sparkassenszene.

Mit der Öffnung für "nach vorne gerichtete Diskussionen" (Georg Fahrenschon in ZfgK 8-2016) wurde allerdings das gewisse Wagnis eingegangen, das traditionell von Harmonie geprägte S-Familientreffen zu einem Forum für kontroverse Ansichten und damit unkontrollierbarer werden zu lassen. Angefangen hat dieses Experiment gleich zu Beginn des ersten Kongresstages. Nach einem informativen, aber interessewahrenden Einblick der nordrheinwestfälischen Ministerpräsidentin Hannelore Kraft in die Standortpolitik des gastgebenden Bundeslandes und dem öffentlichkeitswirksamen Startschuss für Paydirekt in der S-Gruppe folgte auf dem großem Podium ein Gespräch zum Verhältnis von Sparkassen und Kommunen. Mit den Themen Ausschüttungen und Transparenz versprach das eine gewisse Brisanz, sprich ein Restrisiko für eine getrübte Atmosphäre. Denn neben Michael Breuer, dem Präsident des ausrichtenden S-Regionalverbandes, war der Düsseldorfer Oberbürgermeister Thomas Geisel mit auf dem Podium. Und dieser hatte bekanntlich als Verwaltungsratsvorsitzender der örtlichen Stadtsparkasse deren Jahresabschluss 2014 blockiert, weil es in der Sache unüberbrückbare Meinungsund Interessenunterschiede mit dem Vorstand der Sparkasse über die Ausschüttungen gab.

"Bei ihrer Entscheidung" so heißt es zum Thema Ausschüttung im Sparkassengesetz von Nordrhrein-Westfalen, "hat die Vertretung des Trägers die Angemessenheit der Ausschüttung im Hinblick auf die künftige wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Sparkasse sowie im Hinblick auf die Erfüllung des öffentlichen Auftrags der Sparkasse zu berücksichtigen." An dieser Grundausrichtung will der Oberbürgermeister von Düsseldorf festgehalten wissen, reklamierte aber im konkreten Fall als Minimalforderung vor der Beschlussfassung vom Vorstand in die Entscheidung über die Höhe der Ausschüttung eingebunden zu werden.

Gesprengt hat eine solche Aussage die Veranstaltung gewiss nicht, zumal alle Beteiligten um Sachlichkeit bemüht waren.

Im Plenum fiel die Bewertung unterschiedlich aus. Die anwesenden Vorstände aus den beiden Sparkassenverbänden in Nordrhein-Westfalen sind es angesichts des dortigen Sparkassengesetzes und den Offenlegungspflichten gewohnt, öffentlich mit der Ausschüttungspolitik wie mit der Veröffentlichung ihrer Vorstandsgehälter konfrontiert zu werden. Die Vertreter anderer Sparkassenregionen mit restriktiveren Offenlegungspflichten zeigten sich angesichts des möglichen Signalcharakters für weitere Diskussionen mit ihrer Heimatbasis aber irritiert und werteten die Veranstaltungsdramaturgie als gewagt. Für die Medienver treter schließlich war diese Sequenz eher ein ermutigendes Zeichen der S-Gruppe, kontroverse und/oder ernste Themen nicht völlig auszublenden, sondern offensiv in das Tagungsgeschehen zu integrieren.

Besonders eindrucksvoll gelungen ist dies Udo Di Fabio, der als bekennender Europäer einen äußerst nachdenklichen Zustandsbericht des Projektes Europa gab. Angesichts des Anpassungsdrucks von Regulierung und Niedrigzinsen sieht er in vielen Ländern der Eurozone die politischen Ränder so sehr gestärkt, dass der Handlungsspielraum der nationalen Regierungen für eine konstruktive Weiterentwicklung der Idee Europa dramatisch eingeschränkt ist. Seine sinngemäße Empfehlung lautet deshalb, auf dem erreichten Niveau zu verharren und die Bevölkerung der Nationalstaaten auf einen Einigungsprozess mitnehmen, der längst nicht in allen Lebensbereichen zu einer völligen Angleichung der Verhältnisse führen muss.

Nicht im direkten Dialog, wohl aber in der inhalt lichen Argumentation kamen auch in den Reden des DSGV-Präsidenten und später der Bundeskanzlerin unterschiedliche Positionen zum Ausdruck. Hatte Georg Fahrenschon noch mehr oder weniger offen die Geldpolitik der EZB kritisiert und zum Ausgleich unerwünschter Nebenwirkungen auf die Altersvorsorge eine staatliche Förderung der Vermögensbildung ins Spiel gebracht, so zeigte sich die Bundeskanzlerin dies bezüglich klar reserviert. Darüber hinaus betonte sie unmissverständlich, sich nicht in die aktuelle Geldpolitik der EZB einmischen zu wollen. Inhaltlich wohltuend dürfte für die deutschen Sparkassenvorstände indes das Bekenntnis von Angela Merkel zum hiesigen Dreisäulensystem geklungen haben. Doch das ist nicht mehr als eine Erneuerung bekannter Posi tionen. Bedeutsamer war da schon die Ankündigung, sich zusammen mit Großbritannien in Brüssel für eine Differenzierung des Aufsichtsregimes zwischen internationalen Großbanken und regionalen Banken einsetzen zu wollen.

Als bemerkenswerte Reaktion auf die Grundsatz rede von Georg Fahrenschon sind noch die unterschiedlichen Meinungen zu dem Stand der Konsolidierungsschritte der Landesbanken hervorzuheben, wie sie vereinzelt am Rande der Veranstaltung zu hören waren. Dass der DSGV-Präsident der Gruppe an dieser Stelle gute Fortschritte bescheinigt und jedenfalls keinen akuten Handlungsbedarf angemeldet hatte, wurde als Wahlkampfrhetorik für eine anstehende zweite Amtsperiode interpretiert. Von der Mittelstandsfinanzierung über das Private Banking bis hin zum institutio nellen Asset Management stehen die vier großen verbliebenen Landesbanken sowie die Dekabank als Verbunddienstleister in zum Teil hartem Wettbewerb mit ziemlich deckungsgleichen Leistungen. Bei allen sichtbaren Konsolidierungsschritten wird diese beobachtbare Faktenlage innerhalb der Gruppe nicht überall goutiert.

Breite Zustimmung findet hingegen die noch vor der offiziellen Eröffnung des Sparkassentages von den Gremien auf den Weg gebrachte und bis Ende des Jahres umzusetzende Straffung der Organisations- und Entscheidungsstrukturen der S-Gruppe. Auch wenn der neu geschaffene Hauptkoordinierungsausschuss vielfach als ein neues Macht zentrum beim DSGV interpretiert worden ist, überwiegen angesichts seiner ausgewogenen Zusammensetzung aus allen Regionen und allen S-Unternehmen in Zeiten der Digitalisierung die absehbaren Chancen für eine Beschleunigung der Entscheidungsprozesse. Raum für irritierende Diskussionen, die sich trefflich für einen öffentlichen Disput eignen, soll es künftig weniger geben. Insofern bietet die kurz nach dem Sparkassentag aufgekommene Debatte um das von einigen Großsparkassen unter dem Kürzel Yomo Bank angestoßene Projekt einer Smartphone Bank vielleicht eine der letzten Gelegenheiten, Interessenunterschiede kontrovers über die Medien auszutragen. Wirklich?

Dr. Berthold Morschhäuser , ehem. Chefredakteur , Fritz Knapp Verlag
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