An einem Strang ziehen

Carsten Englert, Redakteur, Foto: Verlag Fritz Knapp GmbH

Es scheint eine Never-Ending-Story zu werden: Schon mehr als drei Jahre ist es her, dass sich das britische Volk entschieden hat, die Europäische Union zu verlassen. Eigentlich sollte Ende März 2019 der Brexit vollzogen werden. Doch seitdem wird verschoben, diskutiert und Personal ausgetauscht. Während es für die meisten überzeugten Europäer eine traurige Nachricht war, dass die Briten die EU verlassen wollen, dürften bei allen, denen der Finanzstandort Frankfurt am Main besonders am Herzen liegt, die Champagnerkorken geknallt haben. Verlockend erschien die Perspektive, dass viele große Finanzintermediäre, die mit der EU weiter Geschäfte machen wollen, und wichtige EU-Institutionen nun ihren Sitz in ein Land innerhalb der EU verlagern und somit hoffentlich auch nach Frankfurt.

Nun ist seitdem sehr viel Wasser die Themse und den Main runtergeflossen, aber der Brexit noch nicht zu Ende gebracht. Doch die Helaba hat in einer Studie schon mal eine Zwischenbilanz gezogen. Laut dieser Studie haben bereits 31 ausländische "Brexit-Banken" aus 14 verschiedenen Ländern Frankfurt als ihren neuen Standort ausgesucht. Erst in Relation zu anderen Standorten lassen sich diese Zahlen jedoch richtig einordnen. So folgt abgeschlagen auf Platz 2 die französische Hauptstadt Paris mit 11 Banken, gefolgt von Dublin (9) und Luxemburg (8) sowie Amsterdam (5). Das ist ein voller Erfolg für Frankfurt, wenngleich auch mit der European Banking Authority (EBA) eine der wichtigsten Institutionen auf EU-Ebene von London nach Paris gegangen ist.

Dabei hat der hessische Finanzminister Thomas Schäfer in einer Rede auf dem Parkett der Frankfurter Börse gerade die Nähe zu den Regulatoren in Zeiten immer stärker zunehmender Regulierung als Standortvorteil für Frankfurt bezeichnet. Stichwort: kurze Wege. Daher schmerzt dieser Verlust aus standortpolitischer Sicht schon ein wenig. Zu der überbordenden Regulierung der Finanzbranche hatte der Minister auch gleich noch eine Anekdote zur Hand: Bei seinem Anlageberater hatte er einen Selbstversuch gemacht. Es hat demnach eine geschlagene Stunde gedauert, bis das Gespräch erstmals auf die Anlage selbst kam. Schäfer verwies darauf, dass die Bundesregierung hier versucht gegenzusteuern. Das ist zwar nicht speziell für den Standort Frankfurt eine positive Entwicklung, aber für die Branche als Ganzes. Vor allem ist es endlich mal wieder ein Signal der Politik, im Interesse der Banken zu handeln.

Doch nicht nur beim Zurückdrehen des überdrehten Regulierungsrads ist die Hilfe der Politik nötig, um den Finanzstandort Frankfurt und auch damit den Finanzstandort Deutschland nach vorn zu bringen. Bei wichtigen Zukunftsthemen braucht es neben dem Pioniergeist der Finanzinstitute auch begleitende politische Unterstützung. Beispiel: Tokenisierung. Die Zukunft des Wertpapierhandels dürfte der Distributed-Ledger-Techologie (DLT) gehören. Auch Wertpapiere können mithilfe der Blockchain-Technologie sicher abgebildet und abgewickelt werden. Daran arbeiten weltweit viele Institute und Institutionen sowie Fintechs mit Hochdruck. Doch wie der hessische Finanzminister Schäfer in seiner Rede mahnte, ist ein Wertpapier ganz passend zum Namen rechtlich immer noch an die Papierform gebunden. Er forderte sich und seine Kollegen daher auf, dass die Politik hier tätig werden muss.

Innovationen brauchen die richtigen rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen, um gedeihen zu können. Zwar hat die Bundesregierung sogar schon eine Blockchain-Strategie ausformuliert und dabei 44 Maßnahmen angekündigt. Dazu gehört auch die Öffnung des Rechts für elektronische Wertpapiere. Nur: Die Maßnahmen sind bis Ende 2021 angekündigt. Das ist natürlich ein langer Zeitkorridor, in dem der Finanzstandort Frankfurt/Deutschland längst den Anschluss verlieren kann. Wie die Arbeitswelt muss auch die Politik agiler werden!

Ein weiterer ganz wichtiger Aspekt für die Wahl eines Standorts ist natürlich auch die Frage nach dem Reservoir an hochqualifiziertem Personal vor Ort. Die Konzentration an hoch- und höchstqualifizierten Menschen ist auch einer der Erfolgsgründe für die Stadt Frankfurt. Diese erlebt dabei bei der Beschäftigtenzahl eine umgekehrte Entwicklung wie die Bankenbranche in Deutschland insgesamt. Bundesweit ist die Zahl der Beschäftigten in der Finanzbranche nach Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) insgesamt von 2008 bis 2018 um 2,2 Prozent auf 652 800 gesunken. In Frankfurt hingegen stieg die Zahl im gleichen Zeitraum um 2,8 Prozent auf 66 180.

Eine Erklärung erscheint einfach. Nicht zuletzt durch die anhaltende Niedrigzinsphase und die hohen Kosten der Digitalisierung sind die Institute gezwungen, die Kosten zu senken und daher ihr Filialnetz auszudünnen. Die Digitalisierung ermöglicht zudem eine weitgehende Rationalisierung, vor allem im Front- und Middle-Office, also in den Filialen. Gleichzeitig erfordert die Digitalisierung jedoch einiges an neuem, höchstqualifiziertem Personal, das sich meist in den Zentralen der Institute - und somit in Frankfurt - um den digitalen Wandel kümmert. Es ist ein Spagat, den die Branche insgesamt hinbekommen muss: Gleichzeitig effizient Personal einsparen, um den sinkenden Erträgen entgegenzusteuern, und auf der anderen Seite für umworbene Spitzentalente mit IT-Affinität

attraktiv werden. Die aus der ehemaligen HSH Nordbank hervorgegangene Hamburg Commercial Bank hat diese Aufgabe bei der Transformation zu einem privaten Institut schon in Teilen abgearbeitet. Auf Seite 10 berichtet die Leiterin Personal des Unternehmens, Judith Steinhoff, wie diese Herausforderung gelungen ist. IT-Talente brauchen aber auch neue Arbeitsstrukturen. Agiles Arbeiten gilt in der Tech-Branche als Standard. Zumindest in Teilen werden die Banken, nicht nur in Frankfurt, daher nicht umhinkommen, auch agiler zu werden und verkrustete Strukturen aufzubrechen. Es ist nötig, um der deutlich erhöhten Geschwindigkeit des Wandels gerecht zu werden. Doch es ist ein gravierender Wandel, der viele Probleme mit sich bringen kann, denn größer könnten die organisationalen Unterschiede zwischen diesen beiden Welten kaum sein. Welche rechtlichen Fragen - sowohl aus arbeitsrechtlicher als auch regulatorischer Sicht - dabei auftauchen können für Banken, diskutiert der Artikel von Happ/Zinndorf auf Seite 22.

Es ist eine Herausforderung für beide Seiten: Banken müssen sich modernisieren und attraktiver für Talente werden und gleichzeitig dabei das Geschäftsmodell neu erfinden oder zumindest neu modellieren. Einige Denkimpulse zum Thema Modernisierung im Personalmanagement finden sich in dieser aktuellen Ausgabe. Die Politik hingegen muss sich mehr und vor allem schneller für den Finanzstandort Frankfurt/Deutschland einsetzen und ein Umfeld schaffen, in dem Innovationen gedeihen können. Dann wird es auch für den Hauptstandort der Bankenbranche Frankfurt am Main einfacher, die benötigten Toptalente anzuziehen. Nur wenn beide Gruppen am gleichen Strang ziehen und nicht in ihren Bemühungen nachlassen, kann diese enorme Herausforderung gelingen: Die Transformation in eine digitale und agile Bankenbranche erfolgreich ab zuschließen und damit die ökonomisch führende Stellung Deutschlands in Europa zu bewahren.

Carsten Englert , Leitender Redakteur, Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen , Fritz Knapp Verlag

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