Ein teurer Trennungsprozess - so oder so

Dr. Berthold Morschhäuser, Foto: Fritz Knapp Verlag GmbH

Besonders im laufenden Jahr offenbart das Ringen des britischen Parlamentes um den Vollzug des am 23. Juni 2016, also schon vor fast drei Jahren, in einem Referendum beschlossenen Brexits einen Hauch von Slapstick. Die Bilder von Debatten im britischen Parlament mit sich wiederholenden Argumentationslinien, wüsten gegenseitigen Beschimpfungen von Brexit-Gegnern und -Befürwortern, dem demonstrativen Nicken oder dem entsetzten Kopfschütteln der Parlamentarier bei Bei- oder Missfallensbekundungen je nach Lager, das zugehörige Gejaule und die wilde Gestik der jeweils sympathisierenden Abgeordneten sowie nicht zuletzt die legendären Auftritte des Speakers ließen unschwer erkennen, weshalb ein altbekannter Monty-Python-Sketch einmal mehr eine große Fangemeinde begeisterte und viele neue Freunde fand. In Anspielung auf die unsägliche Brexit-Debatte lässt sich die Geschichte von einem ausgestopften Papagei, den der Verkäufer in einer Tierhandlung gegenüber seinem Kunden nicht als tot gelten lassen will, sondern lediglich bei einem Mittagsschläfchen vermutet, in der Tat als Meisterleistung einer skurrilen Debattenführung verkaufen.

Doch je näher der 29. März als eigentlich festgelegter Austrittstermin rückte und bei Erscheinen dieser ZfgK-Ausgabe schon überschritten sein wird, umso mehr verbietet sich jeglicher Galgenhumor. Denn die Sache ist viel zu ernst und wird für Großbritannien wie auch den Rest Europas richtig teuer. Und dabei muss man bei der immer noch bestehenden Möglichkeit eines harten Brexits keine zwangsläufig scheingenauen Kostenrechnungen von jährlich 115 Euro für jeden deutschen, 119 Euro für jeden französischen, 66 Euro für jeden italienischen und gar 875 Euro für jeden britischen Bürger bemühen, wie sie in den vergangenen Tagen kursierten, sondern sollte auch den gar nicht kalkulierbaren Schaden im Auge haben, den das unsägliche Gezerre mit seinen nicht in allen Dimensionen erfassbaren Nebenwirkungen für die weitere Entwicklung Europas hat. Wenn das britische Parlament am 27. März 2019, also zwei Tage vor dem eigentlich geplanten Austritt mit nicht bindenden Voten ausgelotet haben wird, welche Optionen als Ausweg aus der verfahrenen Verhandlungsposition gewählt werden sollen und dabei vom Verbleib in der EU über ein zweites Referendum bis hin zu einem weicheren oder aber dem harten Brexit alle Varianten enthalten sind (die Ergebnisse lagen bei Redaktionsschluss noch nicht vor), offenbart das zwar auch die Ineffizienz des politischen Entscheidungsprozesses in Großbritannien, aber in erster Linie die Zerrissenheit des Landes in der Brexit-Frage. Der Verhandlungsmarathon der vergangenen drei Jahre hat einerseits das tiefe Misstrauen vieler Britten gegenüber Europa augenscheinlich nicht beseitigt und andererseits das Misstrauen, wenn nicht gar die Verärgerung, vieler EU-27-Resteuropäer gegenüber Großbritannien erst richtig geschürt.

Würde es dort - aller Massendemonstrationen zum Trotz - inzwischen eine wirklich mehrheitsfähige Euphorie in der Bevölkerung für einen Verbleib in der EU geben, wäre es wider jedes politische Kalkül, wenn nicht eine Partei oder eine parteiübergreifende Gruppe diese Stimmung längst aufgegriffen und früher eine klare Parlamentsentscheidung herbeigeführt hätte. Selbst wenn das britische Parlament - sei es über ein zweites Referendum oder eine andere Variante - inzwischen die Option für einen Verbleib in der EU geöffnet haben sollte, bleibt die Gefahr, dass eine Koalition von wirklich überzeugten Europäern und vom Ablauf des bisherigen Trennungsprozesses genervter Bürger und Parlamentarier das Projekt Europa in seiner Weiterentwicklung blockiert. Mit oder ohne Großbritannien ist schon ein größerer Schaden entstanden, als er bei einem sauberen Verlauf des Trennungsprozesses notwendig gewesen wäre. Er kann allenfalls noch minimiert werden.

Das Schlimmste abzuwenden, also selbst bei einem harten Brexit, die Risiken für die Finanzstabilität unter Kontrolle zu halten, Versorgungsengpässe mit Finanzdienstleistungen in der EU-27 möglichst gering zu halten und die Abläufe in der Realwirtschaft Resteuropas zu gewährleisten steht dabei bei der Politik und in vielen europäischen Instanzen aus allen Bereichen der (Finanz-)Wirtschaft weit oben auf der Agenda. Doch bei aller Zuversicht, die Vorbereitung auf das Worst-Case-Szenario eines harten Brexits frühzeitig vorangetrieben und möglichst viele Eventualitäten bedacht zu haben, zeigt sich bei vielen Verantwortlichen in der Finanzbranche eine gewisse Nervosität. Die Vorbereitungen auf den Brexit in der EU-27 müssen breiter ausfallen als gedacht.

Weit fortgeschritten, weil irgendwie kalkulierbar sind mittlerweile die Vorbereitungen auf den Wegfall des EU-Passportings. Wer künftig in der EU-27 Finanzprodukte vertreiben will, muss dort mit einer eigenen Einheit vertreten sein. Die großen Häuser haben das längst geregelt. Frankfurt, Paris, Dublin, Luxemburg und Amsterdam werden davon profitieren. Frankfurt darf auf die Verlagerung von viel Wertpapiergeschäft hoffen. Vom Volumen her hält der Verband der Auslandsbanken (VAB) eine Umschichtung von 800 Milliarden Euro oder mehr an Bilanzsumme von London nach Frankfurt für möglich. Die Bundesbank und die EZB haben Vorkehrungen getroffen, ein adäquates Risikomanagement dieser Einheiten am neuen Standort sicherzustellen. Und allem Eindruck nach ist es den internationalen Häusern nicht zuletzt mit Expatriates aus aller Welt gelungen, die personelle Grundausstattung für die Arbeit in Frankfurt und anderen europäischen Einheiten sicherzustellen. Wie viele Arbeitskräfte letztlich von London aus an den Main oder in andere Städte wandern werden, ist noch nicht abzusehen, der VAB erwartet aber die Tendenz einer Verlagerung zu den Kunden hin, also durchaus die Aufteilung in dezentrale Einheiten in verschiedenen Ländern.

Zu den flankierenden gesetzlichen Maßnahmen des wie auch immer gearteten Austritts des UK aus der Europäischen Union gehört hierzulande auch das sogenannte Brexit-Steuerbegleitgesetz, das Mitte März vom Bundesrat verabschiedet wurde und darauf ausgelegt ist, sowohl bei einen geregelten Austritt als auch bei der No-Deal-Variante unerwünschte Rechtsfolgen für Finanzdienstleister zu vermeiden. Es enthält unter anderem auch Änderungen am Pfandbriefgesetz, die die Deckungsfähigkeit britischer Deckungswerte im Bestandsgeschäft auch nach einem Brexit lückenlos sicherstellen sollen. Neben dem Bestandsschutz wird durch die Aufnahme Großbritanniens und Nordirlands als Drittländer in das Pfandbriefgesetz auch das Neugeschäft geregelt, und zwar analog zu Drittländern wie der Schweiz, den USA, Kanada oder Japan. Über solche Einzelregelungen hinaus räumt das Brexit-StBG der BaFin für bis zu 21 Monate nach einem Brexit die Möglichkeit ein, mit einer Allgemeinverfügung Maßnahmen zur Sicherung der Stabilität der Finanzmärkte zu treffen.

Über den Bestandsschutz hinaus, nämlich auch um Neugeschäft von London aus geht es beim wichtigen Thema Euro-Clearing. Wurde zunächst eine grundsätzliche Debatte geführt, ob und unter welchen Bedingungen ein Euro-Clearing außerhalb des europäischen Rechtsrahmens, also in London bleiben könnte, hat die EU-Kommission schon Ende 2018 einen Notfallplan für das Euro-Clearing im Falle eines No-Deal-Brexits veröffentlicht und die Europäische Wertpapieraufsicht ESMS hat Anfang Februar 2019 mit der britischen Financial Conduct Authority ein Memorandum of Understandig für diesen Ernstfall zustande gebracht, wie dieses wichtige Feld in einem solchen Falle geregelt wird. Ob die Clearinggesellschaft LCH der Londoner Börse, die derzeit einen Großteil der Geschäfte abwickelt, gar über die Übergangszeit hinaus von der ESMA für das Euro-Clearing zugelassen werden würde, ist indes völlig unklar.

Das Gewicht des europäischen Kapitalmarktes in der Welt ohne das UK zu halten, geschweige denn zu stärken bleibt damit künftig ohne Frage eine Herausforderung. Aber insbesondere um die Eurogeschäfte mit Drittstaaten, die derzeit großenteils in London stattfinden, dürfte in den kommenden Jahren durchaus ein lebhafter Wettbewerb entstehen. Und es ist längst noch nicht ausgemacht, dass der Finanzplatz London in diesem Segment seine führende Position verteidigen kann. Ob ein wie auch immer gearteter Brexit eine kluge Entscheidung wäre, werden insofern im Fall der Fälle Historiker wie auch die Bevölkerung in Großbritannien wie auch in Rest-Europa erst nach Jahren einigermaßen verlässlich abschätzen können. Aber so ist das nun mal mit Entscheidungen unter Unsicherheit von solch einer Tragweite.

Dr. Berthold Morschhäuser , ehem. Chefredakteur , Fritz Knapp Verlag
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