Umverteilung von unten nach oben

Carsten Englert Redakteur, Foto: Verlag Fritz Knapp GmbH

Ende Oktober hat ein Urteil (Az. 16 O 43/21) des Landesgerichts Berlin für Aufsehen in der Bankenbranche gesorgt. Geklagt hatte der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) gegen die Sparda-Bank Berlin. Ziel des Verbandes: Die Erhebung von Verwahrentgelten für Kundeneinlagen für unzulässig zu erklären und damit den armen Kunden im Kampf gegen die bösen Banken und ihre vermeintliche Raffgier zu helfen ...

Das Berliner Gericht hat mit dem Urteil tatsächlich die Verwahrentgelte für unrechtmäßig erklärt. Das Institut muss demnach die erhobenen Entgelte unaufgefordert zurückzahlen. Klar, zunächst ist das Urteil noch nicht rechtskräftig und es ist nur ein Urteil gegen ein einzelnes Institut mit nur regionalem Bezug. Doch der VZBV gibt sich nicht damit zufrieden. Wie der Verband mitgeteilt hat, möchte er die Zulässigkeit der Verwahrentgelte grundsätzlich klären und hat dazu "an unterschiedlichen Gerichtsstandorten Klagen gegen verschiedene Kreditinstitute" erhoben. Sollten weitere Urteile mit dem gleichen Tenor folgen, könnte daraus durchaus ein Problem für die Bankenbranche insgesamt entstehen. Der Verbraucherverband feiert sich schon für das Urteil. Doch dieser Schuss könnte nach hinten losgehen.

Der Druck auf die Institute, ein Verwahrentgelt zu erheben, nimmt immer weiter zu. Grundproblem: Die Einlagen steigen immer stärker - zuletzt auch nochmals durch Corona-Effekte beschleunigt. Grundsätzlich, und das betonen viele Institute auch immer wieder, ist das eine erfreuliche Entwicklung, weil es auch der Beweis eines steigenden Vertrauens der Kunden in die Institute ist. Doch das Problem: Nur Teile davon können in das Aktivgeschäft in Form von Krediten umgeleitet werden. Diese grundsätzliche Entwicklung wurde durch Corona verschärft - Unternehmen wie auch Privatpersonen halten sich aufgrund der höheren Unsicherheit mit Investitionen zurück und nehmen daher weniger Kredite auf, als die Institute gerne anbieten würden. Doch auch schon zuvor war diese Entwicklung zu beobachten, wie die Abbildung belegt. Im Jahr 2014 lagen die aggregierten Einlagen der Kunden bei 3,118 Billionen Euro und damit noch unter der Summe der Kredite mit 3,167 Billionen Euro. Dieses Jahr ist nicht zufällig als Anfang der historischen Zeitreihe gewählt. Im Juni 2014 senkte die Europäische Zentralbank damals noch unter dem nun amtierenden Präsidenten Italiens Mario Draghi erstmals den Zinssatz für die Einlagenfazilität unter die Nulllinie. Seit 2017 ist die Summe der Einlagen höher als die der Kredite (jeweils aggregiert über alle Bankengruppen in Deutschland). Und, wie die Abbildung auch zeigt, sinkt seit 2018 der Jahresüberschuss vor Steuern der deutschen Banken von zuvor 0,33 Prozent der durchschnittlichen Bilanzsumme auf 0,16 Prozent im vergangenen Jahr - ein Jahr zuvor wurde sogar ein Tief bei 0,07 Prozent erreicht. Kein Wunder: Nach diesen Zahlen der Bundesbank schnellte der Einlagenüberhang auf 140 Milliarden Euro (2019) beziehungsweise 200 Milliarden Euro (2020) in die Höhe.

In dieser Ausgabe der Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen finden Sie auch wieder den traditionellen Bilanzvergleich der 24 größten Sparkassen in Deutschland (siehe Seite 30). Dieser bietet auch aufschlussreiches Zahlenmaterial für die Verwahrentgeltdiskussion. So hat allein die Hamburger Sparkasse als nach Bilanzsumme größtes Institut ein Einlagenwachstum von 2,1 Milliarden Euro zu verzeichnen gehabt. Doch die Forderungen an Kunden konnten "nur" um 1,4 Milliarden Euro ausgeweitet werden. Verschärfend kam noch hinzu, dass sich dieses - und eine Reihe anderer - Institut(e) mit Vorsichtsliquidität im Zuge von GLGR-III "vollsaugte", da zu Beginn der Pandemie noch nicht absehbar war, wie hoch der Liquiditätsbedarf der Kunden sein würde. Somit erhöhten sich die Guthaben bei der Deutschen Bundesbank nur bei diesem Institut um fast 6 Milliarden Euro. Doch nicht nur bei der Haspa. So ist beispielsweise allein bei den sechs größten Instituten der Bilanzposten Verbindlichkeiten gegenüber Kunden im Jahr 2020 aggregiert um 7,28 Milliarden Euro angewachsen. Die Forderungen an Kunden sind jedoch lediglich um 5,21 Milliarden Euro angestiegen. Allein bei diesen sechs Sparkassen hat sich der Überhang damit um mehr als 2 Milliarden Euro ausgeweitet. Dieser Trend war in der Breite der 24 Sparkassen zu beobachten, nur bei vereinzelten Instituten lief es anders. Dementsprechend ist es auch wenig überraschend, dass nur drei der Institute ihren Jahresüberschuss steigern konnten, davon zwei nur minimal.

So verwundert es ebenfalls nicht, dass die Zahl der Institute mit Verwahrentgelten stetig zunimmt. Das Finanzportal Biallo spricht von derzeit 525 Banken und Sparkassen in Deutschland, die den negativen Zinssatz der Einlagenfazilität weitergeben. Doch bedeutet das nun - wenn das Urteil rechtskräftig wird und auch weitere Klagen erfolgreich sein sollten - dass sich Verbraucher durch den Einsatz ihrer Schützer einfach etwas Geld sparen? Wohl kaum. Dafür ist der Druck auf die Banken durch die Aufsicht und Regulatorik zu hoch. Einfach sinkende Gewinne hinzunehmen würde bedeuten, weniger Aktivgeschäft durchführen zu können, weil dadurch das Eigenkapital geschwächt wird. Also wird es Überlegungen bei den Banken geben, wie man dem Ertragsdruck durch massiv steigende Einlagen auf andere Weise entgegentreten kann.

Dabei muss man kein Prophet sein, um die Richtung der möglichen Entwicklung erahnen zu können. Es wird vielen Instituten am Ende des Tages nichts anderes übrig bleiben als die Erhöhung (oder Einführung) von Kontoführungsgebühren, um diese zunehmende Belastung abzufedern. Doch was hieße das wiederum für die Verbraucher? Verwahrentgelte werden in den meisten Fällen erst bei Einlagen ab einer Höhe von 25 000 Euro oder gar erst 50 000 Euro erhoben. Es ist offensichtlich, dass dieses Problem nur die eher gut betuchten Kunden betrifft. Weniger gut verdienende Verbraucher haben eher selten solche hohen Beträge auf den Konten rumliegen. Doch sollte es tatsächlich zu der vermuteten Ausweichreaktion kommen, betrifft das dann alle Kunden. Auch die, die mit Müh und Not und mithilfe von Kontokorrentkrediten nur bis zum Monatsende kommen. Der Verbraucherzentrale Bundesverband hat als eines seiner Satzungsziele die Wahrnehmung der Verbraucherinteressen. Das tut er in diesem Fall auch: Er vertritt die Interessen der eher wohlhabenden Verbraucher und könnte damit den weniger gut situierten Verbrauchern schaden. In gewisser Weise würde das einer Umverteilung von unten nach oben entsprechen. Ob das im eigentlichen Sinne der Verbände ist?

Entwicklung der Einlagen, Kredite und Jahresüberschüsse der Banken Quelle: Monatsberichte September und November 2021, Deutsche Bundesbank
Carsten Englert , Leitender Redakteur, Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen , Fritz Knapp Verlag

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