Welch ein Vertrauensverlust für die EZB

Berthold Morschhäuser

Vor rund acht Jahren sind die großen Notenbanken in engem Schulterschluss mit der internationalen Politik und den Regulatoren angetreten, die Folgen der heftig ausgebrochenen Finanzkrise zu meistern und den Märkten Stabilität und Vertrauen in Institutionen und Instanzen zurückzugeben. Heute fällt die Bestandsaufnahme ernüchternd aus. Die aktuelle Geldpolitik - nicht nur der EZB - ist in Praxis und Wissenschaft höchst umstritten. Es darf munter debattiert werden, ob und wo sich Finanzblasen aufbauen. Inwieweit die Finanzstabilität wirklich nachhaltig verbessert worden ist, lässt sich in einem solchen Stadium noch nicht eindeutig beurteilen.

Sicher ist die Eigenkapitalausstattung der Finanzdienstleister merklich höher geworden und sie haben sich auch aus vielen Geschäftsfeldern mit hohem Risikopotenzial zurückgezogen. Aber das Vertrauen in die Widerstandsfähigkeit des internationalen Finanzgefüges hat zuletzt ohne jede Frage wieder gelitten, auch wenn man nicht eindeutig auseinanderhalten kann, in welchem Ausmaß das den geldpolitischen und regulatorischen Maßnahmen und/oder den diversen politischen Krisenherden zuzuschreiben ist.

Mit Blick auf die Finanz- und Kapitalmärkte liefern allein schon die inzwischen als normal betrachteten Volatilitäten ein Indiz für eine hochgradige Verunsicherung und damit alles andere als Stabilität. Selbst die großen und einflussreichen Kapitalsammelstellen beklagen sich über die enormen Marktschwankungen und finden keine klare Linie für ihre Anlageentscheidungen. Den Verantwortlichen der Altersvorsorgeeinrichtungen fehlt es trotz aller Forward Guidance für die langfristige und nachhaltige Disposition ihrer Gelder an einem entscheidenden Anhaltspunkt: es gibt keinerlei belastbare Exit-Szenarien aus der expansiven Phase. In Kombination mit den Anlagerichtlinien und den geltenden Regulierungsvorschriften sehen sie sich hierzulande und im Rest Europas beispielsweise an Staatsanleihen gebunden, obwohl sie sehr wohl die Risiken einer immer engeren Verbindung von Staaten, Banken und Notenbanken wahrnehmen. Wie soll man unter solchen Handlungszwängen Vertrauen in die (Notenbank-)Politik entwickeln? In einem ähnlichen Dilemma sind zumindest in Deutschland die Anlageberater der Banken. Wie soll man den Kunden die richtige Geldanlage oder wichtiger noch Altersvorsorge andienen? Die reichlich verfügbaren täglich fälligen Anlagegelder bei den aktuellen Volatilitäten sanft in ein Aktienengagement oder andere Risikopapiere zu drängen, mag den historischen Erfahrungen nach vernünftig erscheinen, ist vielen aber derzeit zu gewagt.

Auch abseits konkreter Anlageentscheidungen bedarf es keines ausgeprägten volkswirtschaftlichen Sachverstandes, um zu erkennen, dass die verzweifelt diskutierten Lösungsansätze der EZB, angefangen von der Bargeldabschaffung bis hin zum Helicopter Money, hoffnungslose Versuche sind, eine Art der Geldpolitik zu retten, die so nicht zu retten ist. Die Wirkungen der EZB-Politik in den einzelnen europäischen Ländern sind dafür viel zu unterschiedlich. Selbst wenn durch die jüngsten Maßnahmen in den europäischen Peripheriestaaten die Kreditvergabe leicht angeschoben wird und man dem - ziemlich dogmatisch, fast wie ein Naturgesetz verteidigten - Inflationsziel "unter, aber nahe zwei Prozent" näherkommt, müsste man in einer ehrlichen Erfolgsbilanz den Schaden gegenrechnen, den die momentane Geldpolitik in den stabilitätsorientierten Ländern anrichtet.

Sicher kann man solche Dinge ebenso wenig mit belastbaren Zahlen belegen wie die für den EU-Währungsraum immer wieder beschworenen Deflationsgefahren sowie die heilsamen Wirkungen der Niedrigzinsen auf die öffentlichen Haushalte. Dafür sind die Einflussfaktoren viel zu komplex. Aber zumindest indirekt kann man hierzulande in den beiden vergangenen Jahren einen Effekt messen - den Vertrauensverlust der EZB. Wenn ein angesehenes Meinungsforschungsinstitut in einer repräsentativen Umfrage unter der hiesigen Bevölkerung zu den größten Sorgen und Befürchtungen beim Thema Geldanlage im Januar dieses Jahres bei 39 Prozent der Befragten (nach 10 Prozent 2014 und 30 Prozent 2015) ein Ende der Währungsunion nennt, ist das ein Alarmzeichen.

Was passiert eigentlich, wenn demnächst eine Partei wie die AfD die düsteren Aussichten einer Altersvorsorge ohne Zinseszinseffekt als ein Schlüsselthema entdeckt? Dass die Menschen nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa Schwierigkeiten haben werden, die gewünschten Standards ihrer privaten Altersvorsorge zu erreichen, ist ihnen leicht vor Augen zu führen. Wenn dann noch die unselige Diskussion über die Bargeldabschaffung hinzukommt, ist es im politischen Diskurs ein Leichtes, die EZB als Schuldigen auszumachen. Für die Zweifler lässt sich dann noch die selbst in hochrangigen EZB-Kreisen mit einer gewissen Grundsympathie begleitete glorreiche Idee von Helicopter Money nachreichen, die hierzulande bei aller Verlockung einer unverhofften Geldschwemme wahrscheinlich höchstes Misstrauen in die verantwortlichen Instanzen hervor rufen dürfte. Die zunehmenden Risiken und Nebenwirkungen, wie sie auch Jens Weidmann immer wieder beschreibt und eindringlich Strukturreformen der nationalen Wirtschafts- und Finanzpolitik anmahnt, könnten damit eine weitere gefährliche Ausprägung bekommen - das Reputationsrisiko der EZB.

Noch beherrschen solche Gedankenspiele nicht die öffentliche Diskussion. Aber speziell nach den jüngsten Zinsentscheidungen der EZB ist in den Vorstandsetagen der deutschen Finanzbranche ein Gegenwind zu spüren wie es ihn seit Schaffung der europäischen Währungsunion noch nicht gegeben hat. Mit Nikolaus von Bomhard von der Münchener Rück hat zwar schon seit Jahren der Vorstandschef eines großen Finanzdienstleisters die Geldpolitik der EZB massiv kritisiert, aber er galt lange Zeit eher als mutiger Rufer in der Wüste. Als er kürzlich auf der Bilanzpressekonferenz seines Hauses kundtat, dass sein mit Risikolagen bestens vertrautes Haus angesichts der Negativ zinsen Goldreserven und Bargeldhaltung im Tresor bunkert, war das auch ein Signal an so manchen privaten Anleger. Sicher ist es immer noch eine Extremposition unter den Spitzenmanagern der Finanzbranche von der Politik ein Einschreiten gegen die Geldpolitik der EZB zu fordern. Aber der Chor der Kritiker ist auch dort mittlerweile sehr groß geworden. Gerade aus dem Bankenbereich war der offene Unmut über die jüngsten Zinsentscheidungen in der noch jungen Geschichte der EZB nie so stark und einhellig wie während der gerade laufenden Bilanzsaison. Von den Präsidenten des Verbandes der Auslandsbanken, des BVR und des DSGV ("Die Geldpolitik der EZB ist falsch und gefährlich"), über den Hauptgeschäftsführer des BdB, die Chefs der Landesbanken in Frankfurt und München sowie der genossenschaftlichen Zentralbanken bis hin zu vielen Bankvolkswirten gab es keine Pressekonferenz und nahezu kein Statement ohne massive Kritik an der Geldpolitik der EZB. "Geldpolitischer Aktionismus", "Geldpolitik mit der Brechstange", "geldpolitische Irrfahrt", "geldpolitische Eisenkeule", "Glaubwürdigkeitsfalle", "verheerende Wirkungen" lautet die exemplarische Aneinanderreihung der gebrauchten Schlagwörter.

Ähnlich ist es aufseiten der Wissenschaft. Dort hat sich die Mehrzahl der Volkswirte sowohl in der Frage einer Unabhängigkeit der EZB wie auch der Beurteilung der Geldpolitik bisher eher recht dezent zurückgehalten. Aber mit den jüngsten Zinsbeschlüssen ist auch das ganz anders geworden. Es sind längst nicht mehr nur der Kronberger Kreis und der dieser Tage ausgeschiedene Präsident des Münchner Ifo-Instituts, die von der Politik eine Neufassung und Präzisierung des rechtlichen Rahmens verlangen, innerhalb dessen die EZB agieren kann. In der Schweiz hat sogar die sogenannte Vollgeld-Initiative eine gewisse Beachtung gewonnen und in dem früheren Chefvolkswirt der Deutschen Bank auch hierzulande einen Sympathisanten gefunden. An der EZB ist all diese Kritik aus Deutschland bisher weitgehend abgeprallt.

Sicher kann es in der europäischen Währungsunion nur eine gemeinsame Geldpolitik geben. Aber die EZB muss endlich zur Kenntnis nehmen, dass die viel beschworenen unkonventionellen Maßnahmen nicht oder noch nicht greifen. Sie tragen im Gegenteil dazu bei, das Vertrauen in die Instanz EZB nachhaltig zu zer stören. Es ist im demokratischen Prozess der finanz- und wirtschaftspolitischen Annäherung eben in erster Linie die Aufgabe der Politik, sich auf eine Angleichung der Strukturen zu einigen. Wenn das nicht gelingt oder nicht gewollt ist, kann nicht einfach die EZB diesen Part übernehmen. Schon heute hängen die Staaten viel zu stark am Tropf der EZB. Die Geldpolitik der EZB dabei als wirklich unabhängig hinstellen zu wollen ist blauäugig.

Dr. Berthold Morschhäuser , ehem. Chefredakteur , Fritz Knapp Verlag
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