Wind of Change

Hanna Thielemann Redakteurin

"König Fußball regiert die Welt" heißt es in einem Schlager, den die deutsche Nationalmannschaft 1973 vor dem Titelgewinn bei der WM in der Bundesrepublik aufgenommen hat. Und diese Zeilen stimmen, zumindest in Deutschland, auch 45 Jahre später - und das trotz des historisch schlechten Abschneidens der Nationalmannschaft bei der diesjährigen Weltmeisterschaft. Ein Fußballplatz findet sich noch im kleinsten Dorf, in der Werbung sind Fußballstars als Sympathieträgern allgegenwärtig und keiner anderen Sportart räumen Zeitungen, Radio und Fernsehen mehr Platz ein. So viel Begeisterung erfreut sich die Finanzbranche nicht, obwohl es hier heißt "Geld regiert die Welt". Dabei hat beispielsweise die Börse mehr mit Sport zu tun, als mancher zunächst denkt. In beiden Bereichen gibt es Menschen die mehr auf Sicherheit spielen und welche die eher risikofreudiger sind. Und in den meisten Mannschaftssportarten kann man auch aus einer Liga auf- oder absteigen. Was jedes Jahr drei Clubs in der Bundesliga passiert, kommt jetzt auf die Commerzbank zu: Der Abstieg aus der ersten Liga - und das als Gründungsmitglied.

Die Commerzbank ist seit dem Start des Dax vor gut 30 Jahren im wichtigsten deutschen Bösenindex vertreten. Nun wird sie am 24. September, mit einem aktuellen Börsenwert von noch rund 10,2 Milliarden Euro, dem wesentlich kleineren, aber gemessen am Börsenwert doppelt so großen Zahlungsanbieter Wirecard weichen müssen und im M-Dax, der zweiten Liga der börsennotierten Unternehmen starten. Auch die Deutsche Bank muss einen Abstieg verkraften. Deutschlands größtes Geldhaus zählt nicht mehr zu den 50 wertvollsten Börsenunternehmen in der Eurozone und muss wegen des dramatisch gesunkenen Aktienkurses den EuroStoxx 50 verlassen.

Im Fußball steigen die Mannschaften ab, die am Ende der Saison zu wenig Punkte haben. An der Börse die Firmen, deren Aktien zu wenig wert sind und zu wenig gehandelt werden. Dabei spiegeln die Indizes die Entwicklung einer Branche oder eines Marktes wider. Ihre Zusammensetzung wird daher regelmäßig an die aktuellen Entwicklungen angepasst, beim Dax planmäßig im September, bei M-Dax und Tec-Dax zusätzlich auch im März.

Mit Wirkung zum 24. September hat die Deutsche Börse weitere grundsätzliche, strukturelle Veränderungen in ihren Aktienindizes bekannt gegeben. Die bestehende Trennung nach den Segmenten Tech und Classic werden in diesem Zuge aufgehoben. Unternehmen im Dax, die den Technologie-Sektoren zugeordnet sind, können dann auch im Tec-Dax aufgenommen werden. Werte aus dem Tec-Dax können gleichzeitig auch im M-Dax und S-Dax notieren. Derzeit trifft dies auf die Deutsche Telekom, SAP und Infineon zu. Außerdem werden in diesem Zusammenhang der M-Dax auf 60 Werte und der S-Dax auf 70 Werte vergrößert. Der Tec-Dax besteht weiterhin aus 30 Konstituenten.

Was bezweckt die Börse mit diesen Umstrukturierungen? Sie passt ihr Regelwerk internationalen Standards an. Es soll die traditionelle Trennung in Aktien von Unternehmen wie beispielsweise aus der Chemie- oder Autobranche und von Technologiefirmen enden. Die Börse reagiert auch auf bereits länger geäußerte Kritik am Tec-Dax. Experten erwarten durch die Indexänderungen, dass durch die "Zweit-Notierung" den im Tec-Dax enthaltenen Titeln mehr Aufmerksamkeit zukommen könnte. Die deutlich höhere Bedeutung und die in Summe bessere Handelbarkeit sollte diesen mittelfristig interessanter machen. Eine Schwierigkeit sehen Experten darin, dass mit der Deutschen Telekom, SAP und Infineon nun drei Schwergewichte in den Tec-Dax kommen. Allein die Marktkapitalisierung von SAP beträgt 80 Prozent der gesamten aktuellen Marktkapitalisierung des Tec-Dax. Übrigens: Die erste größere Neuordnung ihrer Indizes nahm die Deutsche Börse im März 2003 vor und auch da war der Grund der Tec-Dax. Dieser wurde als Nachfolger des durch Insidergeschäfte und Bilanzfälschungen in Verruf geratenen Nemax 50 eingeführt.

Doch zurück zu den Auf- und Absteigern. Im Fußball ist die Positionierung im Endklassement durch die erreichten oder auch nicht erreichten Punkte recht eindeutig, weil rückwärtsgerichtet. Anders ist es an der Börse: Schließlich sind Marktkapitalisierung und Börsenumsatz doch sehr stark von den Erwartungen an die Zukunft des betreffenden Unternehmens, verbunden mit Einschätzungen, Hoffnungen, aber eben auch Spekulationen verbunden. Spiegeln also diese beiden Kriterien immer den tatsächlichen Wert des Unternehmens wider? Was sagen sie über die Bedeutung der betroffenen Firma für Volkswirtschaft, Gesellschaft oder die Branche aus? Aber auch andersrum gefragt: An welchen Kriterien soll man sonst die Zugehörigkeit zu einem Börsenindex festmachen?

Nun hat es also die Commerzbank erwischt. Dass mit Wirecard ein Technologieunternehmen aus dem Finanzsektor die Traditionsbank im Dax aussticht, ist natürlich Zufall - zugegeben ein ärgerlicher für das Geldhaus. Doch woran liegt es, dass die Commerzbank ihren Platz für den gerade einmal 19 Jahre alten Online-Zahlungsabwickler Wirecard räumen muss? Ist das ein weiterer Beleg für den Niedergang der deutschen Traditionsbanken? Löst die "neue Welt" die alte ab? Wirecard ist inzwischen mit knapp 23 Milliarden Euro an der Börse gut doppelt so viel wert wie die Commerzbank, und hat auch die Deutsche Bank überholt. Der Aktienkurs von Wirecard ist seit 2008 um mehr als das 30-Fache gestiegen.

So richtig vergleichen lässt sich der Aufstieg von Wirecard in und der Abstieg der Commerzbank aus dem Dax jedoch nicht, denn sie haben beide ihre Funktion in unterschiedlichen Geschäftsfelder. Acquiring, die Abwicklung von elektronischem Zahlungsverkehr für Bank und Unternehmen, das Geschäftsfeld von Wirecard, wächst, wie der gesamte elektronische Zahlungsverkehr. Der bisher im Tec-Dax notierte Finanzdienstleister profitiert davon, dass immer mehr Menschen online einkaufen oder an der Supermarktkasse mit ihrem Smartphone bezahlen. Im August hat das Unternehmen zum zweiten Mal in Folge verkündet, dass es 2018 wohl mehr Gewinn machen wird als erwartet. Die Commerzbank hingegen erwartet in ihrem Kerngeschäft mit Firmenkunden für 2018 sinkende Erträge. Der laufende Konzernumbau braucht Zeit und kostet Geld. Generell leidet sie wie viele andere deutsche Banken unter der Nullzins-Politik der EZB. Es bleibt wenig Spielraum, um mit dem Aufnehmen und Weiterverleihen von Geld genug zu verdienen, die Erlöse sinken, die Konkurrenz ist groß und die Regulierungskosten belasten das Geschäft. Doch trotz der Unkenrufe und schwierigen Zeiten wird es nicht das Ende der Traditionsbanken sein. Sie mögen mit ihrem Kerngeschäft, den verschiedenen Bereichen und vielen Mitarbeitern behäbiger sein und nicht so schnell auf Veränderungen reagieren können, haben Sie in all den Jahren aber bewiesen, wie ausdauerfähig, langatmig und wandlungsfähig sie und ihr Geschäftsmodell doch sind.

So sieht es auch Commerzbank-Chef Martin Zielke. Er finde es zwar nicht schön, dass die Bank den Dax verlassen müsse, sagte er Mitte August vor Journalisten. Aber: "Für unsere Kunden, für unser Geschäft ändert sich überhaupt nichts", fügte er hinzu. Das stimmt vielleicht für den normalen Bankbetrieb. Doch auf das Anlegerverhalten hat der Abstieg natürlich schon Auswirkungen. Denn computergesteuerte Indexfonds (ETFs), die stumpf die größten Börsenindizes der Welt abbilden, müssen umschichten und sich von Aktien der Commerzbank trennen. Das könnte den Kurs weiter belasten. Viele große institutionelle Investoren dürfen keine Aktien mehr zeichnen, weil sie in ihren Fonds nur Dax-Werte haben und die Liquidität im M-Dax, Tec-Dax und S-Dax um einiges geringer ist als im Dax.

Andererseits lässt sich auch hier wieder der Vergleich zum Fußball ziehen: Nach einem Abstieg folgt manchmal auch wieder ein Aufstieg. Über die vergangenen zehn Jahre sind zwölf Unternehmen aus dem Leitindex abgestiegen, Infineon und Continental schafften danach wieder ein Comeback. Für die Commerzbank besteht also noch Hoffnung. Zielke will zumindest den Aktionäre seiner Bank im kommenden Jahr eine Dividende von 20 Cent für jedes Papier zahlen. Für einige Anleger dürfte das wertvoller sein als der Platz im Dax. Und wer weiß, weniger Aufmerksamkeit kann vielleicht sogar ein Vorteil sein für einen Konzern in einer schwierigen Umbruchphase in einer für Eitelkeiten bekannten Branche.

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