Mit "Wumms" aus der Krise

Carsten Englert, Foto: Verlag Fritz Knapp GmbH

Unser Land ist zermürbt von einer langen Zeit der Großen Koalition. Bei jedem einigermaßen wichtigen Problem des Landes, das auf Regierungsebene gelöst werden musste, kam es zu zähen und langen Verhandlungen zwischen CDU und SPD, bei denen dann am Ende immer der kleinste gemeinsame Nenner, nicht selten im Verbund mit dem größten gemeinsamen Unsinn rauskam. Anfang Juni wurde im Kabinett erneut wieder tagelang über einem großen Problem gebrütet: Ein Hilfspaket, um die Corona-bedingt massiv ausgebremste Konjunktur wieder in Schwung zu bringen.

Dass Hilfe nötig ist, daran zweifelt angesichts der immer dramatischer werdenden Zahlen eigentlich niemand. Ein paar Beispiele: Der Einzelhandelsumsatz in der Eurozone ist im April um fast 20 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat eingebrochen. Im April sank die Industrieproduktion in Deutschland um 17,9 Prozent gegenüber dem Vormonat und um 25,3 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Richtig dramatisch hat es die für Deutschland so wichtige Automobilbranche erwischt. Dort implodierte die Produktion im März förmlich um 74,6 Prozent gegenüber dem Vormonat. Da verwundert es nicht, dass auch die Zahl der Kurzarbeiter nach Berechnungen des ifo-Instituts auf 7,3 Millionen hochgeschnellt ist. Es muss gehandelt werden, um die Konjunktur wieder in Schwung zu bekommen und möglichst viele Einbußen wieder auszugleichen. Die Bundesregierung hat sich auf ein großes Paket geeinigt, für das es auch anfangs von vielen Seiten viel Lob gegeben hat. Doch ist dieses Lob gerechtfertigt?

Vom reinen Zahlenmaterial her klingt das Programm eher nach Klotzen als nach Kleckern. Nachdem der Bund schon vorher Garantien in Umfang von 819,7 Milliarden Euro und haushaltswirksame Hilfsmaßnahmen im Volumen von 353,3 Milliarden Euro im Rahmen des Schutzschilds für Beschäftigte, Selbstständige und Unternehmen zugesagt hat, folgt nun ein Konjunkturbelebungsprogramm im Volumen von 130 Milliarden. Da ist zunächst die Entlastung bei den Stromkosten. So soll die EEG-Umlage, die nun erst mal Corona-bedingt stark ansteigen dürfte, für das Jahr 2021 auf 6,5 Cent und für das Folgejahr 2022 auf 6 Cent gedeckelt werden. Das ist auch dringend nötig, denn ohne diesen Deckel wäre die Umlage laut der Denkfabrik Agora Energiewende im nächsten Jahr auf 8,6 Cent je Kilowattstunde gestiegen, aktuell liegt sie bei 6,756 Cent. Deutschland ist bereits ein Land mit außergewöhnlich hohen Stromkosten. Laut einer Erhebung von Statista liegt Deutschland unter 40 ausgewählten Ländern auf Rang zwei mit 0,34 US-Dollar je Kilowattstunde. Nur Bermuda hat mit 0,41 US-Dollar einen noch höheren Strompreis. Die wettbewerbsrelevanten Industrieländer Japan (0,27 US-Dollar), USA (0,15 US-Dollar), Frankreich (0,19 US-Dollar) und vor allem China (0,08 US-Dollar) haben bei den Energiekosten einen immensen Wettbewerbsvorteil gegenüber unserer angeschlagenen Industrie. Der Schritt ist grundsätzlich richtig, aber noch viel zu wenig. Die Energiekosten müssen nicht nur gedeckelt werden, sondern wieder sinken, um die heimische Industrie wieder wettbewerbsfähig zu machen! Das ganze EEG-Umlagesystem sollte sogar hinterfragt werden. Laut Agora Energiewende würde die Umlage vor allem aufgrund gesunkener Nachfrage und dadurch gesunkenen Börsenpreisen des Stroms steigen. Der Marktmechanismus ist damit komplett ausgehebelt und in das Gegenteil verkehrt.

Ein zweiter Punkt des Pakets ist die Entlastung der Kommunen. Der Bund will seinen Anteil an den Kosten für Unterkunft von Bedürftigen erhöhen und die Corona-bedingten Ausfälle bei der Gewerbesteuer für 2020 und 2021 zur Hälfte übernehmen. Die Idee der Bundesregierung dahinter: Die Kommunen sind die, die vor Ort die Investitionen in Infrastruktur tätigen. Doch in den letzten Jahren fehlte vielen Kommunen dafür häufig das Geld. Selbst EU-Fördermittel wurden teilweise nicht abgerufen, weil diese nur ausgezahlt werden, wenn auch ein Eigenanteil investiert wird, wofür schlicht das Geld fehlt. Diese Maßnahme ist durchdacht und richtig. Allerdings muss sich erst noch zeigen, ob die Kommunen tatsächlich dann auch die Investitionstätigkeit hochfahren oder den Geldregen einfach nur nutzen, um die Haushalte zu konsolidieren.

Dazu kommt noch der Kinderbonus für Familien. Eltern sollen einmalig 300 Euro pro Kind erhalten, Alleinerziehende sogar das Doppelte. Klingt zunächst gut und sozial ausgeglichen, weil Eltern mit hohen Einkommen nicht profitieren werden, da die Mittel auf den Kinderfreibetrag angerechnet werden. Die Summe erscheint auch so hoch, dass es zu einem kleinen Konsumimpuls führen könnte. Allerdings soll sie in drei Raten ausbezahlt werden, was die konsumfördernde Wirkung wieder etwas dämpfen könnte. Zudem ist noch nicht klar, wann die Prämie kommen soll. Eine nette soziale Maßnahme, mit der vor allem die SPD ihre Klientel erfreuen dürfte. Sie wird keine große konjunkturelle Wirkung entfalten, tut mit einem geschätzten Gesamtvolumen von 4,3 Milliarden Euro aber auch niemandem so richtig weh.

Rund 50 Milliarden Euro sind in dem Konjunkturpaket als "Zukunftspaket" deklariert. Hier sollen vor allem Innovationsthemen gefördert werden und gleichzeitig die digitale Transformation und die Transition zu einer Carbon-freien Wirtschaft - die beiden zentralen Themen der Gesellschaft vor dem Corona-Ausbruch - vorangetrieben werden. Maßnahmen, die gefördert werden, sind beispielsweise Ausbau der Ladeinfrastruktur für E-Autos, eine höhere Förderung der E-Autos und Investitionen im Rahmen der Wasserstoffstrategie. Auch in den Bereichen des Quanten-Computings und der künstlichen Intelligenz soll investiert werden. Ohne Einschränkung sinnvoll!

Der letzte pekuniäre Punkt des Konjunkturpakets ist die temporäre Senkung der Mehrwertsteuer auf 16 Prozent beziehungsweise 5 Prozent für den reduzierten Satz. Die Anpassung soll ab dem 1. Juli 2020 bis zum Ende des laufenden Jahres in Kraft treten. Diese Maßnahme wird am kontroversesten diskutiert. Die einen erwarten, dass sie nur ein kurzes Strohfeuer auslösen wird. Andere glauben schlichtweg nicht dran, dass die Unternehmen diese Steuersenkung weitergeben. Daher mahnte Bundesfinanzminister Scholz bei der Pressekonferenz auch gleich, dass er dringend erwarte, dass die Wirtschaft sie nicht zu ihrem Vorteil nutze, sondern an die Bürger weitergebe. Es ist auch zu verlockend: Nahezu alle Unternehmen haben Einbußen hinnehmen müssen und könnten sich versucht sehen, dadurch die eigene Kasse wieder aufzubessern. Doch wäre das so falsch? Man könnte das auch so sehen: Durch eine verbesserte Einnahmensituation bei den Unternehmen steigt deren Investitionsbereitschaft wieder an. Allerdings zeigen sich die Unternehmen nicht unisono begeistert, denn vor allem die sehr kurzfristige Umstellung bis zum 1. Juli bereitet einigen davon Kopfschmerzen.

Besonders erwähnenswert sind noch zwei nichtpekuniäre Punkte. Die Bundesregierung sprach eine "Sozialgarantie" aus, wonach die Lohnnebenkosten nicht über 40 Prozent steigen sollen. Das dürften die Unternehmen gerne hören und vielleicht zu der ein oder anderen Neueinstellung führen. Noch wichtiger: Merkel versicherte auch, dass die Bundesregierung die Wirtschaftskraft auch dadurch "entfesseln" wolle, dass sie die Bürokratie beschneidet. Konkret sollen das Vergaberecht, das Wettbewerbsrecht und das Planungsrecht beschleunigt werden.

Das Paket scheint durchdacht, wenn es auch Kritikpunkte gibt. Aber: Einiges, wie der Bürokratieabbau, sind nur lose Ankündigungen bislang. Da müssen nun auch die richtigen Verwaltungsakte folgen, um auch wirklich eine Erleichterung und eine Beschleunigung zu bekommen. Wenn den Worten auch sinnvolle Taten folgen, könnte der Mix tatsächlich eine belebende Wirkung entfalten. Wie groß die Auswirkung sein wird, kann natürlich erst ex post beantwortet werden. Ex ante ist aber schon eines klar: Es muss dann langsam auch mal wieder gut sein. Der Schutzschild und das Konjunkturpaket kosten kumuliert bis zu 1,3 Billionen Euro, fast 40 Prozent des deutschen BIP im Jahr 2019. Der Weg zur restriktiven Haushaltsführung sollte möglichst schnell wieder eingeschlagen werden. Sonst könnte - wie es Scholz formulierte - Deutschland zwar mit "Wumms aus der Krise" kommen, aber dann auch irgendwann mit "Wumms" wieder in eine Staatsschuldenkrise hineinschlittern.

Carsten Englert , Leitender Redakteur, Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen , Fritz Knapp Verlag
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