Schwerpunkt Wohnungs- und Städtebaupolitik

Agenda 2020 - Welchen Rahmen braucht der Wohnungsbau?

Die Städte und Gemeinden in Deutschland stehen im Bereich der Wohnungspolitik vor großen Herausforderungen. Einerseits fehlen in immer mehr Städten und Gemeinden bezahlbare Wohnungen. Dies trifft insbesondere auf viele Groß- und Universitätsstädte zu. Andererseits gibt es in Deutschland nach wie vor zahlreiche, strukturschwache Regionen sowie Städte und Gemeinden, in denen ein Wohnungsüberhang und ein Leerstand bestehen und daher auch ein Rückbau erforderlich ist. Dennoch steht in der aktuellen politischen Diskussion und in den Medien die Frage im Vordergrund, welche Maßnahmen gegen steigende Wohnkostenbelastungen und insbesondere für bezahlbare Wohnungen zu ergreifen sind. Wie es anders gehen kann, zeigt der Städte- und Gemeindebund in seinem Zehn-Punkte-Programm. (Red.)Der Blick in die Städte und Gemeinden macht deutlich, wie groß mittlerweile die regionalen Unterschiede sind. Die Schere reicht auf Kreisebene im Durchschnitt von 3,77 Euro je Quadratmeter in Wunsiedel im Fichtelgebirge bis zu 12,53 Euro je Quadratmeter in München. Hinter diesen Spannen stecken unterschiedliche Marktsituationen zwischen Anspannung einerseits und andererseits einem Angebot, das die Nachfrage zum Teil deutlich übersteigt. Gerade in den Städten mit hohen Mieten werden aber inzwischen die Angebote von Wohnungen im günstigen Segment rar. Wie die Auswertung der Inserate zeigt, nimmt der Anteil höherpreisiger Wohnungsangebote deutlich zu. So machen zum Beispiel in München im Jahr 2012 die Zahl der Inserate mit einer Nettokaltmiete von elf Euro je Quadratmeter 80 Prozent der Angebote aus. 2008 waren es noch 50 Prozent. Hinter diesen Verschiebungen stecken neben Angebotsengpässen bei Wohnungen vor allem qualitative Verbesserungen des Angebots durch Modernisierung und mehr angebotene Neubauwohnungen. Ähnliche Verschiebungen zeigen auch andere "Mieten-Spitzenreiter" wie Frankfurt am Main und Hamburg, die jedoch nach wie vor über ein differenzierteres Angebot verfügen. Leitlinien zur künftigen Wohnungsbaupolitik Vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Diskussion hat der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) folgende "Zehn Leitlinien zur zukünftigen Wohnungspolitik" erarbeitet: 1. Neubau forcieren - Konzentration auf Innenstädte und Ortskerne - Auch Rückbau bleibt Daueraufgabe: Insbesondere in vielen Ballungszentren und Universitätsstädten fehlen in Deutschland Wohnungen, zumindest dort, wo sie auch von der Lage her nachgefragt werden. Dies gilt, obwohl die jüngste Volkszählung mit 41,3 Millionen Wohnungen immerhin 500 000 mehr Wohnungen festgestellt hat, als bislang angenommen wurde. Hier gilt es durch Wohnungsneubau sowie durch einen möglichen Umbau, etwa von Gewerbe- oder Bürogebäuden zu Wohnungen, die Nachfrage nach Wohnraum zu befriedigen. Kernziel in den angespannten Wohnungsmärkten muss dabei die Be seitigung des Wohnraummangels bei gleichzeitiger Bezahlbarkeit, insbesondere der Mieten, sein. Der Neu- und Umbau und die Förderung müssen nachfragerecht gestaltet werden. Junge Familien einerseits und Singlehaushalte andererseits haben durchaus unterschiedliche Bedürfnisse. Konzentration auf Innenstädte Der erforderliche Wohnungsneubau ist aber auch in den angespannten Märkten insbesondere wegen der demografischen Entwicklung und dem weiter absehbaren Rückgang der Bevölkerung auf die Innenstädte zu konzentrieren. Es macht keinen Sinn, durch unüberlegten und nicht nachfragegerechten Neubau heute die Brachen von morgen zu produzieren. Angesichts noch ungenutzter Potenziale gerade in Innenstädten und Ortskernen müssen daher aus ökologischen und ökonomischen Gründen primär hier und nicht durch die Neuinanspruchnahme des Außenbereichs Wohnungen geschaffen werden. Nicht vergessen werden darf aber auch, dass insbesondere in wirtschaftsschwachen Städten und Gemeinden nahezu aller Bundesländer viele Wohnungen nach wie vor leer stehen. Ein zielgerichteter Neubau darf daher den weiter erforderlichen Um- und Rückbau (Abriss) von Wohnungen nicht aus dem Blickfeld treten lassen. 2. Kommunale Bau- und Stadtumbaupolitik fördern - Zoniertes Satzungsrecht einführen - Städtebauförderung erhöhen: Die Beseitigung des Wohnraummangels setzt insbesondere die verstärkte Nutzbarmachung von Grundstücken in Innenstädten und Ortskernen voraus. Dies bedingt eine aktive kommunale Baulandpolitik, die Reaktivierung von Brachen und Baulücken sowie die verstärkte Umnutzung vorhandener Bauten zu Wohnzwecken. Die Bundespolitik ist gefordert, ein zoniertes Satzungsrecht im Grundsteuerrecht, wonach Gemeinden bebaubare, aber (auch aus spekulativen Gründen) nicht bebaute Grundstücke mit einem höheren Hebesatzrecht belegen können, einzuführen. Untergenutzte Flächen und Bauten sowie militärische Konversionsflächen oder ehemalige Bahnflächen im Innenbereich bieten sich für eine Wohnnutzung an. Eine verstärkte Aktivierung dieser Flächen und Bauten setzt voraus, dass die Städtebauförderungsmittel des Bundes von gegenwärtig 455 Millionen Euro auf mindestens 600 Millionen Euro erhöht werden. Auch muss die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) speziell nicht mehr genutzte Konversionsflächen den Kommunen für die Allgemeinwohlaufgabe Wohnungsbau zu finanziell adäquaten Konditionen zur Verfügung stellen. 3. Kommunen bei Programmen insbesondere für Familien unterstützen: Städte und Gemeinden müssen mit dem Ziel der "Stadt der kurzen Wege" gerade beim Wohnen im Innenbereich vor allem für junge Familien mit Kindern attraktiver werden. Hier liegt ein erhebliches Potenzial auch im Bereich des Umbaus. Unter dem Projekt "Jung kauft Alt" werden bereits vielfach (Umbau-)Projekte durch Städte und Gemeinden für Familien mit Kindern gefördert. Voraussetzung ist, dass diese Familien ein älteres Haus (Beispiel: Mindestens 25 Jahre alt) kaufen. Dann erhält die Familie einen gestaffelten Zuschuss für jedes Kind. Auch wird ein weiterer Zuschuss für die Erstellung eines Altbaugutachtens durch einen Architekten beigesteuert. Wiederbelebung der Ortskerne Ziel ist insbesondere neben der Förderung vorrangig junger Familien, dass die Stadt- und Ortskerne durch den Umbau älterer Häuser und Wohnungen, die im jetzigen Zustand nicht mehr bedarfs- und nachfragegerecht sind, wiederbelebt werden. Bund und Länder sind aufgerufen, diese "Kommunal- und Familienprogramme", zu unterstützen. Angesichts der demografischen Entwicklung sind zudem Mehrgenerationenhäuser und -projekte sowie die Errichtung von barrierefreien Wohnungen in zentraler Stadt- und Ortskernlage zu fördern. 4. Auch Ballungsrandkommunen, strukturschwache und ländliche Kommunen fördern - Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse beachten: Nicht nur "boomende" Großstädte müssen in der Wohnungspolitik unterstützt werden. Auch eine gezielte Förderung strukturschwacher Städte und Gemeinden und gerade von Kommunen im sogenannten Ballungsrand ist erforderlich. Unter dem grundgesetzlich geschützten Postulat der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse sind eine "ausgewogene Förderung" des Staates und ein zielgerichtetes Eingehen auf die Probleme in Stadt und Land vorrangig. Gerade aus ökonomischer und landesplanerischer Sicht ist eine Wohnungsbauförderung in der oft preiswerteren Ballungsrandzone oft sinnvoller. Um auch diese Ballungsrandzone für Wohnungssuchende attraktiv zu erhalten, bedarf es dort ausreichender Infrastruktureinrichtungen und insbesondere eines gut angebundenen ÖPNV. Leerstandsmanagement Auch strukturschwache Kommunen müssen gefördert werden. Insoweit sind neben Großstädten auch viele mittlere und kleinere Städte und Gemeinden aufgrund des demografischen Wandels mit Überkapazitäten an Wohnraum und Leerständen - auch in den Innenstädten und Ortskernen - konfrontiert. Sie müssen sich daher neben einem gezielten Management des Leerstands auch mit dem Stadtumbau und dem Abriss befassen. Es ist erforderlich, dass Bund und Länder auch hier flexible Instrumente bereitstellen, um die spezifischen Probleme dieser Städte und Gemeinden nachhaltig zu lösen. Neben der Förderung des Wohnungsneubaus wird dabei auch eine Förderung des Abrisses dieses Wohnungsaltbestandes eine wichtige Aufgabe von Bund, Ländern und Kommunen bleiben. 5. Stärkung des öffentlich geförderten Mietwohnungsneubaus: Die in verschiedenen Regionen benötigten Investitionen in den öffentlich geförderten Mietwohnungsneubau erfordern ein klares Bekenntnis von Bund und Ländern zum sozialen Wohnungsbau. Die vom Bund derzeit bereitgestellten 518 Millionen Euro pro Jahr müssen von den Ländern in gleicher Höhe mitfinanziert werden und in die soziale Wohnraumförderung fließen. Aus kommunaler Sicht erscheint es sinnvoll, dass bei der Ausweisung neuen Baulands ein Teil der Fläche für den sozialen Wohnungsbau genutzt wird. Über kommunale Wohnungsbaukonzepte beziehungsweise Stadtentwicklungskonzepte können bedingte kommunale Flächenvergaben nach Konzeptqualität (zum Beispiel mit der Vorgabe eines konkreten Anteils für geförderten Mietwohnungsbau) vorgenommen werden. Wohnungsneubau sollte darüber hinaus insbesondere im mittleren Marktsegment, wo eine besonders hohe Nachfrage herrscht, sowohl steuerlich als auch durch direkte Zuschüsse gefördert werden. Hier lassen sich relativ schnell direkte Entlastungseffekte erzielen, deren Intensität durch geeignete Vereinbarungen noch gesteigert werden kann. Um eine ausreichende Wohnraumversorgung einkommensschwächerer Haushalte zu tragbaren Kosten trotz steigender Mieten und Nebenkosten zu gewährleisten, ist eine Anpassung des Wohngeldes an die Mietentwicklung sowie die Wiedereinführung des Heizkostenzuschusses zu prüfen. 6. Überbordende Standarderhöhungen bei Neubau (EnEV et cetera) vermeiden: Um die Rahmenbedingungen für den Wohnungsbau im unteren und mittleren Preissegment zu verbessern und breiten Bevölkerungsgruppen den Zugang auch zum Wohnungseigentum zu ermöglichen, darf keine ausufernde Erhöhung der Bau- und Energie-Standards stattfinden. Vor der Festlegung immer höherer Standards für den Wohnungsbau muss jedenfalls grundsätzlich eine Kosten-Nutzen-Analyse erfolgen. Insbesondere die weitere Verschärfung der energetischen Standards im Wohnungsbereich würde die Eingangsmieten im frei finanzierten Wohnungsbau und die Investitionskosten weiter erhöhen. Daher sollte bei der Verschärfung der Energieeinsparverordnung (EnEV) eine "Verschnaufpause" eingelegt werden. Zudem würde eine Öffnung der EnEV hin zu ganzen Blöcken oder Quartieren die Freiheit zur Umsetzung beim Eigentümer belassen. So könnten preiswerte Bestände erhalten und der Aspekt der Energieversorgung besser integriert werden. Auch für Standards im Bereich der Barrierefreiheit, die wegen der demografischen Veränderungen einen zunehmenden Stellenwert bekommen, ist Augenmaß gefordert. 7. Bauen und Vermieten von Immobilien attraktiv machen - Investitionsbremsen durch Mietrecht vermeiden: Der Bund sollte das Bauen von Immobilien attraktiv machen, insbesondere durch die Anpassung des Abschreibungssatzes von zwei Prozent auf vier Prozent jährlich. Auch tragen nur ausgewogene Regelungen im Mietrecht dazu bei, notwendige Investitionen in den Wohnungsneubau oder -umbau vorzunehmen. Die diskutierte Einführung einer Obergrenze für Neuvertragsmieten sowie eine Senkung der Kappungsgrenzen im Mietrecht ist trotz des richtigen Ziels, Wohnraum bezahlbar zu machen, kritisch zu sehen. Beschränkungen der Mieterhöhungsspielräume dürfen sich jedenfalls nicht investitionshemmend auswirken. Staatliche Eingriffe in die Mietpreisentwicklung müssen daher soweit wie möglich vermieden werden. Stattdessen sind eine aktive und nachhaltige Wohnungsbaupolitik das Gebot der Stunde. 8. Förderprogramme regional ausgestalten - größere kommunale Handlungsspielräume zulassen: Die Förderprogramme von Bund und Ländern sollten durch eine Vereinfachung attraktiver, besser miteinander abgestimmt und wegen der stark unterschiedlichen Rahmenbedingungen in den verschiedenen Regionen auch stärker "regional und kommunal" ausgerichtet werden. Der kommunale Handlungsspielraum bei den verschiedenen Förderprogrammen ist wegen der stark unterschiedlichen Rahmenbedingungen auszuweiten. Beim derzeit extrem niedrigen Zinsniveau spricht zudem viel für eine höhere Zuschussförderung in den Programmen. Dies kann auch ein wichtiges psychologisches Signal insbesondere für "Schwellenhaus halte" bilden. 9. Enge Verzahnung von Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik - nachhaltiges Handeln kommunaler Wohnungsunternehmen fördern: Kommunale Wohnungsunternehmen sind wichtige Partner der Städte und Gemeinden und Garanten einer nachhaltigen Wohnung- sowie Stadtentwicklungspolitik. Kommunale Wohnungsunternehmen sind nicht auf eine Gewinnmaximierung ausgerichtet. Sie fühlen sich dem Ziel einer nachhaltigen, sozial ausgerichteten und kompakten Stadtentwicklung verpflichtet und tragen zur Vermeidung disperser Siedlungsstrukturen bei. Bei ihren Maßnahmen steht städtebaulich auch die Stärkung der Zentren und Ortskerne im Vordergrund. In diesem Sinne sind die kommunalen Wohnungsunternehmen Bestandshalter und setzen nicht auf kurzfristige Rendite. Mit einer zurückhaltenden Mietenpolitik tragen kommunale Wohnungsunternehmen maßgeblich zu einer moderaten Mietentwicklung in Städten und Gemeinden bei. Wegen ihrer besonderen Rolle für eine nachhaltige Stadtentwicklungs- und Wohnungspolitik muss eine Privatisierung kommunaler Wohnungsbestände daher stets kritisch, insbesondere im Hinblick auf die Folgen sozialer Verwerfungen, geprüft werden. Kommunale Wohnungsunternehmen sind wegen ihrer besonderen Stellung bevorzugt in die staatlichen Förderprogramme einzubeziehen und deren nachhaltiges Handeln ist zu fördern. 10. Selbst genutztes Wohneigentum zielgerichtet fördern: Die jüngst von der Europäischen Zentralbank (EZB) veröffentlichten Zahlen belegen, dass die Eigenheimquote (selbst genutztes Wohneigentum) mit 45,8 Prozent (Aktuelle Zählung Zensus) der Haushalte in Deutschland die niedrigste Eigenheimquote im Vergleich aller EU-Staaten ist (Beispiel Spanien: 85 Prozent; Italien und Polen: 77 Prozent). Selbst genutztes Wohneigentum hat für die Menschen aber einen eigenen Wert (Stärkung der Selbstverantwortung, Vermögensbildung, Alterssicherung et cetera). Das Streben nach dem eigenen Heim steht auf dem "Wunschzettel" vieler Bürgerinnen und Bürger auch nach wie vor weit oben. Daher muss eine bessere und insbesondere den jungen Familien zugutekommende Förderung des selbst genutzten Wohneigentums stattfinden. Erforderlich wäre, eine "neu gestaltete Eigenheimzulage" und die Wohneigentumsförderung - ohne Zustandekommen bloßer Mitnahmeeffekte - sozialgerecht zu gestalten und sie zielgerichtet auf Schwellenhaushalte sowie insbesondere auf Familien mit Kindern zu fokussieren. Eine Verstärkung der Wohneigentumsförderung würde zudem wesentliche Impulse für die Bauwirtschaft und damit für die konjunkturelle Entwicklung in Deutschland leisten.

Norbert Portz , Beigeordneter, Deutscher Städte- und Gemeindebund e.V., Bonn
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