Risikomanagement

Die Hypothekenversicherung kehrt zurück in ihr Ursprungsland

Jeder kennt Beispiele für deutsche Erfindungen, die erst von ausländischen Anbietern zum kommerziellen Erfolg geführt worden sind: der Computer, das Faxgerät, der Scanner, die LCD-Technik, das MP3-Format, um nur einige zu nennen. Auch ein innovatives Finanzprodukt gehört in diese Reihe: die Hypothekenversicherung.

Dresden 1858: ein neuer Versicherungszweig entsteht

Die private Hypothekenversicherung, die vom Schuldner zugunsten des Gläubigers eines Hypothekarkredits abgeschlossen wird, um diesen gegen den möglichen Schaden aus der Abwicklung notleidend gewordener Hypothekendarlehen zu versichern (Kofner 2006, 2007), ist keine angelsächsische, sondern eine deutsche Finanzinnovation. Der sächsische Statistiker Ernst Engel hat diesen Versicherungszweig nicht nur ideell begründet, sondern auch gleich die erste Hypothekenversicherungsgesellschaft der Welt, die Sächsische Hypothekenversiche-rungs-Gesellschaft in Dresden gegründet - und zwar bereits im Jahre 1858, also lange bevor zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den USA die ersten Hypothekenversicherungsgesellschaften entstanden sind.1) Die Hypothekenversicherung war in Deutschland allerdings kein durchschlagender Erfolg. Nach einem ambitionierten Beginn entwickelte sie sich im Laufe der Zeit immer mehr zum Nischenprodukt. Die Hypothekenversicherung wurde in Deutschland gleichwohl von etwa 1860 bis Ende der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts mehr oder weniger kontinuierlich angeboten. Möglicherweise haben die deutschen Pioniere auch die ersten Gründungen im Ausland inspiriert. Bei den Bemühungen ausländischer Versicherer, die Hypothekenversicherung in Deutschland zu etablieren, handelt es sich also in einem gewissen Sinne um den Reimport eines Versicherungsproduktes in sein Ursprungsland. Das zeigt sich auch daran, dass die Preußische Hypothekenversicherungs-Aktiengesellschaft das älteste Vorläuferinstitut der heute größten deutschen Pfandbriefbank war: der Eurohypo AG.

Ursprung der Pfandbriefinstitute

Die Entwicklung der Hypothekenversicherung in Deutschland war keine Erfolgsgeschichte, sondern eher ein von zahlreichen Rückschlägen geprägter Daseinskampf. Die Versicherung von Hypotheken wurde in Deutschland ursprünglich als eine Art Nebengeschäft des Hypothekenbankgeschäftes verstanden. In Meyers Konversations-Lexikon von 1889 heißt es dazu unter dem Stichwort "Hypothekenversicherung":

"Da es meist die Schuldner sind, welche die Versicherung nehmen, um dadurch eher Gläubiger für die gesuchten Darlehen zu finden, so liegt es auf der Hand, daß die Hypothekenversicherungsanstalten nur dann gute Geschäfte machen können, wenn sie selbst in der Lage sind, ihren Versicherten die Kapitalien zu verschaffen, welche von denselben gesucht werden. Die Hypothekenversicherungsanstalten müssen also, wenn sie gedeihen wollen, zugleich Hypothekenbanken sein. Demgemäß sind denn alle Institute, welche die Hypothekenversicherung betreiben, in der Hauptsache Hypothekenbanken."

Selbstversicherung der Hypothekenbanken

Die Hypothekenversicherung war also ursprünglich in erster Linie eine Art Selbstversicherung der Hypothekenbanken. Das Pooling von Kreditrisiken zum Zwecke des überregionalen Risikoausgleichs war im 19. Jahrhundert nur ansatzweise gewährleistet. Die Gründer der ersten Hypothekenversicherungen, Ernst Engel und Otto Hübner, beide Statistiker, hatten die Bedeutung des überregionalen Risikoausgleichs für die Stabilität der Kreditmärkte aber zweifellos erkannt.

Wegen der allgemeinen Unterentwicklung des Marktes für zweitstellige Hypotheken operierten die ersten Hypothekenversicherungen hauptsächlich im erststelligen Bereich. Hier war die Nachfrage wegen des vergleichsweise geringen Ausfallrisikos aber nur sehr gering, sodass die größtenteils in den sechziger Jahren neu gegründeten Versicherungen Ende der achziger Jahre des 19. Jahrhunderts bis auf eine liquidieren mussten. Die erste Gründungswelle war also gewissermaßen vor der Zeit erfolgt.

Seit etwa 1890 wurde in zunehmendem Maße die "Kreditnot des städtischen Hausbesitzes" (Steffan 1963, Seite 308) beklagt. Das Angebot an zweitstelligen Hypotheken wurde als zu gering empfunden. Der Markt für zweitstellige Hypotheken wies außerdem nur einen geringen Organisationsgrad auf (struktureller Engpass).

Als Kreditgeber im zweitstelligen Beleihungsraum (also im Bereich zwischen 60 und 85 Prozent des Beleihungswertes) traten ausschließlich Privatpersonen auf. Die Renditen lagen ein bis zwei Prozent höher als für erststellige Darlehen (Kämper 1930, Seite 239 f.), doch kam es insbesondere nach der Jahrhundertwende immer wieder zu größeren Ausfällen bei den nachrangigen Darlehen, die unter den Anlegern zu einer zunehmend risikoscheuen Einstellung im Hinblick auf die Kreditvergabe führten (Müller 1999, Seite 61 f.).

Die Haus- und Grundbesitzerverbände suchten Abhilfe durch Hypothekenversicherungen in der Form von genossenschaftlichen Selbsthilfeeinrichtungen2) und privatwirtschaftlichen Versicherungsunternehmen. Die Versicherung durfte nur insoweit erfolgen, als die zu versichernden Hypothekenforderungen (einschließlich der im Range vorgehenden Forderungen und sonstigen Rechte) 80 Prozent des "wahren Wertes" der Liegenschaften, die für die Hypotheken haften, nicht überstiegen. Den "wahren Wert" hatte die Schätzungskommission des Versicherungsunternehmens zu ermitteln. Bei Vorliegen besonderer Verhältnisse, das heißt wenn die verpfändeten Liegenschaften für eine höhere Beleihung hinreichend Deckung boten, konnte sich die Beleihung auch bis zu 85 Prozent erstrecken (Kämper 1938, Seite 253 f.).

Der unternehmerische Erfolg blieb jedoch ebenso wie früher im erststelligen Bereich aus. Die zum Zwecke der Absicherung zweitrangiger Hypothekendarlehen ins Leben gerufenen Spezialversicherer liquidierten schon nach kurzer Zeit. Als Gründe werden in der Literatur die unzureichende Kapitalausstattung und die Höhe der zur Deckung der Verwaltungskosten und des Risikos erforderlichen Versicherungsbeiträge genannt (Steffan 1963, Seite 308). Es scheint, dass bei der zweiten Gründungswelle das ausgeprägte Konjunktur- und Katastrophenrisiko der Hypothekenversicherung aus Mangel an Erfahrung unterschätzt wurde.

Rechtsgrundlagen der deutschen Hypothekenversicherung

Im Lehrbuch des Versicherungsrechts von William Lewis aus dem Jahre 1889 wird die Arbeitsweise der Hypothekenversicherung im Abschnitt zum Thema Kredit- und Hypothekenversicherung ausführlich beschrieben (Lewis 1889, Seite 255-257): "Bei der Kreditversicherung, und zwar der Versicherung der Solvenz des Schuldners, wie bei der Hypothekenversicherung besteht der Schaden in dem Ausfall, den der versicherte Gläubiger dadurch erleidet, daß er die ihm gegen einen Andern zustehende Forderung nicht, wenigstens nicht ihrem vollen Umfang nach mit Erfolg geltend machen kann, respektive die ihm bestellte Hypothek ihm gar keine oder keine vollständige Deckung wegen seiner Forderung gewährt, so daß er bei der Subhastation (Zwangsversteigerung, der Verf. ) des verpfändeten Grundstücks mit seiner Forderung entweder ganz oder zum Teil ausfällt.

Der Betrag des Schadens besteht somit im ersteren Falle in der Differenz zwischen der Forderung des Versicherten und dem vom Schuldner zu erlangenden Betrage, im zweiten in der Forderung, für welche die Hypothek bestellt ist, und dem bei der Subhastation des verpfändeten Grundstücks auf dieselbe fallenden Teil des Erlöses. Damit von Schaden die Rede sein kann, muß es daher sicher sein, daß ein Ausfall vorliegt. ... Die

Durchführung des Subhastationsverfahrens ist bei der Hypothekenversicherung die Voraussetzung für die Entschädigungspflicht des Versicherers.3) Erst wenn ... bei der Subhastation des verpfändeten Grundstücks der Erlös nicht zur Befriedigung des Gläubigers ausgereicht hat, kann der Versicherer zur Leistung der Entschädigung an den Versicherten angehalten werden. Dagegen ist es bei der Hypothekenversicherung für die Inanspruchnahme des Versicherers nicht erforderlich, daß der Versicherte, nachdem er im Subhastationsverfahren mit seiner Hypothek ganz oder zum Teil ausgefallen, seine Forderung auch noch mit einer persönlichen Klage gegen den Schuldner geltend macht; denn bei der Hypothekenversicherung ist die Gefahr, gegen welche Versicherung genommen, lediglich der Ausfall der betreffenden Hypothek im Subhastationsverfahren.

Hat der Versicherer Zahlung geleistet, so hat er nach dem oben Bemerkten . . . . das Recht, vom Versicherten Abtretung der Forderung desselben zu verlangen, soweit er denselben befriedigt hat (arg. des Art. 809 des deutschen BGB). "

Bei Kämper (1938, Seite 254) heißt es ergänzend dazu: "Schließlich war die Gesellschaft verpflichtet, dem Versicherten die ihm zukommenden Zinsen pünktlich zu zahlen. Das von dem Versicherten an die Gesellschaft zu entrichtende Entgelt für die Versicherung bestand in der Differenz zwischen dem vom Schuldner der versicherten Forderung an die Gesellschaft und dem von dieser an den Versicherten zu zahlenden Zinsbetrag oder auch bei besonderer Vereinbarung in einer bestimmten Prämie."

Damit unterscheidet sich die klassische Hypothekenversicherung von der heute gebräuchlichen Form im Wesentlichen nur durch die Definition der Zielgruppe. Die moderne Hypothekenversicherung ist in erster Linie auf Kredite mit einem Beleihungsauslauf oberhalb von 80 Prozent des Beleihungswertes zugeschnitten. Da solche Kredite aber in Deutschland im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert kaum gebräuchlich waren, kann man sagen, dass die Hypothekenversicherung damals wie heute auf den Markt der Risikokredite mit geringer Eigenkapitalunterlegung abzielte.

Die ersten Anbieter

Die ersten Hypothekenbanken in Norddeutschland sind auf Vorschlag des Statistikers Otto Hübner als Hypothekenversicherungsgesellschaften gegründet worden. Die 1862 von Otto Hübner in Berlin gegründete Preußische Hypothe-ken-Versicherungs-Aktiengesellschaft, seit 1895 Preußische Pfandbriefbank AG, war in den zwanziger Jahren die zweitgrößte deutsche Hypothekenbank. Sie ist zugleich das älteste Vorläuferinstitut der heutigen Eurohypo AG.4) Auch die Norddeutsche Grundkreditbank in Weimar, gegründet im Jahre 1868, führte bis 1885 in ihrem Namen den Zusatz "Hypothekenversicherungs-Aktiengesellschaft" (Rittershausen 1929, Seite 69).

Die Preußische Hypotheken-Versicherungs-AG war 1889 die einzige Anstalt für Hypothekenversicherung in Deutschland, während die Norddeutsche Grundkreditbank und Hypothekenversicherungs-Gesellschaft in Berlin das Hypothekenversicherungsgeschäft 1883 aufgegeben hatte, nachdem die von Ernst Engel gegründete Sächsische Hypothekenversicherungs-Gesellschaft schon vorher eingegangen war (Meyers Konversations-Lexikon von 1889). Auch die Preußische Hypotheken-Versicherungs-AG hat das Hypothekenversicherungsgeschäft später aufgegeben (wahrscheinlich in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts) und umfirmiert.

Vor dem ersten Weltkrieg betrieb in Deutschland nur ein einziges privatgewerbliches Institut die Hypothekenversicherung als Hauptgeschäftszweig: die im Jahre 1911 gegründete Badische Hypothekenversicherungs-GmbH in Freiburg (Kämper 1938, Seite 253 f. ). Dieses Versicherungsunternehmen bot seinen Kunden neben der Versicherung der Hypothekenforderungen gegen Verlust eine umfangreiche Palette zusätzlicher Dienstleistungen wie die Besorgung des Zinseinganges und "alle sonst unter Umständen erforderlich werdenden Geschäfte bezüglich der Versicherten-Forderungen" an. Als Kreditvermittler unterstützte es die Kreditsuchenden außerdem bei Beschaffung von Hypothekarkrediten. Dieses erweiterte Dienstleistungsangebot, welches in enger Zusammenarbeit mit den Bankkunden bereitgestellt wurde, entspricht durchaus den heutigen Marktverhältnissen.

Über die Geschäftsergebnisse der Badischen Hypothekenversicherungs-GmbH, die ein Stammkapital von nur 100 000 Mark hatte, sind keine Einzelheiten bekannt. Die Prognosen, die man ihr schon zur Zeit ihrer Gründung gestellt hat, waren im Hinblick auf die geringe Kapitalausstattung der Gesellschaft ungünstig. Der Geschäftsbetrieb wurde im Jahre 1914 eingestellt. Als Nebengeschäft wurde die Hypothekenversicherung vor dem ersten Weltkrieg nur von der Stuttgart-Berliner Versiche-rungs-AG betrieben. Aber auch diese hat sich mit der Hypothekenversicherung nach Kriegsbeginn nicht mehr beschäftigt.

Nach dem Ende des ersten Weltkrieges kam es zu keiner durchgreifenden Wiederbelebung des Hypothekenversicherungsgeschäftes mehr. Im Jahre 1938 beschäftigte sich nur noch eine einzige deutsche Versicherungsgesellschaft im Rahmen ihres Kreditversicherungsgeschäftes auch mit der Versicherung von nachstelligen Hypothekenforderungen, ohne dass dafür ein besonderer Tarif bestand (Kämper 1938, Seite 254). Nach dem zweiten Weltkrieg ist es nicht zur Wiederaufnahme dieses Geschäftszweiges durch deutsche Versicherungsunternehmen gekommen.

Literatur

Kämper, O. (1930): Finanzierung des Wohnungsbaues, in: Albrecht, G. u.a. (Hrsg.): Handwörterbuch des Wohnungswesens, Jena.

Kämper, O. (1938): Wohnungswirtschaft und Grundkredit, de Gruyter 1938.

Kofner, S. (2006): Hypothekenversicherung: Auf der Überholspur ins Wohneigentum?, in: Immobilien & Finanzierung, 57. Jahrgang, Seite 356-359.

Kofner, S. (2007): Hypothekenversicherung: Ins eigene Heim mit einem Minimum an Eigenkapital?, in: Taschenbuch für den Wohnungswirt 2007.

Lewis, W. (1889): Lehrbuch des Versicherungsrechts, § 20 Kredit- und Hypothekenversicherung, Stuttgart, S. 255-257. Internetzugriff: http://dlibpr.mpier.mpg.de/index.htm

Meyers Konversations-Lexikon, Ausgabe von 1889, Stichwort "Hypothekenversicherung".

Müller, M. (1999): Bausparen in Deutschland zwischen Inflation und Währungsreform 1924-1948. Rittershausen, H. (1929): Die Reform der Mündelsicherheitsbestimmungen und der industrielle Anlagekredit, Gustav Fischer, Jena.

Steffan, F. (Hrsg., 1963): Handbuch des Realkredits, Frankfurt a. M.: Fritz Knapp Verlag.

University of Wisconsin-Madison (UWM): Alumni gallery Internetzugriff: http://www.uwm.edu/Dept/Business/alumni/gallery/karl.html

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