Schwerpunkt Bewertungsfragen

IDW S10 - ein neuer Standard für die Bewertung von Immobilien?

Am 15. Oktober 2013 hat der Hauptfachausschuss des Instituts der Wirtschaftsprüfer die endgültige Fassung des Standards "Grundsätze zur Bewertung von Immobilien" billigend zu Kenntnis genommen, der am Tag zuvor gemeinsam vom Fachausschuss für Unternehmensbewertung (FAUB) und vom Immobilienwirtschaftlichen Fachausschuss des IDW (IFA) verabschiedet wurde. Der Entwurf des Standards war im Juni 2012 auf der Internetseite des IDW veröffentlicht worden.

Anlass für die Entstehung des IDW S 10

Was war nun der Hintergrund dafür, dass der Berufsstand der Wirtschaftprüfer sich mit der Frage der Bewertung von Immobilien befasst hat und einen entsprechenden Standard geschaffen hat? Zum Einen werden Wirtschaftsprüfer im Rahmen der Prüfung von Jahresabschlüssen mit der Frage der Werthaltigkeit der in den Bilanzen ausgewiesenen Immobilien konfrontiert. Verschärft hat sich die Auseinandersetzung damit sicher in den Jahren nach der Immobilienkrise, in den nach IFRS bilanzierende Immobilienunternehmen auf ihre nach IAS 40 zu Fair Values bilanzierten Immobilien zum Teil erhebliche Impairments vornehmen mussten.

Aber auch nach HGB bilanzierende Unternehmen können nicht mehr immer einfach per se annehmen, dass in den entsprechenden Bilanzposten immer nur stille Reserven schlummern.1) Zum Anderen werden sachkundige Wirtschaftsprüfer in der Rolle des Gutachters oder Beraters bei Immobilien tätig. Dies hat das Institut der Wirtschaftsprüfer daher veranlasst, Grundsätze zur Bewertung, zur Beurteilung von Immobilien, aber auch zur Berichterstattung und Dokumentation der Bewertungsergebnisse herauszugeben.

In der Praxis der Immobilienbewertung haben sich bereits seit vielen Jahren sowohl national als auch international Standards für die Immobilienbewertung entwickelt. Während im nationalen Bereich die wesentlichen Verfahren in Deutschland zur Bewertung von Immobilien insbesondere in der Immobilienwertermittlungsverordnung (Immo-WertV) und der Sachwertrichtlinie (Sachwert-RL) geregelt sind, haben sich im internationalen Bereich insbesondere die Standards der Royal Institution of Chartered Surveyors (RICS), des International Valuation Standards Committee (IVSC) sowie The European Group of Valuers' Associations (TEGoVA) durchgesetzt. Einer der von Vertretern der Immobilienwirtschaft und der Sachverständigen für Immobilienbewertung gemeinsam vorgebrachte Anmerkung zum Entwurf des Standards (IDW ES 10) war, dass der S 10 eben nicht explizit auf die vorhandenen Standards verweist.2) Wie bereits beim IDW-Standard IDW S1 zur Unternehmensbewertung haben der IFA und der FAUB davon Abstand genommen, die in Wissenschaft und Praxis erprobten und etablierten Standards vollständig darzulegen oder eigenständige neue Standards zu schaffen.

Dies geht auch aus Textziffer 13) des IDW S10 hervor. Vielmehr stellt der Standard "vor dem Hintergrund der in Theorie und Praxis entwickelten Standpunkte die Grundsätze dar, nach denen Wirtschaftsprüfer Immobilien bewerten oder die sie als Grundlage für die Beurteilung von Immobilienbewertungen heranziehen".4)

Wert und Preis

Unter dem Titel "Wert und Preis von Immobilien" gehen Textziffer 7 bis 10 des IDW S 10 mit den auch aus der Unternehmensbewertung bekannten Wertkonzeptionen und der Unterscheidung vom Preis auseinander. Dabei lassen sich die einzelnen Begriffe wie in Abbildung 1 differenzieren. Damit folgt das IDW den Begriffsbestimmungen, die sich in der Wissenschaft und Praxis gebildet haben.5)

Die im IDW S 10 dargestellten Verfahren können dabei geeignet sein, sowohl intersubjektiv nachprüfbare (objektivierte) Werte, aber auch subjektive Entscheidungswerte zu ermitteln (siehe Textziffer 8) Für die Ermittlung subjektiver Entscheidungswerte wird in Abschnitt 4 des Standards auf Besonderheiten eingegangen. Um transparent zu machen, welches Wertkonzept der Bewertung zugrunde liegt, schreibt Textziffer 9 vor, dass der verwendete Wertbegriff und der Bewertungsanlass anzugeben sind.

Vor dem Hintergrund der Funktion des Wirtschaftsprüfers als Abschlussprüfer und Berater in Fragen der Rechnungslegung stellen rechnungslegungsbezogene Anlässe sicherlich einen Schwerpunkt der Tätigkeit des Wirtschaftsprüfers als Bewerter von Immobilien beziehungsweise Beurteiler von Immobilienbewertungen dar. Dementsprechend sind die hier gebräuchlichen Wertbegriffe wie beizulegender Wert sowie der aus den IFRS bekannte Fair Value von zentraler Bedeutung. Daneben sind die von den Sachverständigen verwendeten Begriffe (Verkehrswert, Versicherungswert, Beleihungswert et cetera) von Bedeutung, auf die der Standard allerdings nicht eingeht.6)

Der Standard geht in Textziffer 6 und 12 bis 14 auf die Frage der Bewertung von Immobilienunternehmen und -portfolios ein. Dabei hat es speziell zu der Frage der Bewertung von Ein-Objekt-Gesellschaften, die wie alle Immobilienunternehmen nicht nach IDW S10, sondern nach IDW S1 also nach den Kriterien der Unternehmensbewertung zu bewerten sind, auch kritische Stimmen gegeben.7)

Funktionen des Wirtschaftsprüfers

Von wesentlicher Bedeutung für die Ergebnisse der Bewertung ist die Funktion, die der Wirtschaftprüfer im Rahmen der Bewertung einnimmt. In Abhängigkeit von der Funktion des Wirtschaftsprüfers wird er individuelle Wertvorstellungen des Käufers beziehungsweise Verkäufers in die Bewertung einfließen lassen. Gemäß Textziffer 126 des IDW S10 muss aus jedem Gutachten ersichtlich sein, in welcher Funktion der Wirtschaftsprüfer tätig war.

Ohne eine Angabe der Funktion des Wirtschaftsprüfers im Rahmen der Bewertung fehlt eine wesentliche Information, ob und gegebenenfalls in welcher Art und Weise individuelle Wertvorstellungen in die Bewertung eingeflossen sind. Während der Wirtschaftsprüfer als neutraler Gutachter und Schiedsgutachter die wesentlichen Annahmen und die Vorgehensweise bei der Wertableitung zu dokumentieren und darzulegen hat, warum er diese im jeweiligen Wertkonzept für geeignet hält und weitere Angaben zu Annahmen zu machen hat (siehe Textziffer 127), muss er in der Funktion als Berater den Umfang der Beauftragung offen legen und inwieweit er die Daten und Annahmen auf deren Angemessenheit und Widerspruchsfreiheit geprüft hat (siehe Textziffer 128). Textziffer 120 bis 123 geben weitere Richtlinien für die Ermittlung eines subjektiven Wertes vor. So können in diesem Fall die individuellen Verhältnisse und Ziele in Form der besonderen steuerlichen Verhältnisse, die Finanzierungsmöglichkeiten, beabsichtige Erweiterungsinvestitionen, Desinvestitionen oder Nutzungsänderungen der Immobilie berücksichtigt werden. Für den Erwerber sind sowohl echte (also bereits eingeleitete) Synergien und die zu ihrer Realisierung erforderlichen Maßnahmen als auch unechte (also erst nach dem Erwerb mögliche) Synergien und die zur Realisierung erforderlichen Maßnahmen in die Bewertung einbeziehbar (Textziffer 121). Demgegenüber sind bei Veräußerern für die Ermittlung der Preisuntergrenze nur die Synergien und entsprechenden Maßnahmen zu berücksichtigen, die ohne Veräußerung realisierbar sind und für den Veräußerer nach der Transaktion wegfallen würden (siehe Textziffer 122).

Bewertungsverfahren

Der IDW S10 stellt im Abschnitt 3 die normierten Bewertungsverfahren gemäß ImmoWertV (Ertragswert-, Vergleichswert- und Sachwertverfahren) sowie die nicht normierten international gebräuchlichen und auch in der Bewertungspraxis in Deutschland inzwischen häufiger anzutreffenden ertragsorientierten Verfahren nach Investment Method beziehungsweise das Discounted-Cash-Flow-Verfahren dar.8) Dabei liefert der Standard für diese beiden nicht normierten Verfahren ausführlichere Hinweise für ihre Anwendung.

Darüber hinaus geht der Standard auf die Sonderformen des Pachtwertverfahrens (Abschnitt 3.2.4 des IDW S10) und des Residualwertverfahrens (Abschnitt 3.2.5 des IDW S10) ein, die im Falle des Pachtwertverfahrens für die Wertermittlung von Betreiberimmobilien beziehungsweise im Falle des Residualwertverfahrens häufig bei Projektentwicklungen zum Einsatz kommen. Auch Fragen der Berücksichtigung der Öffentlichen Förderung bei der Bewertung von Wohnimmobilien werden geklärt (Abschnitt 3.2.6 des IDW S10).

Die Praxis zeigt, dass bei der Bewertung von Immobilien durchaus unterschiedliche Werte ermittelt werden. Dass sich der per Sachwertverfahren ermittelte (Sach-)Wert einer Immobilie von ihrem im Wege eines ertragsorientierten Verfahrens festgestellten (Ertrags-)Wert unterscheiden kann, ist wohl noch nachvollziehbar.

Demgegenüber sind Abweichungen bei den ertragsorientierten Verfahren nicht ohne weiteres nachvollziehbar. Textziffer 28 gibt einen Hinweis auf die möglichen Gründe für unterschiedliche Werte. "Die unterschiedlichen ertragsorientierten Verfahren führen bei sachgerechter Anwendung und einheitlich ausgeübten Ermessenspielräumen zu gleichen Werten." (Hervorhebung durch den Verfasser).

Diese Ermessenspielräume, die unter anderem bei der Frage der Bestimmung der ortsüblichen Mieten, der Bewirtschaftungskosten, der Entwicklung des Leerstands, aber auch der Bestimmung des zur Diskontierung heranzuziehenden Zinssatzes bestehen, sind ursächlich für ein mögliches Auseinanderfallen der Bewertungsergebnisse für das gleiche Objekt. Das führt auch zu den in der Literatur und Rechtsprechung akzeptierten Bandbreite von Werten. Im Falle subjektiver Entscheidungswerte können darüber hinaus auch Informationsasymmetrien zwischen Erwerber und Veräußerer der Immobilie zu unterschiedlichen Werten führen.

Der IDW-Standard "Grundsätze zur Bewertung von Immobilien" in seiner vorliegenden verabschiedeten Form schafft keinen neuen Standard für die Immobilienbewertung. Vielmehr gibt er eine Anleitung für die sachgerechte Anwendung der in der Bewertungstheorie und -praxis etablierten Verfahren bei einer Reihe von Bewertungsanlässen und darüber hinaus für die Prüfung von Immobilienbewertungen im Rahmen der Prüfung von Jahresabschlüssen und ist somit eine hilfreiche Unterstützung für den Berufsstand der Wirtschaftsprüfer.

Fußnoten

1) Die Bedeutung des Immobilienvermögens wird bereits aus dem Anteil des Immobilienvermögens am gesamten volkswirtschaftlichen Vermögen deutlich. Das Immobilienvermögen in Deutschland beziffert die Bundesregierung in ihrem Bericht über die Wohn- und Immobilienwirtschaft aus dem Jahr 2011 auf 9,5 Billionen Euro. Damit machen Immobilien 87 Prozent des deutschen Anlagevermögens aus. Darüber hinaus stellen die Hochbauinvestitionen im Jahre 2011 etwa die Hälfte der gesamten Bruttoanlageinvestitionen dar. (Vergleiche "Bericht über die Wohn- und Immobilienwirtschaft", herausgegeben vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, 2012.)

2) Siehe unter anderem Schreiben des ZIA, Zentraler Immobilien Ausschuss e.V. an das Institut der Wirtschaftprüfer vom 7. Februar 2013 und die Stellungnahme der Sprengnetter GmbH zum Entwurf des IDW-Standards "Grundsätze zur Bewertung von Immobilien" IDW ES 10 vom 30. Januar 2013.

3) Textziffern beziehen sich, soweit nicht anders angegeben auf den vom Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) heraus gegebenen IDW-Standard: "Grundsätze zur Bewertung von Immobilien" Stand 14. August 2013; veröffentlicht in IDW-FN 13/2013.

4) IDW S10 Textziffer 1.

5) Siehe unter anderem Schulte, K.-W./Leopoldsberger, G. (2010): Bewertung von Immobilien, in: Drukarczyk, J./Ernst, D. (Hrsg.): Branchenorientierte Unternehmensbewertung, S. 503-521; hier: S. 509.

6) Siehe hierzu auch insbesondere Esser, Gebhardt: Grundsätze zur Bewertung von Immobilien - Eine Einführung in den neuen Bewertungsstandard IDW ES 10 in "Die Wirtschaftsprüfung 6/2013, S. 268 ff.

7) Siehe dazu auch Möller/Schilling: Eine bewertungspraktische Einordnung Immobilienbewertung nach IDW ES 10 in StuB 24/2012, S. 948 ff.

8) Siehe hierzu auch insbesondere Esser, Gebhardt: Grundsätze zur Bewertung von Immobilien - Eine Einführung in den neuen Bewertungsstandard IDW ES 10 in "Die Wirtschaftsprüfung 6/2013, S. 268 ff.

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