Risikosteuerung

Immobilienbewertung als Instrument der Risikosteuerung

Die Übertragung der neuen Basel-II-Eigenkapitalvorschriften in europäisches Recht (Eigenkapitalrichtlinie 2006/48/EG) hat auch erhebliche Auswirkungen auf die Bewertung von Immobilien für Sicherungszwecke. In den Anhängen VI und VIII der Richtlinie finden sich erstmals im europäischen Recht umfangreiche bewertungstechnische Vorschriften, die für das Immobilienfinanzierungsgeschäft einschlägig sind. Es wird deutlich, dass sich in der Immobilienbewertung derzeit ein Wandel von der stichtagsbezogenen Einzelbewertung zum Instrument der Risikosteuerung für Banken vollzieht.

Immobilienbewertung unter neuen Eigenkapitalvorschriften

Traditionell unterscheidet man in der Kreditwirtschaft drei Bereiche, in denen Bewertungsfragen von Relevanz sind. Neben der Beleihungswertermittlung für die Refinanzierung von Hypothekarkrediten durch Pfandbriefe knüpft vor allem die Anerkennung von dinglichen Sicherheiten im Rahmen der Eigenkapitalunterlegung von Kreditrisiken an den Wert der jeweiligen Immobilie an. Zunehmend wird die Immobilienbewertung von Banken auch zu Gesamtrisikosteuerungszwecken eingesetzt. Im folgenden Beitrag werden die beiden letztgenannten Bereiche näher untersucht.

Bankaufsichtsrechtlich ist vorgegeben, dass jedes Kreditinstitut über "angemessene" Eigenmittel verfügen muss. Während § 10 Kreditwesengesetz (KWG) die Bestandteile der Eigenmittel definiert, bestimmt die Solvabilitätsverordnung (SolvV - Umsetzung der europäischen Eigenkapitalrichtlinie in deutsches Recht) das Verhältnis zwischen Eigenkapital und Kreditrisiken. Demnach muss das haftende Eigenkapital eines Kreditinstitutes mindestens acht Prozent der Summe aller risikogewichteten Aktiva erreichen.

Hier kommen die neuen Eigenkapitalvorschriften zur Anwendung, die stärker an das tatsächliche Risiko anknüpfen. Die Eigenkapitalunterlegung folgt somit keinen pauschalen Sätzen mehr, sondern dem ökonomischen Risiko der Finanzierung für die Bank. Sicherheiten wie Hypotheken oder Grundschulden werden an dieser Stelle risikoreduzierend berücksichtigt. Wie wichtig die neuen Eigenkapitalvorschriften für die deutsche Wirtschaft sind, zeigt nicht zuletzt der Umstand, dass sich Unternehmen in Deutschland zu über 70 Prozent über Kredite refinanzieren, während die Kreditfinanzierungsquote in den USA oder Großbritannien nur noch 20 beziehungsweise zehn Prozent beträgt.

Der modifizierte Standardansatz

Mit Grundpfandrechten abgesicherte private Wohnungsbaukredite müssen bei der Eigenkapitalunterlegung mit nur noch 35 Prozent gewichtet werden. Dies bedeutet, dass die Mindesteigenkapitalquote von acht Prozent nicht aus der vollen Höhe (100 Prozent) des Kreditbetrages, sondern nur in Höhe von 35 Prozent dieses Betrages errechnet wird. Bei einem Kreditbetrag von 500 000 Euro reduziert sich somit die Höhe des für diese Finanzierung vorzuhaltenden Eigenkapitals von 40 000 Euro (acht Prozent aus 500 000 Euro) auf 14 000 Euro (acht Prozent aus 175 000 Euro).

Voraussetzungen für den niedrigeren Eigenkapitalansatz

Voraussetzung dieser günstigen Gewichtung ist allerdings, dass der Immobilienwert die Darlehensforderung "erheblich übersteigt". Der deutsche Gesetzgeber hat festgelegt, dass dies dann der Fall ist, wenn die Forderung 60 Prozent des Beleihungswertes der Immobilie nicht überschreitet. Unter Beibehaltung des Grundsatzes des Realkreditsplittings ist somit nur der sichere Kreditteil (erststelliger Bereich) einer günstigeren Gewichtung zugänglich, während der über 60 Prozent des Beleihungswertes liegende Betrag schon zu 75 Prozent in Anrechnung gebracht werden muss.

Bei dinglich abgesicherten Gewerbeimmobilienfinanzierungen kann bis zu einer Obergrenze von 50 Prozent des Marktwertes oder 60 Prozent des Beleihungswertes eine 50-Prozent-Gewichtung in Ansatz gebracht werden. Über diese Wertgrenzen hinausgehende Kreditteile müssen in voller Höhe (100 Prozent) berücksichtigt werden. Die günstige Gewichtung von Gewerbeimmobilien ist allerdings an die zusätzliche Voraussetzung gebunden, dass die Verlustraten aus diesen Finanzierungen im erststelligen Bereich 0,3 Prozent und insgesamt 0,5 Prozent nicht übersteigen.

Als Zwischenergebnis lässt sich festhalten, dass die neuen Solvabilitätsvorschriften bereits im Standardansatz für die Berechnung der Eigenkapitalunterlegung sowohl für Wohn- als auch für Gewerbefinanzierungen an den Immobilienwert anknüpfen und somit der Immobilienbewertung eine Schlüsselrolle im neuen bankaufsichtlichen Regelwerk zuweisen. Diese Methodik wird auch im Ratingansatz beibehalten.

Der interne Ratingansatz

Im internen Ratingansatz ändern sich die Parameter für die Ermittlung des vorzuhaltenden Eigenkapitals. Anstelle vorgegebener Gewichtungsklassen errechnet sich die Höhe des Risikogewichts auf der Grundlage der Höhe der Forderung zum Zeitpunkt des Ausfalls (EAD), der Ausfallwahrscheinlichkeit des Kreditnehmers (PD), der zu erwartenden Verlustquote (LGD) und der Laufzeit des Kredits (M). Es ergibt sich folgender Vervielfältiger:

Darlehensbetrag x Risikogewicht (EAD x PD x LGD x M) x 8% Solvabilitätskoeffizient = Eigenkapital

Die Ausfallwahrscheinlichkeit des Darlehensnehmers wird sowohl im Basis- wie auch im fortgeschrittenen Ratingansatz von der Bank auf der Grundlage eigener Schätzungen errechnet. Die zu erwartende Verlustquote (LGD) wird hingegen nur im fortgeschrittenen Ansatz von der Bank geschätzt, im Basis-Ratingansatz wird sie von der Bankaufsicht festgesetzt. Dort gilt sowohl für Wohn- als auch für Gewerbeimmobilienfinanzierung eine LGD von 30 Prozent bis zu einem Beleihungsauslauf von 71 Prozent (§ 338 Abs. 3 Nr. 1 SolvV). Über diese Wertgrenze hinausgehende Forderungsteile werden mit einer LGD von 45 Prozent belegt.

Wie im Standardansatz ist auch im Ratingansatz die Anerkennung der risikoreduzierenden Wirkung von Immobiliensicherheiten an die Einhaltung bestimmter Mindestvoraussetzungen gekoppelt. Hierzu gehört die Immobilienbewertung. Seit Anfang Januar 2007 ist die günstige Gewichtung von Hypothekarkrediten nur noch dann statthaft, wenn die Immobilie vorher eingewertet worden ist. Im Verhältnis zur alten Rechtslage kommt dies einem Paradigmenwechsel gleich und verdeutlicht die hinter dem neuen Regelwerk stehende Philosophie.

Mindestanforderungen an die Immobilienbewertung

In Übereinstimmung mit dem risikosensitiven Ansatz der neuen Eigenkapitalvorschriften wird die Immobilienbewertung als ein zentrales Steuerungsinstrument für Immobilienkreditrisiken anerkannt. Die bewertungsspezifischen Vorschriften enthalten Wertdefinitionen, Pflichten zur Wertüberwachung und Wiederbewertung sowie Anforderungen an die Qualifizierung von Gutachtern. Bei den Wertansätzen ist sowohl ein Marktwertals auch ein Beleihungswertgutachten zulässig.

- Der Marktwert wird definiert als der geschätzte Betrag, zu dem die Immobilie am Tag der Bewertung nach angemessenem Marketing im Rahmen eines zu marktüblichen Konditionen, von den Parteien in Kenntnis der Sachlage umsichtig und ohne Zwang geschlossenen Geschäfts vom Besitz eines veräußerungswilligen Verkäufers in den Besitz eines kaufwilligen Käufers übergehen dürfte.

- Der Beleihungswert bezeichnet den Wert der Immobilie, der bei einer vorsichtigen Bewertung ihrer künftigen Marktgängigkeit unter Berücksichtigung ihrer dauerhaften Eigenschaften, der normalen und örtlichen Marktbedingungen, der derzeitigen Nutzung sowie angemessener Alternativnutzungen bestimmt wurde. Spekulative Elemente werden bei der Bestimmung des Beleihungswerts außer Acht gelassen. Der Beleihungswert wird transparent und klar dokumentiert.

Der Wert der Immobilie muss häufig, mindestens jedoch einmal jährlich bei gewerblich genutzten Immobilien und alle drei Jahre bei Wohnimmobilien überprüft werden. Sind die Märkte starken Schwankungen ausgesetzt, so muss diese Überprüfung häufiger stattfinden. Zur Überprüfung des Werts einer Immobilie und zur Ermittlung von Immobilien, die einer Neubewertung bedürfen, können statistische Verfahren verwendet werden. Gibt es Hinweise darauf, dass die Immobilie im Verhältn i s zu den allgemeinen Marktpreisen erheblich an Wert verloren haben könnte, so ist die Bewertung von einem unabhängigen Sachverständigen zu überprüfen.

Bei Krediten, die über drei Millionen Euro oder fünf Prozent der Eigenmittel des Kreditinstituts hinausgehen, ist die Immobilienbewertung mindestens alle drei Jahre von einem unabhängigen Sachverständigen zu überprüfen. Ein unabhängiger Sachverständiger bezeichnet eine Person, die über die zur Durchführung einer solchen Bewertung erforderlichen Qualifikationen, Fähigkeiten und Erfahrungen verfügt und von der Kreditvergabeentscheidung unabhängig ist.

Wie bereits erwähnt, muss ein Kreditinstitut im fortgeschrittenen Ratingansatz eigene LGD-Schätzungen verwenden, das heißt für jeden einzelnen Kredit die Verlustquote nach Verwertung der dinglichen Sicherheit mittels eigener Erhebungen schätzen. Der Verband deutscher Pfandbriefbanken (vdp) hat für seine Mitgliedsinstitute ein sogenanntes LGD-Grading entwickelt, das es ermöglicht, LGD-Quoten auf der Grundlage historischer Erlösquoten von Immobilienverwertungen zu ermitteln.

LGD-Grading und Transaktionsdatenbank

Über 10 000 Datensätze, segmentiert nach neun Objektarten und 75 Regionen, werden in einem gemeinsamen Datenpool zusammengeführt, an den die beteiligten Mitgliedsinstitute angeschlossen sind. Hierbei definiert sich die Erlösquote als Verwertungserlös auf der Grundlage des fortgeschriebenen Marktwertes, da bei der Ermittlung der Erlösquoten die Abwicklungsdauer der Verwertung berücksichtigt werden muss. Die Fortschreibung des Marktwertes wird über ein entsprechendes Prognosemodell erreicht.

Zwecks Optimierung der Marktwertprognosen hat der vdp den Aufbau einer Transaktionsdatenbank initiiert, die Immobilienpreisinformationen in Form reiner Preisbewegungen getrennt nach regionalen und sektoralen Teilmärkten generieren soll. Grundsätzliche Probleme bei der Berechnung von Immobilienpreisreihen sind die Heterogenität der Objekte, deutliche Unterschiede der Preisniveaus und der Preisentwicklung auf regionaler Ebene sowie divergierende Qualitäts- und Ausstattungstrends. Somit ergibt sich die Notwendigkeit der Qualitätsbereinigung, da Informationen zur reinen Preisbewegung erforderlich sind.

Für die Berechnung der Immobilienpreisreihen wurde auf ein hedonisches Verfahren zurückgegriffen, da nur hedonische Methoden eine direkte Qualitätsbereinigung ermöglichen. Bei diesem Ansatz wird eine Immobilie gedanklich in verschiedene Qualitätseigenschaften zerlegt. Sodann wird mit Hilfe der Regressionsanalyse der Einfluss dieser Qualitätsmerkmale auf den Preis ermittelt und als Qualitätsveränderung aus der Preisbewegung eliminiert. Am Ende verbleibt die "reine" Preisbewegung, die Eingang in die Datenbank findet.

Die Transaktionsdatenbank dient nicht nur der Datenbeschaffung für die Ableitung von LGD-Kennziffern, sondern kann auch bei der Überwachung der Immobilienwerte (Monitoring) oder deren Neubewertung eingesetzt werden. Insgesamt ermöglicht die Transaktionsdatenbank eine erhebliche Ausdehnung der Marktbeobachtungsmöglichkeiten.

Die unter dem Dach des Europäischen Hypothekenverbandes zusammenarbeitenden Immobilienfinanzierer haben den risikosensitiven Ansatz der neuen Eigenkapitalvorschriften auf den Inhalt von Immobiliengutachten übertragen. Es wurde ein Risiko- und Chancenprofil für Immobilien erstellt, an dem sich Bewerter bei der Anfertigung von Wertgutachten orientieren sollen.

Das Risikoprofil enthält alle Aspekte, die für ein Kreditinstitut bei der Beurteilung der Werthaltigkeit einer Immobilie als Sicherheit für einen Hypothekarkredit von Bedeutung sind. Hierzu zählen insbesondere Aussagen zu Markt- und Standortrisiken der Immobilie, zur Bauausführung, objektspezifischen Risiken, Fragen zur Qualität der Mieter/Mietausfallwagnis sowie bau- und gegebenenfalls steuerrechtliche Risiken.

Im europäischen Dachverband der nationalen Gutachterverbände Tegova (The European Group of Valuers' Associations) werden diese Bemühungen flankiert durch die Herausgabe von Europäischen Bewertungsstandards (European Valuation Standards EVS), die die Qualität und Transparenz von Gutachten erhöhen und die Konvergenz von Bewertungsgrundlagen europaweit befördern sollen.

Im Mittelpunkt der EVS stehen neben der Standardisierung der Bewertungsgrundlagen (Wertbegriffe, Bewertungszwecke) vor allem die Formulierung von Anforderungen an Form und Inhalte von Gutachten, an Qualifikation und Fortbildung von Gutachtern, Berufsgrundsätze (Ethik, Unabhängigkeit) sowie die Darstellung länderspezifischer Gesetzgebungen und Verfahren.

Tegova ergänzt die EVS durch Leitfäden zu spezifischen bewertungstechnischen Fragen, wie zum Beispiel ein Objekt- und Marktrating, das als ein standardisiertes Verfahren zur Ermittlung der nachhaltigen Qualität einer Immobilie in ihrem relevanten Markt konzipiert ist. Auch wurde eine Methodik zur Bewertung von Immobilienportfolios erarbeitet, die im Rahmen von Forderungsverbriefungen oder Portfolioverkäufen durchgeführt werden.

Die dargestellten Entwicklungen und neuen Instrumente zeigen die Möglichkeiten, die mit einem qualitativ hoch entwickelten Bewertungswesen sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene erschlossen werden können. Bewertungs-Know-how kann in Kreditinstituten eingesetzt werden zu Zwecken des Portfoliomanagements, der Kreditprozesssteuerung, der risikoorientierten Preisgestaltung, der Sicherstellung einer risikoorientierten Kunden- und Portfoliorentabilität sowie zur Prognose von Verlusten und Abschreibungen im Kreditgeschäft. Auf diese Weise wird die Immobilienbewertung zunehmend zu einem Instrument der Gesamtbanksteuerung.

Externe Einflussfaktoren

International müssen sich Bewerter immer wieder einer Diskussion stellen, die dem deutschen Bewertungswesen Theorielastigkeit und Marktferne vorwerfen. Es werden Meinungen dahingehend geäußert, dass die traditionell substanzwertbezogene Betrachtungsweise (Sachwert, Bodenwert) zugunsten einer stärker wirtschaftlich ausgerichteten Betrachtungsweise (Barwertverfahren, DCF-Methode) zurücktreten müsste.

Das deutsche Bewertungswesen kann sich jedoch mit guten Argumenten einer solchen Diskussion stellen in dem Bewusstsein, dass die in Deutschland normierten Verfahren kein Hindernis für die Weiterentwicklung von Theorie und Praxis sind. Die dargestellten Entwicklungen in der Kreditwirtschaft können dies eindrucksvoll belegen.

Festzuhalten bleibt jedoch, dass die europäischen und internationalen Entwicklungen zunehmend größeren Einfluss auf das nationale Bewertungswesen bekommen werden. Das EU-Recht wie zum Beispiel die Eigenkapitalrichtlinie, aber auch zunehmend EU-Kapitalmarktvorschriften stellen immer höhere qualitative Anforderungen an die Bewertung von Immobilien. Transparenz und Vergleichbarkeit der Bewertungen werden in einem weiter integrierten Markt von den Kunden/Investoren stark nachgefragt werden. Vor allem für das Auslandsgeschäft der Kreditinstitute sind Bewertungsfragen auch wettbewerbsrelevant.

Daher ist mit einer stetigen Weiterentwicklung des europäischen Bewertungswesens zu rechnen. Die Verbesserung von Ausbildung und Qualifikation der Sachverständigen, nicht zuletzt auch durch das Setzen europäischer Standards (Tegova oder Zertifizierung), spielt hierbei eine wichtige Rolle.

Der Beitrag beruht auf einem Vortrag des Autors auf dem 24. Tag des Risikos in Frankfurt am Main.

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