Schwerpunkt Einzelhandel

Internet gegen Innenstadt

Deutschen Innenstädten und Shoppingcentern wird vorgeworfen, dass sich in beiden die gleichen Geschäfte befänden. Schablonenartig stülpten die Asset Manager den identischen Mietermix über die Center, die sie betreuen. Natürlich ist das richtig - in vielen Fällen und zumindest im Moment. Es ist schlicht eine Folge der typischen Kausalkette, der viele Vermieter unterliegen. Am Anfang steht die Renditeerwartung des Eigen tümers oder der Anleger. Diese soll möglichst hoch sein und außerdem stabil weiter wachsen. Um diese Rendite erwartung zu erfüllen, ist es für die Vermieter oberstes Gebot, ihre Flächen schnell und zu einem möglichst hohen Mietzins an solvente Mieter mit erkennbar nachgefragten Konzepten zu vermieten.

Wer zum Zuge kommt, entscheiden die Kunden schlichtweg mit ihren Füßen. Dadurch sind es eben zwangsläufig oft ähnliche Unternehmen, die hier den Zuschlag erhalten - beispielsweise die solventen Ketten aus dem Elektronik- oder Textilhandel, aber auch die typischen Fast-Food-Ketten im Gastronomiebereich. Es sind die üblichen Verdächtigen, die bewiesen haben, dass sie in der Lage sind, sich schnell an die sich ändernden Wünsche der Kunden anzupassen und dadurch die Mietpreise zu zahlen bereit und fähig sind. Andere Händler, die sich noch nicht bewiesen haben, bergen ein größeres Risiko. Das nachvollziehbare Bedürfnis des Eigentümers nach Renditesicherheit kann derzeit noch über die standardisierte Mietermixschablone des Asset Managers gestillt werden. Mittel- und langfristig werden wir hier jedoch Veränderungen erleben.

Impulsgeber Onlinehandel

Handel ist bekanntlich Wandel. Erfolgreich wird vor allem derjenige sein, der Trends nicht nur folgt, sondern sie antizipiert. Einer der größten Impulsgeber für diesen Wandel ist heute das Internet. Standen Innenstädte bislang in Konkurrenz zu Shoppingcentern, werden sich beide - idealerweise gemeinsam - künftig immer mehr in unmittelbarem Wettbewerb mit dem Onlineangebot wiederfinden. Der innerstädtische Einzelhandel wird langfristig überhaupt funktionieren, wenn er attraktiver ist als der Einkauf per Mausklick.

Klar ist: Unter dem Aspekt der Bequemlichkeit - oder neudeutsch Convenience - ist das Internet unschlagbar: keine lästige Anfahrt durch den innerstädtischen Einbahnstraßenwirrwarr, keine teuren Parkplatztickets und kein Tütenschleppen. Auch beim Preisniveau und vor allem bei der Preistransparenz ist das Internet dem stationären Handel voraus. Das ist für den deutschen Schnäppchenjäger attraktiv.

Aber es gibt auch Eigenschaften, die nur der stationäre Einzelhandel bieten kann. So ist der Mensch nicht nur rationaler Einkaufsmanager, sondern ein soziales Wesen, und "Shoppen" ist ein in hohem Maße emotionaler Prozess. Dieser wird beeinflusst durch Ambiente, Gerüche, Geräusche, Behaglichkeit und die Menschen, denen man begegnet. Außerdem gibt es viele Produkte, die man vor dem Kauf gesehen und angefasst haben und, wenn man das richtige dann endlich gefunden hat, auch sofort mitnehmen will - vorausgesetzt es ist klein und wiegt nicht viel.

Zum Kaufen verführen

Die Wahrheit ist: Wenn der Kunde nur das kaufen würde, was er zum Überleben benötigt, wäre der Einzelhandel weltweit ruiniert. Die Umsatzentwicklung im Einzelhandel lebt von der Verführung - davon, dass im emotionalen Überschwang Dinge gekauft werden, die man eigentlich nicht wirklich braucht. Das klingt negativer als es ist, denn die Kunden wollen ausdrücklich verführt oder sogar verzaubert werden. Sie konsumieren nicht aus Notwendigkeit, sondern weil sie sich davon einen "Lustgewinn" versprechen. Und hier ist das Internet klar im Nachteil - zumindest theoretisch.

Tatsächlich ist der Einkauf in deutschen Innenstädten leider heute noch häufig eher Frust als Lust. Aber hier und nur hier liegt die Chance des stationären Einzelhandels. Dafür gilt es aber zunächst, einige überkommene Feindbilder über Bord zu werfen. Insbesondere der in der Vergangenheit häufig erhobene Vorwurf, Shoppingcenter seien der Tod der Innenstadt, wird angesichts der virtuellen Konkurrenz zukünftig widerlegt werden. Einkaufzentren bieten - richtig konzipiert - viele Vorteile, die die Kunden überhaupt erst von ihren Laptops aufstehen lassen und in die Stadt locken.

Ganz unabhängig von der Tatsache, dass es in einem marktwirtschaftlichen Wertesystem ohnehin fragwürdig ist, etwas zu verdammen, was die Menschen ganz offensichtlich gut finden, können Shoppingcenter die für das Überleben der Innenstadt essenziellen Kriterien (Stichwort: Emotionen beim Shopping) in vielen Aspekten besser abbilden als die Fußgängerzone allein. Sie bieten also einen echten Zusatznutzen für die Innenstadt und das kann man heute schon vielerorts besichtigen. Voraussetzung ist dabei allerdings eine enge Zusammenarbeit zwischen Immobilieneigentümern und Händlern in den Centern und der Fußgängerzone.

Künftig wird es, um die Attraktivität einer Innenstadt zu gewährleisten, nicht mehr genügen, für eine saubere Fußgängerzone und vielleicht ein bis zwei kleinere Shoppingcenter zu sorgen. Große Eventräume und damit große innerstädtische Konsumtempel sind gefragt. Diese - und nur diese - haben finanzielle Möglichkeiten, den Besuch zu einem Event zu machen und so insgesamt zur Stärkung der Innenstadt gegenüber dem Internet beizutragen. Dafür muss eine besondere Aufenthaltsqualität geboten werden.

Das Center muss zu einem der Lieblingstreffpunkte der Menschen im Einzugsgebiet werden, sozusagen zu einem zweiten Wohnzimmer, an dem man sich mit Freunden trifft oder auch mit Geschäftspartnern, an dem man sich gerne aufhält - unabhängig davon, ob man einkaufen will oder nicht. Die Messlatte liegt entsprechend hoch. Das gilt insbesondere für Deutschland, das bisher eher nüchterne Center aufweist und hinter anderen Ländern weit zurückliegt. Und natürlich müssen die Menschen im Einzugsgebiet auch von dem Angebot erfahren. Hierzu werden große Marketingbudgets benötigt, über die nur große Shoppingcenter verfügen.

Innovationen gefragt

Leider ist die Situation heute oft noch recht trostlos - auch in den vorhandenen Centern. Im Gastronomiebereich beispielsweise herrscht vielerorts noch echter Notstand. Ziel ist es nicht, in einem Gourmet-Führer oder einer Architekturzeitschrift besprochen zu werden. Aber die Kunden sollen auch nicht gezwungen sein, eine teure Currywurst am Stehtisch im lauten und vielleicht nicht ganz sauberen Foodcourt hinunterschlingen zu müssen.

In Zukunft können und müssen Shoppingcenter auch für das schnelle und preiswerte sowie auch ansprechende und leckere Mittagessen sorgen. Insgesamt wird der Gastronomie eine noch größere Bedeutung in Centern zukommen, denn die Menschen haben immer weniger Zeit, selbst zu kochen. Hinzu kommt: Essen kann man nicht (oder zumindest nur sehr beschränkt) downloaden. Kurzum: Der Food-Bereich wird zu einem Anker moderner Shoppingcenter und trägt seinen Teil zum Wohlfühlambiente bei.

Andere Sortimente dagegen werden zurückgedrängt. Der Trend, Bücher eher im Internet zu kaufen, scheint derzeit irreversibel. In der Konsequenz schrumpfen die Flächen des Buchhandels, die noch vor wenigen Jahren stark auf Flächenausweitung gedrängt haben. Tonträger, die früher einen großen Teil der Flächen von Unterhaltungselektronikern beansprucht haben, gibt es fast nicht mehr. Und um Kunden zu motivieren, zukünftig noch Fernseher oder Waschmaschinen über die Ladentheke zu kaufen, müssen sich die gleichen Elektronikmärkte etwas einfallen lassen.

Der Onlinehandel wird sich auf weitere Bereiche ausdehnen. Wasser- und Bierkisten werden in Zukunft sicher per Mausklick bequem nach Hause geliefert werden. Butter, Eier und Quark wird der Kühlschrank in zehn Jahren womöglich ohne unser Zutun selbstständig ordern. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Auf dem besten Wege

Die Beispiele zeigen, wie sehr das Internet den Handel schon verändert hat und noch verändern wird. Alles, was man nicht anfassen oder anprobieren muss, wird zukünftig verstärkt online gekauft werden. Trotzdem werden innerstädtische Verkaufsflächen insgesamt nicht schrumpfen. Sie werden sich nur verändern. Das "Bitte nicht anfassen"-Schild und die gleichgültige Verkäuferin ohne Warenkenntnis werden ersetzt durch unterhaltsam inszenierte Warenkunde in einem entspannten und erlebnisreichen Umfeld. Dabei werden unterschiedliche Verkaufsformen sogar zusammenwachsen.

Die Mallflächen werden zum öffentlichen Erlebnisraum - architektonisch anspruchsvoll und voller Leben. Aber auch außerhalb der Einkaufszentren werden heute schon vielerorts Veränderungen sichtbar. Fußgängerzonen werden überdacht, die Anforderungen an Aufenthaltsqualität und Ambiente werden erhöht. Im Idealfall wächst die Innenstadt zu einem Erlebnisraum zu sammen, der ein perfektes Podium nicht nur für den Handel, sondern auch für Kultur und Entertainment bietet.

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