Zins und Kapital

IRR-Rendite beruht nicht auf der Wiederanlageprämisse

Eine neue wissenschaftliche Wahrheit pflegt sich nicht in der Weise durchzusetzen, daß ihre Gegner überzeugt werden und sich als belehrt erklären, sondern vielmehr dadurch, daß die Gegner allmählich aussterben und daß die heranwachsende Generation von vornherein mit der Wahrheit vertraut gemacht ist" (aus: Max Planck, Wissenschaftliche Selbstbiografie, Leipzig 1948, Seite 22).

Die umstrittene Wiederanlageprämisse

Unausgesprochen wohnt diese Erkenntnis dem Streit inne, der zwischen den Befürwortern und den Gegnern der sogenannten Wiederanlageprämisse (WAP) ausgebrochen ist. Die neueste Kontroverse erweist, dass diese Prämisse fest in den Köpfen mancher Fachleute verwurzelt ist. Auch die schlagendsten Gegenargumente scheinen sie nicht ausrotten zu können. Die einen beharren fast ideologisch auf ihrer Ansicht, die andern geben ihr Bestreben nicht auf, der Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen. Letzteres ist auch das Anliegen dieses Beitrags.

Um was geht es? Es ist herrschende Meinung unter den Finanzfachleuten, dass die Erträge aus der Wiederanlage periodisch ausgezahlter Zinsen in die Rendite von Kapitalanlagen miteinbezogen werden müssen. Diese Wiederanlageprämisse liege sogar dem nach der international anerkannten IRR-Methode errechneten Internen Zinsfuß (IZ) zugrunde. Der IZ unterstelle die Verzinsung der Wiederanlage mit der Rendite der eigentlichen Geldanlage, die zu erzielen aber bei nicht inverser Zinsstruktur des Marktes kaum gelinge, weil sich die Wiederanlage-Zeitspannen mit jeder Auszahlung verkürzen und trendmäßig im Allgemeinen nur verminderte Erträge erwarten lassen.

Die IRR-Rendite weise infolgedessen durchweg zu hohe Werte aus und sei deshalb für die Beurteilung der Rentabilität des Investments unbrauchbar. An ihre Stelle solle eine unter Berücksichtigung niedrigerer Verzinsungen aus der Wiederanlage umgerechnete modifizierte Rendite treten, die allerdings mit der Ungewissheit des künftigen Zinsniveaus belastet sei. Unter der Annahme einer vermuteten Zinsentwicklung für die betreffende Dauer der Wiederanlage könnten nur Schätzwerte dieser modifizierten Rendite ermittelt und genannt werden.

Versuch einer Widerlegung

Das jüngste Beispiel für eine Äußerung aus dem Kreis der WAP-Verfechter findet sich auf Seite 143 der Zeitschrift "Versicherungswirtschaft" 2010. Prof. Dr. Klaus Jaeger versucht darin, die Thesen, die der Verfasser gegen die WAP in einem Aufsatz in "Versicherungswirtschaft" 2009, Seite 1893 zusammengestellt hat, zu widerlegen. Um es vorweg zu sagen: Das ist ihm nicht gelungen. Es konnte auch gar nicht gelingen, weil seine Ansicht falsch ist. Das zu erkennen, bedarf es keiner akademischen Studien oder Würden, sondern nur der Anwendung des gesunden Menschenverstandes.

Ein konkretes Beispiel

Im Grunde reicht es bereits aus, die Anlage B von Jaeger zu betrachten, bei der 100 Euro im Zeitpunkt t = 0 eingezahlt und am Ende der nächsten vier Jahre Zinsen von je 5,00 Euro ausgezahlt werden. Nach fünf Jahren endet die Kapitalanlage mit der Auszahlung der letzten Zinsrate von 5,00 Euro und der Rückzahlung des Anfangskapitals von 100 Euro.

Nach dem Verständnis eines Laien und natürlich auch nach der IRR-Methode beträgt hier die Rendite 5,0 Prozent. Von dem (durch die Auszahlungen der Zinsen) konstanten Anlagekapital in Höhe von 100 Euro wird jeweils 5,0 Prozent = 5,00 Euro fällig und an den Anleger zur beliebigen Verwendung ausgeschüttet. Eine Wiederanlage kommt gar nicht vor. Für eine wie auch immer geartete oder gar herbei gezauberte Wiederanlageprämisse ist kein Raum.

Unzulässige Vergleiche unterschiedlicher Anlagearten

Nun vergleicht Jaeger diese Anlage B mit einer Anlage A, die ebenfalls eine Kapitalanlage von 100 Euro über fünf Jahre und sogar die gleiche Zinssumme von 25 Euro vorsieht, allerdings mit dem Unterschied, dass die Zinsen nicht jährlich, sondern kumuliert am Ende der Anlagezeit ausgezahlt werden.

Bei dieser Anlage A handelt sich mithin um einen Zerobond, bei dem die Zinsen thesauriert werden. Die Rendite beläuft sich aber nicht auf 5,0 Prozent, sondern auf 4,5639 Prozent. Die niedrigere Rentabilität überrascht niemanden, der weiß, dass die frühere (gleich hohe) Fälligkeit (der Zinsen von 5,00 Euro pro Jahr) mehr wert ist als die spätere.

Ist es so schwer einzusehen, dass die Anlagen A und B verschiedene Anlagearten darstellen? Die Vergleichbarkeit kann man auch nicht dadurch herbeizaubern, dass man, wie Jaeger es tut, für den Anleger B unterstellt, er verwahre die Zinsen "unter dem Kopfkissen" besitze folglich am Ende auch nur 25 Euro an Zinsen, sodass seine Rendite ebenfalls nur 4,6539 Prozent betrage.

Derartige Rückschlüsse muten geradezu abenteuerlich an. Sie verkennen völlig, dass es überhaupt nicht darauf ankommt, was der Anleger B mit den Zinsen anstellt. Mit deren Auszahlung ist anteilig die Kapitalanlage beendet. Ob der Geldanleger in der Folge dafür Erträge erzielt oder nicht, hat keinen Einfluss auf die Rendite der eigentlichen Anlage.

Weitere Beispiele trotzdem scheitert der Vergleich

Auch ein weiterer von Jaeger grundlos herangezogener Fall, der mit Anlage C bezeichnet sei, hat mit dem Problem der Renditeberechnung für Kapitalanlagen mit periodischen Zinsausschüttungen nichts zu tun. Es liegt wieder ein Zinsthesaurierungspapier mit fünfprozentigen Zinsen und Zinseszinsen vor, das am Ende der fünfjährigen Anlagezeit zu einem Endkapital von 127,63 Euro führt.

Das ist der Endwert unter Geltung von Voraussetzungen, wie sie der Wiederanlageprämisse zugrunde liegen. Eine substanzielle Bedeutung für die Anlage B hat die Anlage C aber nicht, weil nach den Vertragsbestimmungen der Anlage B die Zinsen ausgezahlt und gerade nicht zur Rendite wiederangelegt werden.

Falsche Behauptung als Glaubensgut

Jaeger schreibt gegen Schluss seiner Ausführungen "Bei der Berechnung des IRR wird jedoch zwangsläufig unabhängig von der Verwendung der Rückzahlungen - tatsächlich mit der Wiederanlageprämisse kalkuliert." Diese Behauptung, die zum Glaubensgut der WAP-Jünger gehört, ist aber falsch. Sie geht vermutlich auf ein irrtümlich gedeutetes Vorzeichen zurück. Zur Aufdeckung der Wahrheit ist ein kurzer mathematischer Exkurs erforderlich.

Es bezeichne:

E die Geldanlage im Zeitpunkt t = 0,

n die Dauer der Kapitalanlage in Jahren,

Z die am Ende der Anlagejahre ausgezahlten Zinsen,

R den Rückzahlungsbetrag zur Zeit n,

e die Rendite und

r = 1 + e den Zinsfaktor, der den Wert des mit e verzinsten Kapitals[1] nach einem Jahr wiedergibt.

Dann gilt für die Berechnung von e die Endwertgleichung:

(1)

Hier tritt zwar im ersten Term auf der rechten Seite der Gleichung die mit der Rendite bis zum Zeitpunkt n aufgezinste Summe der Zinsauszahlungen auf. Das heißt aber nicht, dass dieser Zinsenendwert auch ausgezahlt wird. Im Gegenteil, er vermindert den Rückzahlungsbetrag. Um das zu sehen, braucht man Gleichung (1) nur so zu schreiben:

(2)

Die Gleichung (2) lässt sich dahingehend deuten, dass R nicht mit dem Endwert des Zerobonds E·rn übereinstimmen kann, sondern um den darin steckenden Zinsenendwert bereinigt werden muss. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Protagonisten der WAP das Minuszeichen in Gleichung (2) übersehen oder das Pluszeichen in Gleichung (1) falsch gedeutet haben.

Ohne Endwerte und auch ohne Barwerte, die hier nicht näher betrachtet werden sollen, kommt man aus, wenn man die Buchungen auf dem mit der Rendite durchgerechneten Konto in Formeln ausdrückt. Mit den eingeführten Symbolen E, Z, R, e und r sowie der Bezeichnung K(t) für den Kapitalstand zum Zeitpunkt t ergibt sich das in der untenstehenden Tabelle dargestellte Bild.

Da der Anlagevorgang mit der Rückzahlung R endet, ist K(5) = 0. Mit K(0) = E und 5 durch n ersetzt, lautet dann die letzte Formel des Kontoablaufs

(3)

oder

(4)

Die Gleichung (4) ist mit der Gleichung (2) identisch. Auch wenn man den Anlagevorgang in seine Einzelschritte zerlegt, gelangt man zu der Endwertgleichung (2). Für diese war bereits dargelegt, dass der Zinsenendwert nicht Bestandteil des Renditeertrags ist. Aus dem Kontoablauf, der zur Gleichung (4) geführt hat, ist das Ausscheiden der Zinsen Z aus dem Anlagekonto direkt zu ersehen.

Damit ist nachgewiesen, dass die ausgezahlten Zinsen Z, die eindeutig vom Konto abgeflossen sind und nicht wieder auftauchen, samt ihren bei Wiederanlage, wie hoch auch immer, erzielbaren Zinseszinsen nicht in der nach der IRR-Methode ermittelten Rendite enthalten sind. Die Wiederanlageprämisse erweist sich am Ende als Phantom. Die Berechnung der Rendite eines Sparvorgangs als interner Zinsfuß liefert eine objektive und brauchbare Größe. Einwendungen dagegen aus der Sicht der unhaltbaren Wiederanlageprämisse sind gegenstandslos.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X