Leitartikel

Kein Sack Reis

Chinas Wirtschaft befindet sich weiterhin auf einem steilen Wachstumspfad: 2010 legte das Bruttoinlandsprodukt preisbereinigt um über zehn Prozent zu, und auch für 2011 erwarten wir einen Anstieg des Inlandsprodukts um gut neun Prozent. Getragen wurde dieser Boom von rasch ansteigenden Exporten sowie von der dafür notwendigen Investitionstätigkeit insbesondere in den Städten. Dort kam es in den letzten Jahren als logische Folge des wirtschaftlichen Aufschwungs wiederholt zu zweistelligen Lohnzuwachsraten - pro Jahr. Diese Gemengelage aus starken Einkommenszuwächsen, hoher Bevölkerungsdynamik in den Städten und einem noch immer immensen Nachholbedarf in vielen Wohnungsmarktsegmenten war der perfekte Nährboden für steigende Wohnungspreise in Chinas Städten. In den letzten Monaten wuchs jedoch die Sorge vor einer spekulativen Übertreibung, weil die chinesischen Hauspreise selbst angesichts des sehr günstigen wirtschaftlichen Umfelds zu stark gestiegen sind. Die Hauspreise der größten 35 Städte kletterten im Durchschnitt 2009 um 25 Prozent und 2010 um 19 Prozent - und damit sogar schneller als vor der Finanzkrise. In einigen Städten lag das jährliche Hauspreiswachstum sogar bei deutlich über 30 Prozent. Vor allem aber legten die Hauspreise in den meisten Städten deutlich schneller zu als die Mieten und die verfügbaren Einkommen. Im Durchschnitt der 35 größten Städte Chinas wuchsen die Hauspreise von 2007 bis Ende 2010 um 50 Prozentpunkte schneller als die Einkommen. Für einige Städte belief sich diese Wachstumsdifferenz sogar auf 150 Prozentpunkte. Mit dieser Entwicklung wird nicht nur die sozialpolitische Sorge verbunden, dass urbanes Wohnen für viele Menschen unbezahlbar zu werden droht und dass daraus Unzufriedenheit im Land entstehen kann. Darüber hinaus schürt gerade der Blick auf die gravierenden Lasten auf den US-amerikanischen oder spanischen Wohnungsmärkten Ängste vor dem Platzen einer Immobilienblase und den damit möglicherweise verbundenen gesamtwirtschaftlichen Verwerfungen für China sowie die Weltwirtschaft. Es handelt sich eben nicht um den sprichwörtlichen Sack Reis, der umfallen könnte, sondern um die größte reale Assetklasse in der mittlerweile zweitgrößten Volkswirtschaft der Erde. Eine heftige Korrektur der Wohnungspreise und der Bautätigkeit in China hätte daher auch weitreichende negative Rückwirkungen für die deutschen Exporteure und damit den Aufschwung hierzulande. Wir schätzen allerdings, dass ein Rückgang der chinesischen Hauspreise um zehn Prozent den privaten Verbrauch in China nur um rund einen Prozentpunkt belasten würde. Gravierender wären indes die Bremswirkungen für die chinesische Bauwirtschaft. Insgesamt könnte ein spürbarer Rückgang der Hauspreise die gesamtwirtschaftliche Wachstumsrate Chinas um zwei bis drei Prozentpunkte mindern. Dies würde das Land dann zwar nicht in eine Rezession reißen, es bliebe aber der zusätzliche Impuls auch für die europäische Wirtschaft aus. Wir erwarten für die nächsten Monate eine deutliche Verlangsamung des Hauspreiswachstums, das sogar in moderaten Preisrückgängen münden dürfte. Eine ähnlich katastrophale Entwicklung wie in den USA ist derzeit jedoch aus drei Gründen nicht wahrscheinlich: Erstens haben die Zentralregierung und viele lokale Regierungen Maßnahmen zur Begrenzung der spekulativen Immobilienmarktaktivitäten ergriffen. Zum Beispiel wurden lokal begrenzte Transaktionssteuern erhoben oder der Erwerb von Wohneigentum wurde nur für Menschen mit einem Arbeitsplatz in der Stadt der Zielimmobilie erlaubt. Zweitens ist die Entwicklung des Wohnimmobilienmarktes für den privaten Konsum in China weniger wichtig als dies in den USA gewesen ist. Drittens sind Immobilienfinanzierungen in China noch immer vergleichsweise konservativ; der Eigenkapitalanteil ist relativ hoch, und der Verbriefungsmarkt ist für dieses Segment bedeutungslos. Vor allem aber zeigen die staatlichen Maßnahmen zur Abkühlung der Wohnungsmärkte Wirkung. Dies gilt zunächst nur für die Wohnungsmärkte in den sogenannten Tier 1-Städten, also den wirtschaftsstärksten Städten im Osten. Seit 2010 hat sich die Erschwinglichkeit in den wichtigsten fünf Städten wieder etwas verbessert. Allerdings zeigen die meisten "kleineren" Tier 2- und Tier 3-Städte im Westen noch keine hinreichende Wachstumsverlangsamung. Es ist unwahrscheinlich, dass sich die Zentralregierung mit der bisher erreichten Marktberuhigung zufrieden geben wird. Falls die Hauspreise in den nächsten Monaten weiter kräftig steigen sollten, wird die Einführung einer nationalen Immobilientransaktionssteuer oder anderer Maßnahmen wahrscheinlicher. Dies würde auch die chinesische Wirtschaft insgesamt bremsen. Das Alternativszenario, dass es der Zentralregierung nicht gelingt, das Hauspreiswachstum spürbar zu reduzieren, ist jedoch mit Sicherheit noch ungünstiger, denn dann könnte später tatsächlich eine unkontrollierte Preiskorrektur drohen.

Prof. Dr. Tobias Just , Geschäftsführer, IREBS Immobilienakademie, Eltville und Inhaber des Lehrstuhls Immobilienökonomie, Universität Regensburg
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