Schwerpunkt: Markt- und Objektbewertung

Die Magie des Mietvertrages - vom Wert einer Handelsimmobilie

Keine Frage: Die Gewinner der derzeitigen Staats-, Finanz und Vertrauenskrise sind Wohn- und Einzelhandelsimmobilien. Verständlich, denn unabhängig von der wirtschaftlichen Situation eines Landes benötigen die Menschen stets ein Dach über dem Kopf und müssen sich kleiden und ernähren. So sind die Nutzungsarten "Wohnen" und "Handel" derzeit besonders beliebt bei Banken und Investoren, da diese stets mit einem geringen Risiko in Verbindung gebracht werden. Mit einem jährlichen Umsatz von rund 160 Milliarden Euro ist der Lebensmitteleinzelhandel zudem ein attraktives Investitionsziel.

Lebensmittel-Discounter als Sorglos-Immobilien?

Jeder kennt die typischen Filialisten der Lebensmittelhandelsketten des Discoun-ter-Segments in seinem persönlichen Lebensumfeld, auch scherzhaft "Retailboxen" genannt. Der Begriff ist eine Anspielung auf deren zweckmäßige und gestalterisch wenig aufwendige Architektur. Wohin man auch fährt: Aldi, Lidl, Netto, Penny, um nur die bekanntesten Branchenriesen aufzuzählen, sind schon da. Worin liegt der Reiz dieser Immobilienart im Gegensatz zum vorgenannten "Wohnen"?

Im Vergleich zu Wohnimmobilien haben Einzelhandelsimmobilien den besonderen Charme der weitgehenden Inflationssicherheit durch indexierte Mietverträge und einen wesentlich geringeren Verwaltungsaufwand, da oftmals pro Objekt nur ein bis zwei Mieter zu betreuen sind. So befindet sich häufig neben dem Ankermieter zum Beispiel eine Bäckereifiliale im gleichen Gebäude, die eine kleine Teilfläche im Eingangsbereich einnimmt. Das ist ein wesentlich geringerer Aufwand als die Verwaltung einer Wohnanlage mit oftmals geringeren Mieten.

Warum so viele Discounter?

Gab es noch vor wenigen Jahren gerade mal einen bekannten Discounter in der Nähe des Wohnorts, so hat man mittlerweile den Eindruck, es gäbe in fast jeder Himmelsrichtung im Umkreis von nur wenigen Kilometern gleich mehrere. Der Eindruck täuscht nicht. In den Jahren 2005 bis 2008 stieg aufgrund von Konkurrenzdruck der Lebensmittelvollsortimenter und -discounter untereinander der Gesamtflächenumsatz durch Neubau enorm an. Seitdem stagniert der Umsatz im Lebensmitteleinzelhandel auf fast gleichem Niveau und hat derzeit wohl seine Sättigung erreicht.

Den Löwenanteil des Marktes mit 75 Prozent des Gesamtumsatzes im Lebensmitteleinzelhandel im Jahr 2011 teilen sich gerade einmal fünf Unternehmensgruppen: Edeka, Rewe, Schwarz, Aldi und Metro (Quellen: NAI apollo, eigene Erhebungen/Lebensmittelzeitung). Diese dominante Marktposition schafft Vertrauen nach dem Motto "too big to fail". So haben seit Jahren Investoren diese Retailimmobilien für sich als Geschäftsfeld entdeckt. Das Ziel jedoch, Kapital gewinnbringend in Discounter zu investieren, versuchen Investoren auf unterschiedlichen Wegen zu erreichen: Es gibt eine klare Polarisierung zwischen risikoscheuen und risikofreudigen Investoren.

Investitionsrisiken als Wertvernichter

Aber worin liegt nun das Risiko eines solchen Lebensmitteldiscounters und wieso sucht ein Investor ein solches Risiko, das ein anderer scheut? Hier bedingen sich wieder Preis und Risiko. Diese Beziehung gilt es im Zuge einer Wertermittlung nachzuempfinden. Dabei sind zahlreiche Informationen zu berücksichtigen und nach kritischer Würdigung auszuwerten.

Neben den Makrolagekriterien wie beispielsweise Bevölkerungsentwicklung, Pendlersaldo oder Kaufkraft und Zentralität spielen Mikrolagekriterien eine wichtige Rolle. Diese umfassen zum Beispiel die Erreichbarkeit mit Pkw und ÖPNV, die Sichtbarkeit und Auffindbarkeit des Objekts, den Einzugsbereich, den Branchenmix und die Möglichkeiten, mit unmittelbar angrenzenden Unternehmen einen Verbundstandort, das heißt ergänzende Händler an einem Standort, zu bilden. Dies soll gegenseitig eine möglichst hohe Frequenz an potenziellen Kunden generieren.

Das Gebäude lässt sich definieren über die Konzeption der Verkaufs- und Nebenflächen, die eine effiziente Warenanlieferung und -präsentation ermöglichen und ein Ambiente erzeugen soll, das einen angenehmen Einkauf ermöglicht.

Insbesondere eine ausreichende Anzahl an Pkw-Parkplätzen unmittelbar am Gebäude ist immens wichtig. Überflüssig zu erwähnen, dass die technische Qualität des Gebäudes in Betracht zu ziehen ist, denn Mängel und Schäden haben unmittelbare Auswirkungen auf den Investitionsbedarf in den folgenden Nutzungsjahren. Zunehmend werden mieterseitig erhöhte Anforderungen an die Energieeffizienz gestellt.

Was jedoch ist das wichtigste Kriterium für Investoren, um den Kaufpreis zu bestimmen, den sie zu zahlen bereit sind? Alle vorstehend benannten Aspekte spielen eine wichtige Rolle, zentrale Bedeutung hat jedoch stets der bestehende Mietvertrag. Er wird zum wichtigsten Werttreiber. Der Mietvertrag ist das Bindeglied zwischen der Immobilie und dem Anspruch auf Mietzahlungen.

Lebensmittelmärkte werden selten spekulativ, das heißt auf Vorrat, gebaut. Die Immobilie wird in der Regel nach den Anforderungen des Mieters erstellt. Der Mieter wird oft vor dem Kauf des

Grundstücks, spätestens jedoch immer vor dem eigentlichen Baubeginn vertraglich gebunden. So ist gewährleistet, dass die Konzeption und die Gestaltung typisch für den Marktbetreiber sind und seinem Markenauftritt entsprechen. Ist ein solches Gebäude fertiggestellt, kann es wegen der typischen Gestaltung, die für die führenden Branchenriesen jeweils charakteristisch ist, kaum noch an ein anderes Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels vermietet werden.

Der Einfluss des Mietvertrags auf den Wert

Vor dem Hintergrund der somit massiv eingeschränkten Drittverwendungsfähigkeit wird deutlich, dass die Kernfrage aus Sicht eines Investors und Eigentümers ist, wie lange die zu erwartenden Mieterträge sicher eingehen. Ein Neubau wird üblicherweise nur dann errichtet, wenn bereits ein Mietvertrag für die Dauer von 15 Jahren oder mehr abgeschlossen worden ist. Erst danach wird mit der Erstellung der Immobilie begonnen, die fast ausschließlich entsprechend den Anforderungen des Mieters gebaut werden.

Die Erstellungskosten liegen marktüblich bei 500 bis 800 Euro pro Quadratmeter einschließlich der Baunebenkosten. Derzeit sind abgeschlossene Mietverträge mit einer Laufzeit von 15 Jahren mit einer der bekannten Lebensmittelketten für einen neuentwickelten Discounter die Regel.

In Verbindung mit einem solchen Mietvertrag ergibt sich ein Kaufpreis von 1000 bis 2000 Euro pro Quadratmeter. Solche Gebäude haben also keinen "Substanzwert", der einflussreichste Werttreiber ist der Mietvertrag und der Wert leitet sich überwiegend aus der Mietvertragslaufzeit ab, bei Objekten mit mehreren Mietern im Branchenjargon "Weighted Average Lease Term", kurz "WALT" genannt.

Die Höhe der vereinbarten Miete und deren Absicherung gegen Inflationseinflüsse, zum Beispiel durch eine Indexierung in Abhängigkeit des Verbraucherpreisindex, und selbstverständlich die Bonität des Mieters sind zwar ebenfalls von elementarer Bedeutung, bleiben jedoch in den Auswirkungen auf den Wert des Objekts gegenüber der Vertragslaufzeit deutlich zurück. Dies trifft umso mehr zu, wenn der Standort als eher schwach eingestuft wird. Ist der Mieter ausgezogen, stehen ehemalige Lebensmitteldiscounter oft trotz intensiver Vermietungsbemühungen jahrelang leer.

Standortqualität

Ganz anders das Szenario bei funktionierenden Standorten: Passt das Objekt konzeptionell auch gegen Ende des Mietvertrags zum Markenauftritt, ist eine Verlängerung des Mietvertrags sowohl für den Eigentümer wie auch für den Mieter der sinnvollste Schritt. Eine Erneuerung des Ladenkonzepts erfolgt oft in einem zehnjährigen Turnus und die dafür erforderlichen Aufwendungen werden gerne bei Vertragsverlängerungen dem Eigentümer aufgebürdet.

Klar ist hierbei auch, dass die Branchenriesen bei solchen Vertragsverhandlungen sich ihrer starken Position bewusst sind und weitgehend ihre Konditionen durchsetzen. Dem Eigentümer bleibt nur übrig, auf die Konditionen einzugehen oder sich mit dem Gedanken anzufreunden, eine alsbald leerstehende Immobilie vermieten zu müssen. Die Wahrscheinlichkeit einer Mietvertragsverlängerung sinkt rapide ab mit steigendem Alter der Immobilie. Dennoch hat der Eigentümer einen erheblichen Vorteil selbst dann, wenn er bei der Verlängerung erhebliche Zugeständnisse an den Mieter machen muss, wie aus der Abbildung 2 zu ersehen ist.

Die Abbildung zeigt die Spanne durchschnittlicher Multiplikatoren der Jahresnettokaltmieten in Abhängigkeit der Restlaufzeit. Diese Daten basieren auf Erfahrungswerten der NAI Apollo Group im Verkauf und der Bewertung. Die Multiplikatoren bei einer Vertragsverlängerung sind signifikant höher als im 15-Jahres Zeitraum, weil die Vertragsverlängerung der Beweis für das "Funktionieren" des Einzelhandelsstandortes ist. Ein fiktiver 15 Jahre alter Discounter mit alsbald endendem Mietvertrag hat gegebenenfalls einen Wert von etwa drei Jahresmieten, das gleiche Objekt mit gerade um weitere zehn Jahre verlängertem Vertrag hat jedoch im vorliegenden Fall einen Wert von 10,5 bis 12,0 Jahresmieten. Eine Alternative kann für den Eigentümer eines Objekts an einem guten Standort auch die Anschlussvermietung an einen Discounter aus der Textilbranche, einen Getränke- oder Kleintierfachmarkt sein. In Abhängigkeit der einzelhandelsrelevanten Lagequalität kann hier die Chance für eine ernsthafte Drittverwendung gegeben sein. Akzeptieren muss der Vermieter die niedrigeren Mieten, die etwa zwischen 50 bis 80 Prozent unter der ursprünglichen Miete variieren können. Grundsätzlich gilt jedoch: Der Feind des Immobilienwertes ist die Zeit, nämlich die bereits verstrichene Zeit eines bestehenden Mietvertrags.

Und genau die Immobilie mit dem niedrigen Wert sucht der risikofreudige Investor: Das Risiko des baldigen Leerstands mit der einhergehenden Notwendigkeit, eine Anschlussvermietung zu erreichen, stellt die Chance dar, die diese Immobilien zu einem gesuchten Gut machen.

Hierbei geht es nie um "schlechte" Immobilien, sondern um solche, die nur noch für sehr wenige Jahre die vertragliche Sicherheit eines vorhersagbaren Zahlungsstroms bieten und darüber hinaus die Möglichkeit, im Anschluss eine neue Nutzung zu etablieren. Trotz aller Risikofreude wird ein opportunistischer Investor kaum eine Immobilie erwerben, die ihm unlösbare Leerstandsprobleme beschert. Sollte es tatsächlich zu einer "stillen Immobilienkrise" aufgrund des demografischen Wandels auf dem Land kommen, fehlen auch dort die Marktimpulse, die ein risikofreudiger Investor braucht, um zu einer in Kürze womöglich leerstehende Immobilie eine lukrative Idee zu entwickeln.

Klare Polarität

Es besteht eine klare Polarität: auf der einen Seite die risikoscheuen Investoren, die Wert auf eine möglichst lange Mietvertragslaufzeit von mehr als acht bis zehn, am besten 15 Jahren, legen und eine hohe Sicherheit in Bezug auf die zukünftigen Mieteinnahmen erwarten. Auf der anderen Seite die risikofreudigen Investoren, die zu einem geringen Kaufpreis eine Immobilie zu kaufen bereit sind, welche die Möglichkeit bietet, nach Ablauf des mitgekauften Altmietvertrags mit einer Restlaufzeit von zwei bis drei Jahren einen neuen Mietvertrag über eine Folgenutzung abzuschließen und dadurch eine hohe Rendite zu erzielen. Diese Polarität hat zur Folge, dass sowohl Märkte mit langer verbleibender Restlaufzeit als auch solche mit einer sehr geringen verbleibenden Restlaufzeit gefragt sind. Es besteht eine geringe

Nachfrage von Investoren nach Märkten mit einer Laufzeit zwischen acht bis drei Jahren.

Marcus Badmann , Geschäftsführer, bulwiengesa appraisal GmbH, Berlin
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